Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Einem alten Brauch folgend, wird die letzte Sitzung einer Wahlperiode mit der Ansprache des Präsidenten abgeschlossen. Diese Tradition möchte ich gerne fortführen und eine kurze Rückschau auf die vergangenen Jahre geben.
Die auf fünf Jahre verlängerte Wahlperiode gab uns die Chance, die landespolitischen Aufgaben etwas längerfristig und unter weniger Zeitdruck anzugehen. So hat der Landtag seine wichtigste Funktion, nämlich die des Gesetzgebers, voll ausgeschöpft und ein umfangreiches Gesetzgebungsprogramm bewältigt.
Schwerpunkte in der ersten Hälfte der Wahlperiode waren die Haushaltsstrukturgesetze zur Konsolidierung des Landeshaushalts und der Gemeindefinanzen. Die Bankenfusion, die zur Gründung der Landesbank Baden-Württemberg führte, sowie die Verschmelzung der beiden Rundfunkanstalten zum neuen Südwestrundfunk schlugen sich ebenfalls in der Gesetzgebung des Landtags nieder.
In der zweiten Hälfte der Legislatur bildete einen Schwerpunkt die regionale Gliederung unseres Landes. Ich erinnere insoweit an das Gesetz zum Regionalverband Stuttgart sowie an das gestern beschlossene Gesetz zur Weiterentwicklung der Regionen.
Das Mittelstandsförderungsgesetz setzt in einigen wichtigen Punkten die Ergebnisse der parlamentarischen Mittelstandsenquete um. Es wird eine vorrangige Aufgabe des neuen Landtags und der Landesregierung sein, weitere Konsequenzen aus den vielfältigen Empfehlungen dieser Enquete zu ziehen.
Es gab in dieser Wahlperiode zwei weitere Enquetekommissionen: Die Jugendenquete beschäftigte sich mit den Lebensumständen unserer jungen Menschen, ihren Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt und ihren Zukunftschancen. Die gleich zu Beginn der Wahlperiode eingesetzte Rundfunkenquete lotete die Möglichkeiten der Neuordnung der Rundfunklandschaft im Südwesten aus und begleitete die Regierungsverhandlungen zur Bildung des Südwestrundfunks.
Auch in dieser Wahlperiode hat die parlamentarische Opposition von der Möglichkeit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Gebrauch gemacht. Wie nicht anders zu erwarten, waren sich Koalition und Opposition in der Beurteilung der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zur Förderpraxis in der ländlichen Sozialberatung durch die Bauernverbände nicht einig. Ich halte gleichwohl das parlamentarische Untersuchungsrecht für eines der wichtigsten Kontrollinstrumente des Landtags. Allerdings muss sein Einsatz immer sehr sorgfältig und verantwortungsvoll praktiziert werden,
Neuland beschritten haben wir mit der Einsetzung des Parlamentarischen Beirats „Neue Steuerungsinstrumente“. Seinem gestern dem Plenum erstatteten Bericht konnten wir entnehmen, wie der Einsatz des neuen Instrumentariums das bisherige Haushaltswesen grundlegend verändert und der Landtag hierauf reagieren muss, wenn er seine Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten bei der Beratung und Ausführung des Staatshaushaltsplans behalten will.
Im Ländervergleich ist unser Landtag ausgesprochen kommunalfreundlich. So haben wir in dieser Wahlperiode neben dem schon bestehenden Recht auf schriftliche Anhörung auch ein mündliches Anhörungsrecht in den Ausschüssen des Landtags eingeführt. Darüber hinaus haben wir den kommunalen Vertretern auch bei Gesetzesberatungen in wesentlichen Fragen der Finanzverteilung zwischen Land und Kommunen die Möglichkeit einer Mitberatung in den Ausschusssitzungen eingeräumt.
Auch in der 12. Wahlperiode haben wir die Europapolitik zu einem Arbeitsschwerpunkt gemacht. Wir haben unsere europapolitischen Aktivitäten nochmals verstärkt und zusätzliche Kompetenz auf diesem Sektor gewonnen.
Die zunehmende Grenzlandkooperation der Regierungen am Oberrhein hat dazu geführt, dass auch die Parlamente der anliegenden Regionen, Länder und Kantone ihre Zusammenarbeit intensivieren.
In diesem Zusammenhang werte ich es als großen Erfolg, dass es gelungen ist, den Oberrheinrat als ein quasi parlamentarisches Gremium von Gewählten aus vier Grenzregionen und drei Nationen zu bilden.
Auch in der Parlamentarier-Kommission Bodensee haben wir die parlamentarische Zusammenarbeit kontinuierlich ausgebaut.
An diesen Beispielen zeigt sich, dass die Länder und deren Parlamente einen eigenen Beitrag zur europäischen Integration leisten können, indem sie durch grenzüberschreitende und interregionale Zusammenarbeit ein immer dichter werdendes Netz der europäischen Regionen knüpfen
Einen Baustein im Europa der Regionen bildet auch der bei der Europäischen Union angesiedelte Ausschuss der Regionen. Durch den Vertrag von Amsterdam hat dieses Gremium eine Aufwertung erfahren. Künftig sind seine Mitglieder an ein politisches Mandat gebunden. Die unmittelbare Vertretung von Regierung und Landtag in diesem Ausschuss hat sich bewährt. Durch die Mitwirkung in diesem Organ haben sich die Informationen über die Arbeit der EU-Organe beschleunigt und verbessert.
Auch in der Konferenz der deutschen Landtagspräsidenten haben wir uns in den vergangenen Jahren regelmäßig mit den Anliegen der Landesparlamente im europäischen Rahmen beschäftigt.
Meine Damen und Herren, ich bin vor fünf Jahren mit dem Versprechen angetreten, dafür zu sorgen, dass Ihnen die Landtagsverwaltung die Dienstleistungen bietet, die Sie, aber auch die Fraktionen, für die parlamentarische Arbeit brauchen. Ich meine, dass wir unseren Service entscheidend verbessert haben. Alle Abgeordneten verfügen – wenn sie dies wollen – über einen direkten Anschluss ihrer Wahlkreisbüros an das Informationssystem des Landtags. Alle Landtagsdrucksachen und Plenarprotokolle sind im Volltext elektronisch gespeichert, damit die Abgeordneten sowohl in ihren Büros in Stuttgart als auch zu Hause direkt darauf zugreifen können.
Für die Akzeptanz des Landtags bei den Bürgerinnen und Bürgern ist es ganz wichtig, dass die parlamentarische Arbeit so transparent wie möglich ist. Wir haben deshalb in den vergangenen fünf Jahren einiges für die Präsenz des Landtags in der Öffentlichkeit getan.
So wurde das mediale Angebot verbreitert und vertieft. Speziell für unsere jungen Besucher haben wir eine CDROM entwickelt, die in anschaulicher Weise das Parlamentsgeschehen erläutert.
Vor allem ist der Landtag seit gut drei Jahren im Internet präsent. Unser Internetangebot ist in Form und Inhalt benutzerfreundlich. Alle Parlamentsdokumente sind im Volltext abrufbar und stehen online für Recherchen zur Verfügung.
Der Landtag hat große Anstrengungen unternommen, seinen Bekanntheitsgrad nach draußen zu steigern. Dies ist besonders gelungen im letzten Jahr beim Tag der offenen Tür, den der Landtag überhaupt zum ersten Mal in seiner Geschichte veranstaltet hat. Mehr als 10 000 Besucher strömten in das Landtagsgebäude, um die Arbeitsweise des Parlaments und die Arbeitsbedingungen der Fraktionen und der Abgeordneten näher kennen zu lernen. Dank der hervorragenden Resonanz dieser Veranstaltung bin ich der Meinung, dass wir diesen Tag der offenen Tür auch in der neuen Wahlperiode durchführen sollten.
Auf großes Publikumsinteresse stieß die Vortragsreihe über die gesellschaftspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Bedeutende Persönlichkeiten – Professor Dr. Issing, Dr. Marianne Haug, Dr. Dieter Hundt, Professor Dr. Hans Küng, Professor Dr. Franz Josef Radermacher und Martin Walser – haben uns aus ihrer Sicht die Chancen, aber auch die Gefahren des neuen Jahrhunderts skizziert.
Besonders eindrücklich wie menschlich bewegend sind für mich wie für viele Kolleginnen und Kollegen die Begegnungen mit behinderten Menschen. Zweimal in der ablaufenden Wahlperiode, nämlich 1998 und 2000, haben wir einen Tag der behinderten Menschen im Landtag organisiert, wo uns ungeschminkt und ungefiltert die Lebenswirklichkeit dieser gesellschaftlichen Gruppe vor Augen geführt worden ist.
Ein drängendes Problem ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Der Landtag hat im letzten Herbst hierzu eine sehr ernste Debatte geführt. Sie ergab eine eindeutige Botschaft: Rechtsextremen Gewalttätern, die mit ihren Aktionen das friedliche Zusammenleben in unserer freiheitlichen und humanen Gesellschaft bedrohen, wird mit aller Entschlossenheit und der ganzen Härte des Gesetzes entgegengetreten.
Und ich füge hinzu: Politisch motivierte Gewalt, von welcher Seite sie auch kommen mag, darf nicht toleriert werden. In einer Demokratie, deren oberster Repräsentant das frei gewählte Parlament ist, darf unter keinen Umständen das staatliche Gewaltmonopol infrage gestellt werden.
Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass der 12. Landtag eine gute und erfolgreiche Arbeit zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger geleistet hat. Deshalb können wir mit Zuversicht nach vorn blicken. An Problemen, deren Lösung dauerhafte Anstrengungen erfordert, wird es jedoch auch dem neuen Landtag nicht fehlen. Doch aufbauend auf unserer bisherigen Arbeit, werden wir auch die neuen Herausforderungen meistern.
Wir sollten allerdings dabei bedenken, dass größtmögliche Publizität noch nicht die Garantie für gute Politik ist.
Ich halte es da lieber mit dem Motto eines hoch angesehenen schwäbischen Politikers. Danach setzt erfolgreiche Politik den Mut voraus, auch langweilig zu sein. Wenn „langweilig“ in diesem Sinne gleichzusetzen ist mit stetig und konsequent, so ist gute Politik nicht immer unterhaltsam und populär, aber auf längere Sicht von Erfolg bestimmt.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, am Ende dieser Wahlperiode verlassen uns besonders viele Abgeordnete. Wir sollten uns in dieser Stunde bewusst machen, dass alle diese Kolleginnen und Kollegen ihre volle Kraft und sehr viel Zeit für das Parlament und für unser Land aufgebracht haben. Sie haben sich damit um unsere Bürgerinnen und Bürger im wahrsten Sinne des Wortes verdient gemacht.
An erster Stelle nenne ich Herrn Vizepräsidenten Dr. h. c. Gerhard Weiser. Sie, lieber Herr Weiser, gehen nach 33
Jahren Zugehörigkeit zum Landtag in den politischen Ruhestand. Sie haben sich in 20-jähriger Ministertätigkeit herausragende Verdienste um unsere heimische Landwirtschaft erworben. Nach Ihrem Rückzug aus dem Regierungsgeschäft haben Sie für weitere fünf Jahre das Amt eines stellvertretenden Präsidenten des Landtags übernommen. Sie haben unsere Sitzungen – das hat sich auch heute wieder gezeigt – mit Autorität, Schlagfertigkeit und Witz geleitet. Mit Ihnen verlässt ein großer Landespolitiker das Parlament. Wir verabschieden Sie voller Dankbarkeit und mit hohem Respekt vor Ihrer Lebensleistung.
Herr Kollege Robert Ruder, Sie sind mit 30 Jahren Parlamentszugehörigkeit nach Herrn Weiser der dienstälteste Abgeordnete, den wir heute verabschieden. Mit viel Unabhängigkeit und unverwechselbarem Profil haben Sie Ihr Mandat ausgeübt. Zwölf Jahre gehörten Sie der Landesregierung als Staatssekretär an und trugen dabei insbesondere Verantwortung für unsere Polizei. Als Vorsitzender des Innenausschusses haben Sie sich fraktionsübergreifend Ansehen erworben. Dafür herzlichen Dank!
Ein weiterer Ausschussvorsitzender, der ebenfalls früher als Staatssekretär der Landesregierung angehört hat, verlässt nach 27-jähriger Mitgliedschaft den Landtag. Ich meine unseren Kollegen Hermann Mühlbeyer, der ebenso unüberhörbar wie unermüdlich für eine gerechte Sozialpolitik gekämpft hat. Für den Vorsitz im Sozialausschuss erntete er auf allen Seiten nur Lob.
Drei ausscheidende Mitglieder blicken auf 25 Jahre im Landtag zurück. Ich spreche von den Kollegen Heinrich Haasis, Peter Reinelt und Klaus von Trotha. Herr Kollege von Trotha hat sich als weit über die Landesgrenzen hinaus anerkannter Minister um unsere Wissenschaft und um unsere Hochschulen verdient gemacht.
Gleiches gilt für Herrn Kollegen Reinelt in seiner Funktion als langjähriger hochschulpolitischer Sprecher und Mitglied des Wissenschaftsausschusses. In der großen Koalition hat er als Staatssekretär Verantwortung für unsere Umwelt getragen.
Mit Heinrich Haasis verlässt uns ein Kollege, der in seiner Fraktion besonders schnell Karriere gemacht hat, dies vor allem wegen seiner Kompetenz und überragenden Sachkunde, die ihm über die Fraktionsgrenzen hinweg hohe Anerkennung gebracht hat.