Protokoll der Sitzung vom 01.11.2020

Änderungsantrag des Abgeordneten Luthe (fraktionslos) Drucksache 18/3082-1

und

lfd. Nr. 10:

Einsetzung eines Sonderausschusses „Coronaverordnungen“

Antrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/3092

und

lfd. Nr. 10 A:

Änderung der Zehnten Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung

Dringlicher Antrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/3126

und

lfd. Nr. 10 B:

Gesetz zur Beteiligung des Parlamentes und zum Schutz von Grundrechten im Falle von Maßnahmen nach §§ 28 – 31 Infektionsschutzgesetz

Erste Lesung

Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/3127

und

lfd. Nr. 10 C:

Pandemie bekämpfen – Freiheitsrechte schützen – Maß und Mitte halten

Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/3128

Den Dringlichkeiten haben Sie eingangs zugestimmt. Ich eröffne die erste Lesung zum Gesetzesantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 18/3127. Für die gemeinsame Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 15 Minuten zur Verfügung. In der Runde der Fraktionen beginnt die Fraktion der SPD. Es hat das Wort der Abgeordnete Schneider. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 14. Mai ist für mich etwas Ungewöhnliches passiert. Ich bin vor das Haus hier getreten und habe der Bundesjustizministerin widersprochen, weil ich Druck in dieser parlamentarischen Demokratie gesehen habe – die Vorlagen der Rechtsverordnung betreffend. Ich habe dort auch zu anderen Punkten gesprochen und will heute wieder über etwas reden, was hier noch keine Erfassung in den Redebeiträgen hatte.

All die Anträge, die hier hinzu verbunden sind, ob nun von der AfD oder von der FDP, die Änderungsanträge, die konkreten Sachfragen, diese Krisenbewältigung betreffend, sind selbstverständlich in der SPD-Fraktion mit hohem Engagement, lebhaft, abwägend, sorgenvoll und selbstkritisch reflektiert worden, ob das nun die beabsichtigte Schließung von Gaststätten anbelangte, die wirtschaftlichen Folgenabwägungen hinsichtlich der ergriffenen Maßnahmen und der vorgeschlagenen Maßnahmen, insbesondere zum Beispiel auch das Thema Schule. Wir hatten und haben da eine lebhafte Diskussion. Ich kann aber für die SPD-Fraktion heute und hier erklären und werde das auch begründen: Wir stehen geschlossen, und zwar einstimmig, hinter dem Senat und hinter den hier vorgeschlagenen Maßnahmen, uneingeschränkt.

[Beifall bei der SPD und den Grünen – Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Dieser Abwägungsprozess, der auch für mich natürlich in einem speziellen Fall, zu dem ich heute hier aber nicht reden werde, Nachdenklichkeit ausgelöst hat, ist wahrscheinlich am Ende der Amplitude gezeichnet. Und so wird jeder, der sich sorgenvoll trägt, der abwägt, seine eigene Amplitude haben. Wie schlimm soll es noch werden? Wie sicher sind die Prognosen? Ich bin etwas erschrocken, aber jetzt habe ich auch einen abschließenden Erkenntnisprozess. Eine Amplitude, die dazu führt, meine Damen und Herren von der AfD, dass Sie dem deutschen Volke dienen, die wird es nie geben.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen – Beifall von Katina Schubert (LINKE)]

Die Grünen – ich habe da ja auch ungehörigerweise etwas reingerufen – haben ja auch einen interessanten Erkenntnisprozess. Das Dilemma der Politik, das Dilemma der Ansteuerung dieser Krise, das ist die Beweislast.

Herr Kubicki von der FDP macht das Thema ja stark, und er hat im Grundsatz vollständig recht. Der Staat muss beweisen, dass es eine Veranlassung zur Einschränkung von Grundrechten gibt. Was denn sonst? Wir sind aber an einem Punkt – und das haben alle Rednerinnen und Redner hier bekräftigt –, dass wir das gar nicht mehr wissen. Wir wissen nicht, ob das Virus – und das hat ja niemand ernsthaft behauptet – im Reagenzglas im Chemieunterricht der 7. Klasse hergestellt wird, das ist ja Quatsch.

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)

Wir wissen auch nicht, ob es in der Gaststätte gekocht wird usw. Niemand vertritt diese Ansicht. Aber sich hier hinzustellen und zu sagen: Wir wissen umgekehrt aber sicher, dass die ungeschützten Nahkontakte bei diversen Feten in dieser Stadt es mit Sicherheit nicht waren –, mit Verlaub, das vertritt auch niemand bundesweit.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Und so will ich über das Problem reden, das uns umtreibt und wozu wir uns auch eine Meinung in einem abwägenden Prozess gebildet haben. Wie ich schon sagte, ist es nicht selbstverständlich, für mich persönlich auch nicht, dass ich der „taz“ ein Interview gebe. Ich habe noch nie ein Interview gegeben, seit ich Abgeordneter bin, soweit ich mich erinnere.

[Heiterkeit]

Dass ich hier mit der FDP fraternisiere, ist doch kein Geheimnis, und hier über Artikel 80 Abs. 4 und dergleichen mehr rede, das betrifft nicht die heutigen Anträge, sondern die seinerzeitigen Verabredungen. Aber was bemerkenswert ist, was hier gerade passiert, ist, dass bundesweit die Bundeskanzlerin und alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit Regierungserklärungen vor ihre Parlamente treten. Mit Sicherheit ist das ein starkes Zeichen und ein Zugehen auf die Parlamente. Aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verbirgt sich dahinter die Conclusio eines erschreckenden Erkenntnisprozesses, die Botschaft an die Verwaltungsgerichte, ja fast schon verzweifelt nach meiner Einschätzung, wenn eine Bundeskanzlerin ein juristisches Proseminar zur Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Verwaltungsaktes im Deutschen Bundestag hält.

Diese erschreckende Erkenntnis veranlasst uns zum Handeln. Das müssen wir doch ernst nehmen. Mit einer Ausnahme habe ich auch niemanden grundsätzlich so verstanden, dass er das nicht täte in diesem Haus. Aber die Gefahr, die uns umtreibt und Sorgen macht, ist – und ich hoffe nicht, dass wir wieder am 14. Mai hier etwas gesagt haben, worüber wir dann fast ein halbes Jahr später reden; die SPD-Fraktion muss doch nun niemand versuchen zu überholen mit der Frage von Rechtsverordnungen oder mit Gesetzesvorlagen, das haben wir inzwischen völlig klar verabredet – § 28 Infektionsschutzgesetz des Bundes. Die Indizienlage, die Rufe aus den Parlamenten, sie sind nicht lauter geworden in Anbetracht dessen, was ich mich beispielsweise als einer der dienstältesten Parlamentarischen Geschäftsführer dieser Bundesrepublik getraut habe und trauen musste zu sagen: Die Indizienlage ist nur quantitativ viel größer. Lesen Sie freundlicherweise den Gesetzesentwurf des saarländischen Parlaments, der seit gestern eine Drucksachennummer hat in einer unglaublichen Konfiguration von Antragstellern. Lesen Sie freundlicherweise die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Bayern von vorgestern. Nehmen Sie das zur Kenntnis im Bund! Wir brauchen hier nicht darüber zu reden, uns wirklich zuzutrauen, zehn Grund

rechte für 4 Millionen Menschen abzuwägen, wo wir es noch nicht einmal geschafft haben, meine lieben Freunde von den Koalitionspartnern, die Sicherheit der Beschlussfähigkeit dieses Parlamentes herzustellen, wo es nur darum ging, das Statusrecht der einzelnen Mitglieder abzuwägen.

Es geht inzwischen um das Ganze. Das wird im Deutschen Bundestag entschieden. Wenn nämlich meine Befürchtung, die nun über ein halbes Jahr alt ist und hinter die sich die SPD-Fraktion mit einem Positionspapier, das Sie dann auch bei uns nachlesen können, am Freitag einstimmig gestellt hat und darauf hinweist, mit Unterstützung des Senats, insbesondere des Regierenden Bürgermeisters, wenn wir damit Recht haben, dann sind alle Rechtsverordnungen dieser Bundesrepublik Deutschland nichtig, wenn der § 28 im Deutschen Bundestag nicht justiert wird. Dann reden wir von einem Tsunami. Da können wir uns hier gerne – das wird sicherlich eine Rolle spielen, ich habe schon gesagt, dass wir das abwägen und zu einem Ergebnis gekommen sind –, über einzelne Sektoren unterhalten und uns gegenseitig sagen: Ja, auch wir, auch die SPD-Fraktion, wollen Kita und Schule offenhalten – meine war am Montag leider zu, komplett, was dazu führte, dass ich mit meinen dreijährigen Sohn nicht zum Fraktionsvorsitzenden gefahren bin, sondern zu einem Coronatest für sagenhafte 281 Euro.

Darüber können wir uns gerne unterhalten. Aber das Große spielt gerade in Deutschen Bundestag. Das spielt jetzt bei Ihnen, meine sehr verehrten Kollegen von der CDU, ausschließlich bei Ihnen. Wenn sich im Frühstücksfernsehen, in der ARD, Ihr Fraktionsvorsitzender – ich habe es selbst nicht gehört, also mutmaßlich – damit zitieren lässt „wir wissen das, dass wir dort Handlungsbedarf haben, aber das ist ein Thema für die nächste Pandemie“, dann geht die Welt unter. Stellen Sie diesen Mann beiseite.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Falls ich das jemandem übersetzen soll, ich hab schon überlegt, ob ich das denen Linken sage: „Völker hört die Signale!“, aber ich wollte es mir eigentlich verkneifen, habe es dann aber trotzdem gemacht. Das ist ja bekannt.

[Steffen Zillich (LINKE): Hast du es dir verkniffen oder nicht?]

Ich habe es mir verkniffen, mein Lieber! Das streichen wir dann aus dem Protokoll, oder malen es lila an.

Ich will Ihnen einordnen, wie ich das verstehe, wenn das nicht repariert wird, obwohl die Indizienlage so klar ist. Ich habe es doch hier schon gesagt, dass es zwei Gründe haben wird, warum der Wesentlichkeitsgrundsatzes zum Thema wird, und zwar vor einem halben Jahr. Es ist die Eitelkeit der agierenden Juristen und Betroffenen und Aufrichtigkeit, dass die Hauptsacheverfahren alle anhängig sind und entschieden werden müssen in Berlin, im

Saarland und überall. Die Signale aus der Jurisprudenz veranlassen dringend zum Handeln. Für mich ist dieses Nichttätigwerden vollständig vergleichbar mit der – ich betone ausdrücklich – hypothetischen Aussage: Wir haben zwar einen Impfstoff, der auch wirksam und in ausreichender Menge vorhanden ist, aber das ist für uns ein Thema für die nächste Pandemie. Handeln Sie! Wir sind zu allem Konstruktiven bereit. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der CDU hat das Wort der Abgeordnete Goiny. – Bitte, Herr Goiny!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als die Bundeskanzlerin vor wenigen Wochen vorgerechnet hat, dass wir zum Ende des Jahres 19 200 Infizierte in Deutschland haben werden, haben das viele nicht geglaubt. Die Zahl haben wir heute schon erreicht. Das macht noch einmal deutlich, wie dringlich die jetzt getroffenen und verabredeten Maßnahmen sind. Sie sind umzusetzen auch im Land Berlin. Unser Fraktionsvorsitzender hat darauf eben hingewiesen und hat deutlich gemacht, dass die CDU-Fraktion dazu auch steht.

Wir stellen allerdings auch fest in diesem Haus, dass es dringend notwendig ist – wir reden hier über die entsprechenden Coronaschutzverordnungen –, darüber auch im Parlament zu reden, denn insbesondere die Debattenbeiträge, die wir hier von Koalitionsseite und was wir in den letzten Tagen und Wochen auch von Seiten des Senats gehört haben, machen deutlich, dass es schwer ist, eine einheitliche Linie zu erkennen. Man weiß am Ende gar nicht, wer jetzt wofür steht. Die Rede der Kollegin Jarasch war mehr eine Rede von jemand, von der man gar nicht weiß, ob sie überhaupt in der Regierung in diesem Land ist.

[Beifall bei der CDU]

Es ist also richtig, dass wir uns hier im Parlament mit diesen Verordnungen befassen. Es ist also auch richtig, dass wir über die Inhalte diskutieren, wenn es schon so ist, dass Sie sich untereinander nicht verständigen und der Kollege Schneider hier ankündigt, dass die SPD zur Regierung steht.

[Paul Fresdorf (FDP): Aber auch alle!]

Das ist eine tolle Erkenntnis. Ich wusste gar nicht, dass man es im Parlament als Regierungsfraktion auch einmal sagen muss. Aber wenn es so ist, dann nehmen wir das zur Kenntnis. Wenn die Neuigkeit des Tages schon ist, dass man in Friedrichhain-Kreuzberg der Auffassung ist, dass dort auch die Bundeswehr eingesetzt wird, dann

fragt man sich auch, was wir hier in Berlin für eine Politik machen.