In diesem Sommer haben die Vorbereitungen der Lehrer und Lehrerinnen für die Pflichtlektüre begonnen, die mit diesem Schuljahr dann eingeführt werden konnte, um im Abitur 2002 eingesetzt zu werden.
Wir kennen die Debatte von damals, aber wir sind der Meinung, dass die Auswahl dieser beiden Texte in einem Paket und als Alternative
Chancenungleichheit bei den Schülern produziert, und deshalb fragen wir noch einmal an, ob das tatsächlich Pflichtlektüre sein soll.
Die Fachabteilung – und jetzt komme ich zu der Frage, wie sie in Kenntnis gesetzt wurde und wie sie dahinter steht – hat abgewogen. So ist das bei solchen Entscheidungen. Das sind eben nicht Entscheidungen zwischen Gut und Böse.
Das ist weder im einen noch im anderen Fall – der Aufnahme in die Lektüreliste, der Aufnahme in die Pflichtlektüre – eine politische Entscheidung, sondern es ist eine Entscheidung, die mit Schule, die mit Schülern, die mit Literatur zu tun hat und auch – und darauf komme ich gleich – mit Themen, von denen wir sagen, dass sie in den Bildungsgang gehören. Es sind Themen, mit denen Schüler und Schülerinnen sich auseinander zu setzen haben.
Die Fachabteilung hat mich um ein Gespräch gebeten und mir einen Vorschlag gemacht. Und ich habe gesagt: Wir ziehen diese Lektüre zurück; ich nehme diesen Vorschlag an.
Schon damals ist gesagt worden – ich kann mich gut erinnern –, dass das eine öffentliche Debatte geben könnte. Ich wiederhole, was ich vor einigen Wochen gesagt habe:
(Abg. Drexler SPD: „Das ist mir egal“! – Heiter- keit bei der SPD – Gegenruf des Abg. Döpper CDU: Das ist das Niveau von Drexler! – Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)
So simpel habe ich es nicht gesagt, sondern ich habe gesagt: Die Drohung mit einer politischen Debatte und alle nachfolgenden Versuche, von Herrn Hochhuth in der „Welt am Sonntag“ am 8. Oktober ausgelöst, Druck auf das Haus und auf mich auszuüben, fruchten in solchen Situationen null,
weil nämlich das, was wir in der Schule tun und was wir intern beraten und pädagogisch für richtig halten,
nicht in Situationen des öffentlichen Drucks entstehen oder auch korrigiert, eingesetzt oder abgesetzt werden kann. Das gilt für dieses Thema und auch für alle anderen Themen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Carla Bregenzer SPD: Die Ministerin macht, was sie für richtig hält!)
Erste Aussage – ich sage es noch einmal –: Ein politischer Roman wurde aus dem Verkehr gezogen, wurde in den baden-württembergischen Schulen gestrichen zugunsten eines unpolitischen Romans. Wahr ist: Der Roman, der neu aufgenommen worden ist, ist der Roman von Ingeborg Drewitz „Gestern war heute“, ein Roman, von dem es heißt, dass er in der für Ingeborg Drewitz, für ihr Werk und ihr Leben prägnanten Weise Geschichtsschreibung nicht als die Feier der Sieger, sondern aus der Perspektive der Opfer behandle, in einer in der Literatur allseits unabhängig von politischen Kategorien bewerteten Überzeugung. Der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, hat anlässlich des Todes von Ingeborg Drewitz 1986 gesagt: „Sie war für viele Berliner eine moralische Instanz.“
Die Aussage, ein politischer Roman – und zwar nicht in allgemeiner Hinsicht, sondern zum Thema Nationalsozialismus – werde durch einen unpolitischen Roman ersetzt, ist schlicht falsch.
Wir haben als zweite Möglichkeit ein Buch aufgenommen, das die Lehrer und Lehrerinnen bereits behandelt haben: „Das Parfum“ von Süskind. Klar ist aber: Es ist ein politi
scher Roman, es ist ein Roman zum Thema, weil für baden-württembergische Schulen – übrigens nicht nur für die beruflichen Schulen – gilt, dass dieses Kapitel der Geschichte nicht nur eine Frage des Geschichtsunterrichts ist, sondern auch eine Frage und ein Bildungsinhalt im Bereich der literarischen sowie auch der musikalischen und künstlerischen Verarbeitung. Das ist ein Teil des Bildungsauftrags an unseren Schulen.
Damit komme ich zur Kommission. Die Kommission hat in ihrem gestrigen Gespräch – ich habe von der Kommission die Erlaubnis bekommen, das, was ich jetzt sage, hier vorzutragen – gesagt: Es ist wahr, damals war es eine Güterabwägung, die wir zugunsten des Buches entschieden haben. Wir wussten aber um den Problempunkt, der jetzt von anderen noch einmal eingebracht wurde und zur jetzigen Entscheidung geführt hat. Wir haben uns in einem Teil der öffentlichen Diskussion – so die Mitglieder der Kommission – ein bisschen düpiert gefühlt, weil der Eindruck entstand, dass entweder wir unsere Arbeit nicht gut gemacht hätten oder – Sie haben das jetzt wieder aufgegriffen – Lehrern und Lehrerinnen unterschoben werde, dass sie keinen vernünftigen Deutschunterricht machen könnten, wenn nicht bestimmte Hilfestellungen da seien. Beides trifft nicht zu.
In der Kommission sitzen neun erfahrene Pädagogen, die damals nach bestem Wissen und Gewissen entschieden haben. Sie haben sich in der Güterabwägung so entschieden, wie sie sich letztendlich entschieden haben. Sie machen Vorschläge. Die Verantwortung, sowohl für die erste Entscheidung als auch für die jetzige Entscheidung, trägt das Kultusministerium. Ich trage sie auch persönlich. Es ist überhaupt keine Frage, dass damit weder etwas über die Qualität der Kommission noch etwas über die Qualität von Lehrern und Lehrerinnen gesagt wird. Es geht nämlich nicht um Sekundärliteratur.
Es geht nicht um irgendwelche Sekundärliteratur für Lehrer, sondern es geht um den Zugang zu Literatur für Schüler und Schülerinnen, für die es Lektürehilfen zur Pflichtlektüre gibt. Das können Sie an einer ganzen Serie von Lektürehilfen, unter anderem vom Klett-Verlag, nachvollziehen. Ich habe einmal einige mitgebracht. Es geht darum, dass wir nicht nur Schüler im Abitur haben, die in einer Universitätsstadt leben, sondern dass es für alle Schüler gleichermaßen zugängliches Material geben muss.
Wenn in einem Jahrgang zwei Lektüren gleichermaßen Pflichtlektüre sind, dann muss für beide dasselbe gelten.