Protokoll der Sitzung vom 25.10.2000

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 96. Sitzung des 12. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.

Krank gemeldet sind die Herren Abg. Brinkmann, Herrmann, Wacker und Wabro.

Dienstlich verhindert ist Herr Sozialminister Dr. Repnik.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Die Rechtsmittelreform in Zivilsachen – zum Nachteil für eine bürgernahe und effiziente Justiz in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP

Es gelten die üblichen Redezeiten: 50 Minuten Gesamtdauer ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kiesswetter.

(Abg. Brechtken SPD: Jetzt wird der Rechtsstaat verteidigt!)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Rechtsmittelreform der Bundesjustizministerin ist für Baden-Württemberg teuer, bürgerfern und schränkt die Rechtsmittel ein. Sie ist deshalb abzulehnen.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP/DVP – Lachen der Abg. Birzele SPD und Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Brechtken SPD: Das reicht! – Abg. Pfister FDP/DVP: Es ist alles gesagt!)

Genau, das würde an sich reichen. Das ist so klar, dass es reichen würde.

Wir haben in Baden-Württemberg 108 Amtsgerichte. Sie erledigen ihre Fälle in durchschnittlich dreieinhalb Monaten pro Fall; das ist ein Spitzenwert in der ganzen Bundesrepublik. 94 % aller Entscheidungen werden dort rechtskräftig. Die Versorgung ist flächendeckend; jeder Bürger kann im Umkreis von 50 Kilometern ein Amtsgericht erreichen. Er kann seine Rechte bei niedrigen Streitwerten, also Streitwerten zwischen 2 DM und 10 000 DM, ortsnah verfolgen.

Das Bundesjustizministerium möchte nun ein großes Eingangsgericht mit vielen Spezialabteilungen einrichten. Das

würde bedeuten, dass statt der 108 Amtsgerichte nur noch 27 Gerichte in den Landgerichtsbezirken eingerichtet werden. Hierfür wird das Land Baden-Württemberg Mittel in Höhe von 50 Millionen DM für Umbaumaßnahmen aufzuwenden haben. Das ist Geldverschwendung. Wir brauchen diese Geldbeträge in anderen Bereichen der Justiz viel nötiger.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Rech CDU)

Wir sehen auch, dass die Bürger für kleine Streitwerte weite Anreisewege werden zurücklegen müssen. Die Gerichte sind dann bis zu 100 oder 150 Kilometer entfernt. Auch insofern ist die Reform völlig überflüssig.

Die Berufungsverhandlungen sollen dann beim Oberlandesgericht in Karlsruhe oder in Stuttgart durchgeführt werden. Ein Handwerker aus Überlingen, der einen Rechtsstreit um 1 200 oder 1 500 DM führt, muss dann nach Stuttgart reisen, was für ihn einen Tagesaufwand bedeutet.

(Abg. Birzele SPD: Haben Sie schon mal was von Außenstellen gehört, Herr Kollege?)

Bis jetzt sind keine Außenstellen geplant. Es gibt eine Außenstelle

(Zuruf von der SPD: In Freiburg!)

in Freiburg. Auch von Überlingen nach Freiburg ist es weit und teuer.

(Abg. Birzele SPD: Wo ist denn Freiburg? Wer macht denn das?)

Wegen 1 200 DM muss der Handwerker nach Stuttgart fahren. Das ist zeitaufwendig und teuer. Es grenzt an Rechtsverweigerung, weil kein vernünftiger Mensch für solche Beträge einen ganzen Tag Aufwand investieren kann, insbesondere wenn er noch Zeugen mitbringen muss.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Oel- mayer Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Reform ist mittelstandsfeindlich.

(Abg. Kluck FDP/DVP: Rechtsverweigerer!)

Ferner sollen auch noch die Rechtsmittel eingeschränkt werden. Für einen Rechtsstaat und gerade wenn eine sozialdemokratische Partei meint, sie sei für den kleinen Bürger da, halte ich es für erbärmlich, hier die Rechtsmittel einzuschränken.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Was habt ihr die letzten 20 Jahre gemacht? Das ist ja lächerlich! Da muss ich mich ja schon am Mor- gen wieder ärgern!)

Die Rechtsmittel sollen nur noch auf rechtliche Fehler überprüft werden und wenn offenkundige Tatsachenfehler vorliegen. Bis jetzt sind, wie gesagt, beim Amtsgericht 94 % der Urteile rechtskräftig, beim Landgericht 86 %. Das ist eine sehr hohe Quote. Aber die Fälle, die in die Berufung gehen, werden noch einmal voll überprüft. Es wird noch einmal überprüft, ob die Tatsachen richtig festgestellt wurden, und es wird überprüft, ob Rechtsfehler vorliegen. Da haben wir heute eine Änderung von 40 %. Das ist eine relativ hohe Quote, und das ist gut so. Denn der Bürger braucht das Vertrauen, dass das Urteil revidiert werden kann, wenn es in der ersten Instanz falsch ist. Dies wird durch diese Rechtsmittelreform verhindert. Auch dies ist bürgerfeindlich und für den Bürger, der sein Recht sucht, nachteilig.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Jetzt aber!)

Ferner soll die Besetzung der Kammern eingeschränkt werden. Statt drei Richtern am OLG soll künftig nur noch einer urteilen. Das Prinzip, dass sechs Augen mehr sehen als eines, wird aufgegeben. Auch das ist gerade bei einer komplizierten Materie wie der Justiz nachteilig. Deshalb auch hier nur Rückschritte.

Die gesamte Reform wird von den Richtern und Rechtsanwälten abgelehnt, nicht weil sie Privilegien oder Gebühren verlieren, sondern weil es im Interesse des Bürgers ist, einen ordnungsgemäßen Rechtsstaat zu haben und die dritte Gewalt zu stärken.

Diese Reform der Bundesjustizministerin ist rückschrittlich, bürgerfern, und die Gerechtigkeit leidet. Deshalb lehnen wir diese Reform ab.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bender.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Aber nicht herumnörgeln wie der Kollege gerade!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit hohen, hehren Zielen ist die Bundesjustizministerin bei der Justizreform im Zivilprozess angetreten.

(Abg. Bebber SPD: Wir sehen sie schon als Engel schweben!)

Die Justiz soll leistungsfähiger, bürgernäher und effizienter gemacht werden.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Genau!)

Ich will es lieber gleich zu Anfang sagen, wie es auch der Kollege von der FDP/DVP-Fraktion getan hat:

(Abg. Bebber SPD: Wir geben nichts!)

Meine Damen und Herren, kurz und bündig: Das Ziel ist glatt verfehlt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Für den juristischen Laien kaum erkennbar, hat das Bundesjustizministerium eine brisante Mischung zusammengebraut. Ich will die vier wichtigsten Zutaten nennen:

Erstens: Die Stärkung der ersten Instanz. So weit, so gut.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Aber?)

Zweitens: Aber dann – Sie haben völlig Recht – nur noch Fehlerkontrolle durch das Berufungsgericht; keine zweite Tatsacheninstanz mehr.

Drittens: Einzelrichter- statt Kammer- bzw. Senatsentscheidungen.