Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 96. Sitzung des 12. Landtags von Baden-Württemberg und begrüße Sie.
Aktuelle Debatte – Die Rechtsmittelreform in Zivilsachen – zum Nachteil für eine bürgernahe und effiziente Justiz in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP
Es gelten die üblichen Redezeiten: 50 Minuten Gesamtdauer ohne Anrechnung der Redezeit der Regierung, fünf Minuten für die einleitenden Erklärungen und fünf Minuten für die Redner in der zweiten Runde.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Rechtsmittelreform der Bundesjustizministerin ist für Baden-Württemberg teuer, bürgerfern und schränkt die Rechtsmittel ein. Sie ist deshalb abzulehnen.
(Vereinzelt Beifall bei der FDP/DVP – Lachen der Abg. Birzele SPD und Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Brechtken SPD: Das reicht! – Abg. Pfister FDP/DVP: Es ist alles gesagt!)
Wir haben in Baden-Württemberg 108 Amtsgerichte. Sie erledigen ihre Fälle in durchschnittlich dreieinhalb Monaten pro Fall; das ist ein Spitzenwert in der ganzen Bundesrepublik. 94 % aller Entscheidungen werden dort rechtskräftig. Die Versorgung ist flächendeckend; jeder Bürger kann im Umkreis von 50 Kilometern ein Amtsgericht erreichen. Er kann seine Rechte bei niedrigen Streitwerten, also Streitwerten zwischen 2 DM und 10 000 DM, ortsnah verfolgen.
Das Bundesjustizministerium möchte nun ein großes Eingangsgericht mit vielen Spezialabteilungen einrichten. Das
würde bedeuten, dass statt der 108 Amtsgerichte nur noch 27 Gerichte in den Landgerichtsbezirken eingerichtet werden. Hierfür wird das Land Baden-Württemberg Mittel in Höhe von 50 Millionen DM für Umbaumaßnahmen aufzuwenden haben. Das ist Geldverschwendung. Wir brauchen diese Geldbeträge in anderen Bereichen der Justiz viel nötiger.
Wir sehen auch, dass die Bürger für kleine Streitwerte weite Anreisewege werden zurücklegen müssen. Die Gerichte sind dann bis zu 100 oder 150 Kilometer entfernt. Auch insofern ist die Reform völlig überflüssig.
Die Berufungsverhandlungen sollen dann beim Oberlandesgericht in Karlsruhe oder in Stuttgart durchgeführt werden. Ein Handwerker aus Überlingen, der einen Rechtsstreit um 1 200 oder 1 500 DM führt, muss dann nach Stuttgart reisen, was für ihn einen Tagesaufwand bedeutet.
Wegen 1 200 DM muss der Handwerker nach Stuttgart fahren. Das ist zeitaufwendig und teuer. Es grenzt an Rechtsverweigerung, weil kein vernünftiger Mensch für solche Beträge einen ganzen Tag Aufwand investieren kann, insbesondere wenn er noch Zeugen mitbringen muss.
Ferner sollen auch noch die Rechtsmittel eingeschränkt werden. Für einen Rechtsstaat und gerade wenn eine sozialdemokratische Partei meint, sie sei für den kleinen Bürger da, halte ich es für erbärmlich, hier die Rechtsmittel einzuschränken.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Was habt ihr die letzten 20 Jahre gemacht? Das ist ja lächerlich! Da muss ich mich ja schon am Mor- gen wieder ärgern!)
Die Rechtsmittel sollen nur noch auf rechtliche Fehler überprüft werden und wenn offenkundige Tatsachenfehler vorliegen. Bis jetzt sind, wie gesagt, beim Amtsgericht 94 % der Urteile rechtskräftig, beim Landgericht 86 %. Das ist eine sehr hohe Quote. Aber die Fälle, die in die Berufung gehen, werden noch einmal voll überprüft. Es wird noch einmal überprüft, ob die Tatsachen richtig festgestellt wurden, und es wird überprüft, ob Rechtsfehler vorliegen. Da haben wir heute eine Änderung von 40 %. Das ist eine relativ hohe Quote, und das ist gut so. Denn der Bürger braucht das Vertrauen, dass das Urteil revidiert werden kann, wenn es in der ersten Instanz falsch ist. Dies wird durch diese Rechtsmittelreform verhindert. Auch dies ist bürgerfeindlich und für den Bürger, der sein Recht sucht, nachteilig.
Ferner soll die Besetzung der Kammern eingeschränkt werden. Statt drei Richtern am OLG soll künftig nur noch einer urteilen. Das Prinzip, dass sechs Augen mehr sehen als eines, wird aufgegeben. Auch das ist gerade bei einer komplizierten Materie wie der Justiz nachteilig. Deshalb auch hier nur Rückschritte.
Die gesamte Reform wird von den Richtern und Rechtsanwälten abgelehnt, nicht weil sie Privilegien oder Gebühren verlieren, sondern weil es im Interesse des Bürgers ist, einen ordnungsgemäßen Rechtsstaat zu haben und die dritte Gewalt zu stärken.
Diese Reform der Bundesjustizministerin ist rückschrittlich, bürgerfern, und die Gerechtigkeit leidet. Deshalb lehnen wir diese Reform ab.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit hohen, hehren Zielen ist die Bundesjustizministerin bei der Justizreform im Zivilprozess angetreten.
Ich will es lieber gleich zu Anfang sagen, wie es auch der Kollege von der FDP/DVP-Fraktion getan hat:
Für den juristischen Laien kaum erkennbar, hat das Bundesjustizministerium eine brisante Mischung zusammengebraut. Ich will die vier wichtigsten Zutaten nennen:
Zweitens: Aber dann – Sie haben völlig Recht – nur noch Fehlerkontrolle durch das Berufungsgericht; keine zweite Tatsacheninstanz mehr.