Protokoll der Sitzung vom 20.07.2000

Die Debatte ist ein Signal an die Bundesregierung: Neben der Landesregierung setzt sich auch der Landtag von Baden-Württemberg entschlossen und – so hoffe ich – auch geschlossen gegen weitere Reduzierungen der baden-württembergischen Standorte zur Wehr.

Nun eine Kurzbewertung der Scharping-Vorschläge. Wir führen hier keine wehrpolitische Debatte, und deswegen gehe ich nicht auf Details ein, sondern nur auf Punkte, die auf die Standorte in Baden-Württemberg Auswirkungen haben.

(Ministerpräsident Teufel)

Wir lehnen das Eckpfeilerpapier des Bundesverteidigungsministers Scharping nicht pauschal ab; unsere Kritik fällt differenziert aus. Herr Scharping hat, obwohl er sich mit engen Sparfesseln, mit kritischen Stimmen in den eigenen Reihen und mit einem bundeswehrfeindlichen Koalitionspartner auseinander setzen muss, einiges für die Bundeswehr erreicht. Beispiele: die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht gegen den Widerstand der Grünen.

(Zuruf des Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grü- nen)

Die Landes- und Bündnisverteidigung bleibt als wesentliche Komponente im Aufgabenspektrum der Bundeswehr erhalten. Eine radikale Reduzierung des Streitkräfteumfangs auf 200 000 Soldaten, wie von der Weizsäcker-Kommission und von den Grünen gefordert, hat Scharping verhindert. Er tritt ein für eine grundlegende Modernisierung der Bundeswehr und die Aufrechterhaltung der Truppenpräsenz in der Fläche. Auch das findet unsere volle Unterstützung.

Unsere Hauptkritik: Der Präsenzumfang von 255 000 Soldaten ist aus unserer Sicht zu niedrig. Viele Aufgaben werden leiden. An der Finanzierbarkeit der Reform sind erhebliche Zweifel angebracht. Aber das sind Themen vor allem für den Deutschen Bundestag, wo diese Entscheidungen fallen müssen.

Unsere Position – ich muss jetzt davon ausgehen, was die Bundesregierung an Größe für die Bundeswehr beschlossen hat, auch wenn ich das Beschlossene selbst für falsch halte – in der Standortfrage lautet: Der stark überproportionalen Belastung unseres Landes bei den Truppenreduzierungen in der Vergangenheit, die ich in der Tat dem Bundesverteidigungsminister vorgetragen habe, muss jetzt eine stark unterproportionale Belastung bei der anstehenden Reform gegenüberstehen.

Begründung: der Verlust von rund 26 000 Bundeswehrdienstposten Anfang der Neunzigerjahre. Die heutige Bundeswehrdichte für Baden-Württemberg liegt bei 3,5 auf 100 000 Einwohner, und das ist weit weniger als die Bundeswehrdichte, die die ganzen deutschen Länder haben, die entlang der ehemaligen Zonengrenze und Außengrenze liegen. Bereits heute können mehr als 25 % der baden-württembergischen Wehrpflichtigen nicht in ihrem Heimatland untergebracht werden.

Unter unseren heutigen Standorten ist eine hohe Zahl sehr strukturschwacher Gemeinden. Unsere Schmerzgrenze ist, wie ich gesagt habe, schon vor der Reform erreicht. Das Verhältnis der Bevölkerung zu ihrer Bundeswehr an den jeweiligen Standorten ist in unserem Land ausgezeichnet. Die Soldaten und ihre Angehörigen fühlen sich bei uns sehr wohl. Sehr viele bleiben auch nach ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr in Standortgemeinden in Baden-Württemberg wohnen.

Meine Damen und Herren, wir haben aus den Truppenreduzierungen Anfang der Neunzigerjahre das strukturpolitisch Beste gemacht; jetzt ginge es ans Eingemachte. Deswegen kämpfen wir um jeden einzelnen Standort.

Nun eine Bemerkung zu den Veränderungen bei der Wehrbereichsverwaltung, die angesprochen worden ist, und beim Wehrbereichskommando: Das ist das Einzige, bei dem sicher ist, dass es kommt; denn Scharping will auf der Grundlage von Forderungen des Bundesrechnungshofs die Wehrbereichsverwaltungen und die Wehrbereichskommandos von sieben auf vier reduzieren. Das heißt, dass aus den Wehrbereichskommandos V und VI und den Wehrbereichsverwaltungen V und VI in Baden-Württemberg und Bayern ein Wehrbereichskommando Süd und eine Wehrbereichsverwaltung Süd entstehen sollen.

Man wird dem Bundesverteidigungsminister bei diesen Überlegungen nicht entgegentreten können. Er hat ihre Realisierung auch fest vor. Aber für mich ist völlig klar, dass es dann gerecht zugehen muss. Das heißt, dann müssen entweder das fusionierte Wehrbereichskommando in Baden-Württemberg und die Wehrbereichsverwaltung in Bayern sein oder umgekehrt das Wehrbereichskommando in Bayern und die Wehrbereichsverwaltung in BadenWürttemberg. Das habe ich in aller Eindringlichkeit dem Bundesverteidigungsminister schon vor einem Jahr geschrieben. Ich habe es ihm in aller Eindringlichkeit gesagt, und er sieht diesen Punkt auch ein.

(Abg. Brechtken SPD: Haben Sie schon mit Stoi- ber gesprochen?)

Weil Sie so süffisant lächeln, möchte ich Ihnen hierzu einen Vorgang vorstellen.

Im Mai 1999 stand diese Planung zum ersten Mal in der Zeitung, und im Mai 1999 habe ich dem Bundesverteidigungsminister einen Brief geschrieben und mich für die Wehrbereichsverwaltung in Baden-Württemberg eingesetzt.

(Abg. Bebber SPD: Was hat Stoiber geschrieben?)

Dann hat Herr Abg. Teßmer laut Bericht der „Stuttgarter Zeitung“ vom 30. Juli 1999 von reiner Panikmache und zur Schau getragener Sorge der Landesregierung gesprochen, als wir uns dieses Themas angenommen haben.

(Abg. Haasis CDU: Oh Gott! – Abg. Kluck FDP/ DVP: Aha! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Der ist gar nicht da!)

Das hat den gleichen Abgeordneten nicht gehindert, mir am 31. Januar 2000 in höchster Sorge, wie er schreibt,

(Abg. Haasis CDU: Oi, oi!)

einen Brief zu schicken und mich zu bitten, dafür einzutreten, dass bei einer Zusammenlegung der Stuttgarter und der Münchner Wehrbereichsverwaltung die fusionierte Wehrbereichsverwaltung ihren Sitz in Stuttgart habe.

(Abg. Haasis CDU: Oh!)

Als wir uns vor über einem Jahr dafür eingesetzt haben, hat er von reiner Panikmache gesprochen,

(Abg. Dr. Reinhart CDU: So ist es! – Abg. Haasis CDU: Das würde ich ihm zurückschicken!)

(Ministerpräsident Teufel)

und ein halbes Jahr später fordert er mich auf, mich für das Anliegen, das wir schon seit einem halben Jahr verfolgt hatten, einzusetzen. Meine Damen und Herren, auf die Glaubwürdigkeit eines solchen Vorgehens können Sie sich einen eigenen Reim machen.

(Abg. Bebber SPD: Wichtig ist, den richtigen Zeit- punkt zu treffen!)

Ich setze mich jedenfalls für eine gerechte Lösung ein.

Nun habe ich mit Bundesverteidigungsminister Scharping am 30. Juni ein Vier-Augen-Gespräch geführt. Es war ein sehr gutes Gespräch und ein sehr vertrauensvolles Gespräch. Ich sage auch, dass ich für die nächsten Monate mein ganzes Vertrauen in den Bundesverteidigungsminister setze, dass es zu einer gerechten Lösung für BadenWürttemberg kommt.

Ich möchte aus diesem Gespräch einige Punkte hier erwähnen. Der Bundesverteidigungsminister spricht zunächst davon, dass er nicht damit rechne, dass sich die Entwicklung so dramatisch darstelle – ich referiere nur –, wie in vielen Veröffentlichungen ausgeführt.

(Abg. Schmiedel SPD: Wozu führt man denn ein Vier-Augen-Gespräch, wenn man dann alles er- zählt?)

Er sagt, im Grunde erstrecke sich die Reduzierung der Bundeswehr vor allem auf die Wehrpflichtigen. Bei den Zeitsoldaten gebe es sogar eine Aufstockung, und deswegen seien die Auswirkungen auf die Standorte diesmal nicht von der gleichen Bedeutung wie beim letzten Mal.

Er sagt, für ihn sei ganz entscheidend, wie wir für die Bundeswehr Nachwuchs gewinnen. Er weist darauf hin, dass bei der ganzen Bundeswehr nur 8 % der Mitarbeiter, der Soldaten und auch der Zivilbeschäftigten, in der Besoldungsgruppe A 9 und höher eingestuft sind und dass es in der gegenwärtigen Beschäftigungssituation deshalb außerordentlich schwierig sei, Nachwuchs zu gewinnen. Auch deshalb strebt er ein dezentrales Konzept an, und deshalb sind Argumente wie die, dass 25 % der Rekruten nicht in Baden-Württemberg, also nicht heimatnah, ihren Wehrdienst leisten können, wichtige Argumente für ihn gewesen.

Er hat mir ausdrücklich gesagt, dass er die bestehende ungleiche Bundeswehrdichte zwischen den einzelnen Ländern berücksichtigen wolle. Er hat mir zum Standort Meßstetten, zu dem ich ihn gefragt habe, gesagt, dass dieser Standort bleibe und in die NATO integriert bleibe, wie er überhaupt sagte, dass selbstverständlich auch die Standorte der Deutsch-Französischen Brigade oder die NATO-Standorte auf jeden Fall erhalten bleiben.

Er hat mir ausdrücklich gesagt, was er auch früher schon einmal öffentlich geäußert hat, dass er keine Standorte schließen, sondern die vorhandenen Standorte optimieren wolle. Nun, man wird im Einzelnen sehen müssen, was da wird. Ich referiere nur, aber ich finde, das sind zumindest Aussagen, die für Baden-Württemberg erfreuliche Kriterien wären, wenn sie zur Grundlage der Feinplanung würden, die noch nicht vorliegt. Er hat ausdrücklich gesagt, er

habe noch keine Feinplanung. Ich halte das für glaubwürdig. Ich habe gesagt, dass ich mit ihm sprechen wolle, wenn er die Feinplanung vorliegen habe, bevor er sich festgelegt habe. Das hat er mir ausdrücklich zugesagt. Er hat mir gesagt, dass dieses Gespräch Ende September oder Anfang Oktober stattfinden könne. Wir werden selbstverständlich am Ball bleiben, sobald eine konkrete Vorlage auf dem Tisch liegt.

(Abg. Buchter Bündnis 90/Die Grünen: Warum dann die Aktuelle Debatte?)

Er sagte, ich könne mich hundertprozentig darauf verlassen, dass dieses Gespräch vor der Festlegung von Einzelheiten Ende September oder Anfang Oktober stattfindet.

Zu den Zivilangehörigen hat Herr Scharping gesagt, dass er keine betriebsbedingten Kündigungen vornehmen wolle. Das ist auch eine sehr weit gehende Aussage. Auf meine Frage, die ich aus meiner Erfahrung bei der letzten Standortdebatte gestellt habe – dort haben gerade Fachleute der Bundeswehr immer wieder gesagt, unter 2 000 bis 3 000 Mann sei es keine optimale betriebswirtschaftliche Größe für einen Standort; wir haben sehr viele kleinere Standorte im Land –, hat er mir gesagt, das sei keineswegs das einzige Kriterium für die Reform. Auch kleinere Standorte könnten bestehen bleiben.

Das Gespräch war zu diesem Zeitpunkt, zu dem Leitlinien und Eckpunkte, aber noch keine Details vorlagen, ein durchaus befriedigendes Gespräch. Ich will das fortsetzen und hoffe, dass wir das Optimale für Baden-Württemberg herausholen können. Man kann aber nicht in nennenswertem Umfang Bundeswehr abbauen, ohne dass das auch Auswirkungen auf die Standorte hat. Ich hoffe, das hat keine Auswirkungen auf die Zahl der Standorte, sondern ich hoffe, dass das in den bestehenden Standorten zu realisieren ist.

Meine Damen und Herren, wir fangen nicht mit dem heutigen Tag an. Seit über einem Jahr sind wir an diesem Thema. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Ich habe das vorher schon an Beispielen gesagt. Beispielsweise hat Herr Staatssekretär Stächele, unser Bevollmächtigter, mehrere Gespräche beim Bundesverteidigungsministerium geführt. Beispielsweise habe ich mich mehrfach an alle Mitglieder aller Fraktionen des Verteidigungsausschusses und des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags gewandt, und zwar sowohl hinsichtlich der Wehrbereichsverwaltung in Baden-Württemberg als auch zum Thema Bundeswehrstandorte. Beispielsweise haben wir selbstverständlich auch Kontakt mit maßgeblichen Leuten der Bundeswehr selbst, um an interne Informationen heranzukommen.

Ich möchte nicht nur Herrn Staatssekretär Stächele danken, sondern ich möchte auch dem Innenminister dafür danken, dass er im ständigen Gespräch mit den Bürgermeistern der Standortgemeinden ist – das ist er übrigens seit Oktober 1999 – und dass er zusammen mit den Standortgemeinden eine Arbeitsgruppe „Strukturreform bei der Bundeswehr und ihre Auswirkungen für Baden-Württemberg“ eingerichtet hat und ihr auch persönlich vorsteht.

Ich danke auch den Bürgermeistern der Standortgemeinden, insbesondere der Arbeitsgemeinschaft Garnisonen, für

(Ministerpräsident Teufel)

die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Landesregierung. Dank auch dafür, dass sich die Garnisonsgemeinden trotz der jeweiligen eigenen Interessen bisher sehr geschlossen in dieser Angelegenheit gezeigt haben.

Meine Damen und Herren, die Bedeutung der Bundeswehrstandorte für unsere Soldaten, für ihre Familien, für die Zivilbediensteten und für die Standortgemeinden erfordert unseren geschlossenen Einsatz über die Parteigrenzen hinweg gegen alle Pläne, die den Fortbestand baden-württembergischer Bundeswehrstandorte gefährden würden.

(Beifall der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Alle im Landtag vertretenen Parteien, wenn ich es vorhin richtig gehört habe, sollten an einem Strang ziehen und ihre Möglichkeiten nutzen, um auf den anstehenden Entscheidungsprozess zugunsten Baden-Württembergs Einfluss zu nehmen. Insbesondere steht natürlich die SPD in einer großen Verantwortung, da sie den Bundesverteidigungsminister stellt

(Lachen des Abg. Bebber SPD)

und Rot-Grün die Mehrheit im Deutschen Bundestag, im Verteidigungsausschuss und im Haushaltsausschuss des Bundestags hat.