Wir können, Herr Kollege List, Gesetze und Verordnungen zum Thema Zuwanderung erlassen, so viel wir wollen.
Es wird uns keinen einzigen Schritt nach vorn bringen, wenn uns die wichtigste Voraussetzung fehlt: ein breiter gesellschaftlicher Konsens
bei der Frage, wie wir die künftige Migrationspolitik gestalten. Wir brauchen auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung für eine Migrationspolitik.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Rech CDU: Dann ist aber Frau Süssmuth genau die Fal- sche! – Abg. Roland Schmid CDU: Mit Konsens habt ihr ja viel Erfahrung in der Regierung!)
Wir können dies nur erreichen, wenn wir keine falschen Ängste schüren, wenn die Migrationspolitik nicht missbraucht wird, um vermeintlich kurzfristige parteipolitische Erfolge zu erzielen. Wir können dieses Ziel nur dann erreichen, wenn wir auch die positiven Chancen für unsere Gesellschaft in dem begreifen, was Zuwanderung bedeuten kann.
(Beifall bei der SPD – Abg. Brechtken SPD: Sehr gut, der Mann! – Abg. Birzele SPD: Überzeugend, der Mann!)
(Abg. Roland Schmid CDU: Jetzt kommt die klei- nere Koalitionsfraktion! Jetzt sind wir sehr ge- spannt!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt meiner Meinung nach keinen sinnvollen Grund dafür, heute über den Entwurf der EU-Richtlinie zu reden, weil, wie bereits ausgeführt wurde, der Innenausschuss am 24. Mai ohne förmliche Abstimmung beschlossen hat, sich der Haupt- und auch der Hilfsempfehlung des Innenausschusses des Bundesrats anzuschließen, und diese lehnen den EU-Richtlinienentwurf in der vorliegenden Form ab. Die EU-Kommission wird im Herbst einen überarbeiteten Entwurf vorlegen, und es wäre sinnvoll, diesen Entwurf erst einmal abzuwarten.
Aber das passt natürlich den Republikanern nicht, die heute wieder einmal mit einem ihrer Lieblingsthemen Stimmung machen wollen, Schreckgespenster an die Wand malen
und aufzeigen wollen, dass nach Baden-Württemberg eine Masseneinwanderung – so wurde es schon wieder genannt – erfolgen werde, wenn dieser Richtlinienentwurf verabschiedet wird. Wir sollten bei den Tatsachen bleiben und erst einmal ordentlich lesen, was in dem Richtlinienentwurf steht.
Empfohlen wird die Fortschreibung der von der Realität längst überholten und nachbesserungsbedürftigen EURichtlinie aus dem Jahr 1968 zur Familienzusammenführung für so genannte Wanderarbeitnehmer. Es ist höchste Zeit, sie der Realität anzupassen.
In der Hauptsache geht es dabei für mich um drei Punkte. Erstens – das ist das Strittige –: Wie definiere ich Familie? Zweitens: Was wird dies für die sozialen Sicherungssysteme bedeuten? Drittens: Kommen auf die Kommunen wesentlich mehr Kosten zu? Zu diesen drei Punkten möchte ich Stellung nehmen.
Erstens: Der erweiterte Familienbegriff der Richtlinie besagt, dass zur Familie auch Lebenspartner gehören, auch gleichgeschlechtliche Lebenspartner,
abhängige Verwandte, volljährige Kinder, sofern sie, beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen, nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen.
Dieser erweiterte Familienbegriff wird zwar vom Bundesrat, meiner Meinung nach leider, abgelehnt, ist aber inzwischen in der modernen Definition von Familie sogar im Familienpapier der CDU zu finden
Im Richtlinienentwurf – und das ist das Entscheidende, gerade für die Gegner – findet sich im Übrigen ausdrücklich der Verweis: „nach jeweiliger Regelung des Mitgliedsstaates“. Das heißt, es wird viel Lärm um nichts gemacht.
Das wirklich Entscheidende an dem EU-Vorschlag ist, dass die Familienzusammenführung auch für aus Drittstaaten eingewanderte EU-Staatler gelten soll, die inzwischen hier die Staatsbürgerschaft haben, für „neue Deutsche“ aus der Türkei, aus Polen oder aus Russland. Diese dürfen nach bisherigem Recht ihre Familien nicht nachholen. Der EUVorschlag bezieht diese EU-Bürger ein, was von uns Grünen begrüßt wird, da auch diese Menschen zum Teil lange hier leben und arbeiten und deshalb das Recht auf Familienzusammenführung haben sollten. Voraussetzung dafür ist – und das steht auch drin –, dass sie ein gesichertes Einkommen haben. Dieser Familienzusammenführung sollten wir uns nicht entziehen.
Zum Zweiten geht es um die Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme, sprich Kinder- und Erziehungsgeld, Kranken- und Rentenversicherung.
Hierzu sollte man sich, bevor Horrorszenarien an die Wand geworfen werden, den dritten Vorschlag aus dem Beschluss des Bundesrats ansehen, den ich vorlese:
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine quantifizierte Prognose über die mittelfristigen Wirkungen des Richtlinienvorschlages zu erstellen und dabei insbesondere die Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme darzulegen. Danach behält sich der Bundesrat eine weitere Stellungnahme vor.
Außerdem möchte ich in diesem Zusammenhang, und nicht nur in diesem, darauf hinweisen, dass wir durch die demographische Entwicklung – und das weiß inzwischen jeder, wenn er es wissen will – auf Einwanderung angewiesen sind, zum Beispiel auch für die sozialen Sicherungssysteme.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Schlierer REP: Den rot-grünen Schwachsinn brau- chen wir nicht zu lesen! – Zuruf von der SPD: Was für ein Hirn?)
Zum dritten Komplex, nämlich der Befürchtung, die finanziellen Aufwendungen für die Sozialhilfe in den Kommunen würden steigen, wenn es zu einem verstärkten Zugang von Drittstaatsfamilienangehörigen im Rahmen der Familienzusammenführung kommt. Darüber kann man durchaus nachdenken. Ich möchte dazu das Wichtigste sagen, was auch in der Richtlinie aufgeführt ist.
Eine Voraussetzung für den Anspruch auf Familienzusammenführung ist ja, dass die zusammenführende Person – das ist ein merkwürdiger Ausdruck, aber er steht so drin – über feste und ausreichende Einkünfte verfügt. Ich denke, es ist zunächst einmal grundlegend wichtig, dies zu sehen.
Zum anderen – das ist hier schon gesagt worden – sollten wir auch den Einzelaspekt der Familienzusammenführung im Kontext mit einer umfassenden Regelung der Zuwanderungspolitik der EU sehen,
Ich möchte an den Schluss meiner Ausführungen einen Satz aus den Hilfsempfehlungen stellen, die mir lieber wären als die Empfehlungen des Bundesrats:
wertet den Vorschlag für eine Richtlinie als dringend erforderliches einwanderungspolitisches Instrument zur Regelung der Zuwanderung und zur Harmonisierung der europäischen Einwanderungspolitik.