Protokoll der Sitzung vom 13.12.2000

(Abg. Rech CDU: Weil er es meistens gar nicht sieht!)

Der Mitschnitt soll ja als Beweismittel für eine Verbrechensbekämpfung dienen.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Was in Leipzig geht, geht auch in Stuttgart!)

Natürlich geht es, aber ich halte es für unpraktikabel; das ist doch das Problem.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das stimmt doch gar nicht! Sie haben sich gar nicht kundig gemacht, Herr Kollege!)

Doch. Wenn Gefahr im Verzug ist und wenn ein Taschendieb kommt oder ein schnelles Delikt geschieht – das sind meist Delikte, die in der Öffentlichkeit geschehen; die müssen schnell durchgeführt werden –, ist, bis der Polizeibeamte auf den Knopf drückt und aufzeichnet, die Hälfte der Deliktsbegehung nicht mehr auf dem Bild. Da möchte ich Sie als Verteidiger sehen, wie Sie da einschreiten. Ich würde mich freuen, als Verteidiger solche Bilder zu haben. Da wird nämlich die Beweisführung äußerst schwierig sein.

Es ist Sinn des Gesetzes, dass man überführt und eine Beweissicherung hat. Das wäre dann hinfällig. Deshalb lehnen wir das ab und sagen: Bitte, es wird mitgeschnitten und wird dann gelöscht. Die Sicherheit für den Bürger, der nicht kriminell ist, wird dadurch gewährleistet, dass diese Bilder innerhalb von 48 Stunden gelöscht werden. Ich meine, das dient dem Datenschutz. Das ist auch verhältnismäßig. Wenn ich in der Öffentlichkeit bin – das muss man bei der Verhältnismäßigkeit schon berücksichtigen –, setze ich mich einer gewissen Beobachtung aus. Wenn Sie an einer Tankstelle sind, wenn Sie in einem Kaufhaus sind, überall werden Sie heutzutage schon videoüberwacht. In der Öffentlichkeit ist eben die Privatsphäre nicht mehr so strikt gewahrt wie zu Hause. Deshalb ist hier die Verhältnismäßigkeit ein bisschen anders zu sehen.

Ich bin der Überzeugung, dass es für den Bürger, wenn sofort wieder gelöscht wird, kein Überwachungsstaat ist. Es wird ja auch nur an bestimmten Punkten überwacht, dort, wo die Kommune sagt: Hier ist es notwendig. Deshalb ist es, meine ich, viel bürgernäher, wenn die Kommune als Ortspolizeibehörde selbst mitentscheiden kann, wo überwacht werden soll. Die Kriminalitätsschwerpunkte sind vor Ort bekannt. Deshalb lehnen wir Ihre Änderungsanträge ab. Wir freuen uns, dass wir heute dieses Gesetz durchbringen. Insbesondere freuen wir uns für das SPD-regierte Mannheim. Dort ist man schon ganz gierig darauf, die Videoüberwachung endlich einzusetzen.

Ich bedanke mich für die Zustimmung.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Wilhelm.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Trotz der späten Stunde bin ich der Meinung, dass man es sich hier nicht so einfach machen kann. Ich denke, wir haben uns hier schon weitaus länger über weitaus banalere Themen unterhalten.

Herr Rech, Ihre Rede war in der Tat kurz, prägnant und abenteuerlich.

(Lachen des Abg. Rech CDU)

Sie sagen, das Volk wünsche sich regelrecht, videoüberwacht zu werden, es fühle sich nicht beeinträchtigt. Dazu sage ich Ihnen eines, Herr Rech: Der überwiegende Teil des Volks hat sich auch nach 1933 nicht beeinträchtigt gefühlt.

(Abg. Rech CDU: Jetzt! Happig!)

Ganz offensichtlich sehen Sie die Gefahren, die hier auf uns zukommen, nicht. Deswegen möchte ich die hier nochmals aufzeigen.

Kollege Oelmayer hat eigentlich alles über den Unsinn der Videoüberwachung gesagt. Ich möchte nur noch eines hinzufügen: Wenn Sie beispielsweise – um einmal willkürlich etwas herauszugreifen – die Klett-Passage in Stuttgart nehmen, werden Sie nichts anderes erreichen, als die kleinen und mittleren Ganoven zu verdrängen. Damit werden Sie das Problem der Kriminalität nicht in den Griff bekommen, sondern Sie werden dafür sorgen, dass die Ganoven in die Nebenbezirke ausweichen. Dann müssen Sie natürlich konsequenterweise dort weitermachen. Wenn die Ganoven dann noch weiter hinaus aufs Land gehen, müssen Sie auch dort weitermachen. Das heißt: Irgendwann einmal haben wir den totalen Überwachungsstaat.

Es geht hier aber um etwas ganz anderes – ich habe das im Innenausschuss schon gesagt –: Es ist möglich – und in England schon an der Tagesordnung –,Videobilder über ein Computerprogramm so auszulegen, dass pro Minute 60 Millionen Menschen erkennungsdienstlich behandelt werden, obwohl sie nichts getan haben. Das heißt: Diese erkennungsdienstliche Behandlung gleicht einer DNAAnalyse. Wer dann das Pech hat, vier oder fünf Mal am Tag am gleichen Platz vorbeikommen zu müssen, wer so blöd ist, ein Handy zu benutzen, wer es nicht lassen kann, mit Kreditkarten zu zahlen, und wer von der Technik so begeistert ist, dass er ein satellitengesteuertes Navigationssystem an Bord hat, der kann 24 Stunden lang lückenlos überwacht werden.

Jetzt kommt Kollege Kiesswetter daher und sagt: Dieses Gesetz ist sehr liberal.

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Ja!)

Also, Herr Kiesswetter: Es ist noch keine 20 Jahre her, seit Ihre Partei aus Datenschutzgründen am liebsten das Telefonbuch verboten hätte. Ein Herr Hirsch und ein Herr Baum wären doch aufgeplatzt wie Springteufel, wenn sie so etwas gelesen hätten. Jetzt kommen Sie daher und sagen: Dieses Gesetz ist liberal.

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Ja!)

Wir lehnen das Gesetz im Gesamten ab. Ich persönlich und auch meine Fraktion glauben zwar dem Herrn Innenminister, wenn er sagt, dieses Computerprogramm komme bei uns nicht zur Anwendung. Nur: Noch niemals in der Geschichte hat es das gegeben, dass eine neu konzipierte Waffe nicht auch zum Einsatz gekommen wäre. Irgendwann einmal wird diese Technik eingesetzt, und dann haben wir „1984“ hier und jetzt, und das ist sehr wohl eine Beeinträchtigung.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erteile ich Herr Abg. Rech.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe jetzt noch vier Minuten Redezeit. Nach dem, was hier alles von den Rednern der Oppositionsfraktionen gesagt worden ist – Herr Kollege Redling hat es zugegeben: zum vierten Male wiedergekaut –, muss ich davon keine einzige Minute in Anspruch nehmen. Ich wundere mich nur, dass die Grünen den Powerslide in letzter Minute noch geschafft haben, dass sie die Kurve gekriegt haben, dieses Gesetz doch noch ablehnen zu können. Es hätte mich auch gewundert, wenn Sie einmal hinter der Polizei und nicht ständig auf der anderen Seite der Barrikaden gestanden wären.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Oh-Rufe von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Redling SPD: Oh, Kollege Rech! Das ist Blödsinn! Das ist genauso blöd wie das, was der MP gesagt hat! – Abg. Brechtken SPD: Das ist fast BSE-verdächtig!)

Das Wort erteile ich Herrn Innenminister Dr. Schäuble.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, wir werden ein gutes Gesetz verabschieden.

(Abg. Haas CDU: Jawohl!)

Ich möchte mich bei diesem hohen Haus dafür bedanken, dass dieses Gesetz parlamentarisch sehr zügig behandelt worden ist. Dieser Dank geht an alle Fraktionen.

Ein kleiner Wermutstropfen, Herr Kollege Redling und Herr Kollege Oelmayer, ist natürlich, dass Sie dem Gesetz nicht zustimmen. Ich glaube, dass Ihre Gründe – wir haben darüber ausführlich und sorgfältig im Innenausschuss gesprochen – nicht stichhaltig sind.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Ach!)

Das Gesetz ist auch ausreichend präzise formuliert.

(Abg. Redling SPD: Nein!)

Bei der Definition der Kriminalitätsbrennpunkte, Herr Redling, verweisen wir auf § 26 des Polizeigesetzes. Wenn wir immer wieder davon sprechen, dass die Normenflut in Deutschland nicht größer, sondern eher kleiner werden sollte, müssen wir als Gesetzgeber uns daran auch ein kleines Beispiel nehmen.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Aber nicht auf Kosten von Grundrechten, Herr Minis- ter!)

Nein. Durch den Querverweis auf § 26 des Polizeigesetzes ist dies ja geklärt.

Genauso ist klar – allein schon wegen der Tatsache, dass das Gesetz auch präventiv einen Abschreckungseffekt entfalten sollte –, dass eine Hinweispflicht Grundlage dieser Videoüberwachung ist. Aber wie dann der Hinweispflicht entsprochen werden soll, das muss doch der Gesetzgeber wirklich nicht im Detail regeln. Entscheidend ist die Tatsache, dass hingewiesen wird.

Ich finde, dass die Forderung, die Aufzeichnung sollte erst beginnen, wenn quasi ein Verdacht auf eine Straftat bestehe – trotz Leipzig, Herr Kollege Oelmayer –, ein Denkfehler ist. Wenn bei dem Beamten, der am Monitor sitzt, ein solcher Verdacht entsteht, dann muss die Polizei raus auf den Platz und darf nicht mehr drin bleiben. Das ist wohl der entscheidende Gesichtspunkt.

(Zuruf der Abg. Ingrid Blank CDU)

Deshalb gibt es auch unter diesem Aspekt an dem Gesetzentwurf überhaupt nichts auszusetzen.

Ich denke, dass Ihre Bedenken letzten Endes eigentlich nur vorgeschoben sind. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der in jeder Hinsicht verfassungsrechtlich einwandfrei ist, der insbesondere auch beim Thema „Aufbewahrungsfrist von 48 Stunden“ wirklich auf der absolut sicheren Seite ist. Deshalb: Wenn Sie immer wieder sagen, Sie würden eigentlich im Grundsatz die Videoüberwachung bejahen, gibt es keinen Grund, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Kiesswetter FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen daher in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g. Abstimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des Innenausschusses, Drucksache 12/5765 Ziffer 1.

Ich rufe auf

Artikel 1

Änderung des Polizeigesetzes

und hierzu den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Drucksache 12/5812-1, und den Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucksache 12/5812-2.