Hören Sie jetzt einmal gut zu. – Aber es ist kaum zu fassen, mit welcher Gleichgültigkeit oder auch Rücksichtslosigkeit
die Bundesjustizministerin mit den Vertretern der beteiligten Fachkreise, und zwar speziell des Deutschen Anwaltvereins, umgesprungen ist.
Meine Damen und Herren, ich nenne Ihnen kurz die Chronologie: Auf dem Anwaltstag am 1. Juni dieses Jahres hat die Ministerin noch das Angebot des Deutschen Anwaltvereins zu einer konstruktiven Mitarbeit ausdrücklich angenommen und eine zweite Beratungsrunde mit Sachdiskussion in den nächsten Monaten angekündigt. Das war am 1. Juni.
Es ist geradezu ein Witz, was daraus geworden ist; denn am 28. Juni wurden die beiden Spitzenvertreter des DAV zu einem Gespräch zu der Ministerin gebeten, in dem ihnen nur teilweise der Inhalt des neuen Koalitionsentwurfs mitgeteilt worden ist. Zwei Tage später bekamen sie auch nur den Textentwurf einiger Kernbestimmungen, noch nicht
einmal den Gesamtentwurf, und man hat ihnen eingeräumt, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen, nämlich bis zum 21. Juli. Jetzt kommt es, meine Damen und Herren: Der Koalitionsentwurf wurde von der Ministerin, vom Kabinett bereits am 7. Juli im Bundestag eingebracht, also lange bevor der DAV überhaupt auch nur im Geringsten die Chance hatte, dazu Stellung zu nehmen.
Meine Damen und Herren, weiterer Kommentar erübrigt sich in diesem Punkt. Dabei sind ja Teile der Reform durchaus positiv zu beurteilen.
Das ist richtig. Aber – jetzt kommt das Aber, Herr Kollege Oelmayer – der Kern der Reform beinhaltet, wie gesagt, einen grundlegenden Umbruch, und zwar – das muss man hier ganz deutlich sagen – in die falsche Richtung.
Das sind zum einen die weitere Anhebung der Schwelle für erneute Tatsachenfeststellung im Berufungsverfahren und der Ausschluss neuen Vorbringens, selbst wenn dadurch das Berufungsverfahren gar nicht verzögert werden würde. Was bedeutet das für den rechtsuchenden Bürger? Er kann nicht mehr wie bislang darauf vertrauen, dass notfalls zwei Instanzen den Sachverhalt prüfen, dass zwei Instanzen prüfen, wie es um den Sachverhalt bestellt ist, über den gestritten wird, beispielsweise ob der Fußbodenbelag fachgerecht verlegt oder die Autoreparatur fehlerfrei durchgeführt worden ist.
Ein weiterer Punkt, der zweite, ist die Einführung des Regel-Einzelrichters in der Berufungsinstanz. Meine Damen und Herren, das ist das Ende der sprichwörtlich hohen obergerichtlichen Rechtsprechungskultur des Sechsaugenprinzips.
Ein dritter Punkt: Zusammenfassung der Berufungszuständigkeit beim OLG. Herr Kollege Kiesswetter hat es schon gesagt: einhellig von der Fachwelt abgelehnt. Was wird damit bezweckt, meine Damen und Herren? Es ist gar keine Frage. Es ist der Einstieg in den Ausstieg aus dem vierstufigen Zivilgerichtsaufbau. Gar keine Frage. Was bedeutet das aber für den rechtsuchenden Bürger? Wesentlich weitere Wege, jedenfalls in den Flächenstaaten, und darüber hinaus eine völlige Verstopfung der Berufungsinstanz, die mit dem derzeitigen Richterpersonal die zusätzliche Arbeitsbelastung nicht bewältigen können wird.
Übrigens, meine Damen und Herren, im Koalitionsentwurf heißt es, die Reform sei mit keinen Kosten verbunden. Da kann man also wirklich nur lachen. Das spottet jeder Beschreibung. Mindestens bei den Oberlandesgerichten wird dies, wenn man den gröbsten Engpass beheben will, zwangsläufig zu erheblichen personellen Mehraufwendungen führen.
Nordrhein-Westfalen hat ja eine Berechnung durchgeführt. Und zu welchem Ergebnis kommt es? Eine halbe Milliarde Mark Kosten pro Jahr für die Bundesländer allein für die Konzentration der Berufung bei den Oberlandesgerichten.
Meine Damen und Herren, warum das alles? Zwingende Gründe gibt es nicht. Die Zivilrechtspflege in Deutschland ist keineswegs Not leidend.
Meine Damen und Herren, sie kann sich gerade im europäischen Vergleich sehen lassen. Sie hat sich außerordentlich gut bewährt. Die Statistik – Herr Kollege Kiesswetter hat bereits darauf hingewiesen – spricht eine deutliche Sprache.
Meine Damen und Herren, die Bundesjustizministerin und mit ihr Rot-Grün wollen in Berlin mit einem Kraftakt sondergleichen eine zivilprozessuale Utopie durchpowern. Dafür zahlen sie einen hohen Preis, nämlich die Zerschlagung eines funktionierenden Systems.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn man meine Vorredner hört, ist man natürlich geneigt, karikativ darauf zu antworten.
(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Tun Sie es nur! – Abg. Pfister FDP/DVP: Karitativ? – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Karitativ? – Heiterkeit)
(Heiterkeit – Abg. Pfister FDP/DVP: Herr Kollege, was heißt „karitativ“? Herr Kollege, würden Sie einmal erklären, was Sie mit „karitativ“ meinen!)
Herr Rech ist gar nicht erst hier ans Rednerpult gegangen; er weiß, wie schwierig es ist, aus der Sicht der Konservativen und der Liberalen zu einer Justizreform zu sprechen. Herr Rech, Sie haben Recht gehabt. Sie haben gut daran getan.
Vor wenigen Jahren – es ist noch keine zwei Jahre her – war allseits, auch bei Herrn Bender, noch Jubelschrei für eine Justizreform. Alle wollten eine Justizreform. Auch Sie, Herr Bender, haben gejubelt. Sie haben vorher auch weit verbreitet, dass Ihre Streitwertänderungen schon die Reform der Justiz bringen könnten.
und man war sich einig, dass das, was man bis dahin gemacht hat, nämlich das Herumbasteln an Streitwerten, die erhofften Erleichterungen und Veränderungen nicht gebracht hat. Darüber bestand Einigkeit!
(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Und heute? „Bender-Riss“! – Heiterkeit)
Was ich als recht problematisch empfinde, ist Folgendes: Von einem Justizminister müsste man eigentlich eine gewisse Seriosität erwarten.