Ich nehme doch an, dass die Fraktion, die geheime Abstimmung beantragt hat, auch darauf vorbereitet ist.
Damit haben alle abgestimmt. Die Wahlhandlung wird geschlossen. Ich bitte die Schriftführer, das Ergebnis festzustellen, und unterbreche die Behandlung des Tagesordnungspunktes 4.
(Abg. Kurz CDU: Herr Präsident, ich habe keinen gültigen Stimmzettel! Dieser ist ungültig! Ich bin am Wählen gehindert!)
Ich habe die Wahlhandlung geschlossen. Ich kann hier keine Ausnahmen machen. Es sind keine weiteren Stimmabgaben möglich.
Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Antwort der Landesregierung – Kinder und Jugendliche 2000 – Umwelt, Lebensstile und Gesundheit – Drucksache 12/5444
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Besprechung fünf Minuten je Fraktion und für das Schlusswort fünf Minuten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir legen heute eine Große Anfrage zum Thema „Gesundheit von Kindern und Jugendlichen unter den Aspekten Umwelt und Lebensstile“ vor. Dafür gibt es gute Gründe; denn Experten und Expertinnen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, seien es nun Kinderärztinnen oder Pädagogen oder auch sonstige Forscher, schlagen Alarm. Sie weisen darauf hin, dass der Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen immer schlechter wird und dass es hier dringenden Handlungsbedarf gibt.
Wir ersehen beispielsweise aus einer Untersuchung, die – nicht in Baden-Württemberg – an Erstklässlern stattfand, dass jedes sechste Kind sich als übergewichtig erwies, jedes dritte Kind einen kontrollbedürftigen oder erhöhten Blutdruck und jedes vierte Kind zu hohe Cholesterinwerte hat. Gleichzeitig ist die Rede von der Erziehung zu Sitzmenschen in der Schule. Wir wissen, dass es mittlerweile nicht nur die ökologischen Gefährdungen sind, die die Kinder beeinträchtigen, sondern dass es auch Risikofaktoren sind, die etwas mit Bewegungs- und Freizeitgewohnheiten zu tun haben. Oder anders gesagt: Die Probleme sind Bewegungsmangel, einseitige Ernährung, Verhäuslichung, weil allein schon die Zunahme des Verkehrs den Kindern kaum noch Möglichkeiten bietet, sich gefahrlos in ihrem Wohnumfeld zu bewegen.
Auf diese Weise kommen eben viele Gesundheitsstörungen zustande. Das ist ein Problem für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, die daran leiden. Das Problem wird größer, wenn sie erst einmal erwachsen werden. Es ist natürlich auch ein Problem für das Gesundheitswesen und die öffentlichen Haushalte, weil dadurch auch Kosten und Folgekosten entstehen. Deswegen gibt es hier politischen Handlungsbedarf, auf den wir aufmerksam machen wollen.
Die Landesregierung bezeichnet in ihrer Antwort den Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in BadenWürttemberg als befriedigend bis gut. Anders gesagt: Das Ergebnis ist durchaus verbesserungsbedürftig. Das Ziel ist bei weitem nicht erreicht.
In einer Hinsicht gibt es offenbar Positives zu vermelden. Die Landesregierung sagt uns, dass Atemwegserkrankungen und Allergien bei Kindern in Baden-Württemberg rückläufig sind, und dies entgegen einem bundesweiten Trend. Dieses Ergebnis haben offenbar die Untersuchungen und Beobachtungen der Gesundheitsämter erbracht. Wenn dies so ist, dann ist es gut. Dann wäre aber auch zu fragen: Was zeichnet eigentlich Baden-Württemberg aus, dass es hier besser ist?
Im Wasser und auch im Grundwasser sind zunehmend Arzneimittelrückstände festzustellen. Wie sich das auf den Gesundheitszustand der Menschen und insbesondere von Kindern und Jugendlichen auswirkt, ist bisher weitgehend unerforscht.
Die Datenlage zu diesen lebensstil- und sozial bedingten Risikofaktoren gleicht im Grunde einem Flickenteppich. Es
gibt einige Untersuchungen, aber keine bevölkerungsbezogene und in Intervallen abfragende Erhebung. Diese wäre aber in Baden-Württemberg nötig.
Auch die Landesregierung sieht Anlass zur Sorge in der Zunahme von Störungen, die man bei Kindern und Jugendlichen beobachten kann, insbesondere so genannten psycho- und soziosomatischen Störungen, das heißt Störungen, bei denen die Balance zwischen Körper, Psyche und Umwelt nicht mehr im Gleichgewicht ist.
Besonders betroffen – und das halte ich für einen sehr wichtigen Punkt – sind auch nach Aussage der Landesregierung Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Bevölkerungsschichten. Das heißt, die Gesundheitsfrage bei Kindern und Jugendlichen ist auch und gerade eine soziale Frage, und das, meine Damen und Herren, muss uns beschäftigen. Das hat auch etwas mit sehr engen Haushaltsbudgets zu tun, die schlicht nicht für eine gute Ernährung reichen; es hat aber auch damit zu tun, dass Leute, die es nicht besser wissen, häufig gerade an der Ernährung sparen, wenn sie insgesamt wenig Geld haben.
Wir haben weiterhin aus einer Untersuchung einer Krankenkasse das Problem entnommen, dass Kindern und Jugendlichen zunehmend Medikamente, insbesondere Psychostimulanzien, verschrieben werden, darunter auch ein Mittel gegen die Aufmerksamkeitsstörungen – das ist das so genannte Ritalin –, und das offenbar häufig ohne die dazu notwendige psychotherapeutische Begleitung.
Das haben wir dieser Studie entnommen, Herr Kollege Noll. – Da finde ich es schon ein bisschen dünn, wenn die Landesregierung einfach sagt: „Wir gehen davon aus, dass die Ärzte sich an die gängigen Richtlinien halten.“ Ich finde, dem müsste man schon mal nachgehen.
Wiederum einig sind wir uns darüber, dass bei der so genannten J 1, also der Vorsorgeuntersuchung der Jugendlichen ab zehn Jahre, nur noch 15 % überhaupt mitmachen. Ein Problem ist: Die Landesregierung spricht da als Zitat der kassenärztlichen Vereinigungen von „Sprach- und Imagebarrieren“ zwischen Ärzteschaft und Jugendlichen. Das wird wohl so sein, meine Damen und Herren, aber dabei sollte es nicht bleiben.
Deswegen sehen wir eine Reihe von Ansatzpunkten zum Handeln für die Politik und auch für die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen.
Zum Zweiten sollte der Gesundheitsbericht für Kinder, den es jetzt verdienstvollerweise gibt, zukünftig auch Jugendliche einbeziehen und Perspektiven aufzeigen. Es macht ja keinen Sinn, wenn einfach Daten und Projekte aneinander gereiht werden, wie es jetzt in diesem Kinderbericht der Fall ist, sondern es muss auch ein Gesamtkonzept erkennbar werden, und dieses sollte sich insbesondere – Herr Minister, das möchte ich Ihnen mitgeben – in dem von Ihnen angekündigten Bericht zur Ernährung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen realisieren.
Wir sind uns einig, wenn die Landesregierung sagt, man brauche eine soziale und ökologische Gesundheitsförderung. Dies ist in der Tat die notwendige Präventionsstrategie. Nur muss man diese ökologische und soziale Gesundheitsförderung auch mit Inhalten füllen. Es werden in der Antwort auf unsere Anfrage eine Reihe von Projekten genannt, die sicher alle gut und verdienstvoll sind, aber uns fehlt die Gesamtstrategie zu der Frage: Was fördert das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen? Oder anders gesagt: Wie mache ich sie stark, damit sie mit Lebens- und Gesundheitskrisen besser zurechtkommen?
Dazu könnte eine Beteiligung an den Netzwerken wie „Gesunde Stadt“ oder „Gesunde Schule“ beitragen. Da ist leider in Baden-Württemberg nicht viel zu vermelden. Es sind nur wenige Städte und nur zwei Schulen, die dabei mitmachen. Der Ausstieg des Landes aus der Förderung der regionalen Arbeitsgemeinschaften für Gesundheitsförderung ist auch nicht gerade ein Ruhmesblatt in diesem Sinne.
Wenn es, wie die Landesregierung sagt, richtig ist, dass die Gesundheitsförderung vor allem auf die soziale Lage schauen muss und Strategien dort ansetzen müssen, dann müssen wir auch Taten fordern. Deswegen haben wir heute auch einen Antrag vorgelegt mit dem Ziel, sich insbesondere der Frage sozialer Benachteiligung und der Folgen für die Gesundheit zu widmen.
Sie haben sich in den Vorgesprächen bereit erklärt, im Ausschuss darüber ausführlich zu sprechen. Deswegen bin ich auch bereit, diesen Antrag an den Ausschuss – wir haben ja immerhin noch eine Sitzung – überweisen zu lassen,
wenngleich ich natürlich hoffe, dass eine andere Regierung Gelegenheit haben wird, das dann umzusetzen.
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Brechtken SPD: Sehr gut! Das ma- chen wir!)
Wo wir mit der Antwort der Regierung gar nicht zufrieden sind, ist die Frage Medikamenteneinnahme von Kindern und Jugendlichen. Wenn es stimmt, dass sich im Lande beispielsweise die Verschreibung des Medikaments Ritalin seit den Achtzigerjahren um das Vier- bis Fünffache erhöht hat – so nämlich die Studie der Krankenkasse –, dann ist Zuwarten nicht die richtige Leitidee. Wir wollen hier ja keine Verhältnisse wie in den USA, wo bereits 10 % der Kinder und Jugendlichen Psychopharmaka einnehmen. Das kann nicht der richtige Weg sein.
Hier geht es auch um Strategien der Qualitätssicherung, und das heißt der Vermeidung von Medikamenteneinnahme oder jedenfalls der richtigen Begleitung dabei. Deswegen sollte die Landesregierung das Thema Qualitätssicherung in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, wie der Landesärztekammer, zu ihrem Anliegen machen.
Auch zu diesem Thema legen wir einen Antrag vor und sind ebenfalls bereit, darüber im Ausschuss zu sprechen. Wir hoffen, dass sich auf diese Weise wenigstens eine
Grundlage vorbereiten lässt, der ein entsprechendes Handeln, vielleicht auch das einer anderen Regierung, folgen wird.