Protokoll der Sitzung vom 03.02.2000

Meine Damen und Herren, nicht nur im Bereich der ambulanten Versorgung, sondern auch in der stationären Versorgung weist dieser Haushalt klare Defizite auf. Im Bericht der Landesregierung zum Staatshaushaltsplan 2000/01 hat die Landesregierung die richtige Erkenntnis. Ich zitiere von Seite 79: Es „ist davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren die Nachfrage nach stationären Pflegeangeboten deutlich ansteigen wird“.

(Abg. Haas CDU: Ja! Selbstverständlich! Das müssen wir finanzieren!)

Im Kontrast zu dieser richtigen Erkenntnis steht der Haushaltsansatz für Investitionszuschüsse im stationären Bereich. Es sind 1999 58 Millionen DM, im Jahr 2000 30 Millionen DM und im Jahr 2001 ebenso 30 Millionen DM.

(Abg. Haas CDU: Sie hätten einen Antrag stellen müssen!)

Die Antwort der Landesregierung auf den von ihr selbst festgestellten Mehrbedarf von 30 % ist eine Mittelkürzung um 30 %.

(Abg. Seltenreich SPD: Theorie und Praxis!)

Das müssen Sie uns und vor allem den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und den Einrichtungen, bei denen es dringenden Sanierungsbedarf gibt, erst einmal erklären.

Meine Damen und Herren, das Zukunftsthema Pflege ist bei der Landesregierung leider in denkbar schlechten Händen.

(Abg. Haas CDU: Das ist unglaublich! Wir haben eine Spitzenstellung in dieser Frage! Bundesweit!)

Das Image des Landes hängt meiner Ansicht nach nicht von einem Slogan oder von einem Fernsehspot ab. Es

hängt vielmehr davon ab, was wir als relativ reiches Bundesland für unsere Pflegebedürftigen tun.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren von der CDU, es geht nicht um das Image, es geht auch um Menschen, um die vielen Pflegebedürftigen und um ihre von der gewaltigen Aufgabe häusliche Pflege oft überforderten Angehörigen. Es geht um diejenigen, die als Singles alt werden und keinerlei familiäre Hilfe bei der Pflege haben werden. Es geht auch darum, wie wir Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe und bürgerschaftliches Engagement fördern und organisieren können.

Auf diese die meisten Menschen betreffenden Zukunftsfragen gibt Ihr Haushaltsentwurf keine Antwort. Im Gegenteil: Er entmutigt durch unangebrachte Kürzungen. In der Altenhilfe brauchen wir einen konzeptionellen Neuanfang. Wir wollen mit unseren Haushaltsanträgen einen Weg aufzeigen, wie wir in den nächsten Jahren diesem Zukunftsthema gerecht werden können.

Meine Damen und Herren, noch einige Bemerkungen zu anderen wichtigen Bereichen.

Die Frauenförderung der Landesregierung ist im Sozialministerium angesiedelt. Deshalb will ich hier auf diesen Bereich eingehen. Wirtschaftsminister Döring verkündet nun schon seit 1997, er wolle zwei neue Kontaktstellen „Frau und Beruf“ einrichten.

(Zuruf des Abg. Brechtken SPD)

Diese sind aber auch im jetzigen Doppelhaushalt nicht etatisiert. Es wird auf eventuelle Privatisierungserlöse verwiesen, mit denen er eventuell zusätzliche Kontaktstellen finanzieren möchte.

Bereits im Mai 1998 hat der Landtag beschlossen, das Landesprogramm Kontaktstellen „Frau und Beruf“ in den Jahren 1998 und 1999 um vier weitere Kontaktstellen vor allem in der Fläche zu erweitern. Die SPD fordert endlich die Umsetzung dieses Landtagsbeschlusses.

(Beifall bei der SPD)

1994 wurde der gemeindepsychiatrische Verbund beschlossen. Bisher gab es bis auf einige wieder zurückgenommene Versprechungen keinerlei praktische Fortschritte.

(Abg. Haas CDU: Das ist doch nicht wahr!)

Gesetzesinitiativen der SPD, die die Regierung lediglich beim Wort nahmen, wurden abgelehnt.

(Abg. Haas CDU: Das gibts nicht!)

Im Bereich der Selbsthilfe wurden Ansätze fortgeschrieben, ohne die so wichtige Förderung neuer Initiativen einzuplanen. Bei Ihnen ist es so: Der, der im System drin ist, der ist halt drin, und bei dem wird ein bisschen gekürzt. Gerade die Selbsthilfe braucht aber Innovation und auch Chancen für neue, kleine Gruppen und innovative Förder

möglichkeiten. Deshalb haben wir in diesem Bereich 200 000 DM beantragt.

(Beifall bei der SPD)

In der Suchtkrankenhilfe herrscht trotz des Besorgnis erregenden Anstiegs der Zahl der Drogentoten gerade in Baden-Württemberg Stagnation.

(Abg. Haas CDU: Was habe ich vorhin gesagt? Das gibts doch nicht!)

Das „Njet!“ des in diesem Thema ideologisch fixierten Ministers hemmt jegliche Entwicklung im Bereich Gesundheitsräume und kontrollierte Heroinvergabe. Es freut mich besonders, dass Ihr Parteifreund Müller, der Ministerpräsident des Saarlands, jetzt im Bundesrat den Weg für diesen vernünftigen Schritt frei gemacht hat.

(Unruhe)

Stattdessen weisen Sie, Herr Repnik, auf die gut ausgebaute klassische Suchtkrankenhilfe hin. Hier zehren Sie von der Arbeit der früheren Ministerin Solinger.

Herr Abg. Dr. Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Haas?

Am Ende meines Beitrags gern, Herr Haas.

(Unruhe)

Heute müssen wir leider feststellen, dass in den letzten Jahren in der klassischen Suchtkrankenhilfe, also das, was der Herr Minister für sich reklamiert, nichts, aber auch gar nichts weiterentwickelt wurde. Ich nenne als Beispiel den Umstieg von der institutions- bzw. einrichtungsbezogenen Sichtweise zur klientenzentrierten Koordination der Suchtkrankenhilfe. Ich nenne Versuche mit regionalen Budgets und eine regionale träger- und einrichtungsübergreifende Bedarfsplanung.

Im Bereich der Familienpolitik sind die Haushaltsansätze für das Landeserziehungsgeld unverantwortlich niedrig. Das mussten Sie, Herr Minister Repnik, im Ausschuss selbst einräumen.

(Zuruf des Abg. Mühlbeyer CDU)

Es gibt die Auswirkungen des Verwaltungsgerichtsurteils Karlsruhe, und es gibt das neue Staatsbürgerschaftsrecht. Das wird zu Mehrbelastungen führen. Wie Sie bei diesen Mehrbelastungen mit weniger Geld auskommen, Herr Minister, das werden Sie uns nachher sicher vorrechnen.

(Abg. Haas CDU: Da gibt es doch einen Rechtsan- spruch, Herr Müller!)

Herr Kollege Haas, Sie haben die Situation der Kindergärten im Land angesprochen. Wir freuen uns, dass diese in Teilbereichen weiterentwickelt wurden. Ich möchte aber daran erinnern, dass Sie gesagt haben, wir gäben in diesem Bereich mehr Geld aus. Sie geben nicht mehr Geld aus, Sie machen ein Geschäft zulasten Dritter. Sie geben Mittel aus dem kommunalen Bereich aus und fördern damit die Kindergärten. Das ist die Wahrheit.

(Abg. Haas CDU: Die halbe!)

Das sollten Sie sagen. Wir haben damals bei der Gesetzgebung gesagt, es werde teurer. Sie haben gesagt, wir unkten. Heute ist es teurer, und heute loben Sie sich dafür, dass es teurer ist.

(Zuruf des Abg. Haas CDU – Zuruf von der FDP/ DVP: Finden Sie das schlecht, dass wir mehr Geld ausgeben?)

Wir haben darauf hingewiesen, dass sich die Verhältnisse im Land uneinheitlich entwickeln werden, und das ist leider so eingetreten. Wir haben teilweise – das geben wir zu – einen Fortschritt in Bereichen, aber in anderen Bereichen halt auch einen Rückschritt. Die Einheitlichkeit im Bereich der Vorschulerziehung im Land ist dadurch gefährdet. Das halten wir für einen wesentlichen Nachteil dieses Gesetzes.

Ich möchte noch zwei Punkte festhalten. Herr Minister, Sie haben im Finanzausschuss erst auf meine Nachfrage ausdrücklich versichert, dass erstens die globalen Minderausgaben nicht zulasten der Förderprogramme erwirtschaftet werden und dass zweitens die Kürzungen im Bereich des freiwilligen sozialen Jahres nachfragebedingt seien und dass bei Mehrbedarf nachfinanziert werde. Herr Minister, wir werden im Laufe des Jahres genau beobachten, ob diese Zusage Realität wird oder ob es leere Versprechungen waren.

Zusammengefasst: ein Haushalt ohne Zukunftsperspektive, ein Haushalt, der gegebene Versprechen nicht einlöst, ein Haushalt, der kürzt, wo gefördert werden müsste. Kollege Maurer hat gestern wiederholt den Satz gebraucht: „BadenWürttemberg wird weit unter seinen Möglichkeiten regiert.“ Bei dem Sozialetat muss man noch eins draufsetzen: „Baden-Württemberg wird im Sozialetat weit unter den Notwendigkeiten regiert.“

(Beifall bei der SPD)

Herr Abg. Dr. Müller, Sie wollten am Schluss eine Frage des Herrn Abg. Haas zulassen.

(Abg. Birzele SPD: Aber nicht zulasten des Kolle- gen Nagel! – Heiterkeit bei der SPD)

Was auch kein Fehler wäre. – Herr Kollege Müller, Sie haben unter anderem wörtlich gesagt, in der Suchtkrankenhilfe hätten wir nichts, aber auch gar nichts Neues getan. Ich habe vorhin vorgetragen, dass wir 593 000 DM zusätzlich in die Suchtkrankenhilfe bringen. Kann es sein – das ist die Frage –, dass Sie Ihre Haushaltsrede vor den Finanzausschussberatungen haben schreiben lassen?