Protokoll der Sitzung vom 21.02.2001

Die Ursache, meine Damen und Herren, ist eine falsche Personalpolitik. Noch vor zwei Jahren hatten Sie und die Kultusministerin jeglichen Unterrichtsausfall an badenwürttembergischen Schulen abgestritten; ich füge hinzu: wider besseres Wissen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Haasis CDU: Oje! Oh Zeller!)

Auf Druck von Eltern und von uns mussten Sie Erhebungen zum Unterrichtsausfall durchführen, die all das bestätigten, was wir Ihnen zuvor gesagt hatten.

(Lachen des Abg. Rau CDU)

Am 18. Januar dieses Jahres veröffentlichten Sie eine neue Umfrage mit der Absicht, dass nun ja alles besser dargestellt werden sollte – frei nach dem Motto: „Ist alles halb so schlimm, der so genannte Pflichtunterricht ist gesichert.“ Vom wichtigen Ergänzungsunterricht, den Sie in Ihrer Amtszeit radikal gekürzt haben und der eigentlich wichtiger Bestandteil einer ganzheitlichen Erziehung ist, reden Sie schon gar nicht mehr.

Auf besagter Pressekonferenz kündigten Sie, Frau Schavan,

(Abg. Bebber SPD: Die gar nicht da ist!)

eine weitere Erhebung für die erste Februarwoche an. – Frau Schavan ist gar nicht da. So wichtig nimmt sie offensichtlich dieses Thema.

(Abg. Brechtken SPD: Das Kabinett macht Be- triebsausflug an Plenartagen! Unmöglich! – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Sie wissen doch, wo sie ist! Sie wissen doch, dass die Kultusminister- konferenz heute tagt! – Abg. Rech CDU: Mein Gott, Zeller! Der Zeller weiß nicht einmal, dass heute Kultusministerkonferenz ist!)

Sie holt sich wahrscheinlich den höchsten Segen ab.

Frau Schavan kündigte eine erneute Erhebung für die erste Februarwoche an. Aber auch hier Fehlanzeige! Auch hier verfährt Frau Schavan nach dem Prinzip: Hauptsache eine Ankündigung.

Ich sage Ihnen: Sie wusste ganz genau, dass die Zahlen noch schlechter ausfallen würden als die, die heute schon vorliegen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Als ich Frau Schavan im Schulausschuss gefragt habe, warum es zu dieser Verschiebung komme, hat sie entlarvend gesagt, sie wolle die Erhebung vor der Wahl nicht mehr veröffentlichen. Das war ihre Aussage. Dies nenne ich unseriös, und das ist nichts anderes als eine Täuschung der Öffentlichkeit, der Eltern, der Schüler und der Lehrer.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Aber es kommt noch ein bisschen besser: Frau Schavan und ihre Wahlkampfhelfer reden wider besseres Wissen davon, dass sie in dieser Legislaturperiode mehr Lehrerstellen geschaffen habe, als dies versprochen worden sei.

(Abg. Rau CDU: Ich habe gewusst: Der kapiert es nicht! Ich habe es schon im Ausschuss gewusst: Der kapiert es nicht!)

Auch hier Fehlanzeige! Herr Rau, Sie werden nachher bestätigen müssen: Die Landesregierung hat in dieser Legislaturperiode 1 600 Stellen geschaffen. Wir hatten bei den Haushaltsberatungen die Anträge gestellt, mehr Lehrerinnen und Lehrer einzustellen, wie Sie das versprochen hatten, und Sie haben diese Anträge damals abgelehnt.

(Zuruf der Abg. Ingrid Blank CDU)

Das nenne ich schlichtweg unseriös.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Es geht noch weiter. Ich will Ihnen nur einmal deutlich machen, mit welchen Tricksereien Sie gegenüber der Öffentlichkeit arbeiten. In einem Interview mit dem „Focus“ in der letzten Woche behauptete Frau Schavan doch allen Ernstes auf die Frage nach dem Lehrermangel – ich zitiere –:

Wir haben in meinem Bundesland längst reagiert: 14 235 Lehrer mehr in fünf Jahren.

(Lachen des Abg. Maurer SPD)

Meine Damen und Herren, dieses Interview – ich habe mich gerade erkundigt – war autorisiert. Ich fordere Sie hier auf, anstatt falsche Zahlen zu nennen – –

(Abg. Capezzuto SPD: Haben Sie das gelesen, Herr Rau?)

Sonst sind Sie ja auch immer so fix. Wenn die dpa 5 119 nennt, kommen Sie sofort und sagen, es seien 5 219. Sie hat gesagt, es seien 14 235 Lehrer mehr eingestellt worden. Das ist schlichtweg falsch. Es waren 1 600 und nicht mehr und nicht weniger.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Capezzuto SPD: Herr Rau!)

Ich fordere Sie also auf: Kehren Sie zur Wahrheit zurück, und lügen Sie die Öffentlichkeit nicht vor der Wahl noch an!

Sie, meine Damen und Herren, tragen die Verantwortung für den Unterrichtsausfall von über 80 000 Stunden pro Woche, Tendenz steigend!

(Beifall bei der SPD)

Sie tragen die Verantwortung für immer größer werdende Klassen, und Sie tragen die Verantwortung dafür, dass unsere Grundschulkinder die geringsten Unterrichtszeiten und keine verlässliche Halbtagsgrundschule haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie tragen auch die Verantwortung für eine falsche Personalpolitik. Sie haben die Zweidrittelstellen abgeschafft. In einer Zeit, in der wir die jungen Menschen noch zur Verfügung hatten, haben Sie diese Leute nicht eingestellt, sondern haben diese Regelung, die wir in der großen Koalition zusammen getroffen haben, wieder abgeschafft, mit dem Ergebnis, dass Leute mit der Note 1,4 auf der Straße gestanden sind, nicht wussten, was sie tun sollen, und Taxifahrer wurden. Das war Ihre falsche Personalpolitik!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Zeller, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Vossschulte?

Nein. Am Schluss.

Ich sage Ihnen auch: Sie haben nicht die Chance genutzt, die noch zur Verfügung stehenden Bewerber zu übernehmen. Stattdessen haben Sie sie erneut vor die Tür gesetzt. Manchmal habe ich den Verdacht, dass Sie die Realität an den Schulen nicht wahrnehmen.

Ich hätte jetzt der Frau Schavan gern noch eine Geschichte vorgetragen. Sie war ja erst kürzlich bei den Ordensschwestern in Hegne. Mit denen hat sie diskutiert und damit auch ihr ideologisches Weltbild gezeigt. Ich zitiere kurz aus dem Artikel im „Südkurier“:

„Erziehung ist keine Frage des Geldes, sonders des Charakters“, sagt die studierte Theologin und Pädagogin Annette Schavan in so subtiler Tonart, dass die gastgebende Schulleiterin das Gesicht in ihre Hände vergräbt und Schwester Edith mit rotem Kopf die Finger auf den Podiumstisch trommelt.

Das ist die Realität: Selbst Ordensschwestern nehmen die Ministerin nicht mehr ernst.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Und die anwesenden Erzieherinnen verstanden die Einlassungen im Übrigen als einen Aufruf: „Frauen zurück an den Herd!“ Es ist doch klar, dass es mit einer solchen Ideologie nichts mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden kann, mit einer verlässlichen Halbtagsschule oder mehr Ganztagsschulen. Wer eine solche Denkweise im Kopf hat, der kann keine vernünftige Bildungspolitik machen!

Deswegen sage ich nochmals, dass die Schulwirklichkeit bei der Kultusministerin offensichtlich nicht verankert ist. Eltern werfen der Kultusministerin geschönte Zahlen und eine Verharmlosung vor. Ich finde es nicht nur lobenswert, wenn Eltern gegen den Unterrichtsausfall und wegen fehlender Lehrkräfte protestieren und einen Fackellauf unter dem Motto „Nicht mehr lange fackeln – jetzt Lehrkräfte einstellen“ organisieren. Es ist sogar die Pflicht von Eltern, sich für ihre Kinder einzusetzen und für mehr Bildung und Chancengleichheit zu demonstrieren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, wir haben gemeinsam mit den Grünen einen Antrag vorbereitet und Forderungen nach einigen Sofortmaßnahmen vorgelegt, die zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung führen sollen. Ich will jetzt nicht alles im Detail vortragen, aber ich sage Ihnen: Wir brauchen zusätzlich 5 000 Lehrerstellen. Wir brauchen die Anerkennung von Lehramtsabschlüssen der anderen Bundesländer und die Einstellung auch derjenigen Lehrerinnen und Lehrer, die sich bereits über Jahre hinweg als Krankheitsstellvertretungen bewährt haben.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Keine Angst, kommt alles!)

Wir brauchen eine bessere Bezahlung von Hauptschullehrkräften und einen einheitlichen Ausbildungsgang der Sekundarstufe I. Wir brauchen eine leistungsbezogene Bezahlung der Lehrerschaft, und wir brauchen endlich vernünftige Einstellungsverfahren, um hier nicht gegenüber den anderen Bundesländern benachteiligt zu werden. Wir brauchen auch eine Öffnung für Seiteneinsteiger und eine Imagekampagne, damit die Lehrer nicht ständig madig gemacht werden, sondern den Lehrerberuf endlich als eine Chance sehen.

(Unruhe – Abg. Pfister FDP/DVP: Bundeskanzler: „Faule Säcke“!)

Herr Pfister, nehmen Sie einmal das, was Herr Oettinger gesagt hat: „Faule Hunde“.

Meine Damen und Herren, wir brauchen, um eine gute Schule zu bekommen, mehr Chancengleichheit zu bekommen, mehr Qualität in der Bildungspolitik zu bekommen, nicht nur kleinere Klassen und selbstständige Schulen, sondern vor allem ausreichend viele Lehrkräfte.