Mit dem Gesetzentwurf soll die außergerichtliche Konfliktbeilegung in doppelter Hinsicht gefördert werden. Zuerst einmal – das muss man deutlich sagen – sollen bereits bestehende Schlichtungsstellen gestärkt, gewürdigt und auf
gewertet werden, indem sie als Gütestellen anerkannt werden. Zweitens wollen wir in der Tat eine neue Form der obligatorischen Streitschlichtung für bestimmte Arten von Rechtsstreitigkeiten einführen.
Warum die Förderung der außergerichtlichen Schlichtung? Bevor ich darauf näher eingehe, darf ich noch daran erinnern, wie dieser Gesetzentwurf zustande kam, und vor allem daran, dass er schon 1996 von Baden-Württemberg im Bundesrat eingebracht wurde, unterstützt von anderen Bundesländern. Er ist also in gewisser Weise zumindest auch und vor allem unser Kind, unsere politische Idee gewesen. Es kam in der letzten Legislaturperiode des Bundestags nicht zu dem Gesetz, weil die Mehrheit der SPD-regierten Länder seinerzeit das gesamte Gesetzespaket, in dem diese Streitschlichtung enthalten war, abgelehnt hat. Ich sage aber offen: Ich bin der Bundesregierung dankbar, dass sie jetzt die Sache wieder aufgegriffen und insofern doch gesehen hat, dass das, was wir vorgeschlagen haben, nichts Schlechtes war, und jetzt den Ländern die Möglichkeit gibt, ihrerseits solche Gesetze zu erlassen und eine Möglichkeit der außergerichtlichen Schlichtung einzuführen.
Deutlich möchte ich machen, wenn wir über außergerichtliche Schlichtung reden: Unsere Gerichte – das ist nicht das Problem – arbeiten hoch effizient in Rekordzeiten. Wir liegen gerade beim Amtsgericht und beim Landgericht in den erstinstanzlichen Sachen, zum Beispiel in Zivilsachen, bundesweit überall auf Platz 1 mit hervorragenden Werten. Die Amtsgerichte und die Landgerichte sind imstande, die zivilrechtlichen Streitigkeiten zu entscheiden.
Das ist nicht unser Problem. Aber wenn eine Sache zum Gericht kommt, bedeutet das natürlich schon einen beträchtlichen Aufwand. Eine staatliche Dienstleistung dieser Art, auch wenn es nur ein einfacher Amtsgerichtsprozess ist, bringt natürlich schon einen ziemlich hohen Aufwand mit sich.
In diesen Prozessen – und das ist das Interessante – wird dann eine große Zahl von Streitigkeiten einvernehmlich geregelt. Dort wird also auch heute schon effektiv geschlichtet, allerdings erst, wenn der aufwendige Prozess angelaufen ist. Frage: Geht es nicht auch schon früher, bevor da ein erheblicher Aufwand anfällt?
Ich verkenne auch nicht, dass die Rechtsanwaltschaft natürlich einen großen Teil von kleineren Streitigkeiten schon bei sich und unter sich erledigt. Das ist sehr verdienstvoll, sodass wir, was die Bereiche außergerichtliche und gerichtliche Schlichtung sowie die Einigungsverfahren angeht, jetzt wirklich vorzeigbare Zustände haben. Aber wir wollen diesen eingeschlagenen Weg weiter beschreiten. Wir wollen weiter in Richtung Einigung gehen, und zwar möglichst bevor man vor Gericht streitet. Und ein Versuch mit den niedrigen Streitwerten bietet sich an, weil gerade bei niedrigen Streitwerten die Relation zwischen Aufwand und Ergebnis manchmal etwas problematisch ist.
Dazu muss man beispielsweise nur eine Zahl kennen: 40 % der Streitigkeiten in Zivilsachen vor den Amtsgerichten ha
ben einen Streitwert von unter 1 500 DM. Daran sieht man: ein großes Segment, in dem Prozesse geführt werden, von denen man sagen muss, dass vielleicht nicht jeder hätte geführt werden müssen, dass man manchen hätte vorher aus der Welt bringen können – übrigens auch mit einer höheren Befriedungswirkung, als wenn gestritten und entschieden wird. Bei einer Einigung kommt immer für beide Seiten etwas heraus. Das hat in der Regel auch eine bessere Wirkung für den Frieden unter den Parteien und für ihren Zufriedenheitsgrad.
Deswegen also die weitere Förderung außergerichtlicher Schlichtung, wie wir – das muss ich an dieser Stelle sagen – natürlich ohnehin jede Form der so genannten Mediation, der außergerichtlichen Schlichtung, ob sie auf dem Weg über dieses Gesetz oder auf anderen Wegen erfolgt, aus den eben genannten prinzipiellen Gründen unterstützen.
Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass wir zurzeit einen Modellversuch zur Mediation beim Landgericht und beim Amtsgericht Stuttgart in Zusammenarbeit mit den Anwaltsverbänden, insbesondere mit dem Anwaltsverband hier in Stuttgart, laufen haben. Auch das ist sozusagen ein zarter Spross von weiteren Formen außergerichtlicher Schlichtung. Ich könnte andere Beispiele nennen.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf fügt sich ein in ein Konzept, bei dem wir sagen: Der Staat muss nicht gleich alles machen, sondern wir können die Möglichkeiten ausschöpfen, unsere Probleme selbst zu lösen. Das tun wir in vielen Bereichen – natürlich auch außerhalb der Justiz – erfolgreich. Aber es ist auch ein Thema für die Justiz, und es ist auch ein Thema für die gerichtlichen Verfahren, dass man sich einmal fragen kann: Wann sollte der Staat mit seinen Problemlösungen ansetzen, und was können wir noch selbst mit guten Ergebnissen unter uns regeln? In diesen Kontext fügt sich also dieses Gesetz ein, das einen nächsten und wichtigen Schritt bringt.
Aber ich habe vorhin nicht umsonst betont: Wir führen damit nicht nur ein neues Verfahren ein, sondern wir stärken auch vorhandene Schlichtungsmöglichkeiten. Es gibt viele Schlichtungsstellen bei Kammern, Innungen und Verbänden, die erfolgreiche Arbeit leisten. Diese Arbeit werten wir dadurch auf, dass wir sagen, die obligatorische Schlichtung solle künftig auch vor diesen Stellen, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen – wenn sie anerkannt sind, aber das ist kein Problem; da gibt es in der Praxis sicher keine Schwierigkeiten –, als Gütestellen stattfinden können.
Ich möchte unter den vielen Stellen, die es dort gibt, nur eine nennen, die in jüngerer Zeit gegründet wurde, einen viel versprechenden Ansatz: Das ist die Schlichtungsstelle für kaufmännische Streitigkeiten Region Stuttgart, getragen von der Industrie- und Handelskammer und wiederum dem Anwaltsverein.
Auch weitere Stellen hätten es sicher verdient, genannt zu werden. Es gibt da – ich möchte es einmal so sagen – durchaus einen Ansatz zu einer ganzen Kultur von Schlichtungen, den wir noch besser in den Blick nehmen sollten, die eine anerkannte Arbeit leisten.
Aber nun zum Kernbereich dieses Gesetzes: Bei Streitigkeiten unter einem Streitwert von 1 500 DM wird künftig ein Einigungsversuch vorgeschaltet, und zwar ein Einigungsversuch auf professionellerer Grundlage, als wir ihn durch die Anwaltschaft, jedenfalls durch die rechtsberatenden Berufe, durchführen könnten, also durch Personen mit einer bestimmten fachlichen Autorität, was ich für ganz wichtig halte. Aber der Schlichtungsversuch wird, wenn er auch professionell ist, völlig formlos und unbürokratisch über die Bühne gehen. Der Schlichter kann praktisch das Verfahren selbst bestimmen. Es geht nur darum, die Betroffenen noch einmal an einen Tisch zu bringen und zu versuchen, die Sache gütlich aus der Welt zu schaffen.
Die Kosten, von denen natürlich immer geredet werden muss, werden je nach Aufwand, ob es zu einem Schlichtungsgespräch kommt oder nicht, ob es erfolgreich ist oder nicht, maximal 250 DM betragen. Diese Kosten werden entweder im Schlichterspruch auf die Parteien verteilt oder, wenn es doch zu einem Prozess kommt, der unterliegenden Partei auferlegt. Damit kann man sagen, dass wir ab dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ein sehr schnelles, ein sehr formloses, ein professionelles und sehr kostengünstiges Verfahren anbieten werden, um Streitigkeiten mit einem Streitwert von unter 1 500 DM ohne Gericht aus der Welt zu bringen.
Wir machen das über die Anwaltschaft, und damit ist das auch bundesweit ein Modell, wobei ich davon ausgehe, dass viele andere Länder diesem Beispiel folgen werden. Das hat mit vielem zu tun, auch mit der Akzeptanz des Verfahrens. Man hört gelegentlich als Einwand etwa: Die geben keine Ruhe, bis sie ein Urteil haben. Da wird sich niemand einigen, sondern die werden weitermachen, bis sie dann doch sozusagen einen Richter sehen.
Ich würde das nicht so schnell sagen. Man kann die Deutschen, in diesem Fall die Baden-Württemberger, nicht ohne Weiteres zu einem Volk von Prozesshanseln erklären, die nur dann zufrieden sind, wenn sie am Schluss vor Gericht sind. Ich bin überzeugt, dass bei vielen Fällen schon ein Blick ins Gesetzbuch oder eine einfache Information dazu führen wird, dass der eine oder andere sagt: „Gut, wenn das so ist, hat es keinen Wert.“ Oder: „Wir einigen uns.“
Das kann natürlich ein Anwalt am besten leisten. Es geht oft nicht um eine schwierige Mediation. Meistens handelt es sich doch im Grunde genommen um viele kleinere Streitigkeiten mit Handwerkern und Ähnliches. Oft geht es nicht um emotional aufgeladene Familiensachen, bei denen eine fachlich-psychologische Mediation gefragt wäre, sondern um ganz simple Rechtsfragen, darum, dass sich manche nicht auskennen, ob sie mit ihrem Vorhaben Erfolg haben können oder nicht. Das kann ihnen ein Anwalt als Schlichter unter Umständen in zwei Minuten sagen. Der Anwalt als Schlichter hat natürlich auch eine bestimmte Autorität. Ich lese immer die Meinungsumfragen darüber, wie das Sozialprestige der Berufe ist.
Insofern: Die Anwälte haben eine beträchtliche Autorität, auch im Verfahren. Darum glaube ich, dass wir für dieses Verfahren auch eine große Akzeptanz bekommen werden.
Ich möchte aber auch ganz deutlich sagen: Es geht gar nicht um den Ehrgeiz, dass ich in einem Jahr wieder hier stehe und sagen kann, dass wir soundso viele Schlichtungsverfahren haben. Es kann auch sein, dass die Anwaltschaft künftig Fälle mit einem Streitwert von unter 1 500 DM verstärkt unter sich regelt. Das ist mir auch klar. Mancher Anwalt wird, wenn jemand mit einem Streitwert von 800 DM zu ihm kommt, nicht sagen: „Da machen wir ein Schlichtungsverfahren beim Kollegen sowieso, dann sehen wir weiter“, sondern der wird künftig vielleicht sagen: „Lassen Sie es; ich mache das mit dem Kollegen oder mit der anderen Partei aus.“ Aber das ist uns ja im Grunde genommen genauso recht, weil es eben nur ein anderer Weg zur außergerichtlichen Streitbeilegung ist, die wir fördern wollen.
Ich sage allerdings deutlich, dass das Mahnverfahren davon unangetastet bleibt. In der Vergangenheit war ein gewisser Einwand, dass der säumige Schuldner das Verfahren verzögern kann, indem er es noch durch die Schlichtung zieht. Der Gläubiger braucht aber nur nach bewährter Manier einen Mahnbescheid zu beantragen. Für Sie ist dabei vielleicht auch interessant: Was in das Mahnverfahren geht, wird zu 80 % ohne anschließende Gerichtsverhandlung erledigt. Damit haben wir dann die dritte Variante. Auch das ist nichts anderes als ein Weg zur außergerichtlichen Schlichtung.
Insofern bin ich davon überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz einen Schritt nach vorn tun. Man kann das natürlich als ein Signal in Richtung einer veränderten Streitkultur bezeichnen. Ich habe vorhin einiges zur Rolle des Staates gesagt, zur Rolle der Gesellschaft, zu der Aufgabe, Dinge, soweit es geht, innerhalb der Gesellschaft, untereinander und ohne die staatlichen Institutionen zu erledigen.
Insofern ist dieses Gesetz sicher auch ein Signal zu einer veränderten Streitkultur. Ich würde mich freuen, wenn es im Behandlungsverfahren Ihre Zustimmung und Unterstützung fände.
(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Rech CDU – Abg. Heiler SPD: Jawohl! Abhaken! – Abg. Bebber SPD: Wenn die Rede kürzer gewesen wäre, hätten wir zugestimmt!)
Meine Damen und Herren, für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.
Das Gesetz über den obligatorischen Schlichtungsversuch, das die Landesregierung heute im Entwurf einbringt, verdient Anerkennung und Zustimmung, denn es ist eine wirkliche Innovation.
(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Bebber SPD: Revolutionäre Innovation! – Abg. Junginger SPD: Könnte von uns sein! – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Ist ja auch ein rot-grünes Gesetz!)
Es ist gemäß dem alten Satz „Der Gerechtigkeit Frucht soll Friede sein“ ein Beitrag zum sozialen Rechtsfrieden. Wir haben damit im Normzweck den Versuch und das Ziel, über diesen Güteversuch innerhalb von drei Monaten schnell, formlos und kostengünstig in einer Streiterledigungskultur dem Rechtsfrieden zu dienen. Dies steht, so denke ich, in der Tendenz, die wir aus dem Familienrecht, dem Arbeitsrecht und der Wirtschaft zunehmend kennen, zu der auch der Begriff des Mediators gehört, nämlich zu versuchen, Gewaltentscheidungen zu verhindern und Güteentscheidungen im Konsens herbeizuführen.
Denn jede Güte-Konsens-Entscheidung ist allemal besser als eine Zwangsentscheidung, da diese oft wieder nur Rechtsmittel herbeiführt und damit den Weg durch die Instanzen eröffnen kann.