Und jetzt sage ich mir: Wenn die Fakten nicht stimmen, dann können die Schlüsse daraus natürlich auch nicht stimmen. Dann muss ich es anders machen. Das haben mittlerweile nahezu alle außer Ihnen begriffen. Ich habe die Hoffnung gehabt, dass Sie es heute wenigstens zur Hälfte begriffen hätten.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP/DVP – Beifall des Abg. Hans-Michael Bender CDU – Abg. Beb- ber SPD: Das können wir auch sagen, dass Sie nichts begreifen! Ein starker Minister!)
Ich will Ihnen schon einmal die Frage stellen – und ich zitiere ein wirklich treffendes Wort des Ministerpräsidenten –: Wollen Sie in diesem Fall wiederum ein „Pflichtverteidiger“ der Bundesregierung sein, oder wollen Sie die Anwälte der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg sein?
(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Rech CDU – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Natürlich das Letztere, Herr Minister; das ist doch klar!)
Lieber Herr Oelmayer, ich komme noch zu der nützlichen Aufgabe, die Sie in Zukunft erfüllen könnten.
Ich weiß nicht, ob das der hiesigen Justiz so gut täte. Wenn ich da sicher wäre, würde ich mich dafür aussprechen.
(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist charak- teristisch für Traumtänzer! – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Wer ist denn jeden Tag bei Gericht?)
Sie haben vielleicht noch nicht zur Kenntnis genommen, wie der Unterausschuss Recht die Rechtsmittelreform be
handelt hat. Dort sitzen die Experten aller Bundesländer. Die entscheidenden Teile der Reform, die wir auch kritisieren, sind mit 13 : 3 Stimmen abgelehnt worden, zum Beispiel die Konzentration der Berufungen auf die Oberlandesgerichte: 13 Länder ablehnend, zwei Stadtstaaten, Hamburg und Bremen, haben sich enthalten, weil es ihnen, auf Deutsch gesagt, egal sein kann,
und ein einziges Land, nämlich Sachsen-Anhalt, hat sich für diese Maßnahme ausgesprochen. Alle Ihre Länder waren bei denen, die das nicht haben wollen.
Dasselbe gilt für die weitgehende Einführung des Einzelrichtereinsatzes: wiederum 13 : 3. Bei ganz entscheidenden Punkten der Reform haben 13 Länder dagegen gestimmt. Das nehmen Sie leider nicht zur Kenntnis. Sie wollen in diesem Fall ein Pflichtverteidiger der Bundesregierung bleiben, obwohl diese, hoffe ich, demnächst unter dem Druck der Länder ihre Position selbst ein Stück weit korrigieren wird, zumal – das muss man nüchtern sehen, und ich glaube, das sollte man auch aus der Sicht des Bundesjustizministeriums sehen – das Gesamtziel der Reform nicht mehr erreichbar ist.
Am Anfang war ja als Ziel festgeschrieben: Wir machen zuerst die Reform im Zivilprozess, dann die Reform im Strafprozess, und dann gehen wir an den Gerichtsaufbau. Exakt so stand es in allen Antworten.
Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass sich beim Strafprozess im Moment eindeutig das Bild ergibt, dass die Karre festgefahren ist? Im Strafprozessrecht haben das Max-Planck-Institut und andere der Bundesjustizministerin nachdrücklich ins Stammbuch geschrieben, dass das jetzige System hocheffizient ist. Wir haben übrigens gesehen, dass im Zivilprozess dasselbe gilt. Aber im Strafprozessrecht wurde in den Gutachten, die das BMJ selbst eingeholt hat, ganz klar gesagt: Lasst es bloß so, wie es jetzt ist. Darum gibt es im Moment im Strafprozessrecht keinen Versuch mehr, etwas zu ändern.
Jetzt sage ich: Das muss aber doch auch Rückwirkungen auf die Zivilprozessreform haben. Wenn man aus Berlin antritt und sagt, man hätte es gern einheitlich, dann kann man doch nicht am Schluss sagen, bei Zivilsachen sei das Oberlandesgericht die Berufungsinstanz, aber bei den Strafsachen bleibe es weiter das Landgericht. Das macht schon gar keinen Sinn.
Ich sage noch einmal: Mindestens dieser Teil der Konzentration der Berufungen beim Oberlandesgericht muss raus, weil er eigentlich unter keinem Aspekt mehr vernünftig haltbar ist. Für mich war es schon erschütternd, dass Sie von links bis rechts sich immer noch dafür aussprechen, ohne zu merken, was passiert.
Deswegen möchte ich jetzt einen sehr eindringlichen Appell an Sie richten, gerade an die Vertreter der SPD und der Grünen.
Es liegt jetzt auch an Ihnen. Die anderen haben geschlossen und richtig gegen diese Form agiert. Es ist höchste Zeit, dass Sie das mit uns zusammen machen.
Die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern, dass ihre landespolitische Kompetenz nicht gerade geballt ist.
Sie hat ja vielleicht eine landespolitische Karriere vor sich, aber ich bin sicher, sie hat sie nicht unmittelbar vor sich.
(Abg. Bebber SPD: Pure Parteipolitik machen Sie! – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das ist doch keine Wahlkampfveranstaltung, Herr Justiz- minister! Reden Sie doch zum Gesetz!)
Wo ist sie denn? Ich habe zu diesem für das Land wichtigen Thema von der Landesvorsitzenden und Spitzenkandidatin der SPD in der Öffentlichkeit noch kein Wort gehört, obwohl das spannend ist, denn da hätte sie die Kompetenz, das ist nämlich ein bundespolitisches Thema.
Also bitte ich Sie, das entsprechend deutlich zu machen, was im Interesse des Landes ist, und mit Ihrer Landesvorsitzenden darüber zu reden.
Was die Grünen angeht, hat sich in Berlin das erschütternde Gerücht verbreitet, dass sie bei der Rechtsmittelreform einen Deal gemacht hätten: die Zustimmung zur Rechtsmittelreform gegen die Zustimmung zum Schwulengesetz.
Dieses Gerücht hält sich zäh in Berlin. Ich weiß nicht, ob diese Dinge sachlich unmittelbar zusammengehören.
Immerhin deutet darauf hin, dass Ihre Freunde in Berlin bei der Strafprozessreform jetzt schon ins Nachdenken gekommen sind.
Das deutet auch darauf hin, dass sie eigentlich schon wissen, was richtig und was falsch ist. Umso merkwürdiger ist es, dass es sich nicht bis nach Stuttgart, bis zu Ihnen und bis nach Ulm herumgesprochen hat.
Dort habe ich auch gesagt: Kann sich jemand in diesem traditionsbewussten, großen Landgerichtsbezirk Ulm vorstellen, dass demnächst alle Berufungen in Zivilsachen zum Oberlandesgericht nach Stuttgart gehen sollen? Das kann sich im Grunde außer Ihnen niemand vorstellen, weder in Ulm noch in Stuttgart.
Deswegen appelliere ich dringend gerade an Sie von der SPD und den Grünen, Ihre Position in diesem Punkt klarzumachen und eine Position einzunehmen, die dem Land nützt. Denn hier haben Sie Ihre Aufgabe.