Die Zahl der Zivildienstleistenden wird um über 15 % gekürzt – von etwa 130 000 auf ca. 110 000. Die Träger werden mit über 200 % mehr belastet. Da sagen Sie: Es trifft die Richtigen.
Sie haben vorhin gesagt, die Verbände hätten sich darauf eingestellt. In meinem Ministerium liegen stapelweise Briefe – auch neueren Datums – von den Verbänden, die sich darüber beklagen, was sie alles kürzen müssten, wenn die angesprochenen Maßnahmen auf sie zukommen. Ich weiß nicht, welche Gesprächspartner Sie haben – mit Sicherheit nicht die richtigen.
Vielleicht sollten wir einmal darüber sprechen, wie sich die Sparbeschlüsse auf Baden-Württemberg auswirken. Wir haben in Baden-Württemberg ca. 20 000 Zivildienstleistende. Davon sind 19 500 im sozialen Bereich tätig – 19 500! –, 11 400 im Bereich der Pflegehilfe und Betreuungsdienste, 1 075 im Bereich Krankentransport und Rettungswesen und über 800 in dem von Ihnen vorhin angesprochenen Bereich der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung. Allein die Diakonie rechnet damit, dass ihr ab Juli 30 % an Zivildienstleistenden fehlen. Das bedeutet: Allein im Bereich Diakonie fehlen pro Jahr über eine Million Stunden für die Betreuung von Behinderten und von Alten – allein im Bereich Diakonie! Dann sagen Sie, das sei alles gar nichts, wir könnten es auch anders richten.
So einfach kann man es sich nicht machen. Sie haben diesem Bereich mit Ihrer Argumentation in der Tat keinen Gefallen getan. Ich hoffe, dass das, was Sie, Herr Müller, gesagt haben, in allen Blättern der Liga der freien Wohlfahrtspflege verbreitet wird. Das, was Sie hier betrieben haben, war in der Tat ein sozialpolitischer Kahlschlag.
Ich glaube, es zeigt sich auch, dass unsere sozialen Einrichtungen – Krankenhäuser, Alteneinrichtungen, Kinder- und Jugendheime, Behinderteneinrichtungen und mobile soziale Hilfsdienste – sehr stark von Zivildienstleistenden abhängig sind.
Und, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Verbände haben rechtzeitig gewarnt. Nun wird hier von der linken Seite einfach gesagt, es handle sich um ein Problem der Verbände. Nein, es ist eben nicht ein Problem der Verbände. Es ist ein Problem für die Steuerzahler, die mehr zahlen müssen, für die Beitragszahler der Pflegekassen und
für die Pflegekassen allgemein. Wir alle sind betroffen, und es wird natürlich ein Problem der Behinderten, der Alten, der Schwachen.
Die Folgen werden sein: Im Juni werden etwa 55 000 Zivildienstleistende ausscheiden. Im Juli werden wir nur noch 94 000 Zivildienstleistende haben, das heißt 40 000 weniger als jetzt. Im Oktober wird sich die Zahl zwar wieder etwas erhöhen, weil neue Zivildienstleistende eingestellt werden. Aber die Entwicklung wird zumindest dahin führen, dass wir etwa 20 000 Zivildienstleistende weniger haben als jetzt. Das führt dazu, dass wir weniger Betreuungszeiten anbieten können, dass wir Dienstleistungen verteuern müssen, dass wir weniger Beziehungsangebote insgesamt haben, dass wir vielen Menschen – vor allem gerade denjenigen, die rund um die Uhr eine individuelle Sonderbetreuung erfahren – nicht mehr die Möglichkeit geben, selbstbestimmt zu leben, sondern sie in Heime einweisen müssen. Und wir werden zu einer Verschlechterung der Lebensqualität von älteren Menschen kommen. Vor allem kleinere Einrichtungen, die keinen finanziellen Background haben, werden davon betroffen sein. Die AMSEL klagt auch schon sehr, und zwar zu Recht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich lebe in der Hoffnung – ich bin ja Berufsoptimist –, dass die Bundesregierung wieder dahin kommt, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden, und dass sie, wie sie es auch bei anderen Gesetzesvorlagen im letzten Jahr getan hat, auch in diesem Falle nachbessert zum Wohl unserer behinderten, alten und schwachen Menschen.
(Oh-Rufe von der SPD – Abg. Nagel SPD: Und das noch vor dem Essen! – Abg. Brechtken SPD: Lasst den Haas reden! Auch dieser Abgeordnete darf reden!)
Ich glaube, diese Debatte ist ein Spiegel der neuen Qualität der Sozialpolitik von Rot-Grün. So, wie das Thema in dieser Debatte ins Lächerliche gezogen wurde, ist es in einem Landtag nicht abzuarbeiten.
Das ist überhaupt kein Rohrkrepierer. Ich will Ihnen ganz genau sagen, weshalb wir dieses Thema auf die Tagesordnung haben setzen lassen:
Nicht nur, weil wir viele Briefe und besorgte Rückmeldungen von der Liga der freien Wohlfahrtspflege, von der Diakonie und anderen haben, sondern weil die Liga zum allerersten Mal – ich erlebe das nach zwölf Jahren Sozialpolitik zum ersten Mal – auf Kreisebene darum gebeten hat, zu diesem Thema mit uns ins Gespräch zu kommen.
Wir führen zu diesem Thema heute eine Aktuelle Debatte, weil Ihre Kolleginnen und Kollegen auf Ortsebene Zusagen machen, sie wollten etwas korrigieren, ohne dass bis heute etwas passiert wäre. Das ist der Grund, meine Damen und Herren.
Da können Sie lachen, Herr Capezzuto – so, wie Sie vorhin die ganze Zeit über dieses Thema gelacht haben. Ich finde es unwürdig, wie dieses Thema von der SPD hier behandelt wird.
(Abg. Bebber SPD: Sie waren gar nicht anwesend! – Weitere Zurufe von der SPD – Zuruf der Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen – Unruhe)
Meine Damen und Herren, die Aufgeregtheit kann ich verstehen. Leider sieht man im Protokoll nicht, wie Sie über dieses Thema gelacht haben. Aber die Fernsehkameras haben es aufgenommen; sie standen dort oben. Ich habe ganz genau aufgepasst.
(Abg. Nils Schmid SPD: Sie haben gesehen, wie wenig von Ihren Leuten da waren! Die Leute wa- ren alle beim Mittagessen!)
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass den Behinderten und den Schwachen in unserer Gesellschaft klargemacht wird, wie Sie mit diesem Thema umgehen.
Meine Damen und Herren, Frau Bender, wir haben uns in den vergangenen zwölf Jahren nichts vorzuwerfen, was unsere Haltung zum Zivildienst angeht. Kollege Repnik hat angesprochen, wie intensiv wir uns damit beschäftigt haben. Wir sind auch der vollen Überzeugung, dass wir den Zivildienst gerade im sozialen Bereich als stabilen Teil unseres Gesamtgefüges brauchen. Dazu stehen wir. Ich finde es nicht in Ordnung, wie Sie, Frau Bender, hier die Bundeswehrsoldaten gegen den Zivildienst ausgespielt haben.
Auf Ihr Geheiß sind die Soldaten in den Kosovo gefahren, und Sie spielen hier die Soldaten gegen den Zivildienst aus.
Die Botschaft ist übrigens klar geworden. Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit – darüber kann man reden – bedeutet das nichts anderes, als dass beim Zivildienst noch weiter gekürzt werden muss, um dem Anspruch gerecht zu werden.
Diese Botschaft ist angekommen. Darüber können Sie auch gerne mit uns reden; das will ich noch einmal quittieren.
Die Botschaft der SPD ist auch klar: Die Kürzung beim Zivildienst ist für sie kein Thema. Sie hat das hier ins Lächerliche gezogen. In den gesamten Reihen hier ist laut gelacht worden.
Es ist nicht nur schnoddrig gewesen, was Herr Kollege Müller vorgetragen hat, sondern es war unglaublich. Das muss man auch für die Öffentlichkeit wiederholen, lieber Herr Capezzuto.
Wir sind auf die Besorgnis der Liga der freien Wohlfahrtspflege eingegangen. Dieses Thema muss fortgeführt werden. Sie haben jegliche Ernsthaftigkeit vermissen lassen; das will ich noch einmal betonen.
Das ist der absolute Hohn. Ich will Sie daran erinnern: In Ihren Reihen gibt es 39 Bundestagsabgeordnete – dazu gehört auch der Kollege in meinem Wahlkreis –, die sich gegen dieses Sparpaket gewehrt haben – schriftlich, das können Sie nachlesen –, weil es eine soziale Schieflage begünstigen wird.