Protokoll der Sitzung vom 19.11.2020

[Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Gräff das Wort.

[Kurt Wansner (CDU): Die Rede hat der Bundestagsabgeordnete der Grünen geschrieben! – Frank-Christian Hansel (AfD): Nein, die Linken!]

Herr Wansner! Ich habe nicht Ihnen, sondern dem Kollegen Gräff das Wort erteilt.

(Katrin Schmidberger)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in den letzten Tagen lesen können, mit dem Mietendeckel verkleinert sich das Angebot von Mietwohnungen in Berlin nach Angaben von Onlineanbietern um 40 Prozent. Um 40 Prozent! – Ganz im Gegensatz zu anderen großen Städten.

[Zuruf von Katalin Gennburg (LINKE)]

Durch Corona gibt es nicht einmal mehr Wohnungsbesichtigungen, sondern die wenigen freien Wohnungen am Markt gehen unter der Hand weg.

[Burkard Dregger (CDU): So ist es!]

Drei ganz persönliche Beispiele, die mich sehr bewegt haben aus meinem Bürgerbüro: Eine Mutter aus Marzahn berichtet über ihren Sohn und seine Freundin, die beide studiert, jetzt einen Job haben und eine Familie gründen wollen. Sie haben keinen Anspruch auf einen WBS

[Katrin Schmidberger (GRÜNE): Was hat das mit dem Mietendeckel zu tun?]

und überhaupt keine Chance, eine Drei- oder Vierzimmerwohnung in Berlin zu bekommen. Ein junger Familienvater aus Lichtenberg, drei Kinder, fünf Jahre, drei Jahre und ein halbes Jahr alt, der in einer Dreizimmerwohnung wohnt,

[Zuruf von Daniel Buchholz (SPD)]

sich keine Eigentumswohnung leisten kann: aktuelle Angebote in Berlin alle, alle über 1 800 Euro Nettokaltmiete für eine Fünfzimmerwohnung. Verzweifelte Menschen, die Wohnungen suchen, aufgrund Ihrer Politik, das ist das Ergebnis.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Torsten Hofer (SPD)]

Herr Gräff! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Gennburg zulassen.

Nein, Herr Präsident! Vielen Dank! –

[Oh! von der LINKEN]

Gleichzeitig erreicht uns eine riesige demografische Welle gerade in den Neubaugebieten dieser Stadt bei den Älteren, die dringend auf eine barrierefreie oder barrierearme Wohnung angewiesen sind und nicht ansatzweise ein Angebot finden. Jede Woche, inzwischen jede Woche, habe ich Bürgerinnen und Bürger dazu in meiner Sprechstunde in meinem Bürgerbüro.

Dass Mieter am Helene-Weigel-Platz in Marzahn oder im Märkischen Viertel nicht von Mietpreissenkungen profitieren, aber am Kurfürstendamm im schicken Altbau oder

am Kollwitzplatz die Mieten massiv gesunken sind, ist zutiefst ungerecht und unsozial.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Eine Zeitung wie die „taz“ hat es im August dieses Jahres sehr schön zusammengefasst:

… 2011, als Berlin noch günstig war und so leer, dass es Spaß gemacht hat, stundenlang durch die Stadt zu spazieren. Aber die Zeiten sind vorbei, und man kann sie auch nicht mit einem brachialen Gesetz wieder zurückholen.

Weiter schreibt die „taz“:

Angenommen, man zählt also nicht zu den Menschen, die es in ihrer Wohnung in der Innenstadt gerade schön gemütlich haben – angenommen, man kommt neu in die Stadt. Oder man bekommt ein Kind und sucht eine größere Wohnung. Oder man trennt sich von seinem Partner und sucht eine kleinere.

[Zuruf von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Ich weiß, dass Sie das nicht interessiert, bei Ihrer ideologischen Politik.

[Beifall bei der CDU]

Oder man trennt sich von seinem Partner und sucht eine kleinere. Dann stünde man vor der absurden Situation, dass die Miete theoretisch zwar günstig wäre, man aber an keine Wohnung kommt.

Das schreibt die „taz“ im August. Meine Damen und Herren! Genau so ist es gekommen!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Dr. Kristin Brinker (AfD)]

Jeder Berliner, der mobilitätseingeschränkt ist oder älter, jeder, der eine Familie gründen möchte, jeder, der alleinstehend ist und eine neue Wohnung sucht, wird Opfer Ihrer populistischen Politik. Und Corona wird das alles verschärfen, da der Bedarf nach einem Zimmer für diejenigen, die zu Hause arbeiten können, wachsen wird und wir deswegen mehr Wohnraum brauchen.

Während Hamburg mit halb so viel Einwohnern wie Berlin im Jahr 2018 11 087 Wohneinheiten neu genehmigt hat und im Jahr 2019 11 632, hat Berlin mit doppelt so viel Einwohnern im Jahr 2018 20 700 neu genehmigt und im Jahr 2019 19 491, also zurückgegangen.

[Carsten Schatz (LINKE): Fast das Doppelte!]

Herr Gräff! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schlüsselburg zulassen.

Nein, keine Zwischenfragen! Vielen Dank, Herr Präsident!

[Oh! von der LINKEN]

Ich komme zu Ihnen, jetzt gleich. Was ist die ideologische Grundlage dafür? Das konnten wir gerade in Aufsätzen lesen. Beispielsweise im Onlineartikel der RosaLuxemburg-Stiftung, Neue Klassenpolitik. Sehr interessant, was da zu lesen war: „Konflikte surfen“.

Durch die Vergesellschaftungskampagne zog in den Diskurs eine vorher nicht dagewesene Polarisierung ein, die es auch den Berliner Linken ermöglicht, offener die Eigentumsfrage zu stellen.

Das ist die Kernaussage aus einem der Aufsätze.

Wir lesen in einer Studie, mit der ich mich in den letzten Tagen sehr intensiv beschäftigt habe, einer sogenannten Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung,

[Katrin Seidel (LINKE): Unverschämtheit!]

der der Senator in der letzten Woche beigepflichtet hat, sehr interessant, die sogenannte Studie:

Weiterhin gibt es etwa Hunderttausend bis Zweihunderttausend Einzeleigentümerinnen einer vermieteten Wohnung und hinter den Investmentfonds und Aktiengesellschaften verbergen sich unzählige kleine Profiteure aus der ganzen Welt.

Jeder, der für seine Rente etwas dazusparen muss,

[Zurufe von der LINKEN]

ist ein kleiner Profiteur, ein kleiner Kapitalist im Sinne der Linken.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Das ist eine verächtliche, populistische Politik! Und weiter, noch viel schärfer von den Genossenschaften, von denen Sie immer behaupten, Sie stünden an deren Seite:

Die Genossenschaften konnten durch die niedrigen Zinsen ihre Kosten reduzieren und ihren Wohnungsbestand umfassend sanieren. Im Gegensatz zu dem Eindruck, den sie mit ihrer teils aggressiven Kampagne gegen den in Berlin eingeführten Mietendeckel hinterließen, verfügen die meisten der 27 Mitglieder im Verbund der Berliner Genossenschaften über hohe Überschüsse und Rückstellungen.