Walter Müller
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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Noll, mir erschließt sich der Sinn der Debatte heute Nachmittag nicht ganz.
Ich meine, hier geht es doch um Grundfragen der menschlichen Existenz, und ich frage mich zum einen, welchen Spielraum das Land da hat, und zum anderen, ob wir das Thema in einer Aktuellen Debatte mit zweimal fünf Minu
ten Redezeit adäquat behandeln können. Ich habe da meine Zweifel.
Eines war interessant, Herr Kollege Reinhart: Sie haben die Biotechnologieregionen in Baden-Württemberg hochgehalten und gesagt, wir dürften uns nicht vom Fortschritt abkoppeln. Ich habe eine Pressemitteilung von Sozialminister Dr. Friedhelm Repnik – ich zitiere –: „Beim Umgang mit menschlichen Embryonen müssen die gesetzlichen Schranken verteidigt werden.“
Das heißt, Sie müssen sich über Ihre Sprachregelung erst einmal intern klar werden. Man kann nicht auf der einen Seite sagen: „Wir wollen im Bereich der Biomedizin und der Biotechnik Weltspitze sein und mit den USA, wo es ganz andere moralische Kriterien gibt, mithalten“, aber auf der anderen Seite die eine Klientel bedienen. Sie haben in dieser Angelegenheit meiner Ansicht nach eine ungute Arbeitsteilung: Das Feuilleton leitet Minister Repnik, und den Wirtschaftsteil machen Sie bzw. heute Vormittag der Ministerpräsident. So kann man die Debatte nicht führen, und so kommen wir auch, glaube ich, insgesamt nicht weiter.
Meine Damen und Herren, man sollte die Debatte um die Entschlüsselung des Genoms in andere Debatten, die wir hier schon geführt haben, einbeziehen, zum Beispiel in die Debatte über die Grundsätze der Transplantationsmedizin. Da geht es ja um die gleichen Fragen. Es geht um die Frage: Wo beginnt das Leben? Im Bereich der Sterbehilfe geht es um die Frage: Wo endet das Leben? Es geht im Bereich der Reproduktionsmedizin auch um die Frage: Dürfen wir alles machen, was wir machen können? Das heißt, wir brauchen eine sehr breite Debatte, in die auch die Biomedizin und die Genomforschung einbezogen werden.
Für mich ist klar, dass wir diese Debatte nicht hier im Parlament führen können. Dafür sind wir meiner Ansicht nach nicht kompetent genug, und da brauchen wir, glaube ich, auch einen sehr breiten Konsens. Man kann sich ja nicht vorstellen, dass wir hier mit Fraktionsmeinungen beschließen: So und so geht es.
Da ist das angebracht, was Professor Habermas einmal sagte: Wir brauchen dazu einen permanenten Diskurs, in dem Argument und Gegenargument vorgebracht werden, aus denen man dann gesamtgesellschaftliche Normen ableitet.
Das, meine Damen und Herren, ist nicht sehr einfach. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft. Wir leben in einer Gesellschaft, in der die christlichen Religionen nicht mehr dieselbe Bedeutung wie früher haben, und es gibt sehr viele Moralvorstellungen. Ich sehe das selbst im Bereich der Reproduktionsmedizin. Ein kinderloses Ehepaar, Herr Professor Reinhart, sieht die Angelegenheit anders als jemand, der darüber debattiert, weil er persönlich betroffen ist. Jemand, der eine Erbkrankheit hat, sieht das auch ganz anders als jemand, der abstrakt darüber diskutiert.
Das ist meiner Ansicht nach das Problem. Man ist da vom Standpunkt und von der Zeit abhängig. Mit der Zeit werden sich die Standpunkte ändern, egal, was wir machen. Ich erinnere mich noch an das, was man vor 20 Jahren zum Retortenbaby – IVF – gesagt hat. Heute ist das Alltag und wird in Aalen und Schwäbisch Gmünd gemacht, und niemand redet darüber. Denken Sie an die Transplantation der Hornhaut von Toten! Man hat gesagt: Das ist nicht zu machen. Heute ist auch das Alltag.
Das heißt, wir müssen mit der wissenschaftlichen Diskussion und mit dem medizinischen Fortschritt zu anderen Einstellungen kommen. Letztendlich muss man auch sehen, dass wir nicht in der Bundesrepublik Deutschland als einem geschlossenen Kreis debattieren, sondern dass wir in einem Europa der offenen Grenzen debattieren.
England hat ganz andere Vorstellungen, und in Frankreich wird die Präimplantationsdiagnostik ganz anders diskutiert als bei uns.
Da ist natürlich schon die Frage zu stellen: Können wir es uns leisten, dass wir da eine Insel bleiben? Was machen wir denn, wenn die betroffenen Ehepaare sagen: Wenn es das bei uns nicht gibt, gehen wir nach England? Dort wird letztendlich eine soziale Auslese getroffen. Diejenigen, die es sich leisten können, werden das letztendlich machen. Ich will zeigen, dass das ein ungeheuer schwieriges Problem ist.
Es gibt einen konkreten Punkt, Herr Noll, den Sie gerade nicht angesprochen haben. Bei diesem Genomforschungsprojekt war meiner Ansicht nach die Art der Forschung der eigentliche Knackpunkt. Es gab hier zwei Parallelen. Es gab Herrn Venter, und es gab dieses öffentliche Forschungsprojekt. Bei Herrn Venter ging es ja um diese Diskussion: Stellen wir das ins Internet? Er hat gesagt: „Ich mache das nur zum Teil, weil ich natürlich wirtschaftliche Interessen habe.“ Bei dem großen Genomprojekt von mehreren Nationen wurde gesagt: „Wir stellen das geschlossen ins Internet. Das Forschungsergebnis muss jedem zugänglich sein.“ Ich glaube, das ist der eigentliche Knackpunkt bei solchen Grundlagenforschungen: Wie geht man damit um? Wollen wir auch das privatisieren? In dieser Sache würde ich mir gern einmal Ihre Meinung anhören. Oder sagen wir: „Das ist öffentliche Grundlagenforschung; das ist jedem uneingeschränkt zugänglich zu machen“?
Das bedeutete für Baden-Württemberg natürlich, dass wir Grundlagenforschung in vielerlei Hinsicht fördern.
Über den Landesbedarf und über die Diskussion, die wir vor Ort führen können, werde ich in der zweiten Runde reden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Reinhart, Ihr Beitrag hat gezeigt, wie schwierig das Problem ist. Da gab es schon ein bisschen Kraut und Rüben – im ersten und im zweiten Teil. Im ersten Teil war es der Biotechnologiestandort Baden-Württemberg – Weltniveau auf dem US-Standard –,
im zweiten Teil war es die von der katholischen Kirche verkündete Moral in Baden-Württemberg. Das passt halt nicht zusammen. Diese Diskussion müssen Sie, meine Damen und Herren, erst einmal innerhalb der CDU führen, ehe Sie dann Erklärungen abgeben.
Zweitens, Herr Kollege Dr. Reinhart: Sie fordern in diesem Bereich klare Grenzziehungen, Sie fordern Haltelinien. Das ist nicht so einfach; das kann man nicht so machen. Sie sagen zum Beispiel: Wir wollen dort, wo Embryonen verbraucht werden, die Grenze setzen – als eines der Bei
spiele. Ich denke, es ist menschlich verständlich, dass man eine Grenze haben will. Aber in dieser Diskussion müssen wir es aushalten, dass es keine starre Grenze gibt. Wir müssen tatsächlich diskutieren; wir brauchen Ethikkommissionen, die von Fall zu Fall beraten.
Ich will Ihnen das an dem Beispiel der Ethikkommission in Lübeck erläutern. Da war eine Frau, die ein Kind gehabt hat, das mit neun Jahren an Mukoviszidose gestorben ist. Dann ist sie noch einmal schwanger geworden und hat einen Schwangerschaftsabbruch in der 18. Woche mit allen Konsequenzen auf sich genommen. Dann ist sie zu dieser Ethikkommission gegangen, und die hat gesagt: „In diesem Fall befürworten wir eine Präimplantationsdiagnostik.“ Präimplantationsdiagnostik heißt, dass man auch einen Embryo verwirft, der ein Krankheitsrisiko hat. Die Ethikkommission hat Ja gesagt. Ich glaube, es ist menschlich verständlich, einer Frau, die im ersten Fall ein Kind verloren hat, die im zweiten Fall einen späten Schwangerschaftsabbruch gemacht hat, im dritten Fall zu sagen: „In diesem Fall machen wir die Präimplantationsdiagnostik.“ Ich weiß, dass das eine schwierige Ebene ist, aber ich glaube, gerade diese Schwierigkeit gilt es in der Diskussion auszuhalten. Das ist das eigentliche Problem. Denn wenn wir selber sagen, wir errichten diese Grenzen, dann werden wir in zehn Jahren merken, dass jenseits des Rheins ganz andere Grenzen bestehen. Schon heute geht man zur Präimplantationsdiagnostik nach Belgien, und damit haben wir letztendlich auch nichts gewonnen.
Meiner Ansicht nach kann ein Vorbild in dieser Diskussion der Diskurs sein, den wir um den § 218 geführt haben. Dieser dauerte 20 Jahre lang in dieser Gesellschaft. Da hat man unterschiedlichste Positionen diskutiert. Am Ende kam ein Kompromiss heraus, mit dem viele nicht ganz zufrieden waren, aber es war der Standard, auf den wir uns einigen konnten. Ganz ähnlich wird es in diesem Bereich auch sein.
Denken Sie einmal an folgenden Fall: Wir wollen nicht in embryonale Stammzellen eingreifen. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Bereitschaft zur Organspende relativ gering. Jetzt können Sie über Stammzellen Leberorgane, Nieren und andere Organe gewinnen. Wollen Sie das den Kranken vorenthalten, um Ihre Moral hochzuhalten?
Es ist schwierig, aber ich will Ihnen zeigen, dass es in diesem Bereich einfache Lösungen nicht gibt, sondern dass man sagen muss: Wir müssen sehen, dass wir diesen Diskurs führen und dass wir diesen Diskurs dauerhaft führen.
Ich halte es auch für richtig, dass wir auf Landesebene – da komme ich jetzt auf die Landesebene zu sprechen – sagen: Das, was wir bei den Landesärztekammern an Ethikkommissionen haben, gilt es zu stärken. Das, was wir an den Universitäten haben, zum Beispiel Professor Mieth in Tübingen, der ja einen sehr dezidierten, sehr restriktiven Standpunkt in dieser Diskussion hat, gilt es auch zu fördern. Ich meine, wir können keine Kleinlösungen für Baden-Württemberg haben, sondern wir brauchen die euro
päische Diskussion. Wir müssen uns auch mit den Argumenten der Engländer und der Franzosen auseinander setzen, die die Problematik insgesamt ganz anders sehen. Wir brauchen letztendlich auch das, was die Ethikkommission beim Deutschen Bundestag, die gerade für diese Probleme eingesetzt worden ist, erarbeitet. Das kann für uns möglicherweise Richtschnur für die kommenden Jahre sein. Der Bundeskanzler hat ja auch einen Ethikrat eingesetzt, der sich mit diesen Fragen beschäftigt.
Zusammengefasst: Es gibt meiner Ansicht nach in diesem Bereich keine einfachen Lösungen. Es gibt auch nicht die Argumente, die von vornherein nur ein Pro haben, sondern es geht um eine Güterabwägung. Vor allem geht es darum, Spannungen auszuhalten, im Einzelfall zu entscheiden und zu sagen: Das ist unsere momentane Situation; sie wird in einigen Jahren völlig anders sein.
Der Kollege Kretschmann hat das Argument eingebracht: Die Grenze ist der Eingriff in die Keimbahn. Was machen Sie, Herr Kollege Kretschmann, wenn Sie irgendwelche Erbkrankheiten erkennen und tatsächlich aus diesem Menschengeschlecht beseitigen können? Sagen Sie dann: „Das geht nicht“? Sie kennen die Diskussion auf Zypern. Dort sind inzwischen 60 bis 70 % Erbträger der Thalassämie. Was machen die Zyprioten mit Billigung der Kirche? Sie haben zuerst Schwangerschaftsabbrüche gemacht. Jetzt machen sie die Präimplantationsdiagnostik, weil sie wissen: Wenn wir es nicht machen, können wir letztendlich unser Gesundheitssystem nicht mehr finanzieren und haben eine Krankheit, die wir nicht mehr beherrschen. Das heißt also, die Moral ist von vielen Dingen abhängig.
Wir haben eine internationale Moral, die sich sehr verändert. Wir haben insgesamt eine Diskussion, die ständig weitergeführt werden muss und die feste Grenzziehungen nicht verträgt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe bei den beiden Vorrednern als Antwort auf dieses Problem – Frage des Geburtenrückgangs, Frage der Bevölkerungsentwicklung – gehört, wir müssten mehr Kinder bekommen. Ich meine, das ist als Ausweg etwas zu dünn. Wir müssen uns schon die Frage stellen: Wird es nicht so sein, egal, wie wir es machen, dass wir in den nächsten Jahren mit stagnierenden bis rückläufigen Bevölkerungszahlen umgehen müssen? Angesichts der aktuellen Klimadaten, die man auf der Welt hört, ist das ja unter Umständen nicht die schlechteste Vorstellung. Ich halte es für etwas zu mechanistisch und zu biologistisch, einfach zu sagen: Jetzt kriegen wir mehr Kinder, dann können wir das Problem lösen.
Es zeigt sich auch, dass das ein Problem aller entwickelten Kulturstaaten ist und dass zum Beispiel die Reproduktionsrate bei uns bei 1,3 liegt. Frankreich mit einer vorbildlichen Familienpolitik hat 1,6. Das heißt, egal, was Sie machen, Sie werden es immer mit einer rückläufigen Bevölkerungszahl zu tun haben. Das hat nichts mit einem Familienbild aus dem 19. Jahrhundert zu tun, das Sie beide wieder mehr oder weniger restaurieren wollen,
sondern das hat etwas mit dem veränderten Leitbild insgesamt zu tun. Das Leitbild der Frau in der Gesellschaft ist halt nicht mehr das der Frau, die zu Hause sitzt und auf den Mann wartet und dann ein oder zwei Kinder erzieht, sondern das Leitbild der Frau ist heute, dass sie in ihre Lebensplanung den Beruf integriert. Sie wird ja bei einer Lebenserwartung von 81 Jahren, Frau Kollegin Blank, etwa zehn bis zwölf Jahre Erziehungszeit haben. Was macht sie in der anderen Zeit? Sie ist hoch qualifiziert. Sie ist ausgebildet. Darum muss die Antwort auf diese Frage sein: Wir müssen den Frauen die doppelte Lebensplanung erleichtern.
Gern.
Frau Kollegin, ich habe tagtäglich mit Frauen, die diese Doppelbelastung haben, zu tun. Ich weiß, dass Frauen unter dieser Doppelbelastung erheblich leiden.
Ich will Ihnen gerade einmal als Gegenbeispiel, Frau Kollegin Blank, eine Situation in Baden-Württemberg schildern: Schwanger, nein danke. Eine medizinische Assistentin will eine Stelle an einer Universitätsklinik. Sie bekommt sie nicht, weil sie schwanger ist. Das heißt, wir haben in diesem Bereich eine alltägliche Diskriminierung. Dagegen gilt es anzugehen.
Es gilt auch, einfach darauf hinzuweisen: Es gibt die Untersuchung von Angelika Tölke, die Sie sicherlich kennen. Eine Frau, die aus dem Beruf ausscheidet und wieder einsteigen will, halbiert ihre Berufschancen. Das heißt, wenn man wiederkommt, kommt man mit halbierten Berufschancen. Sicher kann man sagen: Wir machen ein partnerschaftliches Modell. Die Männer in Baden-Württemberg sind aber nicht übermäßig dazu bereit. Es ist natürlich auch nicht ganz leicht. Wer das in Baden-Württemberg macht,
wird in seinem Betrieb oft noch als Weichei angesehen, als jemand, der nicht karrierebewusst ist. Auch da muss sich etwas ändern. Ich meine zum Beispiel, jeder Personalchef einer großen Firma sollte einmal eine dreijährige Erziehungszeit mitmachen. Er sollte einmal sehen, was er tut, wenn das Kind krank ist, wenn der Hort geschlossen ist und er zur Arbeit gehen muss. Das sind die Alltagsprobleme, und sie müssen gelöst werden.
Dann wurden die instabileren Partnerschaften beklagt. Unabhängig von der beruflichen Perspektive, die heute jede Frau braucht, kann sie sich auf den Mann als Partner nicht mehr so verlassen, wie es einmal in der Vergangenheit war. Das heißt, sie hat auch ein ökonomisches Interesse daran, auf eigenen Füßen zu stehen, weil sie es sonst insgesamt gesehen überhaupt nicht schafft.
Diese Frau trifft dann auf eine Wirtschaft, in der gesagt wird: „Wir brauchen mehr Flexibilität. Du musst mit deinen Arbeitszeiten beweglich sein.“ Der Hort ist äußerst unbeweglich. „Du musst beweglich sein, was deinen Arbeitsort betrifft.“ Das Kind kann nicht jedes Jahr in eine andere Schule eingeschult werden. Ich denke, in diesem Bereich müssen wir etwas tun.
Man darf nicht nur über die Geburtenentwicklung reden, sondern man muss auch sehen, dass wir bei dieser Bevölkerungsentwicklung in den nächsten Jahren einen Mehrbedarf an Pflege haben werden. Heute Morgen habe ich Herrn Teufel über die Zukunftsoffensive sprechen hören, aber zum Thema Pflege habe ich dabei nichts gehört. Wir brauchen Fachhochschulplätze im Bereich der Pflegewissenschaften. Wir brauchen Pflegestudienplätze an Universitäten.
Unser Land ist überall „Spitze“, aber wir haben keine C-4Professur im Bereich des Zukunftsthemas Pflege. Was ist
das denn für ein Zukunftsprogramm, in dem die Pflege insgesamt nicht vorkommt?
Das heißt, wir sollten uns auch im Bereich Bauen und Wohnen Lösungen überlegen. Es ist nicht so, dass man sagen könnte: Geburtenprämien – damit wird man es schaffen. Man muss die übrigen Bereiche genauso einbeziehen. Wie man das macht, werde ich Ihnen nachher sagen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Antwort der Landesregierung zeigt Fortschritte, aber auch deutliche Defizite im Bereich der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg auf.
Fortschritte treten überall dort auf, wo es um die technisierte Medizin geht – Behandlung krebskranker Menschen, Intensivmedizin Neugeborener –, oder auch im Bereich der Pharmakologie, wobei es in diesem Bereich Grenzen gibt. So meine ich in diesem Zusammenhang bei hyperaktiven Kindern eher ein Zuviel als ein Zuwenig zu entdecken.
Aber es bestehen auch deutliche Defizite in den Bereichen gesunde Ernährung, Bewegung, Umweltmedizin sowie erhebliche Impflücken. Ferner gibt es die sehr wichtige Erkenntnis: Diese Defizite sind nicht gleichmäßig verteilt.
In Baden-Württemberg ist die Situation bei Karies von Kindern und Jugendlichen sehr gut. Andererseits aber entfallen auf 10 % der Kinder 70 % der Kariesfälle. Das heißt, es besteht eindeutig eine soziale Schichtung. Da sehe ich gegenwärtig das gesundheitspolitisch größte Problem.
Ich zitiere aus der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage:
Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien gesundheitlich ungünstigere Lebensmittel bevorzugen...
Das ist so. Ich weiß nur nicht, ob der Begriff „bevorzugen“ stimmt. Ich möchte fragen: Was ist in den Familien im Angebot? Können sie wählen? Dort sind eben vielfach Cola und Chips im Angebot, und die Jugendlichen werden daran gewöhnt. Das heißt, auch da werden kompensatorische Angebote benötigt.
Die Landesregierung sagt in ihrer Antwort außerdem: Kinder aus sozialen Unterschichten und Migrantenfamilien beteiligen sich weniger an Vorsorgeuntersuchungen.
Zusammengefasst: Deutliche Fortschritte bei der Hochleistungsmedizin, aber Stagnation und Rückschritt bei der Prävention, der Durchimpfung, gesunder Ernährung und Bewegung. Das macht deutlich, dass es im Gesundheitssystem der Markt nicht richten wird. Das ist eine deutliche Erkenntnis.
Man kann auch nicht sagen, Herr Kollege Wacker: das Budget ein bisschen erhöhen. Das Budget, das Sie erhöhen würden, würde den Familien, die zu Hause ungesund ernährt werden, überhaupt nichts nützen.
Das heißt, da werden insgesamt andere Antworten benötigt. Wir müssen nach wie vor sehen, dass Gesundheit auch in Zukunft im Wesentlichen Teil der sozialen Daseinsfürsorge und eine öffentliche Aufgabe bleiben wird.
Auch die Konsequenzen aus den Beobachtungen der Gesundheitsämter – für deren Arbeit ich danken will; es ist sehr wichtig für unser Land, dass wir sie haben – entziehen sich marktwirtschaftlichen Gesetzen. Man muss begreifen, dass Gesundheitspolitik eine Querschnittsaufgabe ist; sie betrifft auch den Umweltschutz, die natürliche Nahrungsmittelproduktion, die gesunde Bauweise – wie bauen wir unsere Schulen, wie dichten wir sie ab, warum haben wir so viele Schimmelpilze? –, und sie betrifft natürlich auch den Sport und die Förderung der Sportvereine.
Ich zitiere weiter aus der Antwort der Landesregierung:
Die Defizite im familiären und sozialen Umfeld vieler Jugendlicher erfordern nachhaltige gesamtgesellschaftliche Lösungsansätze.
Die Landesregierung spricht von Defiziten im familiären Bereich und von gesamtgesellschaftlichen Lösungsansätzen. Das halte ich für einen Fortschritt. Sie haben bisher immer auf die Familie verwiesen, die es schon richten werde, wenn man sie fördert. Die zitierte Aussage ist meiner Ansicht nach ein Schritt in Richtung Realität. Die Familien werden es nicht mehr überall richten können. Das heißt also, wir brauchen kompensatorische Einrichtungen.
Sie verweisen in Ihrer Antwort auch darauf, dass es Angebote im Bereich Prävention gibt. Aber ich frage Sie: Wer nutzt das Angebot? Zum Beispiel ist das Angebot der Prävention im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung mittelstandsorientiert. Wer geht zur Verbraucherberatung zwecks gesunder Ernährung? Derjenige, der wissen will, welches Müsli noch ein wenig besser ist als das andere. Aber derjenige, der seine Kinder mit Cola und Chips versorgt, geht nicht zur Verbraucherberatung.
Das heißt, wir müssen uns auch fragen, wie wir gesundheitspolitische Ansätze schichtenspezifisch umsetzen können.
Im Land gibt es gute Beispiele dafür, etwa im Bereich der Drogenprophylaxe. Der Drogenbeauftragte vor Ort bemüht sich darum, gewisse Gruppen zu erreichen. Ein anderes Beispiel ist die Prävention der Aids-Initiativen in BadenWürttemberg. Das zeigt, dass man die Erhaltung der Gesundheit nicht allein dem Medizinbetrieb überlassen kann – der macht das in seinen Teilbereichen gut –, sondern sie ist insgesamt eine sozialpolitische Aufgabe. Wenn Sie nun sagen, die Familien packten das nicht mehr – das sehen wir genauso –, ist die logische Folgerung daraus, dass Sie auch im pädagogischen Bereich für mehr Ganztagsangebote eintreten müssen.
Sie können nicht sagen: Wir packen das alles in den bisherigen Stundenplan. Die Kinder, die es zu Hause nicht erfahren, können vielleicht in der Schule gesunde Ernährung lernen. Sie können Bewegung in der Schule erfahren.
Ich meine, wir müssten in den Schulen mehr Bewegungsangebote haben.
Noch mehr trifft das auf den Vorschulbereich zu. Das wird aus der Antwort der Landesregierung ganz deutlich. Das Essverhalten wird in den ersten vier, fünf Lebensjahren geprägt. Das Bewegungsverhalten wird in den ersten vier, fünf Jahren geprägt. Deshalb meine ich, dass es ganz richtig ist, dass wir von der SPD-Landtagsfraktion immer Wert gelegt haben auf Qualitätssicherung in den Vorschuleinrichtungen, Ganztagsbetreuungseinrichtungen, qualifizierte Angebote und Weiterbildung der Erzieherinnen. Das sind die Punkte, die letztendlich Investitionen in Gesundheit darstellen.
Ein letzter Punkt, den ich noch ansprechen will, betrifft ein Thema, das hier gar nicht vorkommt; die Landesregierung geniert sich vielleicht wegen ihrer Untätigkeit. Kinderschutzambulanzen waren eine Forderung der Enquetekommission „Kinder in Baden-Württemberg“. In dieser Hinsicht ist in den letzten Jahren überhaupt nichts passiert. Hier könnte das Land selbst etwas tun, und es könnte natürlich auch im Bereich der Prophylaxe etwas tun.
Mich als Arzt ärgert es immer, dass wir es nie geschafft haben, Jodprophylaxe flächendeckend durchzuführen.
Ja. – Wenn wir die Jodprophylaxe – die ist mir jetzt ein Anliegen, deshalb werde ich den Satz noch zu Ende führen, Herr Präsident –...
... flächendeckend durchführen würden, könnten wir manche chirurgische Abteilung, die im Land Baden-Württemberg Kröpfe operiert, schließen. Das heißt, wir müssen einen breiteren, einen sozialpolitischen Ansatz der Gesundheitspolitik haben. Dann werden wir in diesem Bereich auch weiterkommen. Die bisherige Devise „Mehr Geld ins System, mehr Geld ins Budget“ ist falsch. Wir brauchen einen Gesamtansatz. Dann kann man mit weniger Mitteln mehr erreichen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat dem Gesetzentwurf zugestimmt. Wir möchten aber noch einmal ausdrücklich wie im Ausschuss betonen, dass wir Artikel 1 Nr. 9 des Gesetzentwurfs – das bezieht sich auf die Weiterbildungsermächtigung für die Psychotherapeutenkammern – in der vorliegenden Fassung ablehnen. Wir meinen, dass die Psychotherapeutenkammern in gleicher Weise wie die Ärztekammern zur Weiterbildung ermächtigt sein sollten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben bei den Brustkrebserkrankungen einen deutlichen Fallzahlanstieg. Gründe dafür wurden in der Stellungnahme der Landesregierung genannt. Ich möchte noch einen ganz wichtigen Grund hinzufügen, an dem wir relativ wenig ändern können. Brustkrebs ist ein Krebs, der mit zunehmendem Alter sehr viel häufiger wird. Es gibt Untersuchungen, die besagen: Wenn alle Frauen hundert Jahre alt würden, hätte jede dritte Brustkrebs. Unabhängig vom Stand der Forschung wird also die Altersentwicklung, werden die erweiterten Lebenschancen zu erhöhten Risiken in diesem Bereich führen.
Deutliche medizinische Fortschritte gibt es auch in BadenWürttemberg im Bereich der brusterhaltenden Therapie und bei der Fünf-Jahres-Überlebensrate. Ich bin seit 25 Jahren Frauenarzt. Die Chancen haben sich in diesem Zeitraum etwa verdoppelt, kann man sagen. Dennoch gibt es jährlich bundesweit 19 000 Tote und 40 000 Neuerkrankungen. Brustkrebs ist inzwischen der häufigste Krebs bei Frauen.
Ein Schwerpunkt der künftigen Arbeit muss nicht eine Verbesserung der Therapie sein, sondern die Früherkennung. Ich nenne erstens die Propagierung der Selbstuntersuchung, die ich für sehr wichtig halte, und zweitens die regelmäßige Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen, vor allem zwischen dem 50. und dem 80. Lebensjahr. Diese Frauen denken oft: Bei mir lohnt es sich nicht mehr, ich bin darüber hinaus. Das ist genau die falsche Einstellung, in diesem Alter ist Vorsorge wichtig.
Ein dritter Punkt ist die Verbesserung der Frühdiagnostik. Wir haben in diesem dritten Bereich politischen Handlungsbedarf. Wir müssen die Qualitätssicherung erheblich weiterentwickeln. Die SPD hat im Dezember des vergangenen Jahres einen Antrag zur Verbesserung der Qualitätssicherung gestellt, der im Sozialausschuss diskutiert wurde. Ich zitiere aus der Stellungnahme der Landesregierung:
Die Landesregierung ist der Auffassung, dass mit den vorhandenen rechtlichen Vorgaben und wissenschaftlichen Leitlinien zur Qualitätssicherung bereits zum jetzigen Zeitpunkt wirksame Instrumente zur weiteren Optimierung der Früherkennung vorhanden sind.
Das war die Meinung der Landesregierung, getragen von CDU und FDP/DVP, im März dieses Jahres. Im Oktober sehen Sie plötzlich Handlungsbedarf, und den eigentümlicherweise – oder verständlicherweise – auf Bundesebene. Da wird jeder fragen: Wer hat denn in den letzten 15 Jahren regiert,
und können wir alles, was Sie in diesen 15 Jahren haben schleifen lassen, in zwei, drei Jahren korrigieren? Ich meine, dass Sie als Landes-CDU zuerst einmal die Verantwortung im Lande übernehmen sollten.
Ich denke, es muss etwas getan werden. Wir sprechen uns wie die Landesregierung für ein flächenhaftes Mammographie-Screening aus. Allerdings muss diesem flächenhaften Mammographie-Screening eine Qualitätssicherung voraus
gehen. Auch darin sind wir uns mit der Fachwelt einig. Ich zitiere Professor Ulrich Mödder, den Präsidenten der Deutschen Röntgengesellschaft:
Es gibt Röntgengeräte, die man eigentlich auf der Stelle einziehen müsste.
Dr. Altland, sein Vertreter, sagt:
Es ist inakzeptabel, dass es so unterschiedliche Qualitätsniveaus gibt.
Das heißt, angesichts dieser unterschiedlichen Qualitätsniveaus der Geräte und der Auswertung können wir zu den Frauen nicht sagen: Macht Screening. Screening bedeutet: Bei 1 000 Untersuchungen entdeckt man ein bis drei Mikrokarzinome, aber es werden 997 Frauen bestrahlt mit einer Dosis, die heute einfach nicht mehr akzeptabel ist.
Heute gibt es Geräte, die bei zehn Mammographien dieselbe Strahlendosis abgeben wie ein anderes Gerät bei einer. Wir sind nicht auf dem Stand dessen, was wissenschaftlich möglich ist. Deshalb sagen wir: Erst muss die Qualitätssicherung da sein; dann kann man Screening machen.
Diese Meinung kam übrigens aus Holland, wo schon Screening durchgeführt wird. Dort wurde gesagt: Ohne Qualitätssicherung ist ein Screening für Frauen mit Sicherheit gefährlich, und zwar auch deshalb, weil man nach dem Screening denkt, man hat nichts. Dabei war nur die Bildauflösung zu schlecht. Man wiegt sich ein Jahr in Sicherheit, und in Wirklichkeit war doch ein Mikrokarzinom da, das erst später erkannt wird.
Die SPD-Fraktion sagt also klar und deutlich: Zuerst müssen wir die Qualitätssicherung in den Griff bekommen. Wir brauchen auch eine Verbundkette, in der zum Beispiel die Probeexzision ebenso enthalten ist wie der Ultraschall, also nicht nur die Mammographie. Qualitätssicherung verbessern heißt für uns, die Geräte auf den Stand zu bringen, der wissenschaftlich möglich ist, die Absenkung der Strahlendosis, die bessere Ausbildung des Assistenzpersonals, die Einführung einer lückenlosen Dokumentation. Bestehende Praxis im Land ist ja, dass der Röntgenologe letztlich gar nicht weiß, was bei der Probeexzision herauskam. Er muss eine Rückmeldung erhalten. Darum sagen wir: In diesem Bereich muss es eine lückenlose Dokumentation geben. Wir brauchen außerdem Kontrollzentren, die unabhängig sind und die diese Geräte kontrollieren, sowie eine Doppelbefundung.
Zusammengefasst: Die EUREF-Richtlinien, die diesen Standard vorsehen, müssen wir auch in Deutschland umsetzen.
Abschließend komme ich auf ein Kompetenzproblem zu sprechen. Zuständig ist zum einen die Selbstverwaltung. Mich wundert es, Herr Kollege Glück, dass sich die FDP/ DVP einem Antrag, in dem ein Bundesgesetz zur Qualitätsverbesserung der Mammographie gefordert wird, gleich
anschließt. Ich höre vom Kollegen Noll immer „Vorfahrt für die Selbstverwaltung“, Freiwilligkeit usw.
Jetzt kommt plötzlich die große Keule. – Frau Kollegin Stanienda, wir brauchen kein Qualitätsgesetz. Wir bräuchten allerdings eine Veränderung des § 16 der Röntgenverordnung auf Bundesebene. Das würde reichen.
Wir brauchen einen Landesminister, der das Problem ernst nimmt,
der nicht immer nur Tiraden vom Globalbudget usw. macht,
sondern der vor Ort in diesem Bereich konkret handelt und der sagt: Was kann ich hier machen? Seine Amtskollegin Stamm in Bayern hat die Verbände eingeladen und gefragt: Was können wir erreichen?
Herr Repnik verweist auf den Bund und schimpft im Übrigen aufs Globalbudget. Das ist keine Politik im Interesse der Frauen, die betroffen sind.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss.
Ich muss noch etwas zum Antrag der Kollegin Stanienda sagen. Meiner Ansicht nach ist er relativ billig. Sie fordern das, was Sie selbst nicht erledigt haben.
Ich kenne ja die Diskussion. Beim Landespsychiatriegesetz sagt die CDU: „In der Ruhe liegt die Kraft. Wir machen nichts. Wir warten einmal ab.“
Und dann wollen Sie Schnellschüsse von der Bundesregierung. Anschließend sagen Sie: „Das ist ein Schnellschuss. Wir sind dagegen.“ So kann man keine Politik machen.
Wir meinen, dass man die Röntgenverordnung auf Bundesebene ändern muss. Wir meinen aber auch, dass Sie vor Ort zunächst einmal Ihre Hausaufgaben machen müssen. Sie müssen mit der Landesärztekammer und mit den Fachverbänden reden.
Dann müssen Sie vor Ort ein Modell wie das von Professor Barth umsetzen. Das wäre Politik. Alles andere sind Schaugefechte.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Minister Repnik weigert sich, über eine Rechtsverordnung die Einrichtung von Gesundheitsräumen in Baden-Württemberg zu ermöglichen.
Er weigert sich.
Die Kollegin Bender hat die Funktion dieser Gesundheitsräume schon erklärt. Ich möchte diese Erklärung in einem Punkt ergänzen: Gesundheitsräume – das haben auch die Erkenntnisse in der Schweiz gezeigt – sind oft der Einstieg zum Ausstieg. Dort können Sie Leute erreichen, die Sie sonst nicht erreichen können.
Herr Minister, die Mehrheit in diesem Parlament denkt anders.
Ich denke an die Fraktion der SPD, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ich denke aber auch an viele Abgeordnete der CDU, zum Beispiel an die Kollegen Birk, Ruder oder den ehemaligen Sozialminister Vetter.
Herr Vetter ist am Ende seiner Amtszeit endlich zu den richtigen Erkenntnissen gelangt.
Das heißt, Sie betreiben eine Politik gegen die Mehrheit in diesem Parlament.
Sie setzen Ihre realitätsferne, erkenntnisresistente Geisterfahrt in diesem Bereich weiter fort.
Das tun Sie gegen die gesamte Fachwelt,
gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, gegen die Zahlen aus Hannover und Frankfurt.
Die Kollegin Blank hat gerade Frankfurt genannt.
Warum hört denn Ihre Parteifreundin Roth mit dieser Sache nicht auf? Sie betreibt das weiter, weil sie sagt: Das hat Vorteile. Da können Sie mit Ihren Gerichtsurteilen kommen. Fragen Sie doch einmal die Oberbürgermeisterin von Frankfurt, warum sie es macht.
Sie setzen Ihre Geisterfahrt auch gegen die betroffenen Kommunen in Baden-Württemberg – Lörrach, Karlsruhe sind genannt – fort.
Herr Minister, ich habe in diesen Tagen ein Zitat von Ihnen gehört. Sie haben beim Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem eine Rede gehalten – allerdings nicht in Jerusalem, sondern in Stuttgart:
Als christlicher Politiker muss ich aber genauso bereit sein, dem Opfer der Sucht jegliche erdenkliche Hilfe anzubieten,
um ihm das schiere Überleben zu ermöglichen.
Diesen selbst gesetzten Maßstäben werden Sie mit Ihrer sturen Politik nicht gerecht.
Mit christlicher Barmherzigkeit hat das schon gar nichts zu tun. Ich erinnere nur an die Haltung der Caritas oder der Diakonie, die ja im Auftrag der Kirche Barmherzigkeit in Baden-Württemberg praktizieren. Die sind genau gegenteiliger Meinung.
Noch interessanter ist aber in der Presseerklärung, wie Sie das begründen. Sie sagen: Ich war einmal in einem solchen Gesundheitsraum, und da habe ich in der Umgebung gesehen, dass da mehr gehandelt wird. Das sind Erkenntnisse, die Sie Zahlen aus Städten wie zum Beispiel Hannover und Frankfurt und wissenschaftlichen Untersuchungen aus der Schweiz entgegensetzen. Herr Repnik fährt einmal vorbei und sieht ein paar Dealer, und das ist die Grundlage einer Entscheidung.
Ich denke, das ist nicht tragbar.
Das kann man vielleicht als Abgeordneter machen, aber als verantwortlicher Minister eines Landes muss man seine Entscheidungen aufgrund wissenschaftlicher Grundlagen und fundierter Erkenntnisse treffen.
Ich denke, Sie werden Ihrer Verantwortung in diesem Bereich noch nicht ganz gerecht.
Stattdessen haben Sie eine Drogentotenstudie mit dem Ziel in Auftrag gegeben – die betroffenen Ärzte haben sich ja schon gewehrt und beschwert –, denjenigen, die diese schwere Arbeit im Bereich der Substitution machen, noch eins ans Bein zu geben. Sie sagen: Ihr macht es nachlässig, ihr seid verantwortlich für Todesfälle. Sie sollen in diesem Bereich die Strukturen stärken, damit auch einmal die psychosoziale Begleitung neben der Substitution eine Rolle spielt, damit wir ein flächendeckendes Angebot an Substitution haben.
Sie wollen auch Ihre Vorurteile gegen die Methadonsubstitution noch einmal bestärkt haben. Man muss natürlich sagen: Wer mit Methadon substituiert, hat es mit Schwerstkranken zu tun.
Natürlich hat zum Beispiel ein Schönheitschirurg weniger Todesfälle als ein Krebschirurg, Herr Kollege Haas. Das kann man aber dem Krebschirurgen nicht anlasten. Wer Substitution macht, behandelt Schwerstkranke und geht ein ganz anderes Risiko ein.
Das Todesrisiko ist genau das gleiche.
Der Arzt, der das behandelt, braucht die Unterstützung und braucht nicht einen Minister, der ihm hinterherschnüffelt und sagt: Da und da ist es falsch gemacht worden.
Interessant ist abschließend – die Kollegin Bender ist auch schon draufgegangen – –
Interessant – die Kollegin Bender ist auch schon darauf eingegangen – ist die Haltung der FDP/DVP in dieser Frage. Herr Kollege Glück, ich sehe Sie vor mir. Sie haben
mir oft richtig Leid getan. Da sitzt er da und sagt: Gebt mir noch ein bisschen Zeit. Dieses Spiel fing 1996 an. Da haben Sie zum ersten Mal gesagt: Wir brauchen ein wenig Zeit. Inzwischen haben wir das Jahr 2000. In elf Monaten ist die Legislaturperiode vorbei. Sie müssen uns also schon einmal erklären, wie viel Zeit Sie noch brauchen; denn Sie sind momentan in der Gefahr,
sich nicht nur unglaubwürdig, sondern in der Sache irgendwie lächerlich zu machen.
Die Verantwortung, die ich dem Kollegen Repnik gerade ins Stammbuch geschrieben habe, gilt natürlich in gleicher Weise für Sie. Sie müssen sagen, was Ihnen wichtiger ist: der Friede in der Koalition oder die Überlebenshilfe in Baden-Württemberg. Vor dieser Entscheidung stehen Sie heute. Da meine ich, dass man nicht wieder vertrösten kann. Sie erinnern mich manchmal an die Argumente, die es früher in der Sowjetunion gab. Da hieß es immer: Morgen wird der Kommunismus eingeführt.
Das hat man 70 Jahre lang gesagt. Ähnlich verhalten Sie sich in diesem Bereich, und heraus kommt nichts.
Ich will den Vergleich nicht weiterführen. Die Sowjetunion ist schließlich untergegangen. Das wünsche ich Ihnen nicht. Aber ich meine, diese Haltung, Ihre Entscheidung immer wieder auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, wird der Sache nicht gerecht. Sie können heute Ihrer Überzeugung gerecht werden und können sagen: Wir treten für Gesundheitsräume in Baden-Württemberg ein; wir unterstützen den Antrag der Grünen.
Herr Minister, wie erklären Sie es sich, dass die Ärzte, die ordentlich substituieren, nämlich zum Beispiel die Sprecher des Suchtarbeitskreises,
sich genau gegen Ihre Untersuchung verwahrt und gesagt haben, das sei nicht der richtige Weg?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kollege Haas hat mit seinem Beitrag gezeigt, dass die CDU-Landtagsfraktion in der Rentendiskussion nicht auf der Höhe der Zeit ist.
Wir haben doch die öffentliche Diskussion innerhalb der CDU verfolgt: Polemisieren bis zu den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und dann zurückkehren zur Sachpolitik. Sie sind genau den alten Weg weitergegangen, haben sich der Sachpolitik verweigert und haben wieder Begriffe eingeführt wie Wahllüge, wie Rentenbetrug.
Dies ist eine Diskussion, die keinem Rentner in BadenWürttemberg weiterhilft.
Meine Damen und Herren, wer von Rentenbetrug spricht, muss sich natürlich nach seiner eigenen Erfolgsbilanz in der Rentenpolitik fragen lassen. Da, Kollege Haas, meine ich, haben Sie allen Anlass, in Sack und Asche zu gehen und nicht hier vorne so große Worte zu machen.
Ich erinnere daran: Rentenbeiträge in Rekordhöhe! 20,3 % waren Ihre Hinterlassenschaft. Die Rentenkassen waren leer.
Nicht einmal die gesetzliche Mindestreserve war drin. Die Rentnerinnen und Rentner mussten in den Jahren 1995 bis 1998 einen Kaufkraftverlust von 4 % hinnehmen.
Sie haben einen Kahlschlag bei den Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten gemacht, der bedeutet hat, dass jeder, der erwerbsunfähig wurde, praktisch direkt zum Sozialamt gehen konnte.
Das war Ihre „Erfolgsbilanz“. Ich meine, bei einer solchen „Erfolgsbilanz“ kann man nicht hier vortreten und so die Backen aufblasen, Kollege Haas, wie Sie das getan haben. Das geht nicht.
Man muss natürlich auch fragen: Wo kommt das her? Ich rufe in Erinnerung: 1990 Wiedervereinigung. Sie haben gesagt: Wir zahlen die Wiedervereinigung aus der Portokasse. In Wirklichkeit war die Rentenkasse in den Jahren 1990/91 Ihre Portokasse.
Sie haben Ihre Wiedervereinigungslüge auf Kosten der Rentnerinnen und Rentner im Lande finanziert.
Was hat die neue Bundesregierung getan? Wir haben die Beiträge von 20,3 auf 19,3 % gesenkt. Wir haben die Beitragszahler entlastet.
Wir haben im Interesse des Rentensystems dafür gesorgt, dass sich die Einnahmesituation durch unpopuläre Maßnahmen im Bereich der 630-DM-Arbeitsverhältnisse verbessert hat.
Wir haben die versicherungsfremden Leistungen, die Sie aufgebaut haben, über die Ökosteuer abgebaut. Wir haben den Karren aus dem Dreck gezogen, und dann kann man doch nicht hergehen und uns noch Dinge vorwerfen, die überhaupt nicht zutreffen. Wir haben Ihre versicherungsfremden Leistungen abgebaut.
Die Rentenkasse hat erstmals wieder eine Mindestreserve von 26,3 Milliarden DM. Sie hatten die Mindestreserve nicht eingehalten. Wir haben den Kahlschlag bei den Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten zurückgenommen, und die Rentner bekommen zum ersten Mal seit vier Jahren wieder einen Zuschlag.
Wir hätten gerne mehr gemacht; aber bei Ihnen hat es in den letzten vier Jahren minus 4 % gegeben. Wir haben gesagt: Wir steigen für zwei Jahre aus, weil die Kassenlage so verheerend ist. Trotzdem bekommen die Rentner mehr als in den vier Jahren vorher.
Da muss ich auf das Spiel des Ministers Repnik in dieser Frage eingehen. Im letzten Jahr gab es das Haushaltssicherungsgesetz. Im Haushaltssicherungsgesetz stand die Aussetzung der Nettoanpassung. Sie haben den Vermittlungsausschuss nicht angerufen. Sie haben es akzeptiert, weil Sparen populär ist. Jetzt kommt die Rechtsverordnung, und jetzt sagt der Minister in Baden-Württemberg: Die Rechtsverordnung lehne ich ab. Beim Sparen dafür sein, aber dann, wenn es beim Sparen zum Schwur kommt, dagegen sein, das ist eine Politik, die ich für populistisch halte und die auch verkehrt ist.
Sie haben natürlich das Glück, Herr Minister Repnik, dass es auch in der CDU noch vernünftig denkende Menschen gibt. Der Kollege Biedenkopf und auch der Kollege Diepgen aus Berlin lassen das Gesetz passieren. Sie haben sich also in dieser Frage ziemlich isoliert.
Ich darf auch den Präsidenten des VdK zitieren: Jetzt einfach zu blockieren wäre der schlimmste Fall; die Rentner bekommen dann überhaupt nichts.
Das ist genau die Politik, die Sie insgesamt machen wollen.
Insgesamt meine ich, dass die CDU überhaupt keinen Anlass hat, eine kesse Lippe zu riskieren. Ihre Bilanz war verheerend. Wir haben den Karren aus dem Dreck gezogen.
Ein Letztes noch, und zwar zur Situation am Arbeitsmarkt. Wir haben die Trendwende am Arbeitsmarkt geschafft.
Sie wissen, Herr Kollege Haas: 100 000 Arbeitslose weniger bedeuten 1 Milliarde DM mehr in der Rentenkasse.
Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Jagoda, sagt: In den nächsten zwei Jahren können es 500 000 Menschen sein, denen wir wieder Arbeit geben. Das bedeutet in der Rentenkasse jährlich insgesamt 5 Milliarden DM mehr. Das ist die Wende, und ich meine, dass die Politik, die sagt: „Wir wollen die Arbeit über die Ökosteuer entlasten, und wir wollen Arbeit wieder fördern“, richtig greift und dass wir einen richtigen, einen ursächlichen Ansatz haben.
Das Beitragsaufkommen wird infolge der erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung deutlich steigen. In der zweiten Runde werde ich noch auf den Inhalt des Papiers der Alterssicherungskommission eingehen.
Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren!
Ich muss zunächst auf zwei Dinge eingehen, die immer wieder als Legenden vorgebracht werden. Das ist einmal das Thema Ökosteuer und zweitens das Thema Rentenanpassung.
Ich fange beim zweiten Thema an, beim Thema Rentenanpassung. Da verbreiten auch Sie, Herr Kollege Mühlbeyer, zum wiederholten Mal die Unwahrheit. Es war traditionell so, auch schon in den Vorjahren, dass die Anpassung der Renten, damals an die Löhne, immer rückwirkend im nächsten Jahr erfolgte. Genau das Gleiche macht die jetzige Regierung mit ihrer Anpassung.
Das heißt, wir können natürlich nicht den Kaufkraftverlust des Jahres 2000 mit der Rente 1999 ausgleichen.
Jetzt lassen Sie doch einmal die Faxen da vorne, und hören Sie mir einmal zu.
Es ist selbstverständlich, dass auch die Belastung der Rentner durch die Ökosteuer in diesem Kaufkraftverlust enthalten ist. Das heißt, die Rentner erhalten einen Ausgleich. Auch da erzählen Sie ein Märchen, das Sie immer wieder vorbringen. Sie nehmen klammheimlich und mit Freude die sinkenden Beiträge hin und lamentieren über die Ökosteuer. Das passt nicht zusammen. Da müssen Sie den Beitragszahlern sagen: Bei uns wären wir bei 20,5 %, aber ohne Ökosteuer. Aber gegen die Ökosteuer polemisieren und die Beiträge hinnehmen, das passt halt nicht zusammen.
Herr Kollege Mühlbeyer, Sie haben gesagt: „Legen Sie doch endlich mal ein schlüssiges Konzept vor!“ Das Konzept liegt seit einigen Monaten vor.
Ich frage einmal: Wie ist denn das bei Ihnen? Was macht denn Herr Merz? Herr Merz sagt: Rente ab dem 70. Lebensjahr. Ich habe hier einen Bericht aus der „Süddeutschen Zeitung“: Offener Streit zwischen Wulff und Seehofer. Die streiten sich in der Kommission, weil sie nicht einig sind.
Und da sagen Sie: Schlüssiges Konzept.
Ich erinnere an den Kollegen Biedenkopf, der die steuerfinanzierte Grundsicherung will.
Sie haben also einen gemischten Chor, der im Wesentlichen Katzenmusik produziert. Das muss man einfach sagen.
Gestern kam noch die Junge Union Baden-Württemberg – denen müssen Sie auch einmal das Papier geben – und sagte: Das ist alles Käse; wir wollen die Kapitaldeckung.
Also wieder ein völlig neues Fass. Und da stellen Sie sich hin und fordern! Riester und die Koalition haben ein Konzept, aber Sie haben Dissonanzen auf allen Ebenen und sagen: Macht doch ein schlüssiges Konzept!
So kann man das nicht machen.
Man muss natürlich auch fragen: Was für eine Relevanz haben die Vorschläge der Alterssicherungskommission? Ist das die Haltung der Kommission, die Haltung des Ministers, die Haltung der CDU oder die Haltung der Landesregierung? Wenn es die Haltung der Landesregierung ist – davon gehe ich aus –, dann ist es ein Fortschritt, dann haben Sie die FDP doch in weiten Bereichen von ihren Kapitaldeckungsfantasien abgebracht
und hin zur solidarischen Grundsicherung gebracht. Aber dann heißt das natürlich auch, dass Sie mit dem Papier jetzt auf Wanderschaft gehen. Sie, Herr Minister, müssen sagen, ob Sie eine Bundesratsinitiative in diesem Sinn machen. Aber dann müssen Sie auch den gemischten Chor innerhalb der CDU einmal auf Vordermann bringen.
Das ist meiner Ansicht nach eine Basis. Ich halte die Vorschläge der Alterssicherungskommission für wesentlich besser als das, was Sie heute hier produziert haben und was die CDU auf Bundesebene vorstellt: Das Thema sind sicher wesentliche Dinge im Bereich der steuerfinanzierten Grundsicherung. Ich meine, dass in dieser Hinsicht in der Kommission nichts da ist. Wir haben noch kein Konzept gegen die Altersarmut. Wir werden in der Zukunft mehr gebrochene Lebensläufe und nicht mehr den Eckrentner mit 45 Jahren haben. Was machen Sie mit dem Rest? Da kann man nicht sagen: „Steuer will ich nicht!“ Aber was tun Sie denn mit den Menschen? Dafür haben Sie kein Konzept.
Sie haben auch gesagt, Sie wollten die Kindererziehungszeiten noch ausdehnen. Dabei geht es darum, wie man das finanzieren will.
Dazu sagen Sie, Sie machten es mit der nachgeordneten Besteuerung. Das hilft uns aber in den nächsten Jahren nicht. Eine Finanzierung für diesen Bereich müssen Sie sicher noch nachliefern.
Mich freut besonders: Im Bereich der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten sind Sie kräftig zurückgerudert. Da hatten Sie ja den Kahlschlag auf der Bundesebene selber
gemacht. Das, was die Sicherungskommission jetzt bringt, ist meiner Ansicht nach wesentlich besser. Aber Sie müssen natürlich die Finanzierung nachliefern. Sie haben eine Rentenpolitik gemacht, die die Kassen geleert hat und bei der nicht einmal die Mindestreserven vorhanden waren. Sie haben den Marsch in die Verschuldung zu verantworten. Das läuft halt mit uns nicht. Das heißt, wir gewähren nur das an Leistung, was wir letztendlich finanzieren können. Darum meine ich: Im Bereich der Finanzierung müssen Sie noch nachbessern.
Insgesamt meine ich, dass das vorliegende Konzept eine Diskussionsgrundlage ist. Wenn Sie mit ihm auf Bundesebene antreten, dann ist das vernünftig. Man muss noch einiges nachbessern, aber es ist sicher eine Grundlage, und für die CDU – das sage ich hier so deutlich – ist es ein Fortschritt. Gegenüber dem, was Sie in der Vergangenheit geboten haben, muss man jetzt sagen: Das ist schon ganz gut. Damit hat man eine Grundlage. Aber Sie müssen das halt im eigenen Laden durchsetzen.
Das ist ganz wichtig.
Sie müssen als Landesregierung eine Bundesratsinitiative ergreifen.
Es heißt ja „Alterssicherungskommission des Landes“. Wir haben natürlich neben der Rentenversicherung ein zweites großes Problem, das uns im Land noch mehr trifft: die Finanzierung der Pensionen in der Zukunft. Herr Repnik, Sie müssen zusammen mit dem Finanzminister hergehen und sagen: „Die Alterssicherungskommission hat jetzt einen Vorschlag gemacht, den setze ich um, aber ich gehe weiter und überlege einmal, wie es mit den Pensionen im Land Baden-Württemberg in den nächsten 10, 20 Jahren weitergehen soll.“ Da haben Sie größere Probleme; da sind Sie direkt betroffen.
Zusammengefasst: Herr Mühlbeyer, Herr Haas und auch die CDU sollten die Polemik lassen. Das steht nicht mehr auf der Tagesordnung. Sie haben einen einigermaßen vernünftigen Vorschlag, auf dessen Grundlage man diskutieren kann. Setzen Sie ihn in den eigenen Reihen durch, machen Sie etwas im Bundesrat, dann werden wir zu einem Kompromiss kommen.
Herr Kollege Noll, was machen Sie denn in Ihrem Konzept mit den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die keine Eigenvorsorge betreiben können, weil ihr Einkommen einfach zu gering ist? Die werden im Alter eine relativ niedrige Rente haben, weil sie wenig Beiträge geleistet haben, und die haben in jungen Jahren keine Möglichkeit, Eigenvorsorge zu betreiben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Dank und die Anerkennung der SPD-Fraktion gilt den Zivildienstleistenden im Lande.
Die Zivildienstleistenden haben in den vergangenen Jahrzehnten gute Arbeit geleistet, so gute Arbeit, dass sogar die CDU-Fraktion zu einer positiven Bewertung des Zivildienstes kommt.
Ich freue mich darüber, denn als ich persönlich vor dieser Frage stand, war der Zivildienst der Bereich derjenigen, wo sich nach Ihrer Meinung die Drückeberger organisiert haben. Ich beglückwünsche Sie zu dieser Meinungsänderung.
Meine Damen und Herren, die Kollegin Stanienda hat die Funktion des Zivildienstes nicht richtig beschrieben. Der Zivildienst, Frau Kollegin Stanienda, hatte nie einen Sicherstellungsauftrag für die sozialen Einrichtungen im Lande.
Der Zivildienst hatte immer Zusatzfunktion, und dadurch, dass die jungen Männer so hervorragend gearbeitet haben, sind sie in diese neue Rolle hineingewachsen. Diese Rolle war ihnen aber ursprünglich nicht zugeschrieben.
Meine Damen und Herren, es geht bei den Kürzungen um zwei Dinge. Es geht einmal um die Herabsetzung der Dauer des Zivildienstes von 13 Monaten auf 11 Monate. Das ist für uns ein Thema der Wehrgerechtigkeit. Das haben wir vor der Wahl versprochen und nach der Wahl gehalten. Wer auf der einen Seite sagt, der Zivildienst sei so wertvoll, kann auf der anderen Seite nicht sagen, die Zivildienstleistenden müssten drei Monate länger schaffen. Das passt nicht zusammen.
Wir sehen es als unseren Erfolg an, dass auch der Bereich der sozialen Einrichtungen nicht betroffen ist. Dafür haben wir nach wie vor 90 000 Zivildienstleistende. Gekürzt wurde bei Verwaltungsstellen, in Gärtnereien und in ähnlichen Einrichtungen.
Es wurde von den finanziellen Mehrbelastungen gesprochen. Der Träger muss sich mit 450 DM am Entlassungsgeld beteiligen, und vom laufenden Sold muss er 2 DM mehr tragen.
Herr Kollege Noll, das sind insgesamt 740 DM pro Jahr. Manche Spesenritter geben das auf der „Bühler Höhe“ als Trinkgeld aus
allerdings nicht aus der eigenen Kasse. Das muss man noch hinzufügen.
Meine Damen und Herren, wenn man diese Diskussion führt, muss man der gelb-schwarzen Landesregierung vorhalten, dass sie in diesem Fall ein Kurzzeitgedächtnis hat. Sie vergießen hier unredliche Krokodilstränen. Ich erinnere an das Jahr 1997: Eine globale Minderausgabe von 15 % hat die sozialen Träger voll getroffen. Wir haben heute einen Vorlauf von einem Jahr. Sie haben das im März rückwirkend für den 1. Januar beschlossen, und zwar genau für die gleichen Träger.
Es geht um die soziale Infrastruktur, Kollege Haas.
Sie haben die Abschaffung der IAV-Stellen beschlossen. Die Träger hatten sich auf deren Bestand verlassen. Sie haben die Sozialbetreuung für Ausländer abgeschafft. Sie haben die Asylbewerberbetreuung abgeschafft.
Die Träger hatten Leute eingestellt, die sie bezahlen mussten. Sie sind mit Ihrem Geld vorher aus der Verantwortung geflohen.