Wir Grüne fordern eine konsequent opferorientierte Justizpolitik. Berechtigte Sicherheitsinteressen der Betroffenen, insbesondere Sicherheitsinteressen von Frauen, müssen in den Fokus.
Wir in der Politik müssen umdenken, was geschlechtsspezifische Gewalt angeht. Es braucht nicht hier eine Maßnahme und dort eine Empörungsäußerung, wenn wieder eine Frau tot oder verletzt ist. Wir haben hier in unserer Gesellschaft ein echtes Sicherheitsproblem, und zwar für die Hälfte der Bevölkerung, nämlich für Frauen.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete! Fänden Sie es nicht auch gut, wenn die Justizsenatorin hier zu dem Tagesordnungspunkt anwesend wäre?
[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Sebastian Schlüsselburg (SPD) – Niklas Schrader (LINKE): Dann müsste man mal einen Antrag stellen!]
Genau! – Ich vernehme einen Zitierantrag, dass Senatorin Badenberg der Sitzung beiwohnt und lasse darüber abstimmen. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Das sind die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen sowie die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Das sehe ich nicht. Enthaltungen? – Sehe ich bei den Fraktionen von SPD und CDU. Dann warten wir noch einen Moment, bis Frau Senatorin hier eintrifft. – Die Senatorin ist eingetroffen und setzt sich gleich. – Sie können mit Ihrer Rede fortfahren. Bitte schön!
Ich freue mich sehr, dass Frau Senatorin jetzt auch da ist, zumal Sie auch immer betonen, was ich Ihnen auch glaube, dass der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen wirklich wichtig für Sie ist.
Ich fahre jetzt in der Rede fort: Der unsicherste Platz einer Frau ist nicht die Straße, es ist ihr Zuhause. In Deutschland passiert jeden Tag Gewalt gegen Frauen, jeden Tag, und zwar durch alle Schichten. Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland fast jeden Tag eine Frau getötet, an 360 von 365 Tagen. Das muss endlich aufhören.
Im Bund, das wissen wir, gibt es neuerdings das Gewalthilfegesetz. Das finden wir großartig. Es ist im Bund auf Initiative des Familienministeriums unter Lisa Paus fraktionsübergreifend zustande gekommen, immerhin mit den Stimmen der CDU. Ein echter Durchbruch! Was macht in
Berlin die schwarz-rote Koalition? – Zu wenig! Wir Grüne haben schon 2023 Eckpunkte für ein Opferschutzgesetz vorgelegt. Es ist alles schon da. Der Senat setzt aber nicht um.
Im Rechtsausschuss habe ich gerade dazu nachgefragt, wie weit das Landesopferschutzgesetz so ist. Die Antwort war eher ernüchternd. Es wurde gesagt, dass man es grundsätzlich schon sinnvoll fände und ja, man arbeite auch irgendwie daran. Priorität habe aber erst einmal die Novelle des Polizeirechts, die Schwarz-Rot plant. Das reicht aber nicht. Regelungen im Polizeirecht können immer nur ein Teil der Lösung sein. Im Polizeirecht fordern wir Grüne schon wichtige Maßnahmen, vor allem die Verlängerungen von Wegweisungen, aber Polizeirecht regelt nun einmal polizeiliche Befugnisse, wie der Name schon sagt. Opferschutz ist jedoch viel mehr.
Gewalt gegen Frauen muss an den Ursachen bekämpft werden, indem die Politik auch die Täter in den Blick nimmt und zur Verantwortung zieht. Das Problem ist nicht die Herkunft der Täter. Das Problem ist geschlechtsspezifisch. Frauen brauchen kein Mitleid. Frauen brauchen bessere Strukturen für Gewaltschutz.
Dazu gehört ein im Landesrecht verankerter Rechtsanspruch von Opfern auf Unterstützung, der proaktive Ansatz, mehr Frauenhäuser, Präventionskonzepte inklusive Täterarbeit und vor allem die gesetzliche Absicherung der Berliner Opferschutzlandschaft, damit diese nicht weiter kaputtgespart werden kann.
Andere Länder, zum Beispiel Spanien, haben es vorgemacht, wie ein Bewusstseinswandel funktionieren kann. Öffentliche Kampagnen, Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema, frühe Information schon an Schulen, durchdachte Konzepte, konsequente Programme für Täter. Das hat in Spanien eine Änderung bewirkt. So einen Paradigmenwechsel brauchen wir auch in Deutschland. Wir brauchen hier für uns in Berlin das Landesopferschutzgesetz, das Komplettpaket mit allen genannten Maßnahmen. Die Eckpunkte sind schon da. Die Verbände wurden bereits unter Rot-Grün-Rot beteiligt. Lassen Sie uns das Gesetz jetzt auf den Weg bringen, nämlich heute. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer hier vor Ort und daheim an den Empfangsgerä
ten! Liebe Frau Kollegin Dr. Vandrey! Ihr Antrag ist kein Meilenstein. Wir haben im Fachausschuss bereits ausführlich darüber gesprochen, und insofern war es natürlich Ihr parlamentarisches Recht, die Senatorin herbeizuzitieren. Ich glaube aber, dass wir uns einig sind, dass dieses Thema vom Senat anderweitig schon gut bearbeitet wird. Ich glaube, insofern war es billige Effekthascherei, aber nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Der Opferschutz und Gewaltschutz ist ein Querschnittsthema, das alle Ressorts betrifft. Sie haben es richtig ausgeführt, von Prävention über Bereitstellung von Wohnräumen – nein danke, keine Zwischenfragen! –, über Täterarbeit und natürlich auch über die Unterstützung bei der Wiedereingliederung in ein gewaltfreies Leben.
Bereits im Oktober 2024 hat der Senat den Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention mit immerhin 134 Einzelmaßnahmen vorgestellt. Viele dieser Maßnahmen zählen Sie im Antrag noch einmal auf. Diese Maßnahmen bestehen schon oder sind in der Entwicklung befindlich. Ihr Antrag will bestehende Strukturen stärker gesetzlich binden. Sie haben es eben noch einmal ausgeführt. Das schafft mehr Bürokratie, das schafft teure Doppelstrukturen. Die brauchen wir in Berlin nicht. Die Arbeit, die die vorhandenen Strukturen leisten, brauchen wir, die sind für den Opferschutz wichtig. Ihr Antrag mit pauschaler Erfassung von Drittbetroffenen ist völlig unsubstantiiert und führt viel zu weit. Wer ist dann wirklich noch Opfer und wer nicht? Das ist, glaube ich, der falsche Weg. Auch dazu haben wir im Ausschuss schon miteinander intensiv debattiert. Ihr Antrag will proaktive Ansprache und flächendeckende Unterstützung. Das ist völlig realitätsfern, dass das umsetzbar wäre, dass es finanzierbar wäre, bei allem Verständnis für das Thema.
Ihr Antrag greift am Ende – Sie haben es selbst gesagt, und deswegen ist es doch richtig, den zweiten nicht vor dem ersten Schritt zu machen – viele Punkte aus der anstehenden ASOG-Novelle auf, zum Beispiel das Thema Datenschutz, auch das Thema Fußfessel. Wir werden an dieser Stelle das Thema vorantreiben. Wir sind dort als Koalition auf einem guten Weg.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Herrmann! Dass Sie bei einem Antrag, der sich mit Opferschutz beschäftigt, damit enden, dass Sie über die elektronische Fußfessel und die ASOGVerschärfung reden, zeigt, glaube ich, schon ziemlich genau, wo das Problem bei der ganzen Sache liegt.
Es gibt eine ganze Menge guter Projekte von Rot-GrünRot, die leider auf Eis gelegt worden sind. Eines dieser Projekte ist die Ausbildungsplatzumlage, eines, das uns als Linke besonders am Herzen liegt, ein weiteres ist das Gesetz zur Unterstützung der Betroffenen und Opfer von Straftaten, über das wir heute reden. Die Kollegin Vandrey hat es gesagt: Die Eckpunkte waren fertig, man hätte gut weiter daran arbeiten können, aber es passiert überhaupt nichts, außer Beteuerungen und Vertröstungen, wie wir das auch im Rechtsausschuss erlebt haben. Obwohl immer gesagt wird, dass das ein wichtiges Thema ist, konnte niemand so richtig sagen, wie es bei dem Thema weitergehen soll. Bei so einem wichtigen Thema einfach nicht zu liefern, denke ich, ist ein Armutszeugnis für diese Koalition und die Justizverwaltung.
Wir haben versucht, Sie mit diesem Antrag ein bisschen anzustupsen. Es scheint nicht funktioniert zu haben, auch wenn ich jetzt die Stellungnahme von Ihnen, Herr Kollege Herrmann, gehört habe. Da hatte ich eigentlich im Rechtsausschuss den Eindruck, dass unser Appell ein bisschen besser funktioniert hätte, aber jetzt habe ich den Eindruck, dass es überhaupt nicht weitergeht, was den Opferschutz angeht, und das finde ich höchst bedauerlich.
Das Gesetz, das wir wollen, und die Eckpunkte, die wir jetzt noch einmal dafür vorgelegt haben, haben zwei zentrale Stoßrichtungen: Es geht einmal darum, einen Anspruch für die Opfer, für die Betroffenen von Straftaten zu schaffen, und es geht zweitens darum, den Beratungseinrichtungen und den Behörden die Möglichkeit zu geben, proaktiv auf die Betroffenen zuzugehen. Das sind die beiden zentralen Punkte. Wir sind davon überzeugt, dass es auch eminent wichtig ist, so an die Angelegenheit heranzugehen, um endlich bei Straftaten die Perspektive der Betroffenen und die Perspektive der Opfer einzunehmen und nicht immer nur auf den Täter zu schauen. Das ist unbedingt nötig.
Wenn wir uns ansehen, welcher Aufwand in der Strafverfolgung betrieben wird, um an die Täter heranzukommen – berechtigterweise –, bei Polizei, bei Staatsanwaltschaft, bei den Gefängnissen, und wenn wir das ins Verhältnis zu dem Aufwand setzen, den wir betreiben, um den Opfern zu helfen, dann ist das nicht nur völlig unbefriedigend, sondern ich halte das auch rechtlich und verfassungsrechtlich für problematisch. Denn der gesamte Eingriff,
der durch das Strafrecht zulasten des Täters vorgenommen wird – berechtigterweise –, wenn man Täter verfolgt, wenn man Täter ins Gefängnis sperrt und wenn man diese Täter irgendeiner Form von Strafverfolgung aussetzt, ist ja ein Eingriff in deren Grundrechte. Wie wird dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt? – Nur und in erster Linie durch den Opferschutz. Nur der Schutz des Opfers und die Generalprävention ermöglichen es uns, verfassungsrechtlich in die Rechte des Täters einzugreifen – und das ist auch gut so.
Wenn wir uns aber um das Opfer überhaupt nicht kümmern, keine ernsthaften Beratungs- und Schutzeinrichtungen für das Opfer schaffen und darauf keinen Anspruch erzeugen, dann ist es auch verfassungsrechtlich höchst fraglich, ob das so beibehalten werden kann – und deswegen unser Antrag, endlich eine vernünftige, tragfähige Struktur zu schaffen, um den Betroffenen von Straftaten beizustehen.
Vielen Dank, Herr Kollege! Ist Ihnen denn bewusst, dass es diese Strukturen gibt? Das hat ja selbst die Kollegin Dr. Vandrey eben gesagt. Sie tun jetzt so, als ob es diesen Antrag braucht, damit es überhaupt einmal Strukturen gibt. Ist Ihnen bewusst, dass es bereits Strukturen im Land Berlin gibt, die Opfer und Betroffene von Straftaten schützen?
Herr Kollege Herrmann! Das habe ich nicht gesagt, ich habe genau das Gegenteil gesagt: Es gibt Strukturen, aber unser Antrag hat zwei zentrale Punkte, um Lücken, die es gibt, zu füllen. Das ist einmal, dass die Betroffenen keinen Anspruch auf Unterstützungsleistungen haben. Es ist immer noch eine Art von Welfare und von Gutdünken, ob ein Opfer Wiedergutmachungs- und Betreuungsleistungen bekommt oder nicht. Es gibt keinen Anspruch darauf, und es gibt, unter anderem aus datenschutzrechtlichen Gründen, im Moment keine Möglichkeit für diese Betreuungseinrichtungen, proaktiv auf die Opfer zuzugehen, weil man dafür eben eine gesetzliche Grundlage braucht, damit die Strafverfolgungsbehörden die Daten und die Kontaktdaten von Opfern an diese Betreuungsein
richtungen weitergeben können. Das sind die beiden zentralen Punkte des Antrags, und es hat überhaupt nichts damit zu tun, ob es Betreuungseinrichtungen gibt oder nicht. Natürlich gibt es Betreuungseinrichtungen, sie können aber erst dann wirklich effektiv arbeiten und die Opfer wirklich so betreuen, wie es nötig ist, wenn diese beiden Punkte – neben anderen, aber es geht vor allem um diese beiden Punkte – noch hinzugenommen werden.