Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der ersten Lesung haben die Sprecher von CDU und FDP/DVP und auch wir auf die Problematik einer Inflationierung von Staatszielen hingewiesen. Verschiedentlich wurde der Verfassungsrechtler Professor Stern zitiert, der davor gewarnt hat, die Verfassung zum Instrument der Tagespolitik, des Zeitgeistes und der Schwärmerei zu machen. Denn kennzeichnend für unseren Verfassungsstaat ist, dass die Verfassungsnormen von Verfassungsgerichten ausgelegt werden, und dies birgt die Gefahr, dass sich die Politik dadurch immer mehr im Netz des Verfassungsrechts verfängt und an Flexibilität verliert.
Auch wenn ein Staatsziel dem Einzelnen kein subjektives Recht verleiht, das er einklagen kann, so verpflichtet es doch den Staat mit allen drei Staatsgewalten zu aktivem Handeln.
Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus hätten wir es begrüßt, wenn es bei der bisher restriktiven Handhabung bei der Installierung von Staatszielen geblieben wäre. Kompromisse nach der Devise „Unterstützt du mein Staatsziel, votiere ich für dein Staatsziel“ werden dem Ernst der Sache nicht gerecht und wecken beim Bürger Erwartungshorizonte, die letztlich kaum befriedigt werden können.
Was das Staatsziel Kultur betrifft, so muss, wenn es lapidar heißt, dass der Staat und die Gemeinden das kulturelle Leben fördern, die Frage nach dem hier zugrunde liegenden Kulturverständnis erlaubt sein. Für uns ist Kultur der Inbegriff gemeinsam geteilter Lebensformen und der sich daraus ergebenden Lebenswerte, basierend auf unserer christlich-abendländischen Tradition.
Andererseits müssen wir feststellen, dass wir in einer Phase der so genannten Postmoderne leben. Postmoderne bedeutet das hierarchielose Nebeneinanderstehen von Weltanschauungen. Die Menschen glauben heute, dass sie nicht nur eine Möglichkeit, sondern im Prinzip unbegrenzt viele Möglichkeiten der Lebensführung haben. Eine solche Le
bensweise mag für Einzelne durchaus reizvoll sein. Für eine Kultur oder für eine Nationalkultur ist sie allerdings absolut tödlich.
Die bürgerliche Kultur und die bürgerliche Gesellschaft, welche die gesamte Neuzeit getragen und geprägt hat, befindet sich heute in einem Prozess der inneren Auflösung und des Übergangs, ohne dass wir heute bereits sagen könnten, welche Kultur dereinst imstande oder geeignet wäre, die alte abzulösen. Mit unserem Antrag, die Förderung der Familie zum Staatsziel zu erheben, wollten wir dem Zerfall der bürgerlichen Kultur entgegenwirken. Sie haben dies damals abgelehnt.
Ein weiteres Indiz für den Übergang der bürgerlichen Kultur in eine andere Kultur ist die Tatsache, dass aus dem Kulturbegriff, wie er im 19. Jahrhundert verstanden wurde, heute ein universaler, auf alles bezogener und beziehbarer Begriff geworden ist. Inzwischen gibt es kaum noch einen sozialen oder politischen Sachverhalt, der nicht mit dem Begriff Kultur verbunden ist. Man spricht von Unternehmenskultur, von politischer Kultur, von sozialer Kultur,
Diese fast schon als babylonische Sprachverwirrung zu bezeichnende Inflationierung des Kulturbegriffs macht eine Präzisierung des Staatsziels Kultur unumgänglich; dies umso mehr, als mittlerweile ganz unterschiedliche Kulturen in unserem Land anzutreffen sind.
Bei der vorliegenden Verfassungsänderung hat man den Eindruck, als reiche der angestrebte Förderungsbogen vom islamischen Kulturverein bis zum Staatstheater, was bei der unterschiedlichen politischen Couleur der Mitwirkenden natürlich nicht verwunderlich wäre.
Viele, die in unserem Staat Verantwortung tragen, wollen nicht wahrhaben, dass alle geschichtlichen Erfahrungen mit multikulturellen Gesellschaften zeigen, dass sich über kurz oder lang eine Kultur im Verhältnis zu den anderen Kulturen durchsetzt.
(Beifall bei den Republikanern – Abg. Brechtken SPD: Das ist ja unglaublich! Also das ist unglaub- lich!)
Gegen den Islam – um die größte Fremdkultur in unserem Land einmal anzusprechen – werden wir nicht mit einem bisschen Ökonomie,
einem bisschen Zynismus, einem bisschen Nihilismus und einem bisschen Moralismus bestehen können. Einem Staatsziel Kultur könnten wir nur zustimmen, wenn es um
die explizite Förderung unserer Kultur als einer Art Leitkultur auf christlich-abendländischer Grundlage ginge.
Da dies offensichtlich nicht angestrebt wird – das merkt man ja an Ihren Zwischenrufen –, können wir diesem Staatsziel nicht zustimmen.
(Abg. Brechtken SPD: Auf eure Kultur können wir verzichten! – Abg. Helga Solinger SPD: Am deut- schen Wesen soll die Welt genesen!)
Die verfassungsrechtliche Beurteilung des Staatsziels Sport hat der Landessportverband in seinem Schreiben an den Herrn Landtagspräsidenten überzeugend dargestellt. Die in diesem Schreiben enthaltenen Argumente werden von uns geteilt. Ein Staatsziel Sport gäbe den Verantwortlichen in Vereinen und Verbänden in der Tat ein Mehr an Planungssicherheit und die Gewissheit, dass der Staat auch in Zeiten knapper Kassen bis an die Grenzen des für ihn Möglichen gehen wird. Was die finanzielle Förderung angeht, so muss sie dem Breitensport und dem Amateurbereich zugute kommen.
Der an sich schon hohe Stellenwert, den der Sport genießt, wird durch die Anhebung in den Verfassungsrang noch erhöht. Sport ist gerade für junge Menschen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Er ist persönlichkeitsbildend, gesundheitsfördernd und erfüllt eine Reihe anderer wichtiger sozialer Funktionen. Allerdings darf man den Erwartungshorizont wiederum nicht so weit ausdehnen, dass jede gesellschaftliche Fehlentwicklung durch Sport behoben werden könnte. Dem Staatsziel Sport stimmen wir zu.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, dass man bei dem Thema, das wir jetzt behandeln, unterschiedliche Auffassungen haben kann, und es ist kein Geheimnis, dass beispielsweise der Kollege Brechtken und ich im Präsidium des Landessportverbandes etwas anders argumentiert haben als der Präsident des Württembergischen Fußballverbandes oder der Präsident des LSV selber. Aber damit ist nicht verbunden, dass der eine dem anderen vielleicht vorwerfen würde: Du kämpfst für den Sport schlechter oder weniger als ich.
Dafür gibt es gute Gründe. Dafür gibt es verfassungsrechtliche Gründe, und ein Verfassungsrechtler sieht die Dinge nun einmal anders als derjenige, der etwas lediglich aus der Praxis unjuristisch bewertet haben will. Die Diskussion hat aber einen solchen Gang genommen, dass der Sport Schaden genommen hätte, wenn er nicht die Staatszielbestimmung gefordert hätte. So haben wir im Landessportverband geschlossen die Aufnahme des Sports in unsere Landesverfassung – letztendlich auch mit guter Begründung – gefordert.
Wenn wir dies heute in zweiter und dritter Lesung beschließen, kann ich dem hohen Hause sagen, dass dies von den über 3 Millionen Sporttreibenden und vor allen Dingen von den Zehntausenden – wenn man das Bestehen unseres Landes in Jahren zusammennimmt, von Hunderttausenden von Bürgern in unserem Land –, die im Ehrenamt tätig sind, dankbar zur Kenntnis genommen wird.
Der Sport von Baden-Württemberg empfindet die Aufnahme als Staatsziel als Anerkennung und als Dank für das, was, insbesondere im Ehrenamt, in der Vergangenheit geschehen ist, und als Aufforderung der Politik an den Sport, dies in der Zukunft verstärkt weiter zu tun.
Es ist richtig, dass mit der Aufnahme des Sports als Staatsziel keine subjektiven Rechte oder gar finanziellen Ansprüche seitens des Sportes verbunden sind. Für mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, darf es aber mit der Aufnahme des Sports als Staatsziel nicht sein Ende haben, sondern das ist die Grundlage dafür, dass der Sport als Vertreter öffentlicher Belange künftig in wichtigen Politikbereichen anerkannt wird.
(Abg. Christine Rudolf SPD: Ist das ein Verspre- chen? – Abg. Brechtken SPD: Zum Beispiel bei den Zuschüssen im Landeshaushalt!)
Am Beispiel des Naturschutzrechts sehen Sie, Herr Kollege Brechtken, welche Zielkonflikte da oft bestehen.
Es kann dem Sport nicht zugemutet werden, gegenüber anderen Beteiligten am Katzentisch, wenn überhaupt, Platz zu nehmen. Oder ich nenne als Beispiel das Baurecht. Wir fordern den Bundesgesetzgeber auf, dies bald auch für den Sport etwa im Wege eines Erlasses oder im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu regeln. Das heißt, wir sind mit der Aufnahme des Sports als Staatsziel am Ende einer Etappe, aber noch nicht am Ziel dessen, was für die Aufwertung des Sports getan werden sollte.
Die Wahrung der Autonomie darf nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass die Politik nicht das Recht hätte, die Sportorganisation daraufhin zu untersuchen, ob sie auch in der Zukunft möglichst effizient arbeitet.
Deswegen bin ich der Auffassung, dass wir auch in der Zukunft seitens des Sports gegenüber der Politik den diesbezüglichen Nachweis zu erbringen haben.
Zum Abschluss, weil vorhin ein paar Zwischenrufe im Hinblick auf den Bund gemacht wurden, nur noch: In der Zeit, in der wir regiert haben, ist auf Antrag von BadenWürttemberg im steuerlichen Sektor für unsere Vereine
nach erbittertem Widerstand über viele, viele Jahre Anfang der Achtzigerjahre Entscheidendes geschehen. Wenn wir sehen, was auch in anderen Bereichen, gerade auch bei den Übungsleitern, während unserer Regierungszeit getan wurde, brauchen wir uns nicht zu verstecken.
Ich warne aber davor, wenn die bundespolitische Komponente mit hineingenommen wird, nunmehr den Blick vor der Zukunft zu verschließen, und deswegen fordere ich Rot-Grün schon heute auf, wenn Sydney vorbei ist, alles dafür zu tun, dass die angekündigte Kürzung im Leistungssport des Bundes um 40 Millionen DM nicht erfolgt. So etwas hat es unter einer CDU-Regierung nicht gegeben. Da sind die Haushaltsansätze in schwierigsten Zeiten beibehalten worden.