Protokoll der Sitzung vom 03.02.2000

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben ein strukturelles Defizit von 2,4 %. Das ist die Differenz, von der Sie immer sprechen. Wenn ich 2,4 % und 1,5 % zusammenzähle, komme ich auf 3,9 %. Bei einem bundesweiten Vergleich der Unterrichtsversorgung stehen wir auf Platz 1. Auch an den 3,9 % arbeiten wir. Aber wer mir diese 3,9 % als dramatische Bildungsmisere an den Sonderschulen vorwirft, ist weltfremd, Herr Zeller. Auch das gehört zur Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Christine Rudolf SPD: Warum glaubt Ihnen das denn niemand mehr?)

Ganz ähnlich ist es übrigens mit dem beruflichen Schulwesen. Eigentlich haben wir darüber im Laufe des letzten Jahres stundenlang im Schulausschuss diskutiert. Wenn nicht so viel Publikum dabei ist und wenn wir unter uns sind, weiß jeder und gibt auch jeder zu: Baden-Württemberg hat in den Berufsschulen 13 Wochenstunden

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Die gar nicht erteilt werden!)

im Soll. Das hat niemand sonst. Als der baden-württembergische Ministerpräsident einmal versucht hat, seine Kollegen darauf zu verpflichten, gemeinsam zu gewährleisten, dass acht Stunden gegeben werden, haben ihm einige sozialdemokratische Kollegen gesagt, dass sie das nicht zusagen können, weil sie das finanziell nicht schaffen. Wir haben 13 Wochenstunden.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Wir haben sie doch gar nicht! Das ist doch gar nicht wahr!)

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

Frau Bregenzer, wir haben 13 Stunden. Wenn Sie den Unterrichtsausfall und das strukturelle Defizit von 6,4 % zusammenzählen, kommen Sie auf ein Defizit von 10 %. Wenn Sie von 13 Wochenstunden 10 % abziehen, kommen Sie auf über zehn Stunden und somit immer noch auf eine Wochenstundenzahl, die es nahezu nirgends gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Bei den beruflichen Vollzeitschulen liegen wir, etwa bei den Technischen Gymnasien, zwischen 34 und 38 Wochenstunden. Deshalb sage ich auch für diesen Bereich: Wir legen zu.

Die zusätzlichen Lehrerstellen werden zu einem großen Teil in unser berufliches Schulwesen gehen, weil BadenWürttemberg für die Qualität seiner beruflichen Bildung überregional bekannt ist. Aber auch hier gilt: Wenn ich 10 % an Unterrichtsausfall akzeptiere, liegen wir noch weit über dem, was in anderen Ländern in die berufliche Bildung investiert wird.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Aber das ist nicht ak- zeptabel! Das ist doch der Punkt!)

Deshalb sollten Sie alle Zahlen nennen und nicht immer nur die Zahlen, die Ihnen ins Konzept passen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Zeller?

(Anhaltende Zurufe des Abg. Wintruff SPD, u. a.: Warum nicht zehn Stunden für alle Berufsschüler? – Gegenrufe von der CDU: Hier muss man sich melden! – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Wintruff, ich hatte die Ministerin gefragt, ob sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Zeller erlaubt. Seien Sie bitte so freundlich und lassen Sie Herrn Zeller sprechen.

Aber dieser Herr heißt doch Wintruff, oder?

Ja. Aber er hat nicht das Wort bekommen. Er soll sich dann melden.

(Zuruf von der CDU: Wie in der Schule!)

Frau Ministerin, das Problem ist in der Tat, mit Stichproben etwas auszusagen und mit Einzelbeispielen zu argumentieren. Ich versuche trotzdem, ein Beispiel zu bringen.

(Zurufe von der CDU: Frage!)

Frau Ministerin, ist Ihnen der folgende Inhalt des Schreibens der IHK-Bezirkskammer Esslingen der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart bekannt? Ich zitiere auszugsweise:

In den Klassen des Elektrobereichs ist der Technologieunterricht seit den Sommerferien

das gilt für dieses Schuljahr im Übrigen –

um über 50 % reduziert. In diesen Klassen war auch bereits ein starker Unterrichtsausfall in den vergangenen Jahren zu verzeichnen. Statt den im Stundenplan vorgesehenen acht Stunden werden häufig nur sechs Stunden unterrichtet. Des Öfteren werden nur halbe Schultage abgehalten.

Ich könnte dies auch noch für den Metallbereich zitieren und auf andere Bereiche ausdehnen. Es wird hier sehr genau darauf hingewiesen, was alles ausfällt. Das kann doch wohl nicht nur zufällig sein.

Herr Zeller, erstens ist mir dieser Brief bekannt. Das ließe sich übrigens mit vielen Briefen fortsetzen; ich kann für Sie noch einige hinzufügen.

Zweitens haben Sie selbst gesagt, dass wir Situationen haben – das liegt in der Natur einer Stichprobe –, die nicht im Mittelwert der Stichprobe liegen, sondern darunter oder darüber.

Sie wissen auch, dass wir im Bereich der beruflichen Bildung – Sie haben das Stichwort Technik genannt – darüber hinaus Sonderprobleme haben, weil es momentan schwierig ist, für Spezialbereiche Lehrpersonal zu finden.

Diese Beispiele ändern nichts an der Gesamtversorgung. Ich habe eben schon einmal gesagt: Für das nächste Schuljahr wie für die folgenden Schuljahre werden wir dafür Sorge tragen, dass ein Großteil der neuen Lehrerstellen in den Bereich der beruflichen Bildung geht, wie wir übrigens im nächsten Schuljahr 2000/2001 erstmals erreichen, dass die Zahl der neuen Lehrereinstellungen exakt dem Schüleranstieg entspricht, und das haben wir mit einer enormen Kraftanstrengung geschafft. Das ist eine Trendveränderung für alle Schularten.

(Beifall bei der CDU – Glocke des Präsidenten)

Sind Sie mit der Beantwortung der Anfrage des Herrn Abg. Zeller fertig?

Ja.

Herr Abg. Wintruff hat sich noch gemeldet. Gestatten Sie die Zwischenfrage?

Bitte schön.

Bitte schön, Herr Abg. Wintruff.

Frau Ministerin, Sie hatten mich gebeten, meinen Zwischenruf in eine Zwischenfrage umzuwandeln. Das will ich hiermit gern tun.

(Abg. Göbel CDU: Hätte nicht sein müssen! – Hei- terkeit)

Ich möchte Sie gern fragen, ob es dabei bleibt, dass Sie den Pflichtstundenteil der Berufsschule mit 13 Stunden bewerten und dass Sie dann auch zugeben müssen, dass der

Unterrichtsausfall bei Berufsschulen – und ich rede wohlgemerkt von den Teilzeitschulen – bei weit über 10 % liegt, nämlich derzeit bei etwa 13 %.

Als Zweites möchte ich fragen, ob Sie auch davon Kenntnis haben, dass Sie selbst seit Jahren in den Organisationserlass hineinschreiben, dass Berufsschulklassen nicht mit unter zehn Wochenstunden beschult werden sollen. Trotzdem nehmen Sie es Jahr für Jahr hin, dass wir weiterhin Hunderte von Klassen haben, die unter zehn Stunden beschult werden. Sie selbst haben dies erst vor wenigen Tagen auf einen parlamentarischen Antrag, der sich auf die Region Stuttgart und ihre Berufsschulen bezog, geantwortet.

Ich frage Sie: Wann werden Sie diesem misslichen, ja untragbaren Zustand endlich ein Ende machen?

Herr Wintruff, wir haben im Schulausschuss zigfach darüber gesprochen, was zum Beispiel Gründe sind, warum in einem großen beruflichen Schulzentrum in der Verteilung zwischen Teilzeit und Vollzeit Situationen entstehen, die ich nicht für richtig halte. Aber dann müssen wir über die 38 Stunden im Technischen Gymnasium sprechen, dann müssen wir über die Berufsschulen mit 16, 17 Wochenstunden sprechen.

(Abg. Wintruff SPD: Handeln!)

Ich rate uns, im Schulausschuss mit Beispielen zu arbeiten, und dann reden wir über die Verteilung der Ressourcen im beruflichen Schulwesen, dann reden wir auch mal mit Ihren Kollegen Schulleitern darüber, warum sie bestimmte Verteilungen für richtig halten und was mit wem abgesprochen ist. Wir tun es unentwegt, und wir können es gern weiter tun. Legen Sie mir im Schulausschuss die Beispiele vor, bei denen Sie davon überzeugt sind, dass die Verteilung von Ressourcen in einem beruflichen Schulzentrum so nicht richtig ist.

Jetzt komme ich zum nächsten Thema. Das Gymnasium habe ich angesprochen. Die zwölfjährige Schulzeit bahnt sich jetzt langsam als konsensfähig an. Das empfinde ich schon als einen Fortschritt. Ich bin davon überzeugt: Auch bei der gymnasialen Oberstufe werden wir mehr Konsens erreichen, als manche denken. Denn die Oberstufe des Gymnasiums in ihrer jetzigen Form ist altmodisch. Sie war vor 25 Jahren richtig und ist heute so nicht mehr richtig. Deshalb brauchen wir eine Weiterentwicklung, bei der erstens die Stärken der Schwerpunktbildung erhalten bleiben, bei der zweitens die Naturwissenschaften gestärkt werden, bei der drittens ein System gefunden wird, das inhaltliche und didaktische Innovationen zulässt, und wir brauchen viertens eine Stabilisierung von Kernkompetenzbereichen.

Ich bin davon überzeugt: Wir werden ein zukunftsfähiges Modell hinbekommen, und wir werden im Übrigen nicht die Einzigen bleiben. Andere werden es genauso machen, und das bedeutet für das Gymnasium einen wichtigen Schub zur Stabilisierung von Qualität.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe eben gesagt: So viel Technik in die Schule kommt, so viel brauchen wir auch musische Erziehung.