Protokoll der Sitzung vom 22.03.2000

(Minister Dr. Schäuble)

auch so zu steuern, dass sie besser als bisher unseren Interessen entspricht und wir, was allerdings auch sein muss, wie bisher die humanitären Gesichtspunkte beachten. Das setzt aber voraus, und daran hapert es bisher – das betrifft dann das Thema Individualgrundrecht, Institutsgarantie –, dass wir durch eine Änderung des Grundgesetzes die Zuwanderung derjenigen, die wir eben nicht nach Deutschland einladen, auch wirklich massiv begrenzen könnten. Dafür ist jedenfalls derzeit eine Mehrheit nicht ersichtlich. Vielleicht kommt sie im Rahmen der europäischen Harmonisierung eines ferneren Tages zustande.

Wenn dies so ist, bin ich der Auffassung, dass uns kurzfristig nur übrig bleibt, zu versuchen, auf der Grundlage des geltenden Rechts, und zwar durch eine administrativ bessere und effizientere Handhabung des § 5 der Anwerbestoppausnahmeverordnung und des § 5 der Arbeitserlaubnisaufenthaltsverordnung, dem so behaupteten Bedarf, wenn dem so ist, zu entsprechen. Ich glaube eigentlich, Herr Kollege Döring, dass da zwischen uns kein großer Graben entsteht. Das wäre ein Weg, den man aufgreifen könnte. Aber das bedeutet ja im Klartext – und da will die Bundesregierung eine andere Vorgehensweise –: Wir müssen nicht das geltende Recht, also die beiden etwas umständlich klingenden Verordnungen, die ich gerade erwähnt habe, ändern, sondern wir müssen dafür sorgen, dass die Verwaltungspraxis der Arbeitsverwaltung dem begründeten Bedarf – und nur von ihm spreche ich – etwas besser als bisher Rechnung trägt. Das ist der eine Punkt.

Das Zweite ist: Mir liegt eine Zahl aus dem Bereich des Sozialministeriums und der ihm nachgeordneten Behörden vor. Danach haben wir in Baden-Württemberg, so wurde gesagt, etwa 4 000 Menschen im IT-Bereich, die arbeitslos gemeldet sind. Nun bin auch ich mir darüber im Klaren, dass vermutlich nicht jeder dieser 4 000 den Ansprüchen der Wirtschaft heute genügt. Aber gerade wenn wir kurzfristig einen Mangel haben, muss alles getan werden, damit dieses Potenzial im Rahmen qualifizierter Fortbildungsmaßnahmen durch die Arbeitsverwaltung stärker für die Ansprüche der Wirtschaft rekrutiert werden kann.

Wenn vorhin – ich glaube übrigens, auch von CDU-Seite – gesagt worden ist, dass die Arbeitsverwaltung da vor einer noch größeren Herausforderung stehe, kann ich dies aus meiner Sicht nur unterstreichen.

Ich komme zu einem nächsten Punkt. Ich darf Frau Kollegin Thon, mit Verlaub, von heute Vormittag zitieren. Sie hat das bekannte Wort von Max Frisch angeführt: Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und es sind Menschen gekommen. Wir werden uns auch darüber im Klaren sein müssen – ich glaube, da gibt es in diesem hohen Hause einen weitgehenden Konsens –, dass man dann, wenn solche Menschen zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs – auf welchem Weg auch immer: generell oder im Einzelfall – gerufen werden, insbesondere dann, wenn sie auch noch von anderen Staaten der Welt nachgefragt sind, über das Thema der Familienzusammenführung wird sprechen müssen und eine vernünftige Lösung finden muss.

(Abg. Haas CDU: Genau dies verbreitet Rot-Grün! Das verdrängen die da drüben!)

Sonst passt es nicht ganz zusammen. Insofern sind wir auch da nicht auseinander.

Ich darf aber einen anderen Punkt ansprechen und möchte aus der Sicht der Landesregierung Folgendes mit Entschiedenheit betonen. Von Debattenrednern, vom Herrn Wirtschaftsminister und im Rahmen einer geschickt angelegten Frage auch vom Herrn Wissenschaftsminister sind viele Zahlen genannt worden. Wahr ist nach meinen Unterlagen offensichtlich, dass sich die Zahl der Ausbildungsverträge – ich spreche jetzt nicht von Studienplätzen – im IT-Bereich von 1997 bis 1999 mehr als versechsfacht hat. Die Klassenzahl im Schulbereich ist im gleichen Zeitraum beinahe um das Siebenfache gestiegen. Ich könnte jetzt alle Schularten auflisten, will darauf aber mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit verzichten.

Ich möchte nur eines festhalten: Wir in Baden-Württemberg bemühen uns durchaus, dass für die Menschen in diesen auch zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen im Bereich der Schule wirklich Zukunftschancen eröffnet werden, tun hier alles und würden uns wünschen, dass andere Länder unserem Beispiel folgen würden und nicht unbesehen einfach große Kontingente angeblicher Spezialisten, die man braucht, aus dem Ausland herbeirufen.

Der zweite Punkt ist für mich politisch eigentlich noch wesentlich interessanter. Der Herr Wissenschaftsminister, der König der Zahlen, hat mir vorhin, nachdem Herr Kollege Brinkmann immer wieder das Thema „Studiengang Informatik an der Universität Karlsruhe“ angesprochen hat, mitgeteilt: 1995 war die Kapazität in diesem Studiengang nach eindeutigen Feststellungen des Wissenschaftsministeriums nur zu 35 % ausgelastet.

Viele von uns – ich gehöre dazu – werden sich erinnern, wie in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre viele Eltern von Kindern, die einen technischen Studiengang auf sich genommen hatten, zu uns, die wir in der Politik Verantwortung tragen, gekommen sind und gesagt haben: Jetzt haben wir extra wegen euch unseren Kindern geraten, einen solchen, ja nicht immer einfachen Studiengang – übrigens mit Erfolg – einzuschlagen, und jetzt ist für unsere Kinder kein Arbeitsplatz da.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Zuruf des Ministers Dr. Repnik)

Worauf will ich hinaus? Ich mache der Wirtschaft da keinen Vorwurf, weil auch ich weiß, dass die Wirtschaft in der weltweiten Konkurrenz natürlich spitz rechnen muss und wissenschaftspolitische Anstrengungen nur zu einem geringeren Teil übernehmen kann. Aber Tatsache ist – daran kann man, glaube ich, nicht vorbeireden –: Die Wirtschaft hat in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts zahlreiche junge Menschen, die als Informatiker oder überhaupt im technischen Bereich auf dem Arbeitsmarkt im Angebot waren, nicht angenommen und darüber hinaus seinerzeit sogar viele Informatiker entlassen, was dazu geführt hat, dass man dann logischerweise – der frühere Finanzminister sitzt ja unter uns; da kommt dann der Druck des Finanzministeriums, wenn ein Studiengang nur zu 35 % ausgelastet ist – diese Kapazität so zunächst einmal nicht aufrechterhalten konnte. Denn es geht ja schließlich auch um Steuergelder.

(Minister Dr. Schäuble)

Aber inzwischen – deshalb finde ich jeden Vorwurf, dass die Landesregierung nicht alles im Rahmen ihrer Möglichkeiten, auch ihrer finanziellen Möglichkeiten Stehende getan hätte, wirklich infam – ist schlicht und ergreifend Faktum, was vorhin vorgetragen worden ist: Die Zahl der Studienanfängerplätze im Informatikbereich ist in den letzten Jahren um mehr als das Doppelte gesteigert worden.

Im Übrigen ist auch eine weitere Zahl interessant. Nach einer Schätzung unseres Wissenschaftsministeriums werden in diesem Jahr 15,7 % aller Informatikabsolventen an den Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland aus Baden-Württemberg kommen, und dies bei einem Bevölkerungsanteil von 12,5 %.

(Zuruf des Ministers Dr. Repnik)

Berücksichtigt man die erfolgreichen Berufsakademien in Baden-Württemberg, so steigt dieser Anteil sogar auf 17 %. Das ist doch der Beweis dafür, dass Baden-Württemberg und diese Landesregierung alles tun, was in ihren Kräften steht.

(Beifall bei der CDU)

Worauf ich aber noch einmal kurz zurückkommen und woran ich erinnern will – das ist das eigentlich Interessante an der politischen Diskussion –: Wenn es zutrifft, dass Mitte der Neunzigerjahre die angebotenen Studiengänge im Informatikbereich nur zu 35 % ausgelastet waren, dann muss man auch sagen, dass die Politik, und zwar die Hochschulpolitik – wenn dann plötzlich aus Gründen bei der Wirtschaft, die bei uns auf Verständnis stoßen, eine Springflut einsetzt –, diesen Bedarf trotz aller nachgewiesenen Anstrengungen nicht von heute auf morgen einfach aus der Hosentasche heraus decken kann.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es! – Abg. Brink- mann SPD: Deshalb brauchen wir die Greencard!)

Deshalb glaube ich, es ist vernünftig, zum einen zu sagen, dass wir nicht generell, aber in Einzelfällen – da mögen die Einzelfälle auch großzügig gesehen werden; ich kann da nur das unterstreichen, was Sie gesagt haben – eine Praxis brauchen, die dem kurzfristigen Bedarf, wenn er denn so berechtigt ist, besser entspricht. Ich warne aber dringend davor, dass wir uns hier auf das einlassen, was die Bundesregierung und der Bundeskanzler wollen, nämlich auf eine generelle Regelung, die dann auf Dauer einen weiteren Zugang nach Deutschland und nach Baden-Württemberg verursachen würde.

Das Zweite ist: Wir werden unsere Anstrengungen gerade in diesem Bereich von Bildungs- und Wissenschaftspolitik auch künftig steigern. Die Landesregierung hat am vergangenen Dienstag, also gestern, in ihrer Kabinettssitzung besprochen, dass wir angesichts der Gesamtsituation ein weiteres Ausbauprogramm im Bereich Informatik und Medien an den Hochschulen und Berufsakademien des Landes erarbeiten werden. Wir haben im Übrigen auch einen Prüfungsauftrag an das Wissenschaftsministerium gegeben, zu untersuchen, ob die Informatikstudiengänge an den Universitäten nicht umstrukturiert werden können.

Summa summarum kann man feststellen: Baden-Württemberg tut alles, dass den jungen Menschen gerade im Be

reich der Bildungs- und Wissenschaftspolitik Zukunftschancen eröffnet werden. Wir haben heute schon – das gilt erst recht für die Vergangenheit – genügend Studenten, die dann den Bedarf der Wirtschaft an hoch qualifizierten Kräften abdecken können. Ich darf aber auch hinzufügen – das Beispiel ist ja genannt worden –: Ich denke dabei an Niedersachsen, Herr Kollege Brinkmann, und an Bundeskanzler Schröder, der damals Ministerpräsident war. Ich darf Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten aus dem „Spiegel“ dieser Woche zitieren.

(Abg. Brinkmann SPD: Bedauerlich! Aber ich ha- be Ihnen Beispiele aus dem Land genannt! – Abg. Haasis CDU: Die SPD ist in Urlaub!)

Da heißt es wörtlich, ich zitiere:

Abends, wenn der Informatik-Professor Joachim Biskup den Fernseher einschaltet, kommt er aus dem Staunen nicht mehr raus. Da sieht er, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder verspricht: „Wir wollen Deutschland zu einem Land machen, das führend in der Informationstechnologie ist.“ Und er hört ihn klagen, das Land habe nicht genügend Computerspezialisten ausgebildet – „wegen der Fehler der Regierung Kohl“.

Sie haben vorhin ja Herrn Kollegen Rüttgers genannt. Dann sagt Herr Biskup, er als Professor in Niedersachsen müsse einfach bestätigen, dass in der Amtszeit des Ministerpräsidenten Schröder der Informatikstudiengang an der Hochschule Hildesheim geschlossen worden sei. Das ist der Skandal, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Das bringt mich abschließend zu der Bemerkung: Das Thema Greencard wäre auch unter diesem Gesichtspunkt noch einmal wesentlich relativiert, wenn jedes Bundesland die gleichen Erfolge aufzuweisen hätte wie Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aktuellen Debatte unter Tagesordnungspunkt 3.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion Die Republikaner – Gesetz zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg – Drucksache 12/4795

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort hat Herr Abg. Herbricht.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Politik ist dem Auftrag von Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes, Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung zu stellen, in den letzten 30 Jahren nicht gerecht geworden. Wenn wir den Zustand der bundesdeutschen Familien mit über 180 000 Scheidungen pro Jahr zuzüglich der 150 000 unmündigen Kinder,

die dadurch zu Scheidungswaisen werden, betrachten, dann besteht kein Zweifel daran, dass wir Zeugen einer der größten Kulturrevolutionen in unserer christlich-abendländischen Geschichte sind.

Wir erleben die innere Auflösung der bürgerlichen Familie. In den städtischen Ballungsgebieten ist heute fast jeder zweite Haushalt ein so genannter Singlehaushalt. Wohngemeinschaften, nicht eheliche Lebensgemeinschaften, gleichgeschlechtliche Partnerschaften treten in Konkurrenz zur traditionellen Familie – ein Umstand, der uns aus unserem nationalkonservativen Selbstverständnis heraus zum politischen Handeln zwingt.

(Abg. Kluck FDP/DVP: Was? Was?)

Nationalkonservatives Selbstverständnis, Herr Kollege.

(Abg. Deuschle REP: Das war übrigens mal die FDP!)

Aber das haben sie abgelegt, das ist richtig.

Die Auflösung und das Zerbrechen der Familien bedeutet letztlich die innere Auflösung des Staates sowie der ganzen Gesellschaft und damit all dessen, was unsere christliche Kultur ausmacht, eine Kultur, auf der die Wertordnung des Grundgesetzes basiert und aus der unser ganzes Sozialsystem abgeleitet wird.

Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht es darum, die Familie sowie deren Schutz und Förderung wieder zum Mittelpunkt der Gesellschaftspolitik zu machen. Zwar schützt bereits der Artikel 6 des Grundgesetzes die Familie; aber da der Staat das Recht zur Privilegierung bestimmter Lebensformen hat, spricht nichts dagegen, dass sich das Land in Form eines Staatszieles zur vorrangigen Förderung der Familie verpflichtet.

Dabei ist es allerdings unerlässlich, dass der schleichenden Aushöhlung des Familienbegriffes endlich Einhalt geboten wird.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

Eine Politik darf nicht nur individuelle Lebensverwirklichungen respektieren, sondern muss auch den Mut haben, Leitbilder zu vermitteln und Grenzen zu setzen.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner – Abg. Deuschle REP: Sehr gut! Bravo!)