Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Berlin wollen wir die Menschen dazu ermuntern, das Auto stehenzulassen und verstärkt auf den ÖPNV umzusteigen. Auch die kostengünstige Nutzung von Leihfahrrädern soll hier einen zusätzlichen Anreiz bilden. Der vorliegende Antrag geht nun einen Schritt weiter und fordert die kostenlose Nutzung von Leihrädern innerhalb der ersten 60 Minuten für alle, darüber hinaus eine grundsätzlich kostenlose Nutzung für Schülerinnen und Schüler, Azubis, Studierende und Berechtigte eines Berlin-Tickets S.
Hier stellte sich für mich, Herr Schenker, bereits im Ausschuss die Frage: Sieht die Fraktion Die Linke wirklich in dieser Zielgruppe all jene Menschen, die das Auto stehenlassen sollen, also ausgerechnet die Gruppen, die bereits durch eine vergünstigte beziehungsweise kostenfreie Nutzung profitieren? Ich verstehe eure Intention, aber damit bekommen wir die Fahrzeuge aus meiner, aus unserer Sicht nicht von der Straße.
Rund 70 Prozent der bestehenden Fahrradleihstationen befinden sich innerhalb des S-Bahn-Rings. Die Zahl der Stationen in den Außenbezirken sollte daher ausgebaut werden. In diesem Punkt geben wir Ihnen recht! Wir haben im Koalitionsvertrag die Einrichtung von Mobilitätszentren vor allem in den Außenbezirken festgehalten und dieses Vorhaben auch direkt mit der Bereitstellung von Bike- und Carsharing-Angeboten verknüpft.
Seit Februar liegen uns aktuelle Zahlen zur Nutzung von Leihrädern vor, und die können sich für Berlin durchaus sehen lassen. Mehr als 2 Millionen Fahrten waren es in 2023. Das ist eine Steigerung von 72 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gut ist auch: Mit Beginn des neuen Jahres
sind alle Fern-, S-, und U-Bahn-Höfe sowie alle JelbiPunkte und -Stationen innerhalb des S-Bahn-Rings mit mindestens einer Station des öffentlichen Fahrradleihsystems ausgestattet. Gleiches gilt für die zahlreihen Bus- und Tramstationen. Weitere Stationen sind geplant. Sie sehen, Berlin ist hier durchaus auf einem guten Weg. Sowohl im Koalitionsvertrag als auch in den Richtlinien der Regierungspolitik ist die Kombination mit JelbiStationen an den Mobilitätszentren vorgesehen, auch und gerade in den Berliner Außenbezirken.
Die Koalition verfolgt hier also ähnliche Ziele und hat diese festgeschrieben: Eine gute Versorgung mit Leihfahrrädern an den Orten, an denen sie benötigt und genutzt werden, mit einem besonderen Augenmerk auf die Außenbezirke. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Zum Antrag der Fraktion der Linken: „Mobilität für alle“ hört sich ja richtig gut an, und wir teilen die grundsätzliche Aussage, dass wir ein attraktives Angebot an Leihfahrrädern benötigen. Aber was sind denn die eigentlichen Forderungen? – Sie fordern: Verstaatlichung des Leihfahrradsystems, steuerfinanziertes Ausleihsystem und bauliche Maßnahmen, die den Straßenraum noch weiter belasten. Ich sage: Das ist falsch! Der Kollege Vasili Franco würde sagen: BullshitBingo.
Ich weiß, die Linken möchten natürlich gerne alles verstaatlichen. Gestern im Verkehrsausschuss hat Ihr Kollege Ronneburg sogar gesagt, dass wir keine privaten Baufirmen mehr brauchen.
Wir sehen das anders, und wir sagen: Um ein attraktives Leihfahrradsystem zu etablieren, brauchen wir einen Wettbewerb der Anbieter.
Der marktwirtschaftliche Wettbewerb führt nämlich nicht nur zu günstigeren Preisen, sondern er fördert auch die Qualität des Angebots. Die Forderung, den Wettbewerb
auszuschließen, ist genau der falsche Weg, und deshalb werden wir das auch nicht befürworten können.
Dann sagen Sie: eine Stunde kostenfrei. Über 80 Prozent der Nutzer des Fahrradleihsystems nutzen die Fahrräder unter einer Stunde. Das heißt, die Forderung, das Leihen von Fahrrädern in der ersten Stunde kostenfrei zu gestalten, würde dazu führen, dass von den Anbietern praktisch kaum mehr Einnahmen generiert werden können. Die Folge wäre, wenn wir ein qualitativ gutes Fahrradverleihsystem wollen, müsste es alleine vom Steuerzahler finanziert werden, und der Steuerzahler müsste auch die immense Vergrößerung der Fahrradmengen und der neu zu errichtenden Parkstationen bezahlen. Das wollen wir nicht. Gerade heute wird den Menschen von der Ampel immer mehr in die Tasche gegriffen, immer mehr Sondersteuern und Abgaben werden verlangt. Da wollen wir nicht noch eine zusätzliche Abgabe etablieren.
Drittens: Sie fordern zusätzliche bauliche Parkstationen. Das bedeutet, dass der ohnehin schon rare Raum auf den Straßen noch weiter für Fußgänger und Menschen mit Mobilitätseinschränkung eingeengt wird. Wir haben doch Jelbi-Stationen, ein vernünftiges System, um beispielsweise auch Lastenfahrräder oder Pedelecs unterzubringen.
Sie wollen Studenten bevorteilen. Das sehen wir auch so, aber es gibt bereits seit Oktober 2020 das Projekt „CampusBike“, welches Studenten eine attraktive Möglichkeit zum Mieten von Fahrrädern bietet. Insofern: nette Überschrift, aber leider ist es ein schlechter Antrag. Darüber können wir gerne auch noch im Ausschuss sprechen, aber dieser Antrag geht in die falsche Richtung. – Herzlichen Dank!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zum Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1048 empfehlen die Ausschüsse gemäß den Beschlussempfehlungen auf Drucksache 19/1416 mehrheitlich – gegen die Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – die Ablehnung. Wer den Antrag dennoch annehmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die Linksfraktion. Gegenstimmen? – Das sind die CDU-Fraktion, die SPD-Fraktion, die AfD-Fraktion, ein fraktionsloser Abgeordneter. Enthaltungen? – Bei Enthaltungen der Fraktion Bündnis 90/Grüne ist der Antrag damit abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 19 steht auf der Konsensliste. Tagesordnungspunkt 20 war Priorität der Fraktion Die Linke unter der Nummer 4.4. Die Tagesordnungspunkte 21 bis 24 stehen auf der Konsensliste.
In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und hier der Kollege Kurt. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Erinnern Sie sich noch, wann und wo Sie zuletzt Pfandsammler gesehen haben? – Wahrscheinlich nicht, denn es sind viele Pfandsammler in Berlin unterwegs, aber sie sind für uns fast schon zur Gewohnheit geworden und dadurch auch ein bisschen unsichtbar.
Dass Menschen in einer Stadt wie Berlin pfandsammeln gehen, weil sie arm sind, muss uns aber aufrütteln. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. Wir müssen uns doch fragen: Was muss im Leben eines Menschen eigentlich los sein, wie groß müssen die eigenen Existenzsorgen sein, wie groß muss die Not sein und auch die Bereitschaft, die Scham zu überwinden, dass Menschen ihren Arm in den Mülleimer stecken, weil sie auf diese paar Cents Pfand angewiesen sind?
Pfandsammeln ist in Berlin eine traurige Realität, und die Armut in Berlin hat zugenommen. Sie ist auch sichtbarer geworden. Die Preise sind in den letzten Monaten massiv gestiegen. Auch wenn die Energiepreise und die Inflation wieder sinken, merken wir, dass am Ende des Tages alles teurer geworden ist, ob der Wocheneinkauf oder die Dönerpreise in Berlin.
Berlin hat ein Armutsproblem. 733 000 Menschen sind armutsbetroffen. Das sind 19 Prozent aller Berlinerinnen und Berliner, 19 Prozent, fast jeder Fünfte. 11,6 Prozent der Menschen leben sogar von weniger als 950 Euro im Monat. Ein gutes Leben ist damit nicht ohne Weiteres möglich.
Hinter diesen Zahlen stehen Menschen, die wir kennen, Familien, die den Gürtel enger schnallen müssen, Rentnerinnen und Rentner, die ihr Leben lang gearbeitet haben und trotzdem jeden Cent zweimal umdrehen müssen oder auch Alleinerziehende, denen die nächste Mieterhöhung Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Damit dürfen wir uns nicht abfinden.
Wer arm ist, der kann in unserem Sozialstaat auch soziale Hilfen bekommen, aber nicht jeder, der arm ist und anspruchsberechtigt, nimmt diese in Anspruch. Warum ist das so? – Weil viele Armutsbetroffene sich schämen, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, weil sie es entwürdigend finden, zum Sozialamt oder Jobcenter zu gehen, aber auch, weil unser Staat es ihnen schwer macht, Hilfen zu bekommen, weil der Ausnahmezustand in den Sozialämtern zum Normalzustand geworden ist, weil die Bearbeitung von Anträgen Monate dauert, Hilfesuchende nicht mehr telefonisch beim Amt durchkommen und alles zu kompliziert ist und die Menschen dann zu Beratungsstellen gehen müssen. Die verdeckte Armut in dieser Stadt ist ein Riesenproblem. Damit müssen wir uns auseinandersetzen! 60 Prozent der Anspruchsberechtigten für Grundsicherung im Alter stellen laut einer Studie des DIW keine Anträge auf Grundsicherung, obwohl sie anspruchsberechtigt wären. Der Senat räumt sogar selbst ein, dass von den Menschen, die Anspruch auf Bürgergeld hätten, bis zu 56 Prozent diese Hilfen nicht in Anspruch nehmen. Das sind Zahlen, die uns nachdenklich machen müssen.
Es gibt noch eine zweite Ebene, warum Menschen, die arm sind, keine Hilfe in Anspruch nehmen, und das ist die Scham. Wenn es um Armutsbetroffene geht, bekommen nämlich manche Parteien und manche Politiker Schnappatmung und bedienen dann auch immer gleich das Bild der angeblichen sozialen Hängematte. Die Botschaft ist doch im Kern: Wenn du Bürgergeld beantragst, bist du ein fauler Taugenichts! – Das haben wir auch in den letzten Tagen auf Bundesebene gesehen, und dafür sollten sich die Leute schämen.
Wenn wir von verdeckter Armut betroffene Menschen erreichen wollen, damit sie tatsächlich die ihnen zustehenden sozialen Hilfen in Anspruch nehmen, müssen wir umsteuern. Deshalb fordern wir den Senat auf, eine wissenschaftliche Studie zur verdeckten Armut in Berlin durchzuführen, weil die finanzielle Not der vielen verdeckten Armen uns eben nicht egal ist. Wir müssen erfahren, warum Hilfen nicht angenommen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass Hilfsangebote so zugänglich sind, dass Armutsbetroffene endlich diese zur Linderung ihrer Not in Anspruch nehmen können. Anträge müssen ausfüllbar sein, ohne dafür Hilfe von Dritten bekommen zu müssen. Die Verwaltung darf keine Servicewüste sein, sondern muss der Partner der Menschen werden, die Hilfen beantragen möchten. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir ein starkes Netz aus vielen niedrigschwelligen Angeboten wie den Ämterlotsen in SteglitzZehlendorf in der ganzen Stadt haben und auch mehr Sozialberatung, um von Armut betroffene Menschen zu unterstützen.
Wer arm ist, kennt auch das Gefühl, dass es immer ein Stück weit entwürdigend ist, sich outen zu müssen, arm zu sein. Deshalb brauchen wir auch Hilfen, die ohne Amt
funktionieren. – Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Der Härtefallfonds gegen Energieschulden ist so ein Instrument, das erfolgreich ist, weil Menschen, die Energieschulden haben, davon profitieren können. Dieses Erfolgsmodell wird aber gerade durch die neue Richtlinie der Sozialsenatorin ausgehöhlt und boykottiert, indem jetzt ein neuer Vorrang da ist, dass die Menschen doch zum Jobcenter müssen, um ein Darlehen zu beantragen; das werden sie nicht tun. So kann man sich natürlich den Haushalt auch schönsanieren. Das muss uns nachdenklich machen. Dieses Instrument hat funktioniert. Ändern Sie diese Richtlinie! Schaffen Sie es ab, dass die Menschen zum Jobcenter gehen müssen! Kommen Sie zum Zuschussmodell zurück! – Danke schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen im Abgeordnetenhaus! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kurt! Sie haben so viele Beispiele, Zahlen und Fakten für Armut genannt, dass ich glaube, dass wir zum Ergebnis kommen können, dass wir zumindest beim Thema Armutsbekämpfung kein Erkenntnisproblem haben.
Mit dem Armutsbericht der Bundesregierung, dem Sozialstrukturatlas für die Bezirke und vielen weiteren zugänglichen Informationen stehen sehr umfangreiche Daten zur Verfügung, um politisches Handeln danach auszurichten. Mit der integrierten Armuts- und Sozialberichterstattung wird ein ressortübergreifendes Konzept aufgebaut, um die soziale Lage unterschiedlicher Zielgruppen zu analysieren.
Ich glaube, uns eint das Ziel, dass wir Beratungs- und Unterstützungsangebote für Armutsbetroffene sichtbarer machen wollen. Mit einer zentralen Plattform, dem Dach „Soziales Berlin“, wollen wir einen Überblick über alle wichtigen Hilfsangebote, die mit Landesmitteln finanziert werden, schaffen. Ich glaube, uns eint auch das Ziel, dass wir die Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsangeboten erhöhen wollen. Als Koalition schaffen wir zwölf neue Stadtteilzentren als soziale Anlaufstelle auch für Armutsbetroffene. Wir bauen die unabhängigen Sozialberatungen aus. Wir stärken die Schuldner- und Insolvenzberatung. Wir unterstützen die mehrsprachigen und niedrigschwelligen Beratungen zum Bildungs- und Teilhabepaket.