Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Vorgeschlagen wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung sowie an den Hauptausschuss. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
Einsetzung einer Landesärztin oder eines Landesarztes für psychische und seelische Gesundheit mit Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche
In der Beratung beginnt die Fraktion der CDU. – Bitte schön, Frau Abgeordnete Dr. Wein, Sie haben das Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer hier im Saal und an den Bildschirmen! Bereits am 12. Juni habe ich im Plenum über das Thema psychische Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen in Berlin gesprochen. Ich freue mich, dass wir heute einen weiteren konkreten Schritt gehen, denn der Ausschuss für Gesundheit und Pflege hat unseren gemeinsamen Antrag von SPD und CDU präzisiert und zur Annahme empfohlen.
Wir als Koalition nehmen die Zunahme psychischer Erkrankungen bei jungen Menschen sehr ernst. Die Zahlen und Rückmeldungen aus der Praxis sind leider alarmierend, immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter Ängsten, Depressionen, Essstörungen – Tendenz steigend. Unsere Antwort darauf ist: Wir hören hin, wir schauen nicht weg, und wir handeln.
Deshalb fordern wir die Wiedereinsetzung einer Landesärztin oder eines Landesarztes für psychische und seelische Gesundheit mit klarem Schwerpunkt auf Kinder und Jugendliche. Eine solche Instanz ist keine symbolische Figur, sondern soll eine fachlich fundierte, unabhängige Stimme im Land Berlin sein, verbindend zwischen den ambulant und stationär arbeitenden Fachleuten in der Versorgung, zur Politik sowie zur Verwaltung, beratend für Politik und Verwaltung, aber auch unterstützend für Familien, Fachkräfte und die Zivilgesellschaft. Die Position war bis 2021 besetzt und hatte sich bewährt. Es ist höchste Zeit, diese wichtige Funktion wiederzubeleben. Unser Antrag zielt darauf ab, das nicht nur zu prüfen, sondern bis Ende des Jahres umzusetzen. Wir wollen keine leeren Ankündigungen, sondern konkrete Maßnahmen. Deshalb fordern wir auch: Bis zum 31. Dezember 2025 muss dem Abgeordnetenhaus ein Bericht vorliegen, wie die Einsetzung erfolgt ist und wie die neue Landesärztin oder der neue Landesarzt arbeitet.
Kinder brauchen Halt, Jugendliche brauchen Orientierung, und Eltern brauchen Unterstützung. Die Landespolitik muss aktiv gestalten. Mit unserem Antrag tun wir genau das. Wir stärken unsere Verbindung zur Versorgung, wir verbessern die Beratung, und wir sorgen dafür, dass psychische Gesundheit junger Menschen den Stellenwert bekommt, den sie verdient.
Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der SPD für die gemeinsame Initiative, dem Ausschuss für die fundierte Beratung, und ich bitte Sie alle: Stimmen Sie heute für diesen Antrag für mehr Sichtbarkeit, mehr Schutz und mehr Hilfe für Berlins junge Generation! – Vielen Dank!
Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Pieroth das Wort. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Roten Rathaus tobte am Dienstag die #unkürzbarDemo. Die Haushaltsverhandlungen stehen vor der Tür, in denen eklatante Kürzungen im Bereich Gesundheit und Soziales drohen. Kürzungen, die Hunderttausende Berlinerinnen und Berliner direkt betreffen, darunter Familien, Kinder und Jugendliche – Frau Dr. Wein –, Menschen in Notlagen. Und wir sitzen hier und diskutieren schon wieder über die Prüfung der Einführung einer Stelle für einen ehrenamtlichen Landesarzt.
Liebe SPD! Vor zwei Wochen macht ihr das Thema zur Prio, jetzt scheint die CDU vor der Sommerpause nichts anderes mehr auf dem Zettel zu haben und macht zum zweiten Mal einen Antrag zur Prio, der nicht im Entferntesten die Probleme der Stadt angeht.
Liebe Frau Dr. Wein, aus der Antwort auf die Anfrage von Ihrem Kollegen Zander geht hervor, dass sich die Zahl der unter 29-Jährigen, die wegen einer Essstörung stationär behandelt wurden, von 2020 auf 2022 fast verdoppelt hat. Die Wartezeiten bei Dick & Dünn e. V. lagen 2023 bei vier bis sechs Wochen. Die personellen Ressourcen sind mehr als ausgeschöpft. Jedes siebte Schulkind hat emotionale Probleme, sodass die DAK von einer regelrechten Mental-Health-Pandemie spricht. Da frage ich mich: Wie lange wollen Sie diesen Hilferuf eigentlich noch überhören? – Wir diskutieren hier, ob bei Dick & Dünn, dem einzigen Träger in Berlin, der sich in dieser
Form mit Essstörungen beschäftigt, zweieinhalb Stellen für ganz Berlin erhalten bleiben. Sie sind doch selbst mit Dick & Dünn im Gespräch und haben auch im letzten Ausschuss die schockierenden Berichte mitgehört. Ich bin mir sicher, das hat Sie nicht kaltgelassen. Essstörungen haben unter den psychischen Erkrankungen die höchste Mortalitätsrate. Soziale Träger wie Dick & Dünn retten mit ihrer Arbeit also Leben.
Anstatt die bereits existierenden Träger zu unterstützen und damit Kindern und Jugendlichen so zu helfen, dass es auch ankommt, soll nun der ehrenamtliche Landesarzt her. Für uns Grüne ist das reine Ablenkung von dem geplanten Kahlschlag von über 20 Prozent bei freier Wohlfahrt und sozialen Trägern. Das trifft am Ende die Bedürftigsten.
Im Ausschuss haben wir Grüne diesen Antrag bereits aus zwei guten Gründen abgelehnt. Erstens: Wir haben schon zahlreiche Gremien, diese müssen aber auch gehört werden, lassen wir diese doch erst einmal arbeiten; und zweitens: Gerade, wenn das Geld knapp ist, muss man umso mehr miteinander an einem Strang ziehen. In der Gesundheitsverwaltung haben wir die Landesbeauftragte für psychische Gesundheit, in der Sozialverwaltung haben wir die Inklusionsbeauftragte. Was braucht es für die psychische Gesundheit von Kita- und Schulkindern? – Auf jeden Fall keinen ehrenamtlichen Landesarzt, stattdessen fordern wir eine hauptamtlich Beauftragte für Kinder und Jugendliche, direkt an den Stab der Bildungssenatorin angedockt.
So sollte es endlich möglich sein, dass die drei Verwaltungen Gesundheit, Schule und Soziales gemeinsam die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen angehen. Lassen Sie uns endlich die drei Gesetzbücher übereinanderlegen: SGB V – Gesetzliche Krankenversicherung –, SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe –, SGB IX – Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen –.
Liebe Koalition, Sie sind jetzt seit zweieinhalb Jahren am Ruder, da sollten Sie doch in der Lage sein, einen ernsthaften, ressortübergreifenden Fahrplan für die psychische Gesundheit junger Menschen zu erarbeiten, zum Beispiel, indem Sie durch Prävention Folgekosten reduzieren oder die PEP-Evaluation abwarten, um tatsächlich bedarfsgerecht zu unterstützen oder auch über ein Trägerbudget – ich wiederhole es wieder –, um die Träger endlich aus ihrer Zuwendungsabhängigkeit zu befreien.
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass ich eine Zwischenfrage stellen darf! Ich habe mich vor zwei Minuten schon gemeldet, deswegen entschuldigen Sie bitte, dass ich in Ihrer Rede ein bisschen zurückspringe. Mich irritiert es ein bisschen, dass wir als Fachausschuss auf der einen Seite gemeinsam mit der Anhörung, die wir erst vor Kurzem mit Dick & Dünn hatten, deutlich gemacht haben, dass uns allen dieses Thema extrem wichtig ist, und dass Sie dieses jetzt heranziehen, um das Anliegen der Koalition zu diskreditieren und zu sagen: Das braucht man nicht, stattdessen gebt doch ordentlich Geld dort rein! – Finden Sie nicht, dass das eine sehr merkwürdige Argumentationslinie ist, die nicht sehr fair ist?
Also mit Fairness hat das, glaube ich, nicht so viel zu tun, wenn man aus Ehrenamt Hauptamt machen möchte und strukturell drei Verwaltungen, die unbedingt, wenn es um Kinder und Jugendliche, die in psychischen Notlagen sind, und deren Prävention da Strukturen zusammenführen möchte – – Ich finde es auch merkwürdig, wenn Sie auf die Demo am Dienstag rennen und da im Grunde gegen sich selbst und die Kürzungen, die Sie vorsehen, demonstrieren. Insofern finden wir uns vielleicht beide komisch.
Nein, ich habe jetzt nur noch eine halbe Minute! – Also, lieber Herr Düsterhöft, erst kürzen, dann Ehrenamt vorschlagen, das ist kein Konzept, das ist Zynismus in meinen Augen. Kurzum, wir Grüne fordern eine hauptamtliche Beauftragte für Kinder und Jugendliche an dieser Stelle, weiteres Ehrenamt lehnen wir ab. – Danke schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wartezeiten von durchschnittlich sechs Monaten auf einen Therapieplatz, trotz Dringlichkeit kein Termin beim Jugendpsychiater in Sicht, stationäre Behandlung vorrangig nur absoluten Notfällen vorbehalten – so sieht die Realität aus, wenn es um die Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen geht. Wir haben uns jetzt in relativ kurzer Zeit im Gesundheitsausschuss zum zweiten Mal mit dieser Thematik beschäftigt, weil sie extrem wichtig ist, und es wurde sehr deutlich, hier ist für eine gute Versorgung noch massiv Luft nach oben.
Egal mit welchen Experten man spricht, jeder betont, dass die Kapazitäten komplett an der Überlastungsgrenze sind. Am Thema Essstörungen wurde das exemplarisch im Ausschuss noch mal sehr deutlich. Essstörungen haben in und seit der Pandemie bei Jugendlichen massiv zugenommen, und es gibt genau eine Beratungsstelle für Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen in Berlin. Diese hat knapp drei Vollzeitstellen, drei Stellen Beratung für eine Viermillionenstadt wie Berlin mit 650 000 Kindern und Jugendlichen. Das ist wirklich bemerkenswert wenig. Hier kann Berlin mehr.
Wir sind unseren Kindern und Jugendlichen, gerade nach den Einschränkungen der Pandemie, mehr schuldig, nämlich ein Hilfesystem, das funktioniert und auffängt. Einem Kind mit Angststörungen, einem Jungen mit Depressionen oder einem Mädchen mit einer Essstörung muss zeitnah die Versorgung zur Verfügung stehen, die es benötigt. Diese Krankheitsbilder sind schwere Erkrankungen und stellen die Familien vor riesige Herausforderungen. Mit einem nicht funktionierenden Versorgungssystem lassen wir diese nicht nur alleine, tatsächlich riskieren wir sehenden Auges Chronifizierungen bei unseren Kindern und Jugendlichen.
Ein Hauptproblem in der Versorgung muss ich ganz klar benennen. Ich möchte es benennen, weil es ganz stark ursächlich für die Probleme ist und weil bisher zu wenig getan wird, um es zu lösen, obwohl dieses Problem jedem Player im System klar ist. Es ist die Art der Bedarfsplanung von Kinder- und Jugendtherapeuten. Auch wenn hier vorrangig der Bund gefragt ist, muss ich hier etwas sagen, denn als Land können wir zumindest laut werden, lauter, als wir es bisher sind, denn wenn dieses Thema nicht endlich angepackt und gelöst wird, wird es sehr schwer, die Probleme in der medizinischen Versorgung zu lösen.
Was ist denn nun das Problem? – Die Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendtherapeuten, wie sie derzeit funktioniert, ist nicht am realen Bedarf ausgerichtet. Jeder im System weiß, dass die jetzige Bedarfsplanungspraxis, die sogenannte 20-Prozent-Regel, von der Annahme ausgeht, dass für junge Menschen pauschal 20 Prozent der Erwachsenentherapeuten ausreichen, und nicht den tatsächlichen Bedarf abdeckt. Es ist eine statistisch festgelegte Zahl ohne Bezug zur Realität. Die Krankenversicherungen wissen, dass es nicht reicht. Die KVs wissen es, die Ärzte- und Psychotherapeutenkammern wissen es, der gemeinsame Bundesausschuss weiß es, und die Politik weiß es auch, geändert hat sich bisher aber wenig, und das geht so nicht.