Protokoll der Sitzung vom 20.10.2022

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen in einer Runde nach der Stärke der Fraktionen mit je einer Fragestellung. Nach der Beantwortung steht mindestens eine Zusatzfrage dem anfragenden Mitglied zu, eine weitere Zusatzfrage kann auch von einem anderen Mitglied des Hauses gestellt werden. Frage und Nachfragen werden von den Sitzplätzen aus gestellt.

Für die SPD-Fraktion stellt der Kollege Stroedter die Frage.

Ich frage den Senat: Wie weit sind die Vorbereitungen im Senat, um an zwei Adventssonntagen die Ladenöffnung im Einzelhandel berlinweit wieder zu ermöglichen, und wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen, mit der der Einzelhandel frühzeitig Planungssicherheit bekommt?

[Beifall von Felix Reifschneider (FDP) – Sibylle Meister (FDP): Hervorragende Frage!]

Frau Senatorin Kipping!

Vielen Dank, Herr Abgeordneter! Heute Morgen, bevor wir auf dem Weg hierher waren, fand auf Einladung der Regierenden Bürgermeisterin eine gemeinsame Beratung zwischen Wirtschaftssenator Schwarz, mir, der Senatskanzlei und den beiden Parteien – Verdi als zuständige Gewerkschaft und dem Handelsverband – statt. Auch wenn das eine vertrauliche Runde war, kann ich, glaube ich, soviel sagen, ohne Geheimnisse zu verraten, dass alle drei Senatsmitglieder dort gemeinsam jeweils auf ihre Art und Weise dafür geworben haben, dass es eine Lösung außerhalb von Gerichten gibt.

Das entscheidende Argument war sehr klar. Wir sind in einer besonderen Situation, wo man oft sehr pragmatisch reagieren muss. Wir haben eine sehr komplizierte und schwierige juristische Situation. Dazu habe ich schon hier und im Ausschuss Ausführungen gemacht; das muss ich mit Rücksicht auf die Zeit nicht wiederholen. Das war unser Plädoyer. Die Vereinbarung war, dass es eine gewisse Frist für die beiden Parteien gibt, miteinander das Gespräch zu suchen. Ich glaube, eine gute einvernehmliche Lösung wäre im Interesse aller.

[Sibylle Meister (FDP): Dann ist es zu spät!]

Herr Kollege Stroedter! Möchten Sie eine Nachfrage stellen?

Ja, ich würde gerne eine Nachfrage stellen! – Nachdem Sie das so positiv gesagt haben, würde ich gerne von Ihnen den Zeitplan hören, denn die zwei Sonntage sind nicht mehr so fern. Wann rechnen Sie damit, dass das verkündet werden kann?

(Senatorin Katja Kipping)

[Beifall von Heiko Melzer (CDU) und Sebastian Czaja (FDP)]

Bitte sehr, Frau Senatorin!

Das hängt auch davon ab, welches Ergebnis bei den Gesprächen rauskommt. Ich will noch einmal, weil Sie auf den Zeitablauf hingewiesen haben, sehr deutlich machen, dass mein Haus, als es im Frühsommer die Begründung vom Gericht bekommen hat, sofort gehandelt und versucht hat, jenseits der Öffentlichkeit und der großen Aufregung eine geräuschlose Lösung zu schaffen. Meine Erfahrung ist, bevor Dinge öffentlich werden, ist es meistens leichter, etwas hinzubekommen. Das ist bis zum heutigen Tag nicht passiert. Dann gibt es Verständigungen, wo wir unterschiedliche juristische Gutachten eingeholt haben und jetzt mit einer Situation konfrontiert sind.

Ich würde sagen, die genaue Festlegung des Zeitplans in dieser Frage obliegt – weil diese Frage auch eine Senatsangelegenheit ist – der Regierenden Bürgermeisterin. Da bitte ich um Verständnis, dass ich nicht – weil wir es vor dem Plenum nicht mehr geschafft haben, die finalen Konsequenzen daraus zu ziehen – jetzt einen Termin in die Luft puste. Dazu würde ich gerne eine finale Absprache mit den Kolleginnen und Kollegen im Senat führen.

Besten Dank! – Die zweite Nachfrage geht an die Kollegin Frau Dr. Jasper-Winter.

Vielen Dank! – Ich frage vor dem Hintergrund noch einmal nach, dass wir im Ausschuss vom Wirtschaftssenator gehört haben, dass es juristisch durchaus möglich ist, diese Sonntage festzulegen. Inwieweit ist dann überhaupt eine Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft und dem Einzelhandel nötig? Sie können das doch einfach festlegen, oder ist diese juristische Einschätzung nicht mehr aktuell?

Bitte sehr, Frau Senatorin!

Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich im Sinne des lieben Friedens zu vielem bereit bin, aber nicht dazu, fahrlässig rechtswidrig zu handeln.

[Sebastian Czaja (FDP): Das ist neu!]

Ich glaube, es gibt ein Transparenzgebot. Wir haben zugesagt, dass die Abgeordneten des Fachausschusses alle möglichen Gutachten bekommen und sich dazu eine eigene Meinung bilden können.

[Sebastian Czaja (FDP): Sie teilen die Auffassung von Herrn Schwarz nicht?]

Ich habe alle Gutachten gelesen und meine Schlüsse gezogen.

Es gibt keine Fragen, die extra gestellt werden!

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen folgt Frau Pieroth.

Ich frage den Senat: Wie schätzen Sie die aktuelle Infektionslage ein?

Das macht die Gesundheitssenatorin. – Bitte sehr, Frau Gote!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben über die Zeit gelernt, insbesondere mit der Omikron-Welle, dass uns der Blick alleine auf die Sieben-Tage-Inzidenz keine verlässliche Auskunft mehr über die Coronalage gibt. Deshalb schauen wir uns jetzt ein ganzes Bündel von Parametern an, um die Lage in ihrer ganzen Breite bewerten zu können. Die berühmte Sieben-Tage-Inzidenz kann nur noch als Trend verstanden werden. Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahlen, die wir dort lesen, mindestens zwei- bis dreifach unterschätzt sind.

Was schauen wir uns zusätzlich an? – Das ist vor allem die Belastung in den Krankenhäusern auf den peripheren Stationen, aber auch auf den Intensivstationen. Das ist die Hospitalisierungsinzidenz, diese ist in Berlin derzeit stark am Steigen, und sie ist sehr hoch. Sie betrug gestern 21,9 und ist im Vergleich zur Vorwoche innerhalb von sieben Tagen um 35 Prozent gestiegen. Das bedeutet, wir haben eine sehr starke Belastung in den Krankenhäusern. Wir haben über 1 000 Patienten mit oder wegen CovidInfektionen in den Krankenhäusern, und wir haben – was hinzukommt und was in dieser Dimension ein Stück weit neu ist – einen starken Ausfall von Mitarbeitenden, die ebenfalls coronainfiziert sind. Deshalb schauen wir uns die Zahlen und dieses Kriterium, wie viele Mitarbeitende ausfallen, insbesondere im Gesundheitswesen, aber durchaus auch in anderen Bereichen – Stichwort Post; da

haben wir auch gehört, dass das ein großes Problem ist –, genau an.

Nun bekommen wir nicht regelmäßig Daten über den Krankenstand in den Krankenhäusern, aber wir haben, weil sich die Lage zu entwickeln scheint, eine Sonderabfrage gemacht. Da muss ich Ihnen sagen, dass der Krankenstand in den Plankrankenhäusern in Berlin derzeit bei 14 Prozent liegt. 14 Prozent ist fast so hoch wie beim Höhepunkt der Omikron-Welle. 14 Prozent bedeutet, dass in einem großen Krankenhaus 60 bis 100 Schichten ersetzt werden müssen. Daran können Sie vielleicht ermessen, dass die Lage schon sehr angespannt ist.

Wir sehen, dass bei den gemachten PCR-Tests der Positivanteil stark ansteigend ist. Das ist immer ein Indiz dafür, dass das Infektionsgeschehen sehr stark ist. Wir sehen weiterhin, dass in den Pflegeeinrichtungen wieder vermehrt Ausbrüche zu sehen sind und insbesondere ältere Menschen, vulnerable Gruppen, die wir insbesondere schützen wollen, wieder stärker von Infektionen betroffen sind. Sie wissen: Auch wenn die derzeitige Variante eher mildere Verläufe, wobei „mild“ nicht zu unterschätzen ist, man ist auch richtig krank, wenn man mild erkrankt ist an der Omikronvariante, mit sich bringt, ist das dennoch ein besonderes Risiko, gerade für die Älteren. Und auch diese Gruppe sehen wir jetzt wieder verstärkt in den Krankenhäusern.

Punktuell sind zurzeit, zum Beispiel häufig in der Nacht – tagsüber ist es etwas besser –, nur 5 der 37 Berliner Notfallkrankenhäuser aufnahmebereit für die peripherstationäre Aufnahme von Covidinfizierten. Da ist die Lage ebenfalls recht dramatisch.

In der Gesamtschau muss ich also zu dem Schluss kommen, dass wir uns in einer sehr dynamischen Entwicklung befinden, dass wir eigentlich schon mitten in der von uns erwarteten Herbst-Winter-Welle sind und dass es jetzt darum geht, die zu schützen, die uns schützen, damit wir in den nächsten Wochen gut durch den Herbst und Winter kommen.

Frau Kollegin Pieroth! Wünschen Sie eine Nachfrage zu stellen?

Ja, gerne! – Wie sieht denn die Prognose für die kommenden Wochen aus? Und was schlagen Sie da zum Schutz der Bevölkerung vor?

Sie dürfen sich eine der beiden Fragen aussuchen!

[Heiterkeit bei den GRÜNEN]

Danke schön, Herr Präsident, ich wähle die Prognose! – Wir wissen aus der Erfahrung, dass, wenn die Jahreszeit kälter wird und die Menschen sich eher in Innenräumen aufhalten, das Infektionsgeschehen noch einmal an Geschwindigkeit zunimmt. Jetzt haben wir in diesem Oktober relativ warmes Wetter gehabt. Es ist also zu befürchten, dass, wenn es jetzt wirklich kalt wird, sich das Infektionsgeschehen hier noch weiter zuspitzt.

Wir haben auch Prognosen des RKI, die die bestehenden Parameter immer auch auf die Zukunft hochrechnen. Da gehen wir im Moment davon aus, basierend auf dem Wert des RKI, dass sich die Belegungszahl in unseren Krankenhäusern in Berlin binnen 20 Tagen verdoppelt. Dann sind wir weit über dem, was wir in der höchsten Phase in Berlin gesehen haben. Das ist im Moment die Prognose. Deshalb denke ich, dass es jetzt wirklich darum gehen muss – den Schluss können Sie jetzt selbst ziehen –, Maßnahmen zu ergreifen, die wir jetzt beginnen, die aber für die Zukunft wirken. Wir müssen uns bewusst sein: Wenn wir jetzt Maßnahmen ergreifen, dann wirken die in zwei, drei Wochen. – So ist meine Prognose.

Die zweite Nachfrage geht in die Reihen der CDUFraktion, und zwar an den Kollegen Zander.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Frau Senatorin! Ich frage Sie: Wie sehen denn die konkreten Daten aus, beziehungsweise wie sieht denn auch die Entwicklung der Daten aus, die Sie aus den Beprobungen der Abwässer nehmen? Ist denn da eine klare Tendenz erkennbar?

Bitte sehr, Frau Senatorin!

Es ist leider so, dass uns die Daten aus dem Berliner Abwassermonitoring noch nicht zur Verfügung stehen. Wir sind hier seit vielen Wochen in Verhandlungen mit den Wasserbetrieben.

[Heiko Melzer (CDU): Wem gehören denn die Wasserbetriebe?]

Das, was heute und vor ein paar Tagen in der Zeitung stand, entspricht nicht dem Sachstand, den wir hier tatsächlich in Berlin haben; das ist deutlich zu positiv dargestellt.

(Senatorin Ulrike Gote)

Hinzu kommt, dass die Daten, wie wir sie in Berlin haben, leider noch nicht das erfüllen, was wir uns vom Abwassermonitoring erhoffen, nämlich, dass wir dichter dran sind am aktuellen Stand. Derzeit ist es noch so, dass die Auswertung der Daten fünf, sechs Tage dauert. Bis sie dann ausgewertet und nachberechnet sind, denn man muss diese Daten bearbeiten – das wäre jetzt ein bisschen kompliziert zu erklären –, man muss sie insofern glätten, das heißt, nicht schönen, sondern statistisch glätten, sind fünf bis sieben Tage vergangen. Insofern liefert uns das im Moment noch keine bessere Datenlage – oder würde uns liefern, wenn wir die Daten denn hätten, was die Situation nicht verbessert.

Wir kommen aber, das kann ich sagen, und das ist die gute Nachricht, Stück für Stück voran. Wir sind jetzt so weit, dass wir demnächst die Daten bekommen werden. Wenn Sie das beobachtet haben: Auch im Pandemieradar der Bundesregierung, des RKI sind die Abwasserdaten angekündigt worden und seit ein oder zwei Wochen tatsächlich auch drin. Aber auch diese Daten sind noch nicht so, dass wir Prognosen ableiten können. Zum Beispiel im Pandemieradar beim RKI können wir ablesen, dass bei weit über der Hälfte der Messstellen, die dort einfließen, die Tendenz der nachgewiesenen Covidparameter steigend ist. Das ist schon einmal ein wichtiger Hinweis. Wir wissen das aber noch nicht auszuwerten, weil noch nicht klar ist: Sind die Daten wirklich repräsentativ? Ist dieser Trend verlässlich? – Hier sind wir bundesweit noch nicht ganz so weit, wie wir uns das gewünscht hätten.

Ich sage aber auch ganz klar: Es ist mein Bestreben, dass wir in Zukunft, und zwar in naher Zukunft hier ein Gesamtbild bekommen für Berlin, das uns deutlich näher an die Lage bringt. Das wird auch so kommen. Lange dauert es hoffentlich nicht mehr. Dass wir in Zukunft die Abwasseruntersuchungen auch für andere Krankheitserreger und andere Lagen in Berlin und zum Teil auch in Brandenburg nutzen können, daran arbeiten wir sehr intensiv.

Herzlichen Dank!