Protokoll der Sitzung vom 31.01.2001

Die Stellungnahmen dieser Verbände sind unserer Fraktion gestern Abend zugegangen. Das heißt, es muss einen Anlass geben, warum Sie das Gesetz in dieser Eile im Landtag verabschieden wollen. Denn wenn das noch in dieser Wahlperiode geschehen soll, dann muss es am 20. oder 21. Februar geschehen. Wann da eine sinnvolle und eine umfassende Anhörung zu den rechtspolitischen und verfassungsrechtlichen Fragen auf der einen Seite und zu der Frage, ob dieses Gesetz überhaupt in dem Sinne greift, wie Sie sich das vorstellen, auf der anderen Seite stattfinden soll, weiß ich nicht. Aber diese Fragen sollten tatsächlich – da will ich den Antrag der SPD-Fraktion gern unterstützen – in einer Anhörung geklärt werden. Die Antwort auf die Frage, warum Sie all dies nicht in einer Anhörung klären wollen, haben Sie bisher nicht gegeben.

Ein weiterer Punkt: Herr Innenminister, Sie haben Ihre Rede natürlich dramaturgisch geschickt aufgebaut – das will ich Ihnen gar nicht in Abrede stellen –, indem Sie dem Parlament hier Fälle vorgetragen haben, bei denen es sich wirklich um grausame Verbrechen handelt – das will ich

überhaupt nicht in Abrede stellen –, bei denen auch wir der Meinung sind, dass man alle Möglichkeiten des Rechtsstaats ausschöpfen muss, solche Verbrechen zu verhindern, die auch dazu geführt haben, dass es auf Bundesebene die Verschärfung der Regelungen zur Sicherungsverwahrung gegeben hat, einem Instrument, das ich als Ultima Ratio des Rechtsstaats bezeichnen möchte; denn es bedeutet für die Menschen, die der Sicherungsverwahrung unterliegen, gegebenenfalls das Wegschließen bis zum Lebensende. Das mag im Einzelfall – ich betone es noch einmal – gerechtfertigt sein. Aber, Herr Innenminister, was Sie uns natürlich nicht berichtet haben, ist, ob die Fälle, die Sie dem hohen Hause hier vorgetragen haben, zeitlich vor den gesetzlichen Verschärfungen der Sicherungsverwahrung auf Bundesebene lagen oder danach.

Der Weiße Ring trägt, denke ich, zu Recht vor: Wir müssen ja erst einmal evaluieren, welche Wirkungen diese Verschärfungen der Gesetze auf Bundesebene gebracht haben. Ob ein solcher massiver Eingriff, wie Sie ihn jetzt hier auf der Grundlage des Polizeirechts, also auf der Grundlage von Landesgesetzen, planen, sich rechtfertigen lässt, hängt doch auch davon ab, inwieweit die bisherigen gesetzlichen Maßnahmen nicht ausreichen, um solche Fälle zu verhindern. Der Presse entnehme ich, dass der Justizminister – ich glaube, auch in der hier im Landtag geführten Aktuellen Debatte – von einem einzigen Fall berichtet, auf den dieses Gesetz gegebenenfalls Anwendung finden würde. Eine Klarheit gibt es darüber bis heute nicht. Auch der Innenminister hat den Fall heute nicht konkretisiert.

Ich will Ihnen einräumen: Jeder Fall ist ein Fall zu viel. Aber, Herr Innenminister und Herr Justizminister, wir bewegen uns im rechtsstaatlichen Grenzbereich. Das haben Sie selbst ausgeführt. Es ist eben nicht klar, ob das Land in diesem Bereich Gesetzgebungskompetenz hat. Es ist eben nicht klar, ob der Eingriff in die persönliche Freiheit von Menschen, den Sie hier planen, noch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, und es ist eben nicht in Ordnung, wenn Sie einen Rechtsgelehrten, dessen Reputation ich nicht bezweifeln möchte, ein Gutachten machen lassen, in dem er dann zu dem Ergebnis kommt, dass das so geht. Es gibt auch Rechtsgelehrte in dieser Republik, an deren Reputation auch nicht gezweifelt werden kann, die meine Auffassung und die Auffassung meiner Fraktion vertreten, dass wir uns hier im rechtsstaatlichen Grenzbereich bewegen, ja vielleicht die Grenze überschreiten.

Deswegen: Erklären Sie dem Parlament, warum Sie jetzt in dieser Eile dieses Gesetz beschließen wollen. Wenn Sie dies nicht erklären können, Herr Justizminister und Herr Innenminister, dann ist es nicht in Ordnung. Dann scheint es tatsächlich eine Botschaft zu sein, die Ihnen vielleicht in Wahlkampfzeiten wichtig erscheint, die aber zulasten von Menschen geht, die Sie dann bis zum Lebensende wegschließen.

(Abg. Dr. Birk CDU: Damit machen wir keinen Wahlkampf!)

Kollege Birk, dann erklären Sie mir, warum Sie jetzt in dieser Eile dieses Gesetz beschließen wollen.

(Abg. Dr. Birk CDU: Weil Handlungsbedarf be- steht!)

Dann, meine ich, ist das keine adäquate Vorgehensweise für ein Parlament, auch nicht für das Parlament des Landes Baden-Württemberg. Wir werden in den Ausschusssitzungen erfahren – und wir werden ja hören, ob Sie wenigstens der von der SPD-Fraktion beantragten Anhörung zustimmen –, ob Sie bereit sind, die Argumente, die Sie ja hier durchaus schon einmal akzeptiert haben, auch zu würdigen. Zu welchem Ergebnis wir dann kommen, werden wir sehen.

Ich rate Ihnen, Herr Innenminister, als rechtspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen-Fraktion und nicht nur als Rechtsanwalt: Wagen Sie nicht den Schritt über die Rechtsstaatlichkeit hinaus! Die Gerichte werden diese Regelung überprüfen müssen, und wenn Sie dann vor Gericht unterliegen, haben Sie nicht nur die Chance, solche Straftaten zu verhindern – ich komme zum Schluss, Herr Innenminister –,

(Heiterkeit des Abg. Brechtken SPD)

nicht wahrgenommen, sondern darüber hinaus eine Botschaft in unser Land hinausgesandt, dessen Menschen davon ausgehen, dass hier Gesetze beschlossen werden, die auch rechtsstaatlich abgesichert sind. Wenn das in diesem Fall nicht so sein sollte, dann leidet das gesamte Parlament unter der Schmälerung der Reputation, die es im Land bei rechtsstaatlichen Fragen durchaus genießt.

In diesem Sinne bitte ich um eine offene und faire Behandlung in den Ausschussberatungen, vielleicht auch um ein Besinnen, vor allen Dingen aber um eine Erklärung, warum dieses Gesetz jetzt so schnell verabschiedet werden soll.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Seit 1998, Herr Kollege, bewegen wir uns in dieser Ge- setzeslücke, nicht erst jetzt!)

Das Wort erhält Herr Abg. Kiesswetter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben vom Herrn Innenminister ausdrücklich gehört, welches Problem vorliegt, wie wir es lösen wollen und dass hier eine Gesetzeslücke besteht. Es kann nicht sein, dass der Staat offenen Auges Gewalttäter, Sittlichkeitsverbrecher in die Freiheit entlassen muss, obwohl er weiß, dass eine ganz konkrete Gefahr besteht. Wenn das verhindert werden kann, lohnt sich jedes Gesetz.

Wir können dem Bürger draußen nicht verständlich machen, dass der Staat nicht handelt. Wenn so ein Fall passieren würde und wenn bekannt würde, dass der Staat jemanden entlässt, der sofort danach eine schwere Straftat begeht, dann würde dem Justizminister zu Recht der Vorwurf gemacht, nicht gehandelt zu haben. Jetzt hat er aber gehandelt, indem er den Gesetzesvorschlag einbrachte.

Von Eile kann nicht die Rede sein. Wir reden schon zwei Jahre über diese Problematik.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist es! Seit 1998, schon drei Jahre!)

Wir haben hier ein Gerichtsverfahren, das den rechtsstaatlichen Kriterien genau entspricht.

Sicher wurde zu lange darüber diskutiert, ob der Landesgesetzgeber oder der Bundesgesetzgeber zuständig ist. Zunächst waren wir alle der Auffassung, der Bundesgesetzgeber sei zuständig, er sei der richtige Adressat. Aber – und damit komme ich zu der Anhörung – die beste Anhörung ist immer noch, wenn man das Bundesjustizministerium zu einer Sache anhört,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Sehr gut!)

noch dazu, wenn das Bundesjustizministerium von der Opposition besetzt ist.

(Abg. Brechtken SPD: Das wird immer von der Regierung besetzt! – Abg. Schmiedel SPD: Sie sind die Opposition in Berlin!)

Von der Opposition hier.

Ich zitiere die Regierungsfraktion, einen Herrn Staatssekretär Professor Dr. Eckhart Pick.

(Abg. Schmiedel SPD: Guter Mann!)

Sehr guter Mann, richtig. Ich schätze ihn sehr für das, was er hier schreibt.

(Abg. Bebber SPD: Sie tun ja gerade so, als wären wir anderer Meinung! Wir sind nicht anderer Mei- nung!)

Ich darf zitieren aus einer Bundesratsdebatte vom 21. Dezember 2000, also kurz vor Weihnachten, nachdem wir hier das letzte Mal über dieses Thema geredet hatten:

So wie sich die Bundesratsinitiativen zu diesem Thema gebetsmühlenartig wiederholen, kann auch ich mich nur wiederholen: Der Bund hat für die geforderten Gesetze keine Gesetzgebungskompetenz.

Er setzt dann seine Rede fort:

Da es sich um reines Gefahrenabwehrrecht handelt...

(Abg. Bebber SPD: Wem halten Sie das jetzt vor?)

(Abg. Bebber SPD: Wir sind ja gar nicht anderer Auffassung!)

In der letzten Debatte waren Sie das aber.

(Abg. Bebber SPD: Sie sind ein Filou!)

Dann halte ich es auch den Grünen vor. Das, was Sie so ein bisschen andeuten, dass wir dafür nicht zuständig seien, wäre die Verfassungswidrigkeit und wäre eigentlich der wunde Punkt. Dafür haben wir hier einen kompetenten Mann. Lassen Sie mich deshalb weiter zitieren:

Da es sich um reines Gefahrenabwehrrecht handelt und die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch nicht im Zusammenhang mit der Aburteilung der Anlasstat angeordnet wird – sondern eben „nachträglich“ –, kann der Bundesgesetzgeber weder im Strafgesetzbuch eine solche Regelung schaffen, noch bedarf es einer irgendwie gearteten Öffnungsklausel durch den Bundesgesetzgeber für landesrechtliche Regelungen.

Ich meine, dadurch ist geregelt, dass das Land zuständig ist. Deshalb brauchen wir auch keine Anhörung.

Wir haben hier ein Gerichtsverfahren. Da es sich um eine Prognose handelt, brauchen wir zwei Sachverständige, einen von der Anstalt, der den Fall vortragen muss, der den Mann selbst jahrelang gesehen haben und der beurteilen können muss, dass er gefährlich wird, und einen externen, der das überprüft. Im Gerichtsverfahren kann der Anwalt nach dem geltenden Beweisantragsrecht jederzeit noch einen dritten Sachverständigen beantragen. Wir haben also die rechtsstaatliche Gewähr, dass die Prognose, die aufgestellt werden muss – –

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Eine hohe Hür- de! – Abg. Bebber SPD: Sagen Sie das nicht mir!)

Doch, Sie wollen ja eine Anhörung.

(Abg. Bebber SPD: Sagen Sie das meinetwegen dem Anwaltsverband, aber nicht mir!)

Dann stimmen Sie dem Gesetz doch zu. Ich verstehe nicht, dass Sie jetzt dagegen sind und erst eine Anhörung wollen. Ich erkläre Ihnen doch, wo die Schwachpunkte sind und wie man sie vielleicht beheben kann.

(Abg. Bebber SPD: Sie haben nicht zugehört!)

Doch, ich habe genau zugehört, und jetzt will ich auf Sie eingehen.

Ich meine also, die Rechtsstaatlichkeit ist gesichert. Nach Beweisantragsrecht kann, wenn man mit den zwei Gutachten nicht einverstanden ist, ein drittes eingeholt werden, und das finde ich gut.