Ulrich Noll
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Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es waren ja die Schlagzeilen, die vor etwa einer Woche in den Zeitungen zu lesen waren: „Erbgut des Menschen entziffert“, „Durchbruch in der Genforschung“, die dazu geführt haben, dass sich der Landtag heute eine Stunde Zeit nimmt, darüber nachzudenken und sich darüber auszutauschen. Das ist natürlich richtig bei einer Sache, die für die Zukunft auch dieses Landes so wichtig ist, sowohl einerseits, was die medizinische Entwicklung, das Schicksal künftig kranker Menschen bei uns im Land angeht, als auch andererseits, was die wirtschaftlichen Perspektiven in einem Land, in dem gerade die Biotechnologie schon jetzt eine gewaltige Rolle spielt, angeht. Es ist ein Thema, bei dem wir tatsächlich – und da möchte ich das aufgreifen, was Sie, Herr Müller, gesagt haben – einen Diskurs brauchen. Es hat mich nur gewundert, dass Sie den Landtag von diesem Diskurs ausschließen wollten.
Es ist sicher ein Diskurs, bei dem sich noch nicht jeder eine fertige Meinung gebildet hat. Mir ist vorhin in der Debatte aufgefallen, dass einer der Oppositionsredner gesagt hat, da könne man ja gar keine Fraktionsmeinung haben, während ein anderer den Vorwurf erhoben hat, dass noch keine Fraktionsmeinung gebildet worden sei. Wir befinden uns tatsächlich in einem offenen Diskurs um die Sache, den wir dringend brauchen. Wir brauchen eine breit angelegte Debatte, um vorhandene Informationsdefizite abzubauen, um irrationalen Ängsten entgegenzutreten und natürlich auch ein Stück Akzeptanz für eine moderne Entwicklung zu schaffen.
Es ist ganz klar: Forschung und Wissenschaft sind nach unserer Verfassung grundsätzlich frei – das ist keine Frage –, und sie sind nicht nur frei, sondern sie werden bei uns im Land auch deutlich materiell unterstützt und gefördert. Das ist von uns gewollt. Auf der anderen Seite ist aber auch ganz klar, dass der Freiheitsraum der Wissenschaft nicht grenzenlos sein kann. Nicht alles, was machbar ist, darf auch gemacht werden. Das ist ganz klar.
Auch noch so positive Zwecke, die letztlich Motivation für die Forschung sein mögen, können nicht alle Mittel auf
dem Weg der Erkenntnis und des Fortschritts rechtfertigen. Insofern ist die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit verfassungsrechtlich eingebettet in den Katalog der anderen Grundrechte, denen die Menschenwürde voransteht.
Das von der rechtlichen Seite her eigentlich Wichtige an der Debatte, in der wir stehen, ist, dass man es schafft, diesen Kontext der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit im Verhältnis zu anderen Grundrechten wie der Menschenwürde, die wir respektieren wollen, vernünftig darzustellen. Gerade dafür brauchen wir eben diesen vorurteilsfreien Diskussionsprozess unter Einbeziehung aller Beteiligten. Genau auf diesem Gebiet wird eine wesentliche Aufgabe des Gesetzgebers in der kommenden Zeit liegen. Der Bundestag wird dieselbe Debatte im März führen, und das ist kein Zufall. Auch die anderen Parlamente stellen sich dieser Diskussion.
In der letzten Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“ beispielsweise wurde das Jahr 2001 zu Recht als das Jahr der Biopolitik bezeichnet. Wir befinden uns im Jahr der Biopolitik und nehmen an der Diskussion teil, wobei wir uns natürlich bewusst machen müssen, dass es in vielen strittigen Einzelfragen kaum eindeutige und endgültige, richtige oder falsche Lösungen gibt.
Das gilt übrigens schon für die wissenschaftliche Bewertung dieser neuen sensationellen Forschungsergebnisse, die vor einer Woche vorgestellt wurden. Wir wissen jetzt, dass wir nur rund 30 000 Gene besitzen, enttäuschenderweise nur etwa ein Drittel mehr als die Fruchtfliege und der Fadenwurm. Wenn ich mich dem übrigens einmal laienhaft nähere, dass diese Zahl überraschend niedrig ist, dann muss ich feststellen, dass sie uns gerade klar macht, dass mit dieser Forschung möglicherweise noch nicht so viel entdeckt worden ist, wie man im ersten Moment meint. Denn das stößt einen darauf, dass jetzt natürlich gerade die Funktionszusammenhänge und die Wechselwirkungen der Gene und andere Prozesse wichtig werden, sodass, so sensationell dieses Ergebnis auch ist, auch deutlich wird: Es ist noch ein weiter Weg zurückzulegen; jahrzehntelange weitere Forschung wird sicher nötig sein, um die bisherigen Erkenntnisse und die Erkenntnisse der letzten Woche dann konkret in Therapien umzusetzen. Wir haben aber auch Zeit, etwas gegen böse Folgen zu unternehmen.
Weil die Dinge im Fluss sind, müssen wir natürlich auch sagen: Unsere bestehenden rechtlichen Regelungen wie zum Beispiel das Embryonenschutzgesetz sind nicht auf Dauer und von vornherein endgültig und starr festgelegt und fixiert. Wir müssen in der kommenden Zeit auch über diese Regelungen diskutieren, und auch diese Diskussion sollte nicht vorrangig durch irrationale Ängste und theoretische Gefahren geprägt sein. Auf der anderen Seite wollen wir die bestehenden Gefahren ernst nehmen.
Lieber Herr Kretschmann, ich persönlich akzeptiere voll Ihre Positionen. Auf der anderen Seite muss ich aber sagen: Wenn Sie mit einem Redebeitrag fertig sind, dann bin ich immer völlig fertig. Ich stehe zwar nicht kurz davor, mich zu erschießen – so weit geht es nicht –, aber manchmal denke ich: Muss man es tatsächlich so düster sehen?
Alles, was es im menschlichen Leben gibt, alles, was es gibt, kann man auch missbrauchen. Nehmen wir beispielsweise das Hauptthema für uns Liberale, die Freiheit. Natürlich können Sie die Freiheit von A bis Z missbrauchen. Aber wollen wir deswegen misstrauisch gegenüber der Freiheit sein, oder wollen wir ihr gegenüber positiv eingestellt sein? Das ist für uns eigentlich keine Frage. Am Scheideweg, ob man es eher pessimistisch oder eher positiv sieht, trifft jeder seine Entscheidungen. Ich sehe es sicher eher optimistisch, auch wenn man die Gefahren im Auge haben muss.
Bitte?
Ja, die menschliche Freiheit ist schlecht teilbar, sagen wir einmal. Sie ist begrenzbar und muss begrenzt werden. Aber wir haben es in der Forschung im Prinzip mit derselben menschlichen Freiheit zu tun wie bei anderen Formen der Freiheit und bei dem, was wir sonst mit unserer Zeit anfangen. Das hängt schon an einem Stück.
Um unsere eigene Gesetzgebung, um die es jetzt noch ein bisschen gehen soll, zu behandeln und fortzuschreiben, brauchen wir natürlich nüchterne Folgenabschätzungen unter Beteiligung aller Akteure und Betroffenen. Um auch zu konkreten Vorschlägen zu kommen, sollten wir nach meiner Meinung die Erörterung darüber fortsetzen, ob Deutschland nicht der Biomedizinkonvention des Europarats beitreten sollte, wofür sich die Landesregierung in der Vergangenheit ja schon mehrfach ausgesprochen hat. Es geht dabei um die Streitfrage, dass wir die globale Dimension der Forschung nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Ich bin der Meinung, dass uns in Europa verbindliche Mindeststandards für alle durchaus gut täten. Dass wir diese Mindeststandards in Deutschland schon jetzt überschreiten, braucht sich dadurch nach meiner Überzeugung nicht zu ändern. Das soll so bleiben. Aber ich würde nicht die Konvention ablehnen, weil sie weniger Schutz bietet als das, was wir in unsere Gesetze schreiben, mit der Folge, dass wir überhaupt keine europäischen Mindeststandards haben.
Was unsere eigene Embryonenschutzgesetzgebung angeht, die auch im Zentrum der Biomedizinkonvention steht oder zumindest zu ihrer Thematik gehört, wird man heute sagen können: Das relativ scharfe Gesetz von 1991 hat sich grundsätzlich bewährt. Seine Schutznormen verbieten einiges; das ist nicht zu übersehen.
Verboten sind die Erzeugung von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken, die missbräuchliche Verwendung, die Geschlechterwahl, die künstliche Veränderung von Keimbahnzellen, das Klonen von Menschen, die Bildung von Chimären oder Hybridwesen. Mit dem Gesetz werden, glaube ich, alle, die hier gesprochen haben, zufrieden sein können, und das Gesetz hat sich im Wesentlichen bewährt. Das muss man sagen.
Aber natürlich ist in den zehn Jahren seit dem Inkrafttreten des Gesetzes die humangenetische Forschung stark vorangeschritten. Ich brauche nur heute in der „Südwest Presse“ zu lesen, was in Belgien, in Brüssel, passiert. Wir müssen schon zur Kenntnis nehmen, was anderswo passiert, und uns fragen: Wollen wir das Gesetz fortschreiben? Wie wollen wir in der Gesetzgebung fortfahren?
Mein Vorschlag wäre, ein spezielles Fortpflanzungsmedizingesetz zu schaffen. Ein derartiges Gesetz könnte auch einige der wenigen Aspekte, die ich im Folgenden noch ansprechen möchte, klar regeln und damit gesicherte rechtliche Rahmenbedingungen schaffen.
Nehmen wir beispielsweise den Umgang mit embryonalen Stammzellen. Nach gegebener Gesetzeslage ist in Deutschland das Herstellen – interessanterweise nicht das Importieren – embryonaler Stammzellen, also die Befruchtung zu einem anderen Zweck als zum Zweck der Herbeiführung der Schwangerschaft, also die Befruchtung, um embryonale Stammzellen zu gewinnen, verboten. Der Import ist möglich.
Problematisch ist dabei die Frage: Was passiert mit den überzähligen Embryos – das ist bis heute ungeklärt –, die anfallen, wenn zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft befruchtet wird und dabei überzählige Embryos entstehen? Darf an ihnen geforscht werden? Ich glaube, das ist der nächste Komplex, dem wir uns zuwenden müssen, um dort die Grauzone zu beseitigen.
Eines ist sicher: An dem Verbot der Herstellung von Embryonen zu anderen als zu Schwangerschaftszwecken – das ist für mich die Mindestanforderung, die ich hier formulieren würde – sollte grundsätzlich festgehalten werden.
Als Nächstes haben wir den Bereich der Präimplantationsdiagnostik, der natürlich problematisch ist. Da wird – Sie wissen das – einem Embryo, der im Reagenzglas erzeugt ist, eine Zelle entnommen, und diese wird auf Chromosomenschäden und fehlerhafte Gene untersucht, bevor der Embryo in den Mutterleib eingepflanzt wird.
Da stellt sich noch schärfer als bei der Pränataldiagnostik, die es ja gibt, die Frage der Selektion, des Kindes nach Wahl. Die Pränataldiagnostik ist im Prinzip nicht viel anders. Da entnimmt man Zellen vom Embryo im Mutterleib zu einem Zeitpunkt, zu dem noch eine Abtreibung möglich ist. Das ist eigentlich nichts anderes, nur zu einem späteren Zeitpunkt. Man hat es im Grunde genommen mit artverwandten Dingen zu tun.
Eines ist klar: Nach herrschender Auffassung steht das geltende Embryonenschutzgesetz der Präimplantationsdiagnostik entgegen. Wir müssen auf der einen Seite auf diesem Feld wirklich alles tun, damit es nicht so kommt, dass Leben generell durch Befruchtung im Reagenzglas hergestellt wird, um es anschließend zu testen und bei Nichtgefallen zu selektieren und zu vernichten. Das darf nicht passieren.
Auf der anderen Seite kann es natürlich Situationen geben, in denen ich eine derartige Präimplantationsdiagnostik nicht von vornherein für unzulässig halten würde. Ich denke zum Beispiel an Familien mit hohen genetischen Risikofaktoren. Bei denen ist es natürlich hart, zu sagen: „Ihr könnt überhaupt keine Kinder haben.“ Es wäre aber auch unverantwortlich, sie sozusagen ständig probieren zu lassen mit der Folge, dass sie keine gesunden Kinder bekommen oder keine gesunden Kinder bekommen können und das Ganze mit hohem Risiko behaftet ist. Sollten wir also Familien, von denen wir wissen, dass eine hohe genetische Belastung und ein hoher genetischer Risikofaktor bestehen, nicht die Möglichkeit eröffnen, ein Kind zu bekommen, das die schwere Erbkrankheit nicht hat? Diese Frage müssen wir uns, glaube ich, schon offen und auch mit einer positiven Tendenz zugunsten dieser Familie stellen. Da geht es dann darum, konkrete Grenzen und Indikationen für die Zulässigkeit einer Präimplantationsdiagnostik festzulegen.
Jetzt komme ich weg von der Fortpflanzungsmedizin. Ein weiteres Gebiet, das ich nur noch kurz ansprechen möchte, ist der Bereich der biotechnologischen Erfindungen und damit der Umsetzungsprozess, in dem wir uns ja befinden, was den harten rechtlichen Rahmen angeht, der Umsetzungsprozess, was die EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen angeht. Das Gesetzgebungsverfahren ist in vollem Gang. Wir aus BadenWürttemberg haben allen Grund, auf einen schnellen Fortgang der Arbeiten an dieser Richtlinie zu drängen, weil gerade auch bei uns im Land die Unternehmen natürlich Klarheit brauchen, wie weit der rechtliche Schutz reichen soll. Sie wissen, nach der Richtlinie könnten der menschliche Körper und die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile einschließlich seiner Gene nicht Gegenstand von Patenten sein. Aber das ist natürlich zunächst einmal leicht gesagt und dann schwer in ein konkretes Gesetz umzugießen. Wir müssen aber alles tun, um dieses Gesetz zu beschleunigen.
Lassen Sie mich einen letzten Bereich thematisieren. Es wurden der Schutz der Daten und die Möglichkeit von Gentests im Bereich des Versicherungsrechts und des Arbeitsrechts angesprochen. Meine Damen und Herren, es ist gar keine Frage: Man kann sich kaum sensiblere Daten vorstellen als diese persönlichen Daten, die mittels Gentests über einen Menschen gewonnen wurden. Deswegen ist für mich auch völlig klar, dass für die Forschung an Personen oder die Verwendung entsprechender Daten immer die Einwilligung des Betroffenen notwendig ist und dass auch ein bewusster Verzicht auf solche Erkenntnisse und solches Wissen möglich sein muss, dass auch das Recht auf Nichtwissen schützenswert bleibt.
Wir werden in letzter Zeit natürlich verstärkt mit der Frage konfrontiert: Was machen wir, wenn Versicherer auf solche Tests drängen, wenn Arbeitgeber auf solche Tests drängen, die ja in einzelnen Ländern Versicherungsunternehmen schon jetzt verboten sind? Zum Beispiel in Schweden und in den Niederlanden ist Versicherungsunternehmen das Verlangen von Gentests verboten. Der Bundesrat hat die Bundesregierung im letzten Jahr aufgefordert, einen Gesetzentwurf mit spezifischen Regeln vorzulegen, nach denen es auch bei uns den Versicherern verboten ist, eine Genomanalyse zur Voraussetzung für den Abschluss eines
Vertrags zu machen. Schwieriger ist die Frage: Was macht man mit Erkenntnissen aus bereits vorgenommenen Untersuchungen? Kann man die vollständig ausschließen? Damit haben wir wieder eine Frage, bei der es um die Grenzziehung geht.
Ich glaube aber, man muss zunächst einmal deutlich sagen: Wir werden bei uns nie zulassen können, dass im Versicherungsrecht und im Arbeitsrecht solche Tests verlangt werden. Man wird immer mit guten Gründen dagegen sein müssen. Man wird auch sehr vorsichtig mit vorhandenen Untersuchungsdaten umgehen müssen. Auch da wäre ich für eine sehr zurückhaltende Linie, und zwar aus dem Grund: Wir müssen auch rechtlich deutliche Grenzen setzen, zum Beispiel in der Fortpflanzungsmedizin, bei den Versicherungen und im Arbeitsleben. Wir müssen rechtlich deutliche Grenzen setzen, damit auch Vertrauen entsteht und gegenüber diesem ganzen Komplex keine irrationalen Ängste aufgebaut werden.
In diesem dann gesteckten Rahmen, glaube ich, können wir genug tun, um der Forschung die notwendigen Freiräume für die Zukunft zu eröffnen. Vielleicht gelingt es ja, auch in diesem Haus zu einem Konsens über die Möglichkeiten der Forschung zu kommen. Wir wissen ja nicht erst seit letzter Woche, dass sich die Menschen nach neuesten Erkenntnissen in genetischer Hinsicht offenbar nur um 0,01 % unterscheiden. Wenn ich jetzt den rechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion anschaue, muss ich sagen: Das hätte ich nicht geglaubt, Herr Bebber: Wir unterscheiden uns nur in 0,01 % unserer Gene.
Im Durchschnitt vielleicht.
Wenn man überlegt, meine Damen und Herren, wie dicht wir alle genetisch beieinander liegen, dann bin ich zuversichtlich, dass wir auch die anspruchsvolle Debatte über die Zukunft der Gentechnik mit einem Konsens zu Ende bringen werden.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schutz der Allgemeinheit vor besonders gefährlichen Straftätern ist eine, wenn nicht gar die zentrale kriminalpolitische Herausforderung. Die Landesregierung hat dazu einen ausgewogenen Gesetzentwurf eingebracht, und der Kollege Schäuble hat ihn bei der ersten Lesung engagiert und eingehend begründet.
Meine Damen und Herren, das Ziel dieses Gesetzentwurfs ist es, zukünftige Opfer von Straftaten zu vermeiden. Es geht um Prävention. In unseren Gefängnissen sitzen immer wieder Straftäter, die wir – das ist eine Tatsache – bei der jetzigen Rechtslage zum Strafende entlassen müssen, obwohl wir sicher sind, dass diese Täter nach ihrer Entlassung erhebliche Straftaten begehen werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte keinem Opfer sagen müssen: Wir wussten zwar, dass der Täter hinterher mit großer Wahrscheinlichkeit neue schwere Straftaten begehen wird, aber wir hatten Bedenken; wir hatten Bedenken wegen der Zuständigkeit, wegen der Verhältnismäßigkeit; wir hatten Angst, vor dem Verfassungsgericht verklagt zu werden.
Dieses Kompetenzgeschiebe hin und her verstehen die Leute draußen nicht. Sie haben kein Verständnis dafür, dass man Angst vor jedem Risiko hat, dass man etwas, was man als vernünftig erkannt hat, aufgrund von tausend Bedenken nicht macht. Das überzeugt niemanden.
Wir haben etwas anderes gemacht. Wir haben Für und Wider dieses Gesetzentwurfs sorgfältig gegeneinander abgewogen. Sie wissen, dass ich Ihnen jede Frage zum Gesetzentwurf beantworten kann.
Sie stellen sie zum dritten Mal und tun immer so, als wäre sie unbeantwortet, aber Sie wissen, dass jede Frage beantwortet werden kann.
Wir befinden uns seit Jahren in einer Diskussion darüber, wie man die Gesellschaft vor solchen Straftätern – –
Selbstverständlich. Wir können alles noch einmal durchkauen. Bitte schön.
Für die Antwort ist für mich relevant, dass wir nach Informationen der Anstaltsleiter in den letzten fünf Jahren etwa 20 Fälle hatten.
Außerdem hatten wir vor einigen Jahren einen Fall, den der Kollege Schäuble zitiert hat. Wir hatten aber auch einen vor wenigen Monaten, bei dem der Betroffene jetzt unter dem Verdacht der Vergewaltigung steht – das ist übrigens der Pressemitteilung beigefügt. Ich frage mich außerdem, was Sie mit dieser Fragestellung eigentlich sagen wollen: dass wir etwas, was richtig ist, jetzt nicht machen sollten, weil wir es aus irgendeinem Grund in den nächsten drei Wochen vielleicht nicht brauchten? Bei uns sitzen 9 000 Strafgefangene in den Anstalten. Nehmen wir einmal an, mehrere Hundert Straftäter sitzen – –
In der Vergangenheit gab es genug Fälle, und wir müssen monatlich mit einem rechnen. Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Ich weiß gar nicht, warum Sie ständig wieder auf diese Frage kommen.
Für jeden denkenden Menschen ist doch sonnenklar, dass so etwas im nächsten und im übernächsten Monat wieder passieren kann
und dass man in einem Land – jetzt hören Sie sich bitte doch auch die Antwort an – mit 20 Strafanstalten nicht mit Sicherheit sagen kann, ob dieser Fall im Mai oder im Juni eintritt und wer wann genau den Zweidritteltermin vom Gericht zugebilligt erhält.
Sie verlangen von mir hellseherische Qualitäten, obwohl völlig klar ist,
dass solche Fälle in der Vergangenheit eingetreten sind und dass sie auch in der Zukunft eintreten werden. Das könnte man doch einmal begreifen.
Seit drei Jahren arbeiten wir an diesem Thema. Wir haben den sachverständigen Rat eines angesehenen Rechtswissenschaftlers eingeholt. Wir stützen uns auf das Votum unserer Experten im Innen- und im Justizministerium und sogar auf Stimmen aus dem Bundesministerium der Justiz. – Freunde, Sie hören nicht zu. Was soll eine Anhörung bei jemandem nützen,
der ohnehin nicht in der Lage ist zuzuhören?
Ich mache Ihnen jetzt einen Vorschlag: Sie hören sich den Rest an; Sie versuchen das einfach einmal.
So muss man manchmal mit kleinen Kindern reden. – Hinterher können Sie dann alle Fragen stellen, die Ihnen dann noch offen zu sein scheinen.
Wir sind überzeugt, dass wir einen verfassungsrechtlich einwandfreien Weg gefunden haben, mit dem wir Opfer vor gefährlichen Straftätern schützen. Dabei geht es um Gefahrenabwehr. Alle Einwände gegen die Landesgesetzgebungskompetenz, die übrigens in letzter Zeit gar nicht mehr deutlich erhoben werden, sind mittlerweile widerlegt. Die Prävention und die Gefahrenabwehr sind eine ureigene Landeskompetenz. Deswegen ist für mich und für den Betrachter, der sich die Sache lange genug angesehen hat, heute eigentlich gar nicht mehr zweifelhaft, dass wir als Land eine Gesetzgebungskompetenz haben.
Sie haben stark betont, dass wir auf eine zusätzliche öffentliche Anhörung verzichtet haben. Dieser Verzicht war nach meiner Meinung auch richtig, weil die wesentlichen Argumente ausgetauscht sind. Meine Damen und Herren, was hätte eine Anhörung denn noch gebracht? Ich glaube schon, dass es Ihnen gelungen wäre, weitere Sachverständige von der Art zu benennen, wie wir sie schon gehabt haben, die zum Beispiel überhaupt gegen eine Sicherungsverwahrung sind, so wie der von Ihnen genannte Sachverständige, der schon gegen die geltende Sicherungsverwahrung ist, wie sie derzeit im Gesetz steht. Das ist für mich so ähnlich, wie wenn ich zu einer bestimmten Operationsform einen Sachverständigen einladen würde, der überhaupt gegen die konventionelle Medizin ist. Ich weiß dann schon, was der sagt. Solche Sachverständige hätten Sie vielleicht ge
funden. Aber ich garantiere Ihnen: Wir hätten mindestens genau so viele gefunden, die attestieren, dass der von uns gewählte Weg in Ordnung ist. Also, was soll das Ganze – außer dass es zu einer Zeitverzögerung führt, die niemandem etwas bringt?
Man muss sich am Schluss auch ein Stück weit auf seinen gesunden Menschenverstand verlassen und den Schritt, den wir jetzt tun, beurteilen. Wir tun einen wichtigen und einen logischen Schritt zum Schutz vor Rückfalltätern – nicht mehr und nicht weniger.
Es geht – und das verliert man manchmal ein bisschen aus den Augen – darum, dass das Strafgesetzbuch aktuell ja schon die Sicherungsverwahrung kennt, dass darüber nach der derzeitigen Rechtslage aber schon mit dem Urteil entschieden wird. Wir halten es nicht für sinnvoll, schon mit dem Urteil zu entscheiden, sondern wir meinen, es wäre sinnvoller, kurz vor einer anstehenden Entlassung darüber zu entscheiden. Deswegen verschieben wir in unserem Gesetzentwurf den Beurteilungszeitpunkt nach hinten. Das ist richtig und logisch.
Mir soll einmal jemand sagen, wo eigentlich die verfassungsrechtlichen Risiken dieses Verfahrens liegen, wenn ich bei dem ganzen Verfahren die ursprünglichen Hürden der Sicherungsverwahrung so belasse, wie sie sind, und nur den Zeitpunkt der Entscheidung verschiebe. Natürlich sind Einwände erhoben worden: Europäische Menschenrechtskonvention und Ähnliches. Aber alle diese Einwände müssten sich, wenn man sie ernst nähme, schon gegen die bestehende Sicherungsverwahrung richten, was aber kein vernünftiger Mensch tut. Wir haben bei unserem Gesetz die hohen Hürden, die schon jetzt im Verfahren der Sicherungsverwahrung vorgesehen sind, übernommen und sie sogar um weitere anspruchsvolle Prüfungen ergänzt, sodass man heute sagen muss, dass der Schutz und die rechtsstaatlichen Schutzvorkehrungen in der Summe noch deutlicher zum Ausdruck kommen als bei der Sicherungsverwahrung, die schon jetzt nach dem Gesetz vorgesehen ist.
Meine Damen und Herren, wir reagieren mit diesem Gesetzentwurf entschlossen auf Gefangene, bei denen die formalen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung erfüllt sind, die sich im Vollzug allen Resozialisierungsbemühungen widersetzt und entzogen haben und bei denen zwei Sachverständige, von denen einer von außerhalb kommen muss, eine hohe Rückfallgefahr bescheinigen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, in diesen Situationen kann jede Abwägung zwischen den Interessen der möglichen Opfer einer Straftat und dem Interesse des Straftäters, wieder in Freiheit zu kommen, nur zu einem eindeutigen Ergebnis kommen: Der Schutz des Opfers muss den eindeutigen Vorrang genießen.
Unter diesem Vorzeichen stellt sich auch nicht die Frage, ob wir hier reagieren dürfen, meine Damen und Herren, sondern es stellt sich umgekehrt die Frage: Darf man zuwarten? Darf man einen Tag, einen Monat zuwarten, wenn man genau weiß, was man tun könnte, wenn man alle Grundlagen beieinander hat?
Das darf man nicht. Man darf keinesfalls zuwarten, bis sich diese Gefahr verwirklicht, bis neue Opfer zu beklagen sind.
Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat ist nicht nur für die Täter da, er muss auch für die Opfer da sein.
Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Entwurf und bedanke mich bei den die Regierung tragenden Fraktionen dafür, dass sie diesen Entwurf im Vorfeld der Beratungen unterstützt haben.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass diese Aktuelle Debatte stattfindet, auch wenn es um ein sehr ernstes Thema geht. Ich bin deswegen dankbar für die Aktuelle Debatte – deswegen muss sie auch geführt werden –, weil ich die erste Gelegenheit nutzen wollte, lieber Herr Bebber, um Ihre Kritik zurückzuweisen. Als wir das Gutachten von Herrn Würtenberger vorgestellt haben, haben Sie gesagt, das sei ein Schnellschuss und das sei verfassungswidrig.
Jetzt bin ich dankbar dafür, die erste Gelegenheit nutzen zu können, während wir an dem Gesetz arbeiten. Natürlich arbeiten wir an dem Gesetz und haben wir eine konkrete Vorstellung. Aber das muss alles seinen parlamentarischen Gang gehen.
Ich wollte die erste Gelegenheit nutzen, um deutlich zu machen,
warum Ihre Kritik, dies sei ein Schnellschuss und sei verfassungswidrig, falsch ist.
Lieber Herr Oelmayer, ich glaube schon, dass es richtig ist, die Frage zu stellen – auch in den Augen der Menschen draußen, die uns in diesem Parlament mit dem, was wir hier tun, auch verfolgen –: Reichen unsere Spielregeln aus, um die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern zu schützen?
Gestatten Sie mir eine dritte Vorbemerkung, die sich ausnahmsweise einmal an diesen Teil des Hauses richtet: Wenn Sie von der „liberalen Spur“ in der Geschichte dieser Republik reden, möchte ich sagen, wie weit ich persönlich Ihre Spuren zurückverfolgen würde. Davon will ich jetzt nicht weiter reden.
Jetzt zum Thema. Das Risiko, in Baden-Württemberg von einem Verbrechen betroffen zu werden, ist gering – Gott sei Dank –, geringer als in allen anderen Bundesländern.
So möge es bleiben.
Des Weiteren darf man sagen: Das Risiko, von einem Delikt eines Rückfalltäters betroffen zu sein, macht, bezogen auf das erwähnte geringe Risiko, noch einmal einen kleinen Teil aus. Aber niemand versteht es draußen – natürlich gerade niemand der von solchen Delikten Betroffenen –, wenn ein Täter, der schon einmal in den Institutionen der Justiz drin war, den wir schon einmal hatten, sage ich einmal, und von dem wir wissen, dass er gefährlich ist, wieder rauskommt und wieder ein Delikt begeht. Das versteht niemand, das ist nicht akzeptabel, und das ist nicht vermittelbar.
Deswegen tun wir gut daran, unser Instrumentarium daraufhin zu überprüfen: Tun wir alles, ist das Instrumentarium lückenlos? Wir haben ein System von Strafen und Maßregeln. Wenn eine Strafe verbüßt ist, können wir einen Täter, wenn er gefährlich ist, unter Umständen weiter festhalten, und zwar in der Form der so genannten Sicherungsverwahrung. Sie kann allerdings – das ist richtig gesagt worden – nur am Anfang verhängt werden. Es wurde auch zu Recht gefragt: Wie soll ein Richter oder eine Richterin bei einer zehn-, zwölfjährigen Strafe am Anfang sagen, ob der Täter oder die Täterin danach noch gefährlich ist? Das legt die Latte wirklich so hoch, dass die Fälle relativ selten sind. Das ist auch in Ordnung; es ist ja eine einschneidende Maßnahme. Wir haben etwa 40 solcher Täter im Land. Aber man muss sich schon fragen: Entgehen uns da nicht ein paar Fälle, die ganz verhängnisvoll enden können?
Der Haken der bisherigen Regelung ist im Übrigen seit längerem bekannt. Er ist bekannt von Bayern bis nach Berlin.
An dieser Stelle: Es ist natürlich absurd, zu sagen, wir hätten uns irgendwann einmal gegen einen bayerischen Vorstoß gestellt. Der allererste Vorstoß war zwischen Bayern und uns abgesprochen. Bayern hat ihn mit unserer Hilfe eingebracht. Die beiden weiteren Vorstöße kamen von uns.
Diese Lücke ist seit langem erkannt, und zwar nicht nur von mir.
Ich will Ihnen, lieber Herr Bebber, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein interessantes Zitat zur Kenntnis geben. Bundesinnenminister Schily hat im Juni/Juli 1998 in einem Interview geäußert – ich zitiere das jetzt wörtlich –:
Erwähnen möchte ich hier einen Gesichtspunkt, den Herta Däubler-Gmelin ins Gespräch gebracht hat. Die Beurteilung über die spätere Sicherungsverwahrung sollte nicht im Urteil, sondern am Ende der Strafe erfolgen, um eine verlässlichere Grundlage zu haben.
Dem wird man nur zustimmen können.
Der Meinung von Frau Däubler-Gmelin und von Herrn Schily stimme ich hier ausdrücklich zu. Deswegen bin ich auch seit zweieinhalb Jahren dabei, diese Lücke zu schließen.
Natürlich kann man jetzt darüber diskutieren, auf welcher – –
Zu dieser Zeit waren Sie, Herr Birzele, hier Innenminister. Sie hätten es umsetzen können. Auch Sie hätten übrigens schon längst einen Vorschlag machen können.
Heute Morgen wurde zum dritten Mal erwähnt: „16 Jahre lang“. Zum einen regieren Sie in Berlin mittlerweile auch schon ein paar Jahre und haben vieles nicht getan, was man tun muss.
Zum andern warte ich auf den Tag, an dem hier jemand sagt: 16 Jahre lang wart ihr für das Wetter verantwortlich, und darum regnet es heute.
Natürlich gibt es jetzt eine Diskussion darüber,
auf welcher Rechtsgrundlage man handeln sollte. Lassen Sie mich aber diese Diskussion noch einen ganz kleinen Moment zurückstellen.
Der eigentliche Kern der verfassungsrechtlichen Debatte ist folgender: Welche hohen Anforderungen, auch vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit her, muss man an eine solche Maßnahme stellen? Das ist der Kern der verfassungsrechtlichen Frage. Diese Frage müssen wir beantworten; dabei ist es egal, ob die Rechtsgrundlagen im Polizeirecht oder im Strafrecht geschaffen werden. Auf die Beantwortung kommt es an. Das Gutachten hat uns Aufschluss darüber gegeben, dass die harten Spielregeln, die man braucht, um verhältnismäßig einzuschreiten, dass die hohen Anforderungen in einem Gesetz geschaffen werden können. Das ist das Entscheidende. Wir können es also machen.
Daneben ist die Frage nach der Rechtsgrundlage vielleicht sogar zweitrangig. Aber auch dazu gibt es Hochinteressantes zu sagen. Die deutlichen Hinweise, dass wir als Länder handeln können, kommen nämlich wiederum aus dem Bundesjustizministerium.
Ich darf ein zweites Mal mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren, und zwar aus einem Brief von Frau Professor Dr. Däubler-Gmelin, Bundesjustizministerin, der an mich, aber auch an alle anderen gerichtet war; ich zitiere wiederum wörtlich:
Angesichts der Möglichkeit, dass die Länder im Rahmen ihrer eigenen Gesetzgebungskompetenz für den Bereich Gefahrenabwehr eigene Regelungen schaffen können, während eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes äußerst fraglich ist, sehe ich hier, auch wenn das Gewicht der bedrohten Rechtsgüter eine gesetzliche Regelung wünschenswert erscheinen lässt, kaum eine Möglichkeit für den Bundesgesetzgeber, tätig zu werden.
Im Schlusssatz schreibt sie übrigens:
Sofern Sie in Ihrem Land in die Prüfung der Möglichkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung eintreten, wäre ich an dem Ergebnis Ihrer Prüfung sehr interessiert.
Das können wir dann vielleicht über Sie zusammen mit Ihrer Stellungnahme übermitteln.
Was schließen wir aus diesen Äußerungen der Bundesjustizministerin?
Sie will leider nicht, und zwar mit Rücksicht auf die SPDregierten Länder.
Mit Rücksicht auf die SPD-regierten Länder verschanzt sich die Bundesjustizministerin hinter der Aussage, dass sie nicht könne. Nach meiner Überzeugung ist beides möglich, nämlich Regelungen im Bundesgesetz und Regelungen im Landesgesetz. Die Bundesjustizministerin sagt: „Ich will da nicht ran“, aber sie sagt immerhin: Ihr Länder könnt handeln. Wir haben diese Handlungsmöglichkeit überprüft, und zwar ausnahmsweise einmal nicht nur mithilfe der Experten aus dem eigenen Haus, denen ich natürlich schon weit mehr vertraue als dem kargen juristischen Mundvorrat der Opposition. Wir haben uns nicht nur auf unsere eigenen Experten verlassen, sondern wir haben uns einen – –
Herr Abg. Bebber hält mir Vorträge über Seriosität. Ich weiß nicht, ob das aus berufenem Munde kommt.
Wir haben die Kompetenzfrage intern und extern überprüft. Es besteht eine Handlungsmöglichkeit im Polizeirecht. Lieber Herr Bebber, bitte hören Sie jetzt zu; Sie haben am Anfang gesagt, den Fall Schmökel würden wir damit nicht erreichen. Diese Handlungsmöglichkeit im Polizeirecht wäre möglicherweise in einem künftigen Schritt auch in Richtung des Maßregelvollzugs auszubauen, da das Unterbringungsgesetz letzten Endes auch Polizeirecht ist.
Bisher bin ich nur kurz dazu gekommen, die Frage mit Herrn Würtenberger zu diskutieren. Dies wird man künftig sorgfältig ausloten müssen. Da wir uns aber im Rechtsbereich der Gefahrenabwehr befinden, könnten wir bei einer künftigen Stufe durchaus daran denken, wie man auch gefährliche Täter im Maßregelvollzug unter eine solche Regelung bekommt. Die Regelung, die ich Ihnen vorschlagen werde, bezieht sich ausschließlich auf Straftäter – das ist richtig –,
auf Täter, die schwere Straftaten begangen haben. – Weil das ein richtiger Schritt ist
um Gottes willen –, um die Lücken zu schließen. – Die Ersttäter sperren wir hier etwas konsequenter ein als anderswo, lieber Herr Abg. Bebber.
Das Motiv ist: Ich möchte nicht den Tag erleben – das sage ich Ihnen deutlich –, an dem wir gegebenenfalls einen gefährlichen Täter entlassen müssen, uns aber gleichzeitig selbst sagen müssen, wir hätten eine Handlungsmöglichkeit gehabt, haben sie aber nicht rechtzeitig ergriffen. Die Handlungsmöglichkeit ist gegeben. Ein Vorschlag in Form
des Gutachtens liegt vor. Wir sind dabei, ihn in ein Gesetz zu gießen. Sicher ist eine Voraussetzung, dass eine schwere Straftat begangen wurde; sicher ist eine Voraussetzung die fehlende Mitwirkungsbereitschaft im Vollzug, die fehlende Therapiebereitschaft. Dann muss nach meiner Einschätzung sicher eine von mehreren Gutachtern bescheinigte Gefährlichkeit, also eine negative Prognose, vorliegen. Dann entscheidet ein unabhängiges Gericht darüber, ob man den Betroffenen herauslassen kann oder nicht.
Meine Damen und Herren, wir haben die Fälle. Die sind Gott sei Dank selten, aber sie kommen vor. Wenn es drei oder vier Fälle im Jahr sind – in einem Kommentar in einer Zeitung wurde gesagt: Was soll es denn wegen drei oder vier Fällen? –, werden sich die Familien, die dann vielleicht von solchen Delikten, die sich ereignen können, betroffen sind, bedanken. Ein Fall wurde zitiert, der sich gerade vor kurzer Zeit hier abgespielt hat. Wenn wir mit den Anstaltsleitern und den Strafvollstreckungskammern, den zuständigen Staatsanwälten und Richtern reden, sagen die uns: Wir haben es immer wieder mit inhaftierten Gewaltund Sexualstraftätern zu tun, die in hohem Maß rückfallgefährdet sind und die beharrlich die Mitwirkung am Erreichen des Vollzugsziels verweigern, die gerade eine rückfallvermindernde Sozialtherapie entschieden ablehnen oder sie abbrechen. Es gibt sogar Hangtäter bei uns im Strafvollzug, die drohen, nach der Strafverbüßung neue Straftaten gegen bestimmte Personen zu begehen, um sich an einzelnen Personen oder der Gesellschaft zu rächen. Wir können oft überhaupt nichts machen. Auch in Bayern gab es Fälle, wo man solche Täter anschließend laufen lassen musste, obwohl man dabei mehr als Bauchweh hatte. Manche kündigen, obwohl sie HIV-positiv oder aidskrank sind, weiterhin ungeschützte sexuelle Kontakte mit Frauen, Männern oder Kindern an.
Das sind alles Fälle von Gefangenen, die sich so verhalten haben. Da ist es nach meiner festen Überzeugung schon heilsam, dem einen oder anderen sagen zu können: Wenn am Ende deine Gefährlichkeit attestiert wird, haben wir eine Rechtsgrundlage, dich festzuhalten. Ich sage noch einmal: Man muss diese Möglichkeit nutzen. Man muss sie sofort nutzen. Da darf ich den schönen deutlichen Begriff aus der Rechtssprache ins Spiel bringen: Unverzüglich werden wir sie nach meinem Vorschlag nutzen; ohne schuldhaftes Zögern, wie man so schön sagt, setzen wir dieses Gutachten um. Es ist nicht zu verantworten – diese Verantwortung gilt nicht nur für mich, sondern für alle in diesem Haus –, hier nicht zu handeln, wenn es eine klar und seriös nachgewiesene Handlungsmöglichkeit gibt. Deswegen bitte ich Sie alle jetzt schon um Unterstützung für den Gesetzentwurf, den wir noch in dieser Legislaturperiode im Gesetzgebungsverfahren behandeln und in diesem Haus beschließen sollten.
Danke schön.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Irgendwie berührt es mich immer noch, wenn jemand sagt: „Sie sagen die Unwahrheit!“,
auch wenn wir mittlerweile wissen, dass dies aus bestimmten Ecken bei jeder Gelegenheit kommt, ohne dass Sie vielleicht selbst wissen, was Sie eigentlich meinen, wenn Sie mit solchen Formulierungen umgehen.
Wenn Sie mir zuhören, dann werden Sie feststellen, dass ich mit solchen Keulen vorsichtig umgehe, mit denen beispielsweise Herr Bebber sozusagen ständig jongliert,
gerade auch in der ersten Stunde nach Bekanntgabe dieses Entwurfs, als es sofort hieß: Schnellschuss, verfassungswidrig. Das war doch die Reaktion. So ist auch Ihre Art, Politik zu treiben. Jetzt deuten Sie an, dass Sie die Kurve kriegen.
Von mir aus. Dazu sage ich gleich etwas.
Jetzt zum Thema Unwahrheit. Die erste Feststellung, bei der Sie gesagt haben, ich hätte die Unwahrheit gesagt – ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen –, haben Sie Gott sei Dank noch einmal in den Raum gestellt: Die Bundesjustizministerin will nichts machen. Ich komme nachher noch darauf zu sprechen. Meiner Meinung nach könnte sie auch etwas tun, aber das Ganze wird halt weitergeleitet wie eine heiße Kartoffel. Ich frage mich manchmal, wie es draußen aussähe, wenn die Bundesjustizministerin nur sagte: Ich kann es nicht im Strafrecht, macht ihr es in der Gefahrenabwehr.
Natürlich ist das Polizeirecht, die Gefahrenabwehr. Dafür haben wir die Kompetenz. Wenn wir jetzt sagen würden, wir machen es auch nicht – – Das mag man in SPD-regierten Ländern so sehen.
Jetzt sind wir beim zweiten Punkt, der eine große Rolle gespielt hat. Als das Bundesjustizministerium selbst geprüft hat, ob es eine Regelung erlassen soll, haben sich die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen zusammengetan und haben gefordert: Wir wollen eine solche Regelung. Wenn dazu noch vier Länder von Ihrer Seite gekommen wären, dann hätten wir sie heute.
Dann haben wir die Bundesratsinitiative eingebracht, wonach den Ländern die Möglichkeit eröffnet werden sollte, zu handeln. Diese Bundesratsinitiative wurde unterstützt von den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen. Wenn noch vier von Ihren Ländern dabei gewesen wären, hätten wir heute die Klausel.
Deswegen weiß ich nicht, wo da die Unwahrheit gesagt worden sein soll.
Jetzt komme ich noch zu einer einzigen Frage, die natürlich spannend ist – auch Sie haben diese vorhin angesprochen –: Wie weit kann eine polizeiliche Regelung reichen? Sie kann in der Tat unter Umständen weiter reichen als ein Paragraph im Strafgesetzbuch. Aber welche Schlüsse wollen Sie daraus jetzt ziehen? Wollen Sie daraus den Schluss ziehen: „Jetzt machen wir nichts“, nur weil es im Polizeirecht vielleicht noch bessere Möglichkeiten des Schutzes der Gesellschaft gibt? Das wäre doch absurd.
Natürlich ist auch Ihr Vorschlag, den Sie hier per Zwischenruf einbringen, absurd. Wir können nicht sagen, irgendeiner, der draußen herumläuft und den ein Gutachter als gefährlich eingestuft hat, wird jetzt eingesperrt. Das ist natürlich absurd.
Nach dem Gesetzentwurf, der vorliegt, werden wir als Anhaltspunkt für eine Maßnahme eine schwere Straftat brauchen. Das ist richtig so. Damit sind wir aber wieder an dem Punkt, den wir eingangs besprochen haben. Wenn Sie aus dem Recht der Gefahrenabwehr heraus argumentieren, können Sie unter Umständen die Gesellschaft und die Menschen besser schützen. Sie können dann unter Umständen auch Menschen aus dem Maßregelvollzug – Fall Schmökel – in einem nächsten Schritt einbeziehen. Das ist das, was ich sage.
Im Grunde genommen ist dies sogar ein Punkt, der stark für die landesrechtliche Kompetenz spricht,
dass man bei hohen verfassungsrechtlichen Hürden auf diese Weise besser handeln kann als auf dem Wege des Strafgesetzbuchs.
Darum darf ich noch einmal an Sie appellieren, dass wir gemeinsam – –
Sie haben nichts dagegen; das freut mich zu hören.
Ich freue mich über Unterstützung von allen Teilen des Hauses, wobei ich mich aber natürlich ganz gerne auf die Fraktionen der FDP/DVP und der CDU verlasse.
Danke schön.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich bin für eine vernünftige, angemessene, verfassungsfeste Regelung
zur Frage der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.
Wir haben einen Entwurf in Berlin – –
Wir alle. Wir alle haben, und zwar schon seit dem Jahr 1999, einen Entwurf, der eine wunderbare Grundlage wäre – der übrigens, wie so oft, der erste Entwurf in der Debatte war –,
nämlich den Entwurf der FDP-Bundestagsfraktion, um diese Dinge zu regeln.
Das ist nicht der teuerste Entwurf. Ich komme darauf zu sprechen.
Nun gibt es einen Entwurf der Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, von Ihnen unterstützt. Zu diesem Entwurf hat der Bundesrat auf Antrag von Baden-Württemberg mehrheitlich beschlossen, den Vermittlungsausschuss anzurufen.
Warum? Weil der Gesetzentwurf verfassungsrechtlich bedenklich ist, und zwar in zweierlei Hinsicht. Ich konzentriere mich auf das erste Argument, das die Begründung für die Anrufung des Vermittlungsausschusses war. Vorhin ist auch ein bisschen darüber gestritten worden, was nun im Bundesrat passiert ist. Ich kann Ihnen genau sagen, was passiert ist. Der Bundesrat hat mit Mehrheit beschlossen, zu verlangen, dass dieses Gesetz zu einem einzigen Gesetz zusammengefasst wird, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Das ist alles, was wir wollen.
Er hat in seiner Begründung allerdings deutlich gemacht, dass das, was jetzt geplant ist, eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des Artikels 84 Abs. 1 des Grundgesetzes wäre,
wonach die Regelung der Behördeneinrichtung und des Verwaltungsverfahrens der Länder der Zustimmung des Bundesrats bedarf.
Das ist beschlossen worden.
Liebe Frau Bender und auch die Landtagsmitglieder von der Fraktion der SPD, Sie wissen alle ganz genau, was für eine Zumutung und was für ein unmögliches Vorgehen das ist, was der Bund im Moment macht. Es ist doch völlig klar, dass das eine oder andere Mal entschieden wurde, ein Gesetz auseinander zu schneiden. Dass man das darf, habe ich noch nie bestritten.
Aber es ist doch auch ganz klar, dass man es nicht so auseinander schneiden darf, dass man den Ländern einen Torso vor die Tür legt, den sie gar nicht so umsetzen können, den eigentlich niemand umsetzen kann, wenn man sich vorher nicht verständigt hat.
Ich mache es Ihnen an einer – –
Nein. Sie wissen genau, was in der Verfassung steht. Die Faustregel der Verfassung in vielen Bereichen ist die: Der Bund – –
Offensichtlich halten Sie es nicht aus, mich ausreden zu lassen. Ich weiß schon, Sie wollen das gar nicht hören. Sie wollen mit dem Kopf gegen die Wand rennen, wie es vorhin Herr Abg. Noll sehr richtig gesagt hat.
Lassen Sie mich Ihnen in Ruhe sagen, was in der Verfassung steht – nur so zur Abwechslung –, damit Sie da auch einen Schritt weiterkommen.
Es steht darin, dass der Bund in vielen Bereichen die Gesetze macht und die Länder für die Verwaltung zuständig sind. Das heißt, wenn ein Gesetz durch die Verwaltung umgesetzt werden muss, dann setzt man sich zusammen an einen Tisch und sagt, wie man es macht. Sie haben den ersten Teil beschlossen. In dem steht – nehmen Sie doch die Beispiele –, dass nicht eheliche Lebensgemeinschaften vor einer zuständigen Behörde heiraten dürfen.
Welche denn? Da muss man sich doch an einen Tisch setzen und sich einigen. Das ist genau der Punkt. Aber Sie legen uns das Ding vor die Tür. Sie vertrauen auch darauf, dass wir jetzt Briefe von den Betroffenen erhalten. Ich sage Ihnen: Sie instrumentalisieren die Betroffenen, weil Sie nicht in der Lage sind, mit dem Bundesrat zusammen eine vernünftige Regelung hinzubekommen.
Weil Sie die Regelung nicht hinbekommen, werden die Länder genötigt und die Betroffenen als Instrument eingesetzt.
So ist es doch. Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Deswegen schreiben uns jetzt die Betroffenen.
Ich sage hier völlig eindeutig: Alles, was wir an dieser Stelle verlangen, ist ein ordnungsgemäßes und der Verfassung entsprechendes Bundesratsverfahren, nicht mehr und nicht weniger.
Wir wollen nicht verhindern, sondern wir wollen mitreden. Wir wollen mitwirken an einer vernünftigen und verfassungskonformen Regelung.
Das ist eine Unterstellung, die durch nichts belegbar ist.
Ich gebe Ihnen eine Antwort. Wissen Sie, welchen Eindruck von der SPD in Berlin ich habe? Ich habe den Eindruck, dass sie ein solches Gesetz bewusst macht, damit sie den Betroffenen sagen wieder einmal kann: Wir waren stark, wir haben gehandelt. Sie wissen genau, dass Sie etwas machen, was vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand hat.
Das ist die Art Ihrer Berliner Politik, und eben das ist kein sauberer Weg.
Jetzt darf ich Ihnen in einem zweiten Teil sagen, weshalb es über das Bundesratsverfahren hinaus verfassungsrechtliche Bedenken gibt, nämlich aufgrund des so genannten Eheabstandsgebots, das bei uns in der Verfassung steht und das auch Sie kennen.
Alle Experten sagen, dass Ihr Entwurf dem Eheabstandsgebot nicht genügt.
Vorher war mehrfach vom FDP-Entwurf die Rede. Auch beim FDP-Entwurf gibt es Experten, die sagen, das Eheabstandsgebot sei nicht eingehalten. Aber der FDP-Entwurf ist schon einmal viel deutlicher auf der sicheren Seite, weil die Partnerschaft nicht beim Standesbeamten, sondern vor dem Notar geschlossen wird. Man sollte auch nicht versuchen, vom „Standesamt durch die Hintertür“ zu sprechen. Die Partnerschaft wird beim Standesamt registriert – nicht mehr und nicht weniger –, und Beurkundung erfolgt beim Notar.
Ein anderer Fall ist die Steuer. Im FDP-Entwurf ist der einzige Bereich die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Aber das, was wirklich Geld kostet, nämlich das Realsplitting und Ähnliches, ist in Ihren Entwürfen enthalten. Da sieht doch, möchte man fast sagen, jeder Blinde, dass sich der FDP-Entwurf redlich bemüht, den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu genügen, während Ihr Entwurf sie ganz offensichtlich überschreitet. Darin liegt das Problem.
Klar.
Ich begegne – das sage ich Ihnen offen – der einen oder anderen Anhörung mit Skepsis. Wenn ich ein rechtliches Problem habe, gebe ich es in die Hände von Leuten, deren Beurteilung ich vertraue. Sie wissen genau, dass Ihnen die politisch unvoreingenommenen Juristen, die Sie in dieser Sache befragen, sagen: Vorsicht, ihr seid mit dem FDP-Entwurf mit Sicherheit an der Grenze, und mit dem Entwurf der Bundesregierung seid ihr mit Sicherheit im roten Bereich.
Ich will nicht noch einmal Herrn Schily zitieren, der nach Ihrer Meinung nichts von der Sache versteht. Ich will Ihnen nur sagen, dass Sie nach meiner Überzeugung und nach der Überzeugung vieler Experten hier mit dem Kopf gegen die Wand rennen, wie das schon gesagt wurde.
Wenn Sie die Sache ehrlich regeln wollen, müssen Sie die Verfassung ändern. Warum übrigens eigentlich nicht? Nirgendwo im Grundgesetz steht, dass man die Verfassung nicht ändern kann. Es gibt nur wenige Teile der Verfassung, die man nicht ändern kann. Dann diskutieren wir meinetwegen doch darüber, wie man die Verfassung vernünftig ändert.
Aber ich sage Ihnen, dann würde ich es auch nicht so machen, wie Sie es vorschlagen, sondern dann würde ich deutlich sagen: Der Schutz knüpft an die Kinder an,
egal, in welcher Lebensform, auch dann, wenn sie bei einem „Auswärtsspiel“ zustande gekommen sind.
Der Schutz knüpft an die Kinder an, und man kann schon die Frage stellen, ob der Schutz der bloßen Partnerschaft nicht im heutigen Grundgesetz zu stark ausgebaut ist. Ich bin einverstanden, wenn Sie sagen: Wir verschieben die Grenze ein bisschen, nehmen den Schutz der Partnerschaft zurück und erhöhen den Schutz der Kinder.
Das war übrigens an die Grünen gerichtet. Das war den Grünen früher einmal klar. Früher haben sie genau wie die FDP dafür plädiert, dass man vom bloßen Ehegattensplitting zu einem Familiensplitting kommt. Das war ein vernünftiger Standpunkt. Heute machen sie etwas ganz anderes – das ist auch schon zur Sprache gekommen –: Sie entziehen im Grunde genommen den Kindern die Mittel, um sie den Erwachsenen zur Finanzierung ihrer Lebensentwürfe zu geben.
Das ist das, was mich eigentlich an diesem Entwurf stört. Er orientiert sich an der Erwachsenenwelt, er orientiert sich an den Bedürfnissen der Erwachsenen. Damit diese ihre Lebensentwürfe verwirklichen können, entzieht er den Kindern die Mittel. Das ist das paradoxe Ergebnis Ihres Vorschlags.
Was die SPD anbelangt, habe ich, wie vorhin angedeutet, sowieso den Eindruck: Sie meinen es nicht sonderlich ernst. Das ist das Muskelspiel, von dem Sie reden: Sie gaukeln den Betroffenen vor, Sie hätten ganz mächtig etwas gemacht und ans Tor geschlagen. Sie wissen genau, dieses Ding läuft nicht. Das ist eine symbolische Politik von Ihnen.
Dass Sie aber dann all diejenigen kritisieren, die redlich versuchen, es richtig zu machen, wie die Kollegen von der FDP/DVP-, aber auch von der CDU-Fraktion, das werden
Ihnen die Leute draußen und gerade die Betroffenen hoffentlich nicht abnehmen.
Darauf, was man gegen ein Gesetz macht, sollte man sich dann einigen, wenn man das Gesetz hat. Diese Sache ist heute nicht spruchreif, weil gar kein Vorschlag auf dem Tisch liegt. Wir sind in der Debatte und im Ringen um einen vernünftigen Entwurf. Ob man dagegen vor Gericht zieht, würde ich vernünftigerweise erst dann entscheiden, wenn der Entwurf beschlossen ist.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei dem Unternehmen Rechtsmittelreform der rot-grünen Bundesregierung, einem Unternehmen, das für die Länder von hoher Wichtigkeit ist, weil es direkte Auswirkungen hat, stehen wir jetzt kurz vor der Entscheidungsphase. In den nächsten Wochen und Monaten wird über diese Dinge entschieden. Die Entscheidungsprozesse im Bundesrat haben ja bereits begonnen. Ich meine, es ist das Wichtigste, dass wir uns jetzt klarmachen, dass wir in der kommenden Zeit sachlich, nüchtern über diese Reform diskutieren müssen – was bringt sie? –, dass wir vor allem ihre Nachteile deutlich machen, die leider ganz im Vordergrund stehen.
Ich sage ganz deutlich: Ich habe noch nie jemandem vorgeworfen, dass er reformwillig war, dass er über vernünftige Reformen nachgedacht hat. Das machen wir ja auch. Das ist völlig klar.
Aber diese Reformen müssen den Fakten standhalten. Sie müssen die richtige Struktur haben.
Ich sage Ihnen eines, und das ist ganz deutlich, das werden Sie nie aus der Welt reden können: Diese Reform setzt Zentralismus an die Stelle bürger- und ortsnaher Strukturen
dazu komme ich gleich –, und zwar deshalb, weil sie die Unterschiede zwischen Amtsgericht und Landgericht verwischt – das ist unübersehbar – durch den weitestgehenden Einzelrichtereinsatz an beiden Stellen und auch dadurch, dass der Amtsgerichtsprozess aufwendiger, umständlicher und komplizierter wird.
Sie verwischt die Unterschiede zwischen Amts- und Landgericht, und sie ordnet alle Rechtsmittel dem Oberlandesgericht zu. Schon allein das ist natürlich ein ganz starkes zentralistisches Element. Sie setzt den Zentralismus eben an die Stelle der Bürgernähe,
und das – und jetzt wird es spannend –, ohne dass wir dabei eine Mark sparen. Wenn es wenigstens irgendeinen Grund gäbe, zu sagen, hinterher wäre etwas ökonomischer.
Aber der Clou an der Sache ist, was mittlerweile von allen Ländern berechnet wurde: Es wird teurer als vorher, und zwar ganz einfach deswegen, weil es in der ersten Instanz einen Mehraufwand, einen umständlicheren und damit auch einen längeren Prozess gibt.
Kein Land bestreitet heute, dass es hinterher teurer ist als vorher, und das, obwohl die Parteien für ihre Berufung von Ravensburg und von Überlingen – vorhin war die Rede davon – nach Stuttgart zum Oberlandesgericht fahren müssen.
Jetzt kommt es übrigens: So etwas kann nur jemand fordern, der sich im Land nicht auskennt.
Sie haben übrigens vorhin selbst unfreiwillig den Beweis dafür geliefert, in diesem Fall Sie, Herr Kollege Birzele. Herr Kollege Kiesswetter hatte gesagt, man müsse von Überlingen nach Stuttgart fahren. Dann wurde er zu Recht darauf hingewiesen – das stimmt –, dass ja schon heute ein Außensenat des Oberlandesgerichts in Freiburg sitzt. Das stimmt.
Aber von Überlingen bis nach Freiburg ist es genauso weit wie von Überlingen nach Stuttgart. Dafür brauche ich nämlich exakt genauso lange.
Wir werden Tausende Kosten für die Verlagerung der Rechtsmittel haben, und das, obwohl wir bei der ganzen Reform hinterher mehr Richter brauchen. Das ist eindeutig.
Jetzt will ich hier nur ganz kurz – nachdem Sie Ihr Heil darin suchen, in der Vergangenheit zu kramen – noch einmal deutlich machen: Ich kann noch alles unterschreiben, was ich vor einem Jahr gesagt habe. Allerdings war es natürlich ein billiger Täuschungsversuch, lieber Herr Bebber, zu sagen, ich hätte je einen Vorstoß zur Dreistufigkeit bejubelt. Nachweislich habe ich jeden Versuch – egal, von wem er gekommen wäre –, zur Dreistufigkeit zu kommen, sofort und radikal bekämpft, und das aus guten Gründen.
Aber wir alle haben – und auch das aus guten Gründen – am Anfang der Reform gesagt: Die erste Instanz darf keine Durchlaufinstanz sein, und in der zweiten Instanz soll es nicht von vorn losgehen.
Das heißt, sie soll ein Instrument der Fehlerkontrolle und der Fehlerbeseitigung sein. Das war und ist das Ziel. Dann haben wir uns die Tatsachen angesehen, und dann konnte jeder Gutwillige zu dem Schluss kommen, dass es heute schon exakt genau so ist, weil 94 % der Verfahren am Amtsgericht endgültig beim Amtsgericht erledigt werden und 86 % der Verfahren am Landgericht in erster Instanz endgültig dort erledigt werden
und weil in der zweiten Instanz nur in einem ganz – – Sie wollen das nicht hören.
Ja. Das ist Ihre Resistenz gegen Fakten. Gut, ich nehme das auf. Ich nehme das gern auf. Sie sagen, ein Teil der Verfahren sei nicht rechtsmittelfähig.
Sie wissen aber auch, dass dieser Wert, wonach über 90 % der Verfahren endgültig erledigt werden, auch dort gilt, wo es Rechtsmittel gibt. Also stecken Sie dieses Argument doch weg. In den Teilen, in denen Rechtsmittel gegeben sind, gilt derselbe Wert:
Über 90 % der Verfahren werden in erster Instanz abschließend erledigt. Darum ist es, auf Deutsch gesagt, ein
Quatsch, zu sagen, die erste Instanz sei eine Durchlaufinstanz.
Es ist genauso unsinnig, zu behaupten, dass die zweite Instanz immer von vorn anfange. Sie wissen mittlerweile längst, dass nur in 10 % der Fälle tatsächlich noch Beweisaufnahmen stattfinden.
Und jetzt sage ich mir: Wenn die Fakten nicht stimmen, dann können die Schlüsse daraus natürlich auch nicht stimmen. Dann muss ich es anders machen. Das haben mittlerweile nahezu alle außer Ihnen begriffen. Ich habe die Hoffnung gehabt, dass Sie es heute wenigstens zur Hälfte begriffen hätten.
Ich will Ihnen schon einmal die Frage stellen – und ich zitiere ein wirklich treffendes Wort des Ministerpräsidenten –: Wollen Sie in diesem Fall wiederum ein „Pflichtverteidiger“ der Bundesregierung sein, oder wollen Sie die Anwälte der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg sein?
Sie sind sowieso schon ziemlich allein auf weiter Flur.
Lieber Herr Oelmayer, ich komme noch zu der nützlichen Aufgabe, die Sie in Zukunft erfüllen könnten.
Lassen Sie mich erst die Fakten deutlich machen.
Ich weiß nicht, ob das der hiesigen Justiz so gut täte. Wenn ich da sicher wäre, würde ich mich dafür aussprechen.
Sie merken noch nicht, dass Sie allein sind auf weiter Flur.