Protokoll der Sitzung vom 03.02.2000

Wenn in diesen Zeiten ständig nur nach neuen Lehrerstellen und zusätzlichen Mitteln gerufen wird, beweist das nicht nur finanzpolitische Kurzsichtigkeit, sondern vor allem eine bildungspolitische Fantasie- und Konzeptlosigkeit sondergleichen. Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Ursachen für den Unterrichtsausfall gezielt angegangen werden. Deshalb legen Ihnen die Regierungsfraktionen heute Anträge vor, die mit Blick auf das kommende Schuljahr frühzeitig die Voraussetzungen schaffen, der weiter anwachsenden Schülerzahl gerecht zu werden. Mit zusätzlichen 152 Millionen DM ergänzen wir das notwendige Instrumentarium und schaffen zugleich Flexibilität in der Lehrerversorgung.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Müssen Sie sich am Redekonzept festhalten?)

Ich kündige bereits jetzt für den Herbst einen weiteren Vorschlag im Rahmen einer Nachtragsberatung zur Lehrereinstellung im Schuljahr 2001/02 auf der Basis dann aktuellster Zahlen an.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Vor den Wahlen! – Abg. Christine Rudolf SPD: Wir warten gespannt!)

Ich möchte an dieser Stelle ein Wort zu den Privatschulen in unserem Land sagen. Wir sind mit ihrer Arbeit ebenso zufrieden wie mit der der öffentlichen Schulen. Deshalb war es uns ein Anliegen, im gleichen Zug mit einer weiteren Verbesserung der Unterrichtsversorgung an den öffentlichen Schulen auch die Beschränkungen des Haushaltsstrukturgesetzes aufzuheben. Mit dem gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen wird die Finanzausstattung der Privatschulen deutlich verbessert und nähern wir uns der selbst gesetzten Marke der Kostendeckung.

Um den Stellenwert der Bildungspolitik im Gesamtzusammenhang der Landespolitik zu unterstreichen, möchte ich heute auch schon ankündigen, dass unsere Fraktion bei der Verwendung von Privatisierungserlösen einen eindeutigen Schwerpunkt bei der Zukunftsinvestition Bildung sieht. Bereits im Rahmen der letzten Zukunftsoffensive haben wir uns an die Spitze der Entwicklung im Multimediabereich gesetzt

(Abg. Dr. Eva Stanienda CDU: Richtig!)

und ein Programm im Umfang von 55 Millionen DM zum Einsatz neuer Medien an Schulen beschlossen.

(Abg. Dr. Eva Stanienda CDU: Beispielhaft!)

Mit diesem Geld werden nicht nur innovative Schulprojekte gefördert, die Konzepte zum unterrichtlichen Einsatz der neuen Technologien und hier vor allem des Internets entwickeln sollen, sondern auch für die Lehreraus- und fortbildung im Rahmen der laufenden Multimediaoffensive mehr als 15 Millionen DM investiert.

(Abg. Christine Rudolf SPD: Die CDU kann al- les!)

Nach den schrecklichen Vorfällen in Meißen und Bad Reichenhall tritt das Thema Gewalt an unseren Schulen wieder einmal stärker in das öffentliche Interesse. Heute lesen wir in der „Stuttgarter Zeitung“ neueste Zahlen aus dem Landespolizeipräsidium und zugleich ein Interview mit Herrn Hetger. Ich halte die Zahlen für alarmierend, den Vorgang an sich für inakzeptabel und in der Sache für unverantwortlich. Die Erhebung von Zahlenmaterial geht wohl auf einen Antrag aus den Reihen der CDU-Fraktion vom 22. Dezember 1999 zurück. Damit ist klar, dass wir uns dem Thema gründlich stellen wollen. Die Frist zur Beantwortung läuft am 18. Februar 2000 ab. Erst auf Basis der kompletten Antwort der Landesregierung ist eine vernünftige Diskussion möglich. Das korrekte Verfahren im Umgang mit parlamentarischen Initiativen ist hier eindeutig verletzt worden.

Der Sache ist durch diese Form der Veröffentlichung ebenfalls nicht gedient. Wichtige Fragen, die auf jeden Fall statistisch abgegrenzt werden müssten, sind aus dem bekannt gewordenen Zahlenwerk nicht zu beantworten. Es liegt in unserem Interesse, eine detaillierte Aufbereitung der Probleme im Land zu erhalten.

Am 26. Februar 2000 wird die CDU-Landtagsfraktion hier, im Landtag, eine Veranstaltung mit Experten zur Gewaltprävention durchführen. Wir wollen dabei ganz konkret werden und werden uns deshalb das Projekt „Faustlos“ von Mitarbeitern der Uni Heidelberg erläutern lassen. In Kürze

werden wir dann Gelegenheit haben, den bereits angesprochenen Antrag im Schulausschuss zu beraten. Das Thema „Gewalt an Schulen“ wird von uns also offensiv angegangen.

Meine Damen und Herren, wir haben uns in den vergangenen Jahren mit Einsatz, Realitätssinn und Einfallsreichtum um die Weiterentwicklung des Bildungswesens gekümmert. Das Ergebnis ist gut. Den Kindern und Jugendlichen in diesem Land kann nichts Besseres passieren, als die Bildungspolitik in der Landesregierung von Frau Schavan verantwortet zu wissen,

(Lachen der Abg. Christine Rudolf SPD)

der ich hier für eine außerordentlich offene und faire Zusammenarbeit danken möchte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Mit diesem Haushalt und der Ankündigung eines Nachtrags zur Lehrerversorgung im Herbst dieses Jahres sind die Weichen richtig gestellt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Stächele CDU: Die erblassen vor Neid!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Zeller.

(Zurufe von der CDU: Oje!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für die SPD-Fraktion hat die Bildungspolitik schon immer oberste Priorität in der Landespolitik.

(Abg. König REP: Das sieht man!)

Der Bildungspolitik kommt eine Schlüsselrolle für die Gestaltung unserer Zukunft zu. Bildung ist entscheidend für die Entwicklung des Einzelnen, für die Teilhabe an der Gesellschaft und der Beschäftigung, aber auch für die Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft und Wirtschaft. Bildung ist deshalb mehr als Qualifikationsvermittlung. Neue inhaltliche Anforderungen und mehr Investitionen in Bildung sind notwendig. Wir wollen mit unserem Konzept die Schulen im Lande zukunftsfähig machen. Eine Reform der Bildungspolitik steht deshalb vor einer doppelten Aufgabe.

Erstens: Unser Bildungswesen muss die Kompetenzen und das Wissen vermitteln, welche morgen über gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt entscheiden. Angesichts der gigantischen Wissensvermehrung und der immer schneller werdenden Veränderungen bedeutet dies vor allem, das Lernen möglichst früh zu lernen; denn auch für die Entwicklung der individuellen Chancen ist die Befähigung zu lebenslangem Lernen die Grundvoraussetzung.

Zweitens muss unsere Bildung angesichts steigender und neuer Qualifikationsanforderungen dazu beitragen, soziale Ausgrenzungen zu verhindern. Materielle und soziale Sicherungen sind dabei untrennbar mit einer guten Bildung

und Ausbildung verbunden. Chancengleichheit ist und bleibt die Messlatte unserer Bildungspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Allerdings, meine Damen und Herren, wäre es ein Fehler, von allen jungen Menschen zum gleichen Zeitpunkt das Gleiche zu verlangen. Wir können dem Einzelnen nur durch eine differenzierte Entwicklung gerecht werden. Das heißt, wir brauchen Chancengleichheit für alle und eine individuelle Leistungsförderung. Eine neue Lehr- und Lernkultur soll die Qualität der schulischen Arbeit verbessern.

Sie, Frau Schavan, wollen mit Ihrer konservativen Bildungspolitik hauptsächlich hoch Qualifizierte und Spitzenbegabungen fördern, zum Beispiel durch kleine Klassen für den G-8-Zug. Ihr bildungspolitisches Credo heißt nach wie vor: Auslese statt Förderung. Unsere Maxime heißt: fördern statt auslesen, versöhnen statt spalten

(Zurufe von der CDU, u. a. der Abg. Dr. Eva Sta- nienda: Ah!)

und Formen der Zusammenarbeit unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, integratives Lernen muss der Leitgedanke sein, nicht das Ausgrenzende und das Aussondernde.

Aber wir müssen auch feststellen, dass Chancengleichheit trotz aller Fortschritte heute längst nicht überall in unserem Bildungssystem gegeben ist. Viel zu viele Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss,

(Abg. Deuschle REP: Ja, warum?)

mit allen Folgen für die spätere Berufslaufbahn. Noch immer wirken sich Einkommensunterschiede auf die Bildungswege der Kinder aus. Besonders schwer haben es Kinder von Migranten, vor allem aus einkommensschwächeren Familien. Noch immer ist die Chancengleichheit von Mädchen und Frauen trotz aller Fortschritte in vielen Bereichen nicht gesichert.

Die Landesregierung mit ihrer unsozialen und familienfeindlichen Kürzung der Zuschüsse zur Schülerbeförderung hat selbst für den Abbau von Chancengleichheit gesorgt.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass diese Kürzungen zulasten der Familien zurückgenommen werden, und haben deshalb im Doppelhaushalt eine Erhöhung der Mittel um 200 Millionen DM beantragt.

(Abg. Rapp REP: Wir haben es ja!)

Die Frage, ob unsere Gesellschaft alle Mitglieder integrieren kann oder Teile ausgrenzt, stellt sich natürlich besonders in den Schulen. Dies gilt ganz besonders für die so genannten benachteiligten jungen Menschen. Daher haben wir in Baden-Württemberg eine Bildungsoffensive zur Stärkung und Modernisierung unserer Schulen gestartet,

um die teilweise desolate Unterrichtssituation im Land zu verbessern, die Chancengleichheit zu erhöhen und unser Bildungswesen zukunftsfähig zu machen.

Entgegen aller Beschönigungs- und Bagatellisierungsversuche von Ministerin Schavan bildet Baden-Württemberg bei den Bildungsausgaben zusammen mit Hessen und dem Saarland das Schlusslicht im Ländervergleich. Während Sie, Frau Schavan, vor wenigen Monaten den Unterrichtsausfall entgegen allen realen Erfahrungen bestritten haben und zu verharmlosen versuchten, haben die jetzt veröffentlichten Zahlen Ihres Ministeriums sogar einen weiteren Anstieg des Unterrichtsausfalls gegenüber dem vergangenen Jahr bestätigt.

Nach der fragwürdigen Stichprobenerhebung des Ministeriums stieg der Anteil von ganz ausgefallenem oder nur vertretungsweise erteiltem Pflichtunterricht gegenüber dem Sommer 1999 von noch 6,3 % auf 7,3 %. Erneut beschönigen diese Angaben die reale Situation. So ist in dieser Statistik nicht berücksichtigt, dass in den vergangenen Jahren der Förder- und Ergänzungsunterricht in großem Umfang schlichtweg gestrichen worden ist. Diese Stunden tauchen einfach in der Statistik nicht mehr auf. Ebenso wenig wird bei den Ministeriumszahlen einbezogen, dass teilweise von vornherein nicht einmal die Sollstunden für den Pflichtunterricht erbracht werden.

In den beruflichen Schulen lagen im letzten Jahr die erteilten Unterrichtsstunden landesweit sogar um 6,4 % unter der Sollstundenzahl des Pflichtunterrichts. Addiert man nun zu diesem, vom Ministerium schlichtweg unterschlagenen strukturellen Unterrichtsdefizit den jeweiligen Unterrichtsausfall aufgrund von Krankheit usw. in Höhe von 4,1 %, so beträgt der reale Stundenausfall gegenüber dem Pflichtunterricht 10,5 %. Das halte ich schlichtweg für einen Skandal.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Zum Teil fehlen an den beruflichen Schulen zwischen 10 und 15 % der wissenschaftlichen Lehrer; an manchen beruflichen Schulen sind es sogar bis zu 30 % der technischen Lehrer. Und wider besseres Wissen – das sage ich klipp und klar – behauptet die Ministerin schlichtweg frech, dass Baden-Württemberg im Vergleich zu den anderen Bundesländern am besten dastehe, wohl wissend, dass es überhaupt keine vergleichenden Darstellungen und Untersuchungen gibt.