Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg – Drucksache 12/5236
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache über den Gesetzentwurf eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten sollen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir kommen zum zweiten Teil der Legendenbildung, denn es geht gleich weiter mit Legenden, die von der SPD in Umlauf gebracht werden.
Ich habe schon bei der Ersten Beratung darauf hingewiesen, dass Jugendliche in der Regel nicht unbedingt den Idealvorstellungen von Bildungspolitikern entsprechen, sondern eine – im Übrigen sehr gesunde – Neigung haben, sich dem kontinuierlichen Wissenserwerb gelegentlich auch zu entziehen und zu verweigern
(Abg. Rech CDU: Sehr vornehm ausgedrückt! – Abg. Brechtken SPD: Das soll sogar für Politiker gelten!)
und den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Das ist überhaupt kein Vorwurf. Das ist normal, und ich finde das so auch ganz in Ordnung. Wenn wir alle einen Blick zurück in unsere eigene Jugendzeit werfen,
werden wir wohl feststellen, dass sich dieses Verhalten nicht so maßlos von dem unsrigen unterscheidet. Vielleicht war das bei Ihnen anders, Herr Kollege Brechtken.
Mir ist das lieber, als wenn die Jugend mit 16 Jahren kalt und rational ihre Zukunft plant und schon genau weiß, welchen Bildungsweg sie wie, wann und wo einschlagen wird. Ich denke, ein bisschen Freiheit muss der Jugend auch in
dieser Hinsicht gewährt werden. Ebenso verständlich finde ich es, dass sie sich einen ganz anderen Bildungsplan wünscht, am liebsten einen recht unverbindlichen. Das kommt Ihnen natürlich entgegen.
Auch das ist kein Vorwurf, denn die Jugendlichen entscheiden in erster Linie emotional, und auch das ist gut so.
Daraus folgt aber, dass die Fachleute den Kanon der zu absolvierenden Fächer in aller Sorgfalt planen und verbindlich festlegen müssen. Die Wahlfreiheit darf nur marginale Unterschiede bei der Ausbildung zulassen und keine bei den grundlegenden Fragen der Bildung. Auch unsere Oberstufenschüler müssen sich innerhalb bestimmter Grenzen ausbilden lassen nach bestem Wissen und Gewissen der Experten, wie das in jedem außerschulischen Bildungsgang auch der Fall ist, zumal sie diese Bildung und Ausbildung nicht auf eigene Kosten genießen, sondern auf Kosten der Gesellschaft, und zumal sie zum Abschluss ein Zeugnis haben wollen, das ihnen die Hochschulreife bestätigt.
Die Millionen Mark, die Studienabbrecher und überlange Studienzeiten kosten, hätten wir besser für Lehrerversorgung und Ausstattung der Schulen und Hochschulen eingesetzt.
Meine Damen und Herren, die Oberstufe hat nicht gehalten, was sie einst versprochen hat. Das System hat zu viele Schlupflöcher, die die Schüler schnell herausgefunden haben und mit Recht auch ausnützen, wenn das System es zulässt. Auch das ist kein Vorwurf. Das ist allenfalls ein Vorwurf an uns, dass wir nicht schon längst reagiert haben, um die Qualität der Ausbildung am Gymnasium sicherzustellen.
Das soll nun nach langem Kampf in der KMK geschehen. Die CDU-Fraktion ist froh, dass allmählich wieder Standards gesetzt werden und das Niveau gesteigert wird.
Die Abschaffung der Differenzierung von Grund- und Leistungskursen zielt darauf hin, den Fächern, die für die Studierfähigkeit und die Allgemeinbildung einen besonderen Stellenwert haben, wieder das nötige Gewicht zu geben und sie für alle verbindlich zu machen. Ein Abiturient darf in diesen Fächern keine Schmalspurausbildung erhalten. Welches Land leistet es sich, in seiner Muttersprache einen so genannten Grundkurs bis zum Abitur zu führen? Das ist aberwitzig.
Deshalb denke ich auch, dass die Doppelgewichtung zweier der fünf verbindlichen Fächer erst im Nachhinein geschehen sollte. Dies ist ein Leistungsanreiz für die Schüler und beugt der Gefahr vor, dass bereits wieder vorab von den Schülern Gewichtungen vorgenommen werden.
(Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen: Aha! – Abg. Dr. Witzel Bündnis 90/Die Grünen: Eine Änderung gegenüber der Regierung, aha!)
Die Oberstufenreform dient der Qualitätssicherung des Abiturs. Wir tun gut daran, diese Qualitätssicherung ernst zu nehmen, denn es kann nicht mehr sehr lange dauern, bis die Hochschulen bei solchen Standards, die sie geliefert bekommen, ernsthaft über eine Hochschuleingangsprüfung nachzudenken beginnen. Ich glaube, das sollten wir vermeiden.
Noch ein Wort zu den Lehrplänen und den Inhalten. Dabei beziehe ich mich auf das gesamte Gymnasium. Die SPD sagt: Viel zu wenig fächerübergreifendes Unterrichten, viel zu viel Faktenwissen. Meine Damen und Herren, solides Grund- und Faktenwissen ist notwendig. Wenn Oberstufenschüler Alexander den Großen zum deutschen Kaiser des Mittelalters machen, dann frage ich mich, ob sie zu viel an Faktenwissen erhalten haben oder zu wenig.
Faktenwissen ist notwendig, um die Orientierung in den einzelnen Fächern zu erhalten. Diese wiederum ist notwendig, um Einsicht in die Zusammenhänge zu bekommen, und dies wiederum ist notwendig, um fächerübergreifend arbeiten zu können. Die Reihenfolge kann man nicht gut umstellen.
Solides Grundwissen ist auch für das Internet nötig; denn es geht darum, dass die Schüler lernen, aus dem Internet die 90 % Schrott herauszufiltern und zu bewerten, was von Wert ist und was nichts wert ist. In dieser Richtung werden auch neue Unterrichtsmethoden angemahnt wie Teamarbeit, selbstständiges Arbeiten. Das ist sicher richtig und auch notwendig, aber dabei muss beachtet werden, dass diese Methoden nur Ergänzung und niemals grundlegendes Unterrichtsprinzip sein können.
Die SPD verlangt neue Schwerpunkte in der Kommunikations- und Informationstechnik, in der Wirtschaft und der Technik, Einbeziehung der Berufs- und Lebenswelt, Lernortvielfalt. Mit der so dringend notwendigen historischen Dimension der schulischen Inhalte will sie wohl nichts mehr zu tun haben. Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass dies im notwendigen Maße bei den neuen Lehrplänen berücksichtigt wird und dass nicht kurzfristige Denkweisen und kurzlebige Modeerscheinungen die solide Aneignung von Wissen ersetzen. Die Struktur dafür haben wir geschaffen. Es geht jetzt darum, sie mit Inhalten zu füllen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Vossschulte, ich weiß nicht, von welcher Schule Sie gerade gesprochen haben. Ich habe den Eindruck, dass Sie ein Horrorbild von den Gymnasien verinnerlicht haben.
Wir können uns gern mit dem Wissensbegriff auseinander setzen. Es ist ja sehr interessant, dass Sie den Wissensbegriff so in den Vordergrund gestellt haben.
Ich will Ihnen etwas vortragen. Erst kürzlich hat Bundespräsident Rau Folgendes gesagt – ich zitiere; Sie sollten das einfach einmal aufnehmen und sich darüber Gedanken machen –:
Wissen lässt sich büffeln, aber Begreifen braucht Zeit und Erfahrung. Was hülfen uns denn Wissensriesen, wenn sie die Gemüter von Zwergen hätten? So hat Hubert Markl, der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, einmal zu Recht gefragt.