Protokoll der Sitzung vom 22.03.2000

Er hat erzählt, Herr Kollege Mühlbeyer, dass zentralistischen Einrichtungen Kundenfreundlichkeit fehlt. Aber dann ist die Rede des Kollegen Döpper doch eine Rede gegen die Zusammenlegung.

(Abg. Haas CDU: Nein!)

Denn wenn wir diese beiden Anstalten, die jetzt effizient und gut arbeiten, zusammenlegen, dann bekommen wir wieder etwas Großes. Meine Damen und Herren, wir erleben in der Wirtschaft zurzeit, dass große Fusionsbestrebungen im Gange sind. Wenn man nach einigen Jahren prüft, was das Ergebnis dieser Zusammenlegungen ist, dann zeigt sich, dass in einer großen Zahl der Fälle nach einer Zusammenführung schlechter gearbeitet wird, weniger produziert wird und weniger für die Bürger und für die Mitarbeiter der jeweiligen Organisationen getan wird. Im vorliegenden Fall befürchte ich, dass genau das Gleiche geschehen wird.

(Abg. Hehn CDU: Nein! – Zuruf des Abg. Pfiste- rer CDU)

Wir hatten uns im Juli 1999 für die Zusammenlegung der beiden Landesversicherungsanstalten ausgesprochen. Damals waren wir der Meinung, eine Vereinheitlichung des Versicherungsbegriffs würde endlich zu einer Zusammenlegung der Arbeiter- und der Angestelltenversicherung führen. Das ist ein sachlicher Grund für die Zusammenlegung von Landesversicherungsanstalten.

Inzwischen zeigt sich, dass das Zuständigkeitsänderungsgesetz, auf dem das Ganze basiert, weiter auf die lange Bank geschoben wird. Solange auf Bundesebene nichts geschieht, ist sachlich kein Nutzen aus der Zusammenlegung der beiden Versicherungsanstalten zu erkennen. Herr Kollege Müller hat absolut Recht: Zwei vitale Anstalten werden zusammengelegt, und es gibt keine Vorteile. Die Kollegin Bender hat Recht: Das Land Baden-Württemberg hat nach der Zusammenlegung der Anstalten in dem Prozess der Organisationsreform auf Bundesebene eine Stimme weniger.

Die Versprechungen der CDU, man werde nur zusammenlegen, wenn es Synergieeffekte gebe, wenn sich finanzielle Vorteile ergäben, haben sich als leeres Gerede erwiesen.

Meine Damen und Herren, bei einer Zusammenlegung ist nicht die Größe wichtig, sondern die Kompetenz. Wir haben heute eine ähnliche Situation wie bei dem Vertrag von Maastricht, wo gegen das Interesse der Bürger entschieden wurde, oder bei dem Vertrag über die Einführung des Euro, wo gegen den Willen der Bürger entschieden wurde. Unsere Fraktion lehnt, ebenso wie die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, die Zusammenlegung der beiden Versicherungsanstalten ab.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Haas CDU: Wieso haben Sie eigentlich im Ausschuss zuge- stimmt?)

Das Wort hat der Herr Sozialminister.

(Abg. Nagel SPD: Nicht so lange reden, Herr Rep- nik, sonst kommen eure Leute!)

Doch, ich muss länger reden, damit die Leute kommen. Ich wollte eigentlich kürzer reden, aber jetzt muss ich länger reden, bis unsere Leute kommen.

(Abg. Dr. Glück FDP/DVP: Wir sind doch da!)

Aber es fehlen trotzdem noch ein paar.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen zweiten Lesung des Gesetzentwurfs über die Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg sind wir kurz vor dem Ziel der Errichtung einer Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg zum 1. Januar 2001 angelangt.

Herr Dr. Müller und Frau Bender haben gesagt, sie hätten eigentlich gar nichts dagegen, aber sie lehnten das Gesetz aus den genannten Gründen ab. Herr Dr. Müller hat nicht einen einzigen Grund genannt, warum er nicht zustimmen kann. Frau Bender hat wenigstens einen Grund genannt, nämlich den Zeitpunkt. Aber Sie, Herr Dr. Müller, haben keinen einzigen Grund genannt.

(Abg. Dr. Walter Müller SPD: Sie haben mir nicht zugehört, Herr Minister!)

Aufgrund der Beratungen hier im Plenum und im Sozialausschuss bin ich der festen Überzeugung, dass es richtig war, nicht den einfachen Weg zu wählen. Die Errichtung einer LVA Baden-Württemberg ist ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, der Effizienz und der Bürgernähe der Verwaltung, weil man die Bürgernähe dann auch im ganzen Land einheitlich gestalten kann. Sie ist ein wichtiger Beitrag für die Organisationsreform auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung, weil damit ein Signal gesetzt wird, und natürlich auch für die Landesidentität der Sozialversicherung.

Die Errichtung einer LVA Baden-Württemberg ist überwiegend nie abgelehnt worden. Lediglich der Zeitpunkt wurde teilweise für falsch gehalten. Bereits bei der ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen, dass ich es für uneingeschränkt richtig halte, jetzt zu handeln und die Organisationsreform auf Bundesebene, die schon seit Jahren kommen soll, nicht abzuwarten.

Bereits 1996, Herr Mühlbeyer, haben die Länder ihre Vorstellung für eine bundeseinheitliche Organisationsreform auf den Tisch gelegt. Seither gibt es auf verschiedenen Ebenen zwischen Bund und Ländern Gespräche, die aber bisher noch nicht zu einem Konsens geführt haben. Das liegt vor allem daran, dass die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und die Bundesregierung keinerlei Kompromissbereitschaft zeigen und auf ihren zentralistischen Vorstellungen beharren. Schon deswegen müssen wir hier ein Signal setzen.

Es ist also alles andere als sicher, dass es in den nächsten Jahren zu einer Organisationsreform kommt. Deshalb war es richtig, mit der Errichtung einer LVA Baden-Württemberg nicht zu warten, sondern jetzt zu handeln. Die Zeit bis zu den Jahren 2005/06 ist zu lang.

Lassen Sie mich die Vorteile einer LVA Baden-Württemberg noch einmal benennen. Wir setzen damit im Sinne des

Föderalismus ein Zeichen für große und leistungsfähige landesunmittelbare Sozialversicherungsträger. Eine starke LVA Baden-Württemberg hat gegenüber dem Bund mit seinen Zentralisierungsabsichten eine bessere Chance für eine Eigenständigkeit. Die LVA Baden-Württemberg wird neben der LVA Rheinprovinz zu den größten deutschen Landesversicherungsanstalten gehören mit einem Volumen von über 38 Milliarden DM und 5 600 Beschäftigten.

Unsere Fusion hat bewirkt, dass andere Länder inzwischen unserem Beispiel folgen wollen. Auch dadurch werden die Gespräche über die Organisationsreform neue Impulse erhalten. Selbst wenn es zur Verwirklichung der bundesweiten Organisationsreform kommt, werden weitere Umstrukturierungen auf Landesebene entbehrlich sein, weil wir im Gegensatz zu anderen Ländern unsere Hausaufgaben schon gemacht haben. Einer LVA Baden-Württemberg wird es leichter fallen, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, als einem kleinen Träger.

Noch ein paar Bemerkungen zu dem wohl schwierigsten Punkt der ganzen Fusion: dem Sitz des neuen Versicherungsträgers. Die Entscheidung, dass der Hauptsitz der LVA Baden-Württemberg in Karlsruhe sein soll, haben wir uns nicht leicht gemacht. Ich denke, dass es uns durch die Festlegung des Hauptsitzes, das heißt der Zentrale, in Karlsruhe – Sitz der Organe – und einem Sitz in Stuttgart gelungen ist, eine für alle Beteiligten zumindest vertretbare Lösung zu finden. Wir haben dafür gesorgt, dass eine ausgewogene Verteilung von öffentlichen Einrichtungen in Baden-Württemberg zustande kommt.

Der Selbstverwaltung wird im Gesetzentwurf Vorrang eingeräumt. Von Anfang an war es uns wichtig, Herr Dr. Müller, deren Organe einschließlich des Personalrats in Gespräche einzubeziehen. Sowohl mit den Vorsitzenden der Vertreterversammlungen als auch mit den Geschäftsführern der bisherigen Landesversicherungsanstalten wurde mittlerweile ein Zeitplan für die Umsetzung des Errichtungsgesetzes vereinbart.

Auch für die Übergangszeit haben wir vorgesorgt. Bis zur Wahl der Organe wird das Sozialministerium die Geschäftsführer – –

(Abg. Kurz CDU unterhält sich mit Abg. Hauk CDU. – Glocke des Präsidenten)

Meine Herren, ich darf Sie bitten, in den vorderen Reihen dem Herrn Minister zuzuhören.

(Abg. Haas CDU: Und in den hinteren? – Heiter- keit)

Bis zur Wahl der Organe wird das Sozialministerium die Geschäftsführer, die Vorstandsmitglieder und die Vorsitzenden der Vertreterversammlungen als die klassische Selbstverwaltung zu Beauftragten bestellen und damit die Handlungsfähigkeit der LVA Baden-Württemberg von Anfang an sicherstellen. Trotzdem wäre mit Sicherheit allen Beteiligten damit gedient, die Übergangszeit so kurz wie möglich zu halten. Ich würde es deswegen außerordentlich begrüßen, wenn es zu einer so genannten Friedenswahl käme, also einer Wahl ohne

(Minister Dr. Repnik)

Wahlhandlung. Das würde bedeuten, dass wir keine 15 bis 16 Millionen DM brauchen, sondern mit nur 75 000 DM zurande kommen.

Es liegt nun an Ihnen allen, den Weg frei zu machen für einen starken und leistungsfähigen baden-württembergischen Rentenversicherungsträger.

(Beifall des Abg. List CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Haas?

(Abg. Nagel SPD: Zeitverschwendung! – Abg. Deuschle REP: Zeitschinder! Zeitverzögerung!)

Herr Minister, haben Sie eine Erklärung dafür, dass im Sozialausschuss insgesamt vier Fraktionen dem Gesetzentwurf zugestimmt haben und heute nur zwei Fraktionen die Zustimmung signalisiert haben?

Ich muss hier gestehen, dass ich das zu meiner großen Überraschung auch erst heute zur Kenntnis genommen habe. Ich habe dafür keine Erklärung. Es kann mit Sicherheit keine demokratische Erklärung geben.

(Abg. Oettinger CDU: Das ist die Nach-Kohl- Ära!)

Es haben sich in den letzten vier Wochen keine bedeutenden neuen Erkenntnisse gezeigt; im Gegenteil, die Personalräte haben mehr oder weniger zugestimmt. Die Selbstverwaltungsorgane haben zugestimmt. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum die Grünen auf der einen Seite und die Republikaner auf der anderen Seite plötzlich nicht mehr zustimmen wollen.

(Zuruf der Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen)

Ich kann es mir in der Tat auch nicht erklären.

Ich gehe aber davon aus, dass es vielleicht auch daran liegt, dass man der Meinung ist, vielleicht müssten zu viele Angestellte umziehen. Gerade dadurch, dass wir den Hauptsitz in Karlsruhe und einen Sitz in Stuttgart haben, kann man davon ausgehen, dass nur wenige Angestellte umziehen müssen; vielleicht einige von der Führungsebene, weil natürlich der Stab, die Grundsatzabteilung, die Verwaltung, die Personalabteilung wahrscheinlich ihren Sitz in Karlsruhe haben werden. Ich bin auch ganz sicher, dass die Verwaltung und die Selbstverwaltung für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die umziehen müssen – in der oberen Ebene; es ist übrigens zumutbar, zwischen Stuttgart und Karlsruhe umzuziehen –, eine sozialverträgliche Lösung finden werden.

Ich gehe davon aus, dass wir nun die Mehrheit haben,

(Lachen bei den Republikanern)

und bitte Sie deshalb, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, in der Allgemeinen Aussprache liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen damit in der Zweiten Beratung zur E i n z e l a b s t i m m u n g. Abstimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des Sozialausschusses, Drucksache 12/4855.

Ich rufe auf

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