Protokoll der Sitzung vom 20.10.2022

Vielen Dank, Frau Senatorin!

Dann schaffen wir mindestens noch eine Frage. Es folgt der Kollege Schlüsselburg. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des Kammergerichts zur Rechtmäßigkeit der Ausschreibung des Mietspiegels und der Bestätigung der Rechtmäßigkeit frage ich den Senat, wie sich der weitere Zeitplan in Bezug auf die Mietspiegelerstellung darstellen wird.

Vielen Dank! – Herr Senator Geisel, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Schlüsselburg! Es ist in der Tat so, Berlin hat jetzt auch in der letzten Instanz beim Kammergericht diesen Rechtsstreit gewonnen. Ich hatte ja dazu in einer der vorangegangenen Sitzungen des Abgeordnetenhauses schon berichtet, dass das erwartbar war. Aber man muss konstatieren, dass es durch diese Klage basierend auf dem Vergaberecht den Klägern gelungen ist, eine Verzögerung in der Größenordnung von zehn bis elf Monaten herbeizuführen.

Da der aktuelle qualifizierte Mietspiegel in Tabellenform bis Mai 2023 gilt und jetzt der Zuschlag auf die Ausschreibung von September 2021 endlich erteilt werden kann, gehen wir davon aus, dass wir Ende des Sommers / Anfang Herbst 2023 einen qualifizierten Mietspiegel in Tabellenform wieder zur Verfügung haben. Es entsteht also eine Differenz von drei bis vier Monaten. Wir arbeiten im Moment mit den Verbänden der Wohnungsunternehmen und den Mieterschutzverbänden an einem sogenannten Verbändemietspiegel, das heißt, ebenfalls ein rechtskräftiges Instrument, ebenfalls ein funktionierender Mietspiegel, um diesen Zeitraum von drei bis vier Monaten zu überbrücken. Wir sind guter Dinge, weil sowohl die Vertreterinnen und Vertreter der Mieter als auch der Wohnungswirtschaft ein großes Interesse daran haben, dass auf diesem Gebiet Rechtssicherheit besteht, und auch beide Seiten erklären, dass sie ein großes Interesse daran haben, dass der neue Mietspiegel wieder in Berlin in Tabellenform entsteht. Insofern gehe ich davon aus, dass wir vermutlich im Frühjahr 2023 diesen Verbändemietspiegel stehen haben, der dann bis Herbst 2023 in Kraft sein wird, und dann durch den ordentlichen, qualifizierten Mietspiegel abgelöst wird.

Vielen Dank, Herr Senator! – Dann geht die erste Nachfrage an den Kollegen Schlüsselburg.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Vielen Dank, Herr Senator, für die Antwort! Vor dem Hintergrund der von Ihnen ja auch erwähnten drei- bis viermonatigen aus Perspektive der Mieterinnen und Mieter entstandenen Schutzlücke hätte ich noch die Frage, inwieweit Sie vor dem Hintergrund des auch von Ihnen als erwartbar bezeichneten Urteils, das ja jetzt diesen Angriff auf den Mietspiegel beendet hat, davon ausgehen, dass zumindest dieser, ich nenne es mal Angriffsvektor, in Zukunft nicht mehr gewählt wird, um den Schutz von Mieterinnen und Mietern infrage zu stellen.

Herr Senator, bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Abgeordneter Schlüsselburg! Die Entscheidung ist jetzt rechtskräftig und kann nicht angefochten werden. Insofern ist das erst mal verbindlich, aber, wie ich auch schon auf eine Frage in einer der vorangegangenen Plenarsitzungen geantwortet habe, wir müssen uns als Land Berlin natürlich überlegen, welchen Weg wir zukünftig wählen, einen solchen Mietspiegel zu erstellen. Wenn wir weiter über Ausschreibungen gehen, sind wir natürlich an solchen Stellen immer wieder angreifbar. Ich bedauere, dass bei diesem Angriff das Vergaberecht genutzt wurde, einfach, um zu verzögern. Das Vergaberecht haben wir ja geschaffen, damit jemand, der sich auf eine Ausschreibung für einen Auftrag bewirbt, das selbstverständliche Recht bekommt, dass eine solche Entscheidung überprüft wird. Hier haben wir den Fall, dass jemand, der sich gar nicht beworben hat, geklagt hat. Es ging gar nicht um den Schutz eines bei einer Ausschreibung nicht berücksichtigten Bieters, sondern es ging an dieser Stelle um eine Prinzipienfrage. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass es da durchaus Motive gab, das Mietniveau in Berlin über den sogenannten Regressionsmietspiegel anheben zu können. Ein missliches Verfahren.

Wir werden uns überlegen müssen, wie wir künftig solchen Angriffen begegnen. Eine Möglichkeit wäre, einen solchen Mietspiegel selbst erstellen zu lassen. Dann müssten wir aber Fachpersonal akquirieren, das in der Lage ist, diese Daten tatsächlich zu erstellen, oder einen der Dienstleister des Landes Berlin, beispielsweise die IBB oder andere, das ist noch nicht geklärt, zu beauftragen, tätig zu werden, um solche Angriffe zukünftig zu vermeiden. Auch das muss mit den Verbänden der

Wohnungswirtschaft und mit den Mietervertreterinnen und -vertretern besprochen werden, damit wir dort zu einer allseits akzeptierten Verfahrensweise kommen.

Vielen Dank, Herr Senator! – Die zweite Nachfrage geht an den Kollegen Jotzo.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Ich frage beim Senat nach: Welche Evaluationsmaßnahmen haben Sie denn eingeleitet, um die Performance im Vergabeverfahren so zu verbessern, dass es in Zukunft zu weniger Verzögerungen und weniger Rechtsunsicherheiten kommt?

Herr Senator, bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Jotzo! Eine solche Evaluation haben wir durchgesprochen. Die Klage richtete sich darauf, dass Berlin einen qualifizierten Mietspiegel in Tabellenform ausgeschrieben hat und keinen Regressionsmietspiegel. Die Frage in der Arbeitsgruppe Mietenspiegel, in der sowohl die Vermieter- als auch die Mietervertreterinnen und -vertreter sitzen, war: Könnte man die bisherige Ausschreibung einfach aufheben und durch eine Neuausschreibung gegebenenfalls diese Klage vermeiden oder die Zeit verkürzen? – Das ist in dieser Arbeitsgruppe Mietspiegel einstimmig abgelehnt worden, weil bereits ein Zuschlag erteilt war und eine Aufhebung des Verfahrens dazu geführt hätte, dass der ursprünglich beabsichtigte Auftragnehmer, den wir jetzt beauftragen können, gegen uns auf entgangenen Gewinn geklagt hätte. Insofern hätte das gegebenenfalls ein anderes Klageverfahren in Gang gesetzt und nicht zu einer Verkürzung geführt. Insofern haben wir auf die Entscheidungen der Gerichte gesetzt und haben letztendlich obsiegt.

Die andere Variante, die diskutiert worden ist, ist die Frage: Schreiben wir doch einfach einen Regressionsmietspiegel aus. – Aber auch da besteht Einvernehmen in der Arbeitsgruppe Mietspiegel, dass wir genau das nicht wollen, weil dieser Regressionsmietspiegel nicht nur für die Berlinerinnen und Berliner ungewohnt ist – wir arbeiten seit Jahrzehnten mit dem Tabellenmietspiegel –, sondern weil er durch die Vielzahl der Merkmale auch Möglichkeiten bietet, das Mietniveau in der Stadt weiter zu steigern. Das wollen wir nicht. Wir wollen sozialen Frieden zwischen Mieterinnen und Mietern und Vermietern. Der Mietspiegel bildet immer nur die Situation ab, das ist schon klar, und der ist politisch auch nicht zu steuern, aber durch die Vielzahl der Faktoren und das damit verbundene Verfahren wäre damit tendenziell ein anderes

Mietniveau in der Stadt erreichbar. Auch da besteht Einigkeit zwischen Vermietern und Mieterinnen- und Mietervertretern, dass wir das nicht wollen. Wir wollen sozialen Frieden in der Stadt. Auch deshalb haben wir uns dagegen entschieden und beharren – das Kammergericht hat uns recht gegeben – auf dem qualifizierten Mietspiegel in Tabellenform.

Vielen Dank, Herr Senator! – Damit hat die Fragestunde für heute ihre Beendigung gefunden.

Wir kommen zur

lfd. Nr. 3:

Prioritäten

gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Ich rufe auf die

lfd. Nr. 3.1:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 35

Spezialisierte Zuweisung bei der Staatsanwaltschaft Berlin für Straftaten gegen die betriebliche Mitbestimmung nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke Drucksache 19/0580

In der Beratung beginnt die Linksfraktion und hier der Kollege Valgolio. – Bitte schön!

Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rot-grün-rote Koalition will eine spezialisierte Einheit bei der Berliner Staatsanwaltschaft schaffen, die gegen Unternehmen ermittelt, die sich strafbar machen, indem sie die Arbeit oder die Wahl von Betriebsräten behindern. Manche nennen das auch eine Sonderstaatsanwalt gegen Union Busting. Wir wollen Betriebsräte, die jeden Tag ihren Kopf für die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb hinhalten, effektiv schützen, und dafür müssen wir dafür sorgen, dass solche Arbeitgeber, die sich strafbar machen, die rechtswidrig gegen solche Betriebsräte vorgehen, dafür vor Gericht landen.

[Beifall bei der LINKEN]

Hegel hat gesagt, die Wahrheit ist immer konkret. Deswegen möchte ich dafür sorgen, dass wir alle wissen, worüber wir reden und Ihnen mal einen konkreten Fall schildern, mit dem ich zu tun habe. Da gibt es die Vorsitzende eines Betriebsrates in einem Berliner Industrie

(Senator Andreas Geisel)

zulieferer. Die bekommt in einem guten Jahr ungefähr zehn Abmahnungen. Dann wird ihr ein Teil des Gehalts abgezogen, weil sie angeblich zu viel Zeit im Betriebsrat verbracht habe. Das muss sie einklagen. Dann wird ihr kurzfristig der Sommerurlaub verweigert, weil es angeblich nicht mehr geht, und sie muss wieder zum Arbeitsgericht laufen und per einstweiliger Verfügung ihren Urlaub durchsetzen. Dann kriegt sie einen neuen Arbeitsplatz direkt im Blickwinkel eines Vorgesetzten und bekommt für jede Kleinigkeit wieder eine Abmahnung. Jetzt ist die Kollegin länger krankgeschrieben worden. Es wird über einen Aufhebungsvertrag verhandelt, und die zuständige Gewerkschaft hat schon angekündigt, dass Strafanzeige erstattet wird. Jetzt ist die große Frage: Was wird aus dieser Strafanzeige? – Dass eine strafbare Handlung nach § 119 Absatz 1 Nummer 3 BetrVG vorliegt, dürfte relativ klar sein, aber die Frage ist: Landet die Sache vor Gericht? – Bisher jedenfalls nicht. Bisher ist so etwas nicht vor Gericht gelandet. In den letzten sechs Jahren ist knapp 30 Mal in Berlin Anzeige nach § 119 BetrVG erstattet worden, und Anklage erhoben worden ist in keinem einzigen Fall. Ich sage es noch mal: In keinem einzigen dieser Fälle ist tatsächlich Anklage durch die Staatsanwaltschaft erhoben worden. Es ist fast alles eingestellt worden.

Die zweite große Frage ist natürlich: Woran liegt das? – Teilweise sicherlich an der Arbeitsüberlastung bei der Staatsanwaltschaft, teilweise auch an fehlenden arbeitsrechtlichen Fachkenntnissen. Staatsanwälte sind keine Arbeitsrechtler. Das ist wahrscheinlich gut so, aber in diesen Fällen können sie gar nicht genau entscheiden, wann eine Abmahnung oder Kündigung gerade noch vertretbar ist oder wann eine strafbare Schikanehandlung vorliegt. Das ist schwer abzugrenzen. Man muss, das zeigt der Fall, den ich gerade geschildert habe, so etwas über einen längeren Zeitraum betrachten. Handlungen, die für sich genommen vielleicht gerade noch legal sind, sind eine strafbare Schikanehandlung, wenn sie zusammenkommen.

[Beifall bei der LINKEN]

Man muss ermitteln. Man muss sich damit ein bisschen auskennen, sich ein bisschen Zeit nehmen, und deswegen brauchen wir eine spezialisierte Einheit bei der Staatsanwaltschaft, die arbeitsrechtlich geschult ist, die weiß, was im Betrieb los ist und die in solchen Union-BustingFällen wirklich effektiv ermitteln kann.

[Beifall bei der LINKEN]

Um zu erkennen, dass der Druck auf Betriebsräte ständig zunimmt, reicht schon ein Blick in die Zeitung. Früher waren es einzelne schwarze Schafe, die sich rechtswidrig verhalten haben. Inzwischen gibt es ganze Branchen, wo es schon fast normal ist, dass beispielsweise massiv gegen Betriebsratsgründungen vorgegangen wird. Nehmen wir Lieferdienste, nehmen wir die Digitalwirtschaft. Besonders bekannt ist der Fall des Lieferdienstes Gorillas. Da ist hier in Berlin vor einem Jahr über einstweilige

Verfügung, über verschiedenste Maßnahmen versucht worden, die Betriebsratsgründung zu verhindern. Später wurden die Wahlen angefochten. Der gesamte Betrieb wurde aufgespalten, und es laufen Kündigungsverfahren gegen Mitglieder des Wahlvorstands.

Oder nehmen wir die hoch und runter gehypte Onlinebank N26. Auch dort wurde alles versucht, um die Betriebsratswahl hier in Berlin zu verhindern. Es hat zum Glück nicht geklappt.

Oder nehmen wir, jüngstes Beispiel, den Lieferdienst Lieferando. Dort wurde erfreulicherweise im September erfolgreich ein Betriebsrat gewählt. Natürlich, muss man fast sagen, ficht der Arbeitgeber die Wahl an, das ist schon fast normal, und gleichzeitig wurden Kündigungsverfahren gegen fast die Hälfte der 13 neu gewählten Betriebsratsmitglieder angestoßen, um sie loszuwerden.

Ich halte das für einen Skandal.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Christoph Wapler (GRÜNE)]

Ich denke, das ist eine Entwicklung, die wir nicht hinnehmen können. Wir haben die Pflicht, diejenigen zu schützen, die sich als Betriebsräte für ihre Kolleginnen und Kollegen im Betrieb einsetzen. Wenn Betriebsräte ungestraft drangsaliert und fertiggemacht werden können, dann ist die gesamte betriebliche Mitbestimmung in Gefahr, die eine der Säulen unserer Demokratie insgesamt ist.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass BetriebsratBashing endlich effektiv bekämpft wird. Das geht nur, wenn wir dafür sorgen, dass es Staatsanwälte gibt, die sich damit auskennen, die dagegen vorgehen können. Berlin geht da mit gutem Beispiel voran und sorgt dafür, dass wir solche Staatsanwälte bekommen. Das ist gut so.– Glück auf!

[Beifall bei der LINKEN]

Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Herrmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Koalition! Es ist wichtig, den Strafrechtsschutz bei Straftaten gegen die betriebliche Mitbestimmung zu schärfen.