Protokoll der Sitzung vom 19.05.2022

[Beifall von Elif Eralp (LINKE)]

Wir hier in diesem Abgeordnetenhaus haben die Aufgabe, Menschen, egal woher sie kommen, egal ob sie hier geboren sind oder nicht, Berlinerinnen und Berliner, egal wie lange sie hier sind, zu vertreten und dafür zu sorgen, dass diese Stadt eine Stadt der Freiheit, der Offenheit und der Vielfalt bleibt und es daran gar keinen Zweifel gibt.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Deshalb möchte ich meine Rede gern in drei große strategische Linien einteilen, die unsere Integrationspolitik auch in dieser Legislatur und in den kommenden Jahren prägen sollen; drei große Linien, die ich überschreiben möchte zum einen mit „Berlin hilft“, zum Zweiten: „Berlin nutzt Potenziale“ und zum Dritten: „Berlin macht es besser“. Vieles ist heute schon angesprochen worden, und ich möchte darauf eingehen.

Unser Anspruch „Berlin hilft“ wird in diesen Tagen besonders deutlich. Berlin ist in diesen Tagen die Stadt der offenen Arme, die Stadt der offenen Herzen. Wir alle sind seit Wochen betroffen von diesem furchtbaren Krieg in der Ukraine, aber wir haben nicht gezögert, sofort denen zu helfen, die in unsere Stadt kommen und Zuflucht suchen und Hilfe in der Not brauchen. Deshalb geht auch mein Dank an dieser Stelle an all diejenigen, die sich in der Zivilgesellschaft, im Ehrenamt, aber auch an vielen Stellen im Hauptamt, in den Landesbehörden, aber auch in unseren Berliner Bezirken in den letzten Wochen dafür eingesetzt haben, Tag und Nacht, dass es gelingt, fast 250 000 Menschen, die bisher hier in unserer Stadt angekommen sind, zu versorgen, zu betreuen, ihnen Erstaufnahmen zu ermöglichen, temporäre Übernachtungen, Orientierung für die Weiterreise, medizinische Hilfe und all die Dinge, die notwendig sind.

Wir haben mittlerweile 55 000 Menschen, die sich hier in Berlin registriert haben in unserem Landesamt für Einwanderung und hierbleiben wollen, einen Aufenthaltstitel beantragt haben und jetzt über unsere Sozialämter betreut werden. Es sind Leistungen für über 40 000 Menschen gegeben worden, Hilfe ist gewährt worden. Wir haben 60 Willkommensklassen eingerichtet, über 3 000 ukrainische Kinder bei uns aufgenommen, in unseren Schulen, viele auch in den Kindertagesstätten. Wir haben unser Ukraine-Ankunftszentrum in Tegel aufgebaut. Wir haben dafür gesorgt, dass nicht eine einzige Übernachtung in einer Turnhalle stattfinden musste, weil wir andere Lösungen gefunden haben, auch gemeinsam mit den vielen Engagierten in unserer Stadt.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Das ist eine Gemeinschaftsleistung, die Berlin insgesamt erbracht hat und auf die wir stolz sein können. Berlin

hilft, und Berlin ist sowohl im Hauptamt als auch im Ehrenamt da, um diese Herausforderungen zu bewältigen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

„Berlin nutzt Potenziale“ – da geht es um etwas, was heute auch hier angesprochen wurde: Wir haben in unserer Stadt Potenziale, die noch nicht vollständig genutzt sind, die zu nutzen aber unsere Aufgabe ist. Ich spreche davon, dass wir über 800 000 Menschen in Berlin haben, die aus den unterschiedlichsten Gründen keinen deutschen Pass haben; aber viele von ihnen leben seit vielen Jahren hier, arbeiten hier, leben mit ihren Kindern hier, die Kinder sind hier geboren, sie sind hier aufgewachsen, sie gehen zur Schule. Die Menschen gehen arbeiten, sie tragen etwas dazu bei, dass unsere Stadt sich gut entwickelt. Viele dieser Menschen erfüllen seit Jahren die Voraussetzungen, in unserer Stadt eingebürgert zu werden, Deutsche zu werden hier in Berlin. Unsere Aufgabe ist es, dass wir das Verfahren und alles, was zu tun nötig ist, so aufsetzen, dass Menschen, die die Rahmenbedingungen, die Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllen, diese auch bekommen können, und zwar schnell, einheitlich und unbürokratisch. Das ist eine Aufgabe, die wir uns in dieser Legislatur vorgenommen haben. Hier gab es ja Kritik, ob es überhaupt eine zentrale Stelle dafür braucht; ich kann Ihnen nur sagen: 6 000 Einbürgerungen im Jahr sind bei einer 3,7-Millionen-Menschen

Metropole zu wenig. Da geht mehr.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Deswegen haben wir uns dazu entschlossen, diesen Weg zu gehen und im Landesamt für Einwanderung ein Landeseinbürgerungszentrum einzurichten, das jetzt zu starten. Der Senat hat es beschlossen, und ich kann Ihnen sagen: Als jemand, der selbst die Ehre und die Freude hatte, 3 000 Menschen einzubürgern – damals, in meiner Zeit als Bezirksbürgermeisterin in Neukölln –, weiß ich, was das für diese Menschen bedeutet, was das für ein Schritt ist; ein einmaliger Schritt im Leben, der es wert ist, gefeiert zu werden, der es wert ist, denjenigen, die diesen Schritt gehen wollen, alle Unterstützung anzubieten, die dafür nötig ist. Das ist ein ganz besonderer Moment, und es ist eine Riesenchance für unsere Stadt. Wir sollten alles dafür tun, die Zahlen zu erhöhen – natürlich in den rechtlichen Rahmenbedingungen, natürlich mit den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, aber ganz klar auch mit dem Aufruf an Menschen, die das wollen, sich einbürgern zu lassen in der Gewissheit, dass sie nicht zwölf verschiedene Verfahren vorfinden, sondern dass es einen einheitlichen Weg gibt, einen unbürokratischen, einen gerechten Weg für mehr Integration in unserer Stadt.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

(Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey)

Zum Thema „Potenziale nutzen“ – da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Czaja –: Es geht um Schutz und Hilfe auf der einen Seite, und auf der anderen Seite geht es um Chancen. Es geht um die Anerkennung von Berufsabschlüssen, es geht um die Frage des Zugangs zum Arbeitsmarkt und letztendlich auch um einen internationalen Wettbewerb, in dem wir uns befinden, um die besten Talente und Köpfe der Welt, die nach Berlin kommen wollen, und die alle Unterstützung vorfinden sollen, damit es auch gelingt, dass sie hierherkommen.

Ich will sagen, ich freue mich, dass wir schon heute unser BIS haben, das Business Immigration Servicecenter von Berlin Partner, das dafür sorgt, diejenigen, die als Fachkräfte in die Hauptstadt kommen wollen, auch bei ihrem Weg zu unterstützen. Das wollen wir ausbauen, und das werden wir ausbauen, damit es eine echte Standortchance für Berlin gibt im weltweiten Wettbewerb um die besten Talente, um die besten Köpfe, damit wir die Menschen hier gewinnen können, damit sie in Berlin ihre Kraft, ihr Talent einsetzen und damit wir sie dabei unterstützen. Das gehört genauso dazu wie die Frage, wie wir diejenigen, die schon hier sind, die mit beruflichen Qualifikationen kommen, besser anerkennen können. Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist, auch in den letzten Tagen: Es haben sich fast 400 ukrainischsprachige Lehrerinnen bei uns beworben. Über 70 sind schon eingestellt worden. Sie arbeiten jetzt bei uns in den Willkommensklassen, in den Regelklassen, in der Betreuung der Kinder und Jugendlichen, denn ein Drittel derjenigen, die jetzt aus der Ukraine kommen, sind Menschen zwischen 0 und 17 Jahren. Das ist eine riesige Herausforderung, und wir stellen uns ihr, weil wir wollen, dass die Kinder, die hier ankommen, von Anfang an Integration erleben. Und auch wenn viele vielleicht zurückgehen: Jeder einzelne Tag, der hier in Schule, in guter Betreuung und in Fürsorge verbracht wird, ist ein guter Tag. Deswegen setzen wir auf Integration von Anfang an.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Damit komme ich zu der dritten strategischen Linie, von der ich es wichtig finde, dass wir sie verfolgen. Raed Saleh hat es in seiner Rede auch schon angesprochen: es besser machen; Lessons Learned aus den Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gesehen haben. Und wir machen es besser. Wir haben uns dafür starkgemacht, dass Menschen, die hierherkommen und hier eine Perspektive für sich und ihre Familie aufbauen wollen, Zugang zu Arbeit, Ausbildung und Studium bekommen, zu Sprach- und Integrationskursen, zu einer echten Perspektive. Deshalb ist der Einsatz, den Berlin geleistet hat, um im Bund zu erreichen, dass wir die Menschen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz in das Sozialgesetzbuch II bringen können, damit die ukrainischen Kriegsgeflüchteten hier tatsächlich auch die Möglichkeit haben, Zugang zu Arbeitsmarkt, Ausbildung, Studium und Sozialleistungen zu bekommen, richtig. Das sind richtige Schritte.

Ich sage auch ganz klar – es ist von vielen angesprochen worden –: Jeder, der hier in Berlin ankommt und arbeiten möchte, soll die Möglichkeit bekommen. Es sind Fehler der Vergangenheit, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt eben nicht in gleicher Weise gewährt worden ist. Das muss korrigiert werden, das muss verbessert werden. Gerade auch für die Menschen, die schon länger hier sind, die immer noch in einer unsicheren Situation sind, braucht es Perspektiven, und das ist auch angesprochen worden.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Ich finde es wichtig, dass wir all diese Fragen – Zufluchtsort, Sehnsuchtsort, Einwanderungsstadt – wirklich von den Chancen her denken, die sich damit verbinden, von den Möglichkeiten, die wir haben, wenn wir Berlin, so wie es seine ganze Geschichte gelehrt hat, als Stadt der Vielfalt denken, als Ort, an den Menschen mit unterschiedlichsten Erfahrungen und auch Sichtweisen auf das Leben kommen und an dem sie sich verwirklichen können.

Als ich in Neukölln als Bürgermeisterin unsere Einbürgerungsfeiern vollzogen und mich gefreut habe, wenn wir teilweise Nationalhymnen aus 20 verschiedenen Ländern gehört haben, habe ich immer gesagt: Ein Berlin ohne Zuwanderung ist doch kaum vorstellbar. Wie arm wäre doch unsere Stadt, wenn nicht Menschen aus so vielen verschiedenen Nationen zu uns gekommen wären, diese Stadt mit all ihrer Kraft bereichert hätten. Das ist ein Schatz, den wir hier in Berlin haben. Und diesen Schatz zu würdigen und zu nutzen und sich dafür einzusetzen, dass die Menschen, die eben nicht die gleichen Zugänge und die gleichen Möglichkeiten haben, diese bekommen, das ist wichtig, und das sollte auch die Integrationspolitik des Senats prägen.

Berlin hilft Menschen in der Not, Berlin nutzt Potenziale und Chancen, und Berlin macht es besser; vielleicht auch besser als viele andere Orte in Deutschland. Ich möchte mich deshalb sehr herzlich bei Senatorin Kipping bedanken, mit der wir in den letzten Wochen eine sehr intensive Zusammenarbeit hatten und das Tag und Nacht sehr pragmatisch und lösungsorientiert angegangen sind.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Ich möchte mich auch bei Senatorin Spranger bedanken, die das Landeseinbürgerungszentrum voranbringt und das gut macht. Ich glaube, dieser Grundsatz: Wichtig ist nicht, woher du kommst, sondern wer du sein willst –, der ist nach vorne gerichtet, der sollte uns leiten.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Dr. Maren Jasper-Winter (FDP)]

Wenn wir das wirklich mit Leben erfüllen, dann werden auch andere auf Berlin schauen. Ich kann Ihnen be

(Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey)

richten: Diese Woche war der Gouverneur von Jakarta in Berlin zu Gast; Jakarta ist unsere Partnerstadt. Wir hatten Gäste aus Wien, wir hatten Gäste aus vielen anderen Städten in Europa und darüber hinaus. Und immer wieder bekomme ich gesagt: Es ist beeindruckend, was Berlin in diesen letzten Wochen und Tagen geleistet hat. – Das zu würdigen und auch einen Moment stolz darauf zu sein, lohnt sich. In diesem Sinne: Lassen Sie uns eine zukunftsgerichtete, eine chancen- und potenzialorientierte Integrationspolitik machen, dann kann Berlin daraus auch sehr viel Kraft schöpfen und in den nächsten Jahren Entwicklungen ermöglichen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, liege Kolleginnen und Kollegen! – Hier sei der Hinweis erlaubt, dass das Abgeordnetenhaus, vertreten durch seinen Präsidenten, sich freut, am kommenden Montag wieder hier ins Haus zur zentralen Einbürgerungsfeier einzuladen. Das wird pandemiebedingt ein bisschen kleiner sein als in den Vorjahren, und trotzdem sind es etwa 50 spannende Geschichten von Menschen, die in den letzten Jahren nach Berlin eingebürgert worden sind. Es gibt einen Festredner mit ukrainischem Hintergrund, und das passt, glaube ich, auch in die Zeit. Ich freue mich sehr, dass das Abgeordnetenhaus jetzt schon zum achten Mal Gastgeber dieser Einbürgerungsfeier sein darf.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Ich komme zu

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Nun können wieder mündliche Anfragen an den Senat gerichtet werden. Die Fragen müssen ohne Begründung, kurz gefasst und von allgemeinem Interesse sein sowie eine kurze Beantwortung ermöglichen; sie dürfen auch nicht in Unterfragen gegliedert sein. Ansonsten werde ich die Fragen zurückweisen. Zuerst erfolgen wie immer die Wortmeldungen in einer Runde nach der Stärke der Fraktionen mit je einer Fragestellung. Nach der Beantwortung steht mindestens eine Zusatzfrage dem anfragenden Mitglied zu, eine weitere Zusatzfrage kann auch von einem anderen Mitglied des Hauses gestellt werden. Fragen und Nachfragen werden von den Sitzplätzen aus gestellt. Es beginnt für die Fraktion der SPD die Kollegin Kühnemann-Grunow.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage den Senat angesichts der Überwindung der Folgen der Pandemie: Wie unterstützt der Senat die Berliner Kinos zum diesjährigen Berlinale Sommer Special „Berlinale Goes Open Air 2022“?

Das macht die Regierende Bürgermeisterin.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete! Wir haben ja insgesamt eine Unterstützung der Berliner Kulturszene ganz klar im Plan. Herr Senator Lederer bereitet gerade den Kultursommer vor. Natürlich gehören zur Frage des Kultursommers auch die Programmkinos. Wir freuen uns sehr, dass wir als Medien- und Filmhauptstadt die gesamte Szenerie des Filmstandorts Berlin unterstützen und auch die Programmkinos mit zusätzlicher Unterstützung fördern wollen. Das alles geschieht im Rahmen unseres „Neustart Berlin“-Konzepts. Wir haben fest vereinbart, dass wir die Branchen, die besonders von der Pandemie betroffen waren – ob das die Gastronomie, die Hotellerie oder das ganze Veranstaltungsgeschäft und die Kultur ist –, in besonderer Weise unterstützen wollen. Selbstverständlich gehören die Kinos in Berlin dazu, und wir werden hier auch zusätzliche Unterstützung ermöglichen. – Vielen Dank!

Frau Kollegin, wünschen Sie eine Nachfrage? – Ich sehe auch keine weitere Frage dazu.

Es folgt dann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Kaas Elias.

Danke, Herr Präsident! – Ich frage den Senat: Wann und wie wird der Senat das 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr umsetzen?

Dann antwortet die Verkehrssenatorin. – Bitte sehr, Frau Jarasch!

Entschuldigen Sie! Bei diesem Stichwort stehe ich schon automatisch auf und schaue schon gar nicht mehr zur Regierenden Bürgermeisterin, wie sich das gehört.

[Paul Fresdorf (FDP): Das sind ja Sitten!]

Also wirklich, Sittenverrohung, unsäglich.

(Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey)