Protokoll der Sitzung vom 21.03.2024

denn Menschenrechte sind universell. Es ist egal, wo man herkommt. Es ist egal, welche Hautfarbe man hat. Es ist egal, welchen Glauben man hat. Menschenrechte sind nicht diskutabel. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen! Lassen Sie uns um die gute Sache ringen und dafür sorgen, dass Rassismus in unserer Gesellschaft keine Chance hat! – Danke schön!

[Beifall bei der CDU und der SPD – Beifall von Silke Gebel (GRÜNE)]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Ich würde alle Kolleginnen und Kollegen im Haus bitten, wieder zur sachlichen Auseinandersetzung zurückzukommen. – Liebe Kollegin Schubert! Ich finde, „Idiot“ ist kein Beitrag dazu.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Katalin Gennburg (LINKE): Aber rassistische Begriffe lassen Sie durchgehen, Frau Präsidentin!]

Jetzt hat die nächste Rednerin das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und das ist die Kollegin Bozkurt. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende! Ramadan Kareem und Newroz Mubarak! Treffen sich ein Unternehmer, eine Wissenschaftlerin, ein Künstler und eine Politikerin in einer Bar – was beginnt wie ein Witz, endet mit dem, was für viele Menschen in diesem Land seit einiger Zeit Realität ist: Fluchtgedanken. Sie, also wir, sitzen zusammen und überlegen gemeinsam, wohin wir fliehen, wenn es soweit ist. Welches Verkehrsmittel nimmt man am besten? Welche Visavorschriften gibt es? Was nimmt man mit? Wo wird man – vielleicht gemeinsam – wohnen? Wo überhaupt ist ein sicherer Ort? Viele von Rassismus betroffene Menschen berichten seit Monaten und Jahren schon vom Gefühl des quasi gepackten Koffers im Flur, des Jeden-Moment-Bereitseins für einen Neuanfang weit weg vom menschenverachtenden Rassismus in Deutschland – ein Gefühl der Selbstermächtigung, eine Souveränität, selbst einen Schlussstrich ziehen und gehen zu können.

Jetzt aber sind die Zeiten andere. Jetzt stehen Deportationspläne für rassifizierte Menschen auf der Tagesordnung. Ich will das gerade am heutigen Tag in aller Klarheit sagen: Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind die größte Bedrohung für unsere Demokratie.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall von Dirk Stettner (CDU)]

Es ist gut, wichtig und längst überfällig, dass diese Gesellschaft aufsteht und beginnt zu handeln, denn die Bedrohungslage ist nicht erst seit einem Geheimtreffen in Potsdam bekannt. Ich bin mit den Bildern der Skelette der ausgebrannten Häuser von Mölln und Solingen aufgewachsen. Der Anschlag auf die Geflüchtetenunterkunft in Rostock-Lichtenhagen, die im Haus dem rassistischen Mob ausgelieferten Menschen, die nicht eintreffende Polizei haben sich tief in mein Bewusstsein eingebrannt. Der Anschlag in Lübeck, in Wohnortnähe meiner Großeltern, bleibt eine angsterfüllte Erinnerung. Die langen Abende vor dem Fernseher und immer wieder Nach

(Dirk Stettner)

richten über noch einen Anschlag, meine verstohlen flüsternden Eltern, meine still betende Großmutter und die Angst vor Feuer sind meine Erinnerungen an die vermeintlich farbenfrohen, flippigen 1990er-Jahre. Jetzt, als Erwachsene, verstehe ich auch, warum wir nachts das Licht angelassen haben, als wir schlafen gegangen sind.

Die Zweitausender wurden für von Rassismus betroffene Menschen nicht einfacher. Mit dem 11. September 2001 verschoben sich Diskurse. Verschiedene Kulturen wurden für unversöhnlich erklärt, ein „Clash of Cultures“ fabriziert. Als die rassistisch motivierten rechtsextremen Terroristinnen und Terroristen des NSU mordend durch das Land zogen, sprach die mediale Öffentlichkeit von „Döner-Morden“. Für das Schicksal der Opferfamilien hatte man wenig übrig, wurden sie doch ins zwielichtig-mafiöse Milieu gerückt. Es war die Zeit angebrochen für das „Man wird doch noch sagen dürfen“, die Zeit der „Kopftuchmädchen“, des Geredes über „Kinder produzierende Hartz-IV-Empfängerinnen“.

Sie sehen: Rassismus ist weit mehr als nur ein physischer An- oder Übergriff. Angespuckt oder am Kopftuch gezogen werden sind rassistische Alltäglichkeiten für viele Menschen in dieser Gesellschaft – bestürzende Lebensrealitäten, ja. Vorbereitet wird diese Gewalt aber von einer Sprache, die verharmlost, delegitimiert, verdächtigt und den Diskursraum immer weiter verschiebt – zuungunsten von Rassismus betroffener Menschen. Die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren aber führt zu einer Verschiebung der Grenzen des Machbaren. Die Justiz, Sicherheitsorgane und, ja, auch die Politik müssen Rassismus aktiv bekämpfen und Menschen schützen, die von Rassismus betroffen sind. Staatliche Institutionen und gewählte Volksvertreterinnen und -vertreter dürfen den Rassismus nicht reproduzieren, indem sie Migrantinnen und Migranten und migrantisierte Menschen zu Fremden machen. Konkret heißt das: Racial-Profiling ist rassistisch und muss endlich abgeschafft werden!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es ist rassistisch begründet, dass eine Kopftuch tragende Frau nicht in den Staatsdienst treten kann. Es ist rassistisch begründet, dass schwarze Menschen häufiger auf Drogenbesitz kontrolliert werden. Es ist rassistisch begründet, dass Romnja und Roma zu den benachteiligsten Gruppen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt zählen. Wir müssen weg von der Einzelfallerzählung und hin zur strukturellen Betrachtung des ganzen Ausmaßes an Benachteiligung und Ausgrenzung kommen. Wir müssen die Vielzahl an Menschen in unserer Stadt sehen, die beinahe en passant alltäglich rassistische Gewalt erleben. Wir müssen erkennen, welche Chancen und Potenziale vertan werden, welche Verletzungen und Traumata sich ergeben und welche Gräben entstehen.

Nun gibt es in diesem Parlament das Bekenntnis, zum Tag gegen Rassismus ein Zeichen setzen zu wollen. Das

ist unbedingt begrüßenswert, doch es bleibt immer noch die Frage, ob Nicht-rassistisch-Sein als Bekenntnis ausreicht. Ist die Begehung eines Tages gegen Rassismus als performativer Akt der Selbstvergewisserung ausreichend, oder ist es, um es mit den Worten von Angela Davis zu sagen, „nicht ausreichend, nicht-rassistisch zu sein“, sondern Zeit, „anti-rassistisch“ zu handeln?

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der SPD]

Wir Bündnisgrüne haben uns als Teil der Koalition in Berlin der verantwortungsvollen Aufgabe des Antirassismus gestellt und die fortschrittlichste Antidiskriminierungspolitik aller Bundesländer mitbegründet. Die Einführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes ist ein Meilenstein. Die staatliche Anerkennung des Rechts auf Antidiskriminierung ist eine Errungenschaft. Wir meinen es ernst mit dem Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und fordern von der schwarz-roten Koalition jetzt das Gleiche.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Arbeiten Sie an der weiteren Ausgestaltung von antidiskriminierenden, antirassistischen Strukturen und Instrumenten! Packen wir es gemeinsam an mit der EnqueteKommission und sorgen dafür, dass sie zu zielgenauen Maßnahmen kommt, die das Leben von Rassismus betroffener Menschen erleichtern! Nehmen Sie weitere Diskriminierungsmerkmale ins LADG auf! Schaffen Sie endlich das unsägliche Kopftuchverbot in Gestalt des Neutralitätsgesetzes ab,

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

und sichern Sie das Recht Kopftuch tragender Frauen auf diskriminierungsfreie Berufsausübung! Setzen Sie den Beauftragten oder die Beauftragte gegen Antiziganismus ein und nehmen Sie die Belange von Sintizze und Sinti sowie Romnja und Roma ernst! Stellen Sie die Finanzierung des deutschlandweit einzigartigen Black Community Centre sicher und unterstützen die Realisierung dieses Jahrhundertprojekts! Sichern Sie dauerhaft Projekte ab, die sich unermüdlich und viel zu oft unter Bedingungen der Selbstausbeutung der intersektionalen Antirassismus- sowie der Arbeit gegen Antisemitismus verschrieben haben!

Lieber Regierender Bürgermeister! Liebe Antidiskriminierungssenatorin Kiziltepe! Liebe Mitglieder des Senats! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition! Der Schutz vor rassistischer Diskriminierung ist ein Menschenrecht. Gedenktage sind es nicht.

Auf dem Gymnasium, vielleicht in der 5. oder 6. Klasse, musste ich für den Deutschunterricht einen Aufsatz über Schranken schreiben. Kürzlich fiel mir mein altes Deutschheft in die Hand, und ich las: Eigentlich wollte ich immer Lehrerin werden, aber mein Kopftuch ist meine Schranke. – Es hat beinahe drei Jahrzehnte gedauert,

bis ich verstanden habe, dass nicht ich das Problem bin. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Saleh das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 21. März 1960 demonstrieren im südafrikanischen Sharpeville Tausende Menschen gegen ein diskriminierendes neues Passgesetz der Apartheidregierung. Der mutige Protest für gleiche Rechte und Teilhabe wird von den Polizeieinheiten brutal und blutig niedergeschlagen. 69 Demonstranten, darunter Frauen und Kinder, sterben im Kugelhagel. Hunderte werden verletzt. Das Massaker geht als einer der blutigsten Tage in die Geschichte Südafrikas ein. Sechs Jahre nach dem Blutbad von Sharpeville rufen die Vereinten Nationen den 21. März als internationalen Aktionstag gegen Rassismus aus.

Über 60 Jahre sind nun seither vergangen. Das Apartheidregime ist Gott sei Dank auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt. Südafrika ist heute eine demokratische Republik. Der 21. März ist im Land als Human Rights Day ein nationaler Gedenktag. Und es ist richtig, dass wir gerade in Zeiten wie diesen den 21. März, den Internationalen Tag gegen Rassismus, hier im Parlament, in der Herzkammer der Demokratie unserer Stadt, würdigen.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Aber wenn wir auf die Welt schauen, ist die bittere, die traurige Realität im Jahr 2024 eben auch: Rassismus und Diskriminierungen aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Kultur gehören für viele Menschen immer noch zu den alltäglichen Erfahrungen, auch hier bei uns in Deutschland. Studien kommen regelmäßig zu dem Ergebnis, dass rassistische, antisemitische, antimuslimische und fremdenfeindliche Einstellungen in allen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus fest verankert sind bis weit in die Mitte unserer Gesellschaft hinein. Einer aktuellen Umfrage der EU-Agentur für Grundrechte zufolge hat das Problem des Rassismus gegenüber schwarzen Menschen in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren sogar deutlich zugenommen.

Deshalb sind Aktionstage wie der heutige 21. März so wichtig. Ebenso wichtig sind strukturelle Maßnahmen. Der heutige Tag ist wichtig, weil das große Problem des Rassismus in den öffentlichen Fokus rückt. Der heutige Tag ist wichtig, weil er eine klare Aufforderung an uns

alle formuliert: Solidarität mit den Betroffenen üben, Gesicht zeigen für eine offene und vielfältige Gesellschaft! Das ist die Kernbotschaft des 21. März.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Aber es braucht noch mehr als das. Es braucht das alltägliche Bekenntnis und den täglichen Einsatz für die Demokratie und für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, denn der Kampf gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es ist eine Aufgabe, die gerade nicht von den Betroffenen allein gestemmt werden kann, sondern von uns allen, von der Gesellschaft als Ganzes.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Die Demonstrationen und Mahnwachen der vergangenen Wochen, bei denen bundesweit Millionen Menschen zusammengekommen sind, um gegen die menschenverachtenden Deportationspläne und gegen die Sprache der AfD-Politiker, der Rechtsextremen und Neonazis zu protestieren, waren Ausdruck dieses gelebten Bekenntnisses zu unseren gemeinsamen Grundwerten. Dieser Einsatz der Menschen für Demokratie und Frieden in Würde und Respekt voreinander, das ist der Ausdruck einer lebendigen Zivilgesellschaft von Demokratinnen und Demokraten im ganzen Land und für unsere gemeinsamen Werte.

Die Aktionen haben deutlich gemacht: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland ist bei Sinn und Verstand. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland will ein friedliches Zusammenleben. Sie lehnt Ausgrenzung und Diskriminierung ab. Die große Mehrheit will nicht unterscheiden zwischen „wir“ und „die“. Als demokratische Politikerinnen und Politiker unterstützen wir dieses zivilgesellschaftliche Engagement mit Leidenschaft. Dabei setzen wir bewusst auf die Vielfalt der Aktivitäten und Initiativen vor Ort im Kampf gegen Faschisten und Neonazis außerhalb der Parlamente und innerhalb der Parlamente.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Dazu gehört für uns auch als ein wichtiger Punkt von vielen die Einsetzung einer parlamentarischen EnqueteKommission. Die Kommission, auf die wir uns als Koalition verständigt haben, hat die Aufgabe, mit den demokratischen Fraktionen im Abgeordnetenhaus und mit den Menschen in unserem Land die großen Themen für ein gemeinsames Miteinander für die Gegenwart und für die Zukunft zu diskutieren. Dabei wird es auch um verfassungsändernde Fragen gehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Berlin sagen: In unserer vielfältigen Stadt verankern wir in der Verfassung den Kampf gegen Antisemitismus, den Kampf gegen antimuslimischen Ras

(Tuba Bozkurt)

sismus und den Kampf gegen Rassismus jeder Form als Staatsziel.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und den GRÜNEN]

Als Metropole der Vielen können wir damit ein echtes Signal in die ganze Bundesrepublik, wenn nicht nach ganz Europa senden. Wir können Vorreiter sein, wenn wir sagen: Wir sind die Stadt der vielen Religionen, die Stadt, in der es egal ist, an wen jemand glaubt oder ob jemand glaubt, die Stadt, in der man zu Hause sein kann in fünfter, zehnter oder zweiter Generation. Wir sind die Stadt der Vielen, weil wir tolerant sind und keinen Hass und keine Hetze zulassen.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der LINKEN – Beifall von Sebastian Walter (GRÜNE)]

Berlin ist die Stadt, die es geschafft hat, Mauern einzureißen. Und Berlin ist die Stadt, die es schaffen muss und die es schaffen wird, Brücken zu bauen. Unsere EnqueteKommission ist kein symbolischer Akt. Die Kommission hat einen wichtigen Arbeitsauftrag, bei dem es um nichts Geringeres geht als um die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Deshalb werde ich in meiner Fraktion ähnlich wie der Kollege Stettner vorschlagen, selbst in die Kommission zu gehen. Und ich gehe davon aus, dass sich die anderen demokratischen Fraktionen ähnlich entscheiden werden, damit die Kommission auch das Gewicht bekommt, Verabredungen für die kommenden Jahrzehnte zu treffen.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Dr. Bahar Haghanipour (GRÜNE) und Elif Eralp (LINKE)]

„Menschenrechte für alle“, das ist das Motto des Aktionstages gegen Rassismus in diesem Jahr. Dieses Motto muss auf der ganzen Welt gelten. Ein Leben in Freiheit, Selbstbestimmung und Würde, ob in der Ukraine, in Israel, in Palästina oder bei uns in Deutschland, das Motto spiegelt die Forderung wider, die die mutigen Demonstranten damals am 21. März 1960 in Sharpeville hatten.

Lassen Sie mich Ihnen noch einen Punkt mitgeben! Wer sich für Zusammenhalt in unserem vielfältigen Gemeinwesen einsetzt, ist in bester Gesellschaft. Wer Ausgrenzung und Hass ablehnt, steht für die Demokratie ein. All diesen Menschen rufen wir, die demokratischen Parteien, zu: Ihr seid dabei nicht allein. Wir stehen an eurer Seite. Wir stehen zusammen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]