Protokoll der Sitzung vom 05.10.2000

Meine Damen und Herren, diese neue Freiheit für 16 Millionen Deutsche dürfen wir uns nicht kaputtmachen lassen, nicht durch Fremdenfeindlichkeit, nicht durch Antisemitismus und auch nicht durch Gewalt.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die Weimarer Republik ist nicht deshalb zugrunde gegangen, weil es zu viele Kommunisten oder Faschisten gegeben hätte; die Weimarer Republik ist zugrunde gegangen, weil es zu wenige Demokraten gegeben hat.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Deshalb rufe ich für die FDP/DVP-Fraktion von dieser Stelle aus und an diesem Tag alle Demokraten auf, im Kampf gegen den Extremismus nicht wegzuschauen, sondern sich für den freiheitlichsten Staat einzusetzen, den es jemals in der Geschichte der Deutschen gegeben hat.

(Beifall bei der FDP/DVP und der Abg. Marianne Erdrich-Sommer Bündnis 90/Die Grünen)

Dies hat der Deutsche Bundestag genau heute vor einer Woche in einer viel beachteten und beachtlichen Debatte zu diesem Thema festgestellt. Dieser Tenor sollte auch heute im Vordergrund stehen und sollte auch unsere Debatte prägen, wenn es darum geht, einen Grundkonsens zwischen den demokratischen Fraktionen dieses Hauses herzustellen.

Dieser Grundkonsens gilt ausdrücklich nicht für die fünfte Fraktion dieses Hauses, für die Republikaner. Ich sage: Die Republikaner sind fremdenfeindlich. Ich sage: Die Republikaner sind intolerant,

(Abg. Deuschle REP: Na?)

und viele Äußerungen belegen das inhumane Denken dieser Partei. Der Verfassungsschutz sieht genügend Ansatzpunkte rechtsextremistischer Bestrebungen, um diese Partei dauerhaft zu beobachten. Er hat dies erst vor Wochen wieder nachdrücklich belegt und auch auf die geistig-politische Nähe zu NPD und DVU hingewiesen.

Sie, meine Herren von den Reps, reden zwar von einer Abgrenzung gegenüber dem Rechtsextremismus, Ihr tatsächliches Handeln spricht aber eine ganz andere Sprache.

(Abg. Dr. Schlierer REP: Seid ihr schlecht vorbe- reitet!)

Wer Menschen als Parasiten und Flöhe bezeichnet, wer Ausländer mit Schmarotzern und Ungeziefer gleichsetzt, der bekennt, dass die Wertvorstellungen des Grundgesetzes nicht die seinen sind.

(Beifall bei der FDP/DVP, Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD sowie der Abg. Ingrid Blank CDU)

Deshalb unterstütze ich ausdrücklich, was meine Vorredner gesagt haben. Es ist jetzt höchste Zeit, den Republikanern die Maske des Biedermanns vom Gesicht zu reißen. Die Republikaner sind nicht Biedermänner, sondern sie sind letztendlich Brandstifter und verantwortlich für den Nährboden, der in der Vergangenheit für Gewalttaten gelegt worden ist.

(Beifall bei der FDP/DVP, der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abgeordneten der CDU)

Der wichtigste Grundsatz im Grundgesetz lautet:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Dieser staatliche Schutz gebührt allen Menschen in unserem Lande, meine Damen und Herren, gleich welcher Nationalität, gleich welcher Hautfarbe und gleich welcher Religion.

Wenn man in Gesprächen erfährt, dass es Menschen in unserem Lande gibt, die Angst haben, auf die Straße zu gehen, dann muss dies für uns heißen: Wir, die Politiker im demokratischen Rechtsstaat, tragen die Verantwortung dafür, dass sich jede Person an jeder Stelle des Landes aufhalten kann und dass sie sicher sein kann, unabhängig, ob Mann oder Frau, unabhängig davon, ob es Tag oder Nacht ist, unabhängig, ob Deutscher oder Ausländer, ob schwarzer, weißer oder gelber Hautfarbe.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, die FDP/DVP will, dass Deutschland eine gewaltfreie Zone ist und bleibt.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und des Bündnisses 90/Die Grünen)

Der demokratische Rechtsstaat darf nicht gleichgültig bleiben, wenn Menschen zu Tode gehetzt werden, wenn Ausländerunterkünfte angezündet werden, wenn jüdische Friedhöfe geschändet werden, wenn Obdachlose erschlagen und wenn andere Gewalttaten begangen werden. Der demokratische Rechtsstaat muss sich dagegen mit allem Nachdruck zur Wehr setzen. Gegen rechtsextremistische Gewalt muss der Staat mit aller Entschiedenheit vorgehen. Gewalt darf nicht verharmlost werden und darf nicht verniedlicht werden. Es darf auch nicht der Eindruck entstehen, man ginge kurze Zeit nach solchen Vorfällen gewissermaßen zur Tagesordnung über.

Im Kern geht es dabei um die strikte und konsequente Anwendung geltenden Rechts. Ich halte nicht viel von einer Art symbolische Politik, die sich im Ruf nach schärferen Gesetzen erschöpft. Aber zugleich gilt natürlich, dass wir

alle miteinander die Bereitschaft aufbringen müssen, Vorschläge zur Ergänzung des geltenden Rechts daraufhin zu überprüfen, ob sie zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt geeignet sind, ob sie erforderlich sind und den freiheitlichen Rechtsstaat selbst nicht gefährden.

Eine schnelle Reaktion beispielsweise der Gerichte macht gerade auf jugendliche Straftäter oftmals mehr Eindruck als eine harte Strafe.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Göbel CDU)

Das ist nun keinesfalls ein Plädoyer für den berüchtigten „kurzen Prozess“, sondern dafür, einfach unvoreingenommen zu prüfen, ob in geeigneten Fällen nicht auch bei jugendlichen Tätern ein beschleunigtes Verfahren, das ja im Augenblick noch ausgeschlossen ist, sinnvoll und notwendig sein kann.

Meine Damen und Herren, 75 % der fremdenfeindlichen Gewalttäter sind jünger als 21 Jahre. Schon diese eine Zahl belegt, welch wichtige Funktion das Jugendstrafrecht bei der Bekämpfung gewaltbereiter Extremisten hat.

Auch der Vorschlag des so genannten Warnarrestes, der neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe verhängt werden kann, verdient Beachtung. Ich halte diesen Vorschlag für sehr überlegenswert.

Drittens schließlich – und das ist mir das Wichtigste –: Wer gesehen hat, meine Damen und Herren – und Sie haben es alle gesehen –, wie Hunderte von Neonazis am 29. Januar dieses Jahres zum Andenken an den so genannten Tag der Machtergreifung grölend mit schwarz-weiß-roten Fahnen durch das Brandenburger Tor marschiert sind, muss bereit sein, zu prüfen, wie derart provokante Aufmärsche vor symbolträchtigen Orten oder auch Stellen wie dem künftigen Holocaustmahnmal unterbunden werden können. Wir können, wir müssen solche Aufmärsche verhindern. Sie sind eine Zumutung für unser Land, sie sind eine Zumutung für das Ansehen unseres Landes, sie sind vor allem eine Zumutung für unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der FDP/DVP, der CDU, der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn es zuverlässig im Rahmen des geltenden Rechts möglich ist, dies zu verhindern, dann besteht kein Änderungsbedarf. Geht dies nicht, bin ich dafür, dass das Versammlungsrecht in diesem Punkt geändert wird.

(Abg. Deuschle REP: Aha!)

Meine Damen und Herren, unsere Polizei steht bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt vor einer schwierigen Aufgabe. Wir haben allen Anlass, denen zu danken, die tagtäglich ganz konkret vor die Aufgabe gestellt sind, Freiheit und Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. In diesen Dank schließe ich ausdrücklich die Damen und Herren des Verfassungsschutzes ein, die gerade in der Vergangenheit hervorragende Arbeit geleistet haben.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Ich unterstütze, dass ein Verbotsverfahren gegen die NPD gründlich geprüft wird. Ein Verbotsantrag darf aber nicht aus politischer Opportunität gestellt werden, sondern nur dann, wenn man sich so sicher ist, wie man sich vor Gericht sein kann, dass dieses Verbotsverfahren zum Erfolg führt. Denn andernfalls wäre der Schaden unermesslich, der entstünde, wenn eine rechtsextremistische Partei vom Verfassungsgericht quasi eine TÜV-Plakette erhielte. Aber es bleibt dabei: Ein Verbotsantrag muss geprüft werden. Wir stehen dazu.

Dabei weiß ich ganz genau, dass Verbote Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft nicht über Nacht zum Verschwinden bringen. Was sich – und jetzt zitiere ich den Bundesinnenminister – „an neonazistischem, an antisemitischem, an rassistischem Unrat“ in den Köpfen eingenistet hat, was an Gewaltbereitschaft und Brutalität die Herzen junger Menschen vergiftet, das lässt sich nicht einfach durch Verbote beseitigen. Dazu bedarf es dauerhaft angelegter Strategien und Konzepte, die auf eine verstärkte Prävention abzielen. Einfach ist dies nicht, denn es gibt keine monokausalen Erklärungen für Rechtsextremismus und Gewalt, etwa nach dem Muster, Arbeitslosigkeit und Ausbildungsplatznotstand bewirkten eine rechtsextreme Einstellung.

Der Bundestagspräsident hat in seiner Rede am vergangenen Donnerstag mit Nachdruck gerade auf diesen Punkt hingewiesen. Dennoch ist die Verstärkung präventiver Konzepte und Ansätze unumgänglich. Dies gilt für die Schulen, dies gilt für die politische Bildung, dies gilt für die verbandliche und die offene Jugendarbeit, dies gilt für Angebote der Jugendsozialarbeit, und dies gilt auch für die kommunale Kriminalitätsprävention.

Überall aber, meine Damen und Herren, gilt: Es ist nicht nur einfach „mehr“ vom Vorhandenen erforderlich, sondern es müssen auch neue Konzepte, neue Initiativen für Demokratie und Toleranz und gegen Extremismus und Gewalt auf den Weg gebracht werden.

Richtig ist, dass rechtsextreme Gewalt anderswo schärfer zutage tritt als in Baden-Württemberg. Das ist wahr. Aber sie gibt es ohne Zweifel auch bei uns. Es wäre mehr als fahrlässig, sie als ein ostdeutsches Phänomen abzutun und sich bequem zurückzulehnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die DVU ist, wie Sie wissen, in den Landtag von SachsenAnhalt eingezogen. Sie ist dort eingezogen, weil sie Strippenzieher hatte, weil sie Geldgeber hatte und weil sie Schreibtischtäter hatte. Diese Schreibtischtäter, diese Geldgeber, diese Strippenzieher sitzen alle im Westen, meine Damen und Herren. Und weil sie im Westen sitzen, haben sie auch dazu beigetragen, dass Republikaner in den Landtag von Baden-Württemberg eingezogen sind.

Wir müssen beide bekämpfen: die DVU im Osten und die Republikaner im Westen. Rechtsextremismus und Gewalt sind eine Herausforderung für alle. Sie sind keine Herausforderung für Ostdeutschland allein, sondern eine gesamtdeutsche Herausforderung. Alles andere wäre falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Ich bin davon überzeugt, dass wir in Baden-Württemberg, in der Bundesrepublik Deutschland mehr Toleranz, mehr Mitmenschlichkeit besitzen und mehr aktiv gelebte Demokratie haben als braune Hemden, Springerstiefel und Bomberjacken. Ich bin der Meinung, unser Land ist ein tolerantes Land, ein demokratischer Rechtsstaat, eine funktionierende parlamentarische Demokratie.

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Wir wollen sie nicht beschädigen lassen.

(Abg. Deuschle REP: Wir auch nicht!)

Wir wollen uns mit Entschiedenheit gegen all diejenigen zur Wehr setzen – jetzt schaue ich nach rechts –,