Damit kommen wir im Grunde genommen zum nächsten Punkt. Der nächste Punkt besteht darin: Ich habe eigentlich eine gewisse Hoffnung, dass wir die schwierige Ausländerproblematik nach dem üblichen Hin und Her in den wesentlichen Eckpunkten doch bundesweit auf eine vernünftige Linie schaffen könnten, die dann auch im Konsens getragen werden kann. In einer Phase, in der man sich in Deutschland in verschiedenen Kommissionen und auch in den Parlamenten zusammenzuraufen versucht, weil man die Verantwortung bei diesem Thema spürt und fühlt, können wir aber störende Querschüsse seitens der Kommission und der EU nicht brauchen. Diese sind schlicht und ergreifend unerträglich für unsere Binnensituation in Deutschland. Deshalb ist die Richtlinie in dieser Phase und natürlich auch darüber hinaus von uns abzulehnen. Sie stört unsere Diskussion über Integration – wie soll Integration vonstatten gehen? –, und sie stört auch unsere Diskussion innerhalb von Deutschland: Wie wollen wir auf vernünftige Weise künftig eine bessere Steuerung der Zuwanderung erreichen? In einer solchen entscheidenden Phase der Diskussion können wir Querschüsse der Europäischen Kommission auf keinen Fall brauchen.
Es bahnt sich ja Schlimmeres an. Ich will heute nicht die schwierige Diskussion über eine Änderung des Asylgrundrechts aufgreifen, sondern auf Folgendes hinweisen: Wir
haben jetzt eine Richtlinie der Europäischen Union zur Familienzusammenführung auf dem Tisch liegen und sprechen heute darüber. Es bahnt sich bereits die nächste Richtlinie der Europäischen Union an, die auch wieder eine verheerende Fehlentwicklung zur Folge hätte, nämlich der Vorschlag für eine Richtlinie zum Thema „Harmonisierung der ganzen Asylverfahren“. Da geht es um Folgendes: Da ist nach dem Vorschlag – der Vorschlag ist bisher noch nicht zu einer – –
Ich komme darauf. Das wird dann am Schluss sozusagen das Finale werden, Herr Kollege Bebber. Jetzt nehmen Sie mir nicht einfach schon vorher die Pointe weg.
Bei dem Vorschlag bahnt sich Folgendes an – und das muss man heute schon einmal ansprechen –: Die Kommission der Europäischen Union will, dass die verfahrensbeschleunigenden Elemente, die wir bei dem legendären Kompromiss aus dem Jahre 1993 vor allem für Folgeanträge von Asylbewerbern erreicht haben, künftig so nicht mehr anwendbar sein sollen.
Die Kommission will als Zweites, dass das Thema „sichere Drittstaaten“, das ja auch Grundlage dieses Asylkompromisses aus dem Jahre 1993 war, in Deutschland künftig nicht mehr geltendes Recht sein soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir hätten dann die aberwitzige Entwicklung, dass beim Thema „Grundrecht auf Asyl“ der Streit in der bekannten ideologischen Form seinen weiteren Lauf nähme, dass uns aber die anderen Elemente, die aus dem Kompromiss von 1993 stammen und die ja dazu geführt haben, dass ein Rückgang der Asylbewerberzahlen von über 400 000 auf jetzt unter 100 000 erfolgt ist, von der Kommission und der Europäischen Union weggeschlagen werden würden.
Meine Damen und Herren, für die Situation in Deutschland wäre dies eine unerträgliche Entwicklung. Deshalb darf ich heute noch einmal sagen: In der schwierigen Phase der Diskussion über die Ausländerpolitik in ihrer Gesamtheit, in der wir uns jetzt befinden, können wir solche störenden und verhängnisvollen Querschüsse der Kommission der Europäischen Union auf keinen Fall brauchen.
Ich komme zurück zur Nachzugsrichtlinie. Man müsste eigentlich meinen, das sei kein Problem. Der Bundesinnenminister hat sich – zuletzt übrigens in der Bundesratssitzung vor wenigen Wochen in Berlin – klar gegen diese Richtlinie ausgesprochen. Der Kollege Behrens aus Nordrhein-Westfalen und, glaube ich, alle Innenminister der SPD sprechen sich ebenfalls expressis verbis gegen diese Richtlinie aus.
Nun hat Kollege Bebber darauf hingewiesen, dass bei solchen Entscheidungen auf der Ebene der Europäischen Union immer noch das Einstimmigkeitsprinzip und nicht das Mehrheitsprinzip gilt. Das heißt, die Bundesregierung könnte bei der entscheidenden Sitzung des Ministerrats am 30. November das Inkrafttreten der Richtlinie mühelos verhindern, indem sie ein klares Nein sagt. Da das Einstimmigkeitsprinzip gilt, wäre damit die Geschichte zumindest einstweilen vom Tisch.
Da aber gibt es ein Problem, und ich bitte Sie, darauf in der zweiten Runde einzugehen; deshalb habe ich mich auch ausnahmsweise schon nach der ersten Runde zu Wort gemeldet. Sprechen wir die Dinge beim Namen an! Es ist offensichtlich so, dass innerhalb der Bundesregierung über die Frage, ob die Richtlinie kommen soll oder nicht, ein starker innerer Disput besteht.
Die SPD in Gestalt von Bundesinnenminister Schily ist gegen die Richtlinie. Aber die Bündnisgrünen, die auch an der Regierung beteiligt sind, zum Beispiel Außenminister Fischer, sind – Frau Thon hat mich in ihrem Beitrag eigentlich bestätigt – im Grunde genommen expressis verbis für die Richtlinie. Sie, Frau Kollegin Thon, haben das vorhin auch gesagt. Hinzu kommt, dass selbst die SPD-Mitglieder im Europäischen Parlament in der Septembersitzung für die Richtlinie gestimmt haben. Heute, am 22. November, ist wohl niemand in der Lage, meine Damen und Herren, verlässlich sagen zu können, wie die Bundesregierung in der entscheidenden Ministerratssitzung am 30. November abstimmen wird, nachdem sie innerlich gespalten ist.
Ich darf übrigens darauf hinweisen – ich sage dies an die Adresse der SPD –, dass die Richtlinie der Europäischen Union in dem Segment der Ausländerpolitik in Sachen Familiennachzug eigentlich in aller Vollständigkeit Elemente der grünen Politik übernimmt. Was wir hier vorliegen haben, ist grüne Politik pur.
Die Bundesregierung, die ja noch einen Partner hat, wird sich in den nächsten Tagen darüber klar werden müssen, ob sie entgegen der Auffassung von Schily und entgegen der Auffassung aller SPD-Landesinnenminister bei der Abstimmung am 30. November im Ministerrat dem kleinen Partner, den Grünen, nachgibt oder ob sich das durchsetzt, was die Innenpolitiker der SPD für richtig halten.
Die heutige Debatte, Herr Kollege Bebber, ist zeitlich goldrichtig. Meine dringende Bitte ist: Wir müssen die Bundesregierung mit allem Nachdruck auffordern, am 30. November in der Sitzung des Ministerrats entgegen den Auffassungen und Meinungen ihres Regierungspartners, der Bündnisgrünen, gegen die Richtlinie zu stimmen. Dann haben wir dieses Thema zumindest einstweilen vom Tisch, und das muss die klare Forderung dieses Landtags sein.
(Abg. Bebber SPD: Wenn der Teufel, der sonst nur schimpft, jetzt mit einer Bitte kommt, ist das nicht überzeugend! Da muss die Landesregierung kon- sensfähig sein!)
Mir liegen bisher keine Wortmeldungen vor. Deshalb frage ich. – Herr Abg. Haasis, sie erhalten das Wort.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Innenminister hat ja deutlich aufgezeigt, dass es Frau Thon nicht gelungen ist, hier zu vernebeln,
Natürlich haben Sie vernebelt! Ich komme nachher noch darauf zurück. Sie haben auf die Tränendrüse gedrückt mit dem Hinweis auf behinderte Kinder, als ob es darum ginge,
und haben die Frage gestellt, was denn an der heutigen Debatte aktuell sein solle. Aber dass Herr Schlierer dann auch die Frage aufgeworfen hat, was heute aktuell sein solle, verstehe ich überhaupt nicht, Herr Schlierer.
Die Veränderung besteht doch – es ist gerade gesagt worden – darin, dass zwischen unserer letzten Debatte und der jetzigen Debatte am 6. September eine Abstimmung im Europäischen Parlament stattgefunden hat. Dort haben die SPD-Abgeordneten – und zwar alle anwesenden deutschen SPD-Abgeordneten, Herr Heiler – für die Richtlinie gestimmt. Auch alle Grünenabgeordneten haben dies getan. Der Unterschied zwischen Ihnen beiden ist nur, dass Frau Thon es zugibt, dass sie das will, Sie aber hier so tun, als wären Sie zusammen mit der CDU dagegen. Das ist Vogt’sche Linie pur: in allem einig, was hier im Land geht, aber in Berlin genau das Gegenteil machen.
Deshalb ist die Debatte aktuell: Sie soll aufzeigen, was Sie tatsächlich wollen. Sie müssen hier den Wählerinnen und Wählern sagen, was Sie tatsächlich wollen. Wollen Sie diese Familienzusammenführung, wie es in der Richtlinie steht? Wollen Sie sogar ein Stück weiter gehen?
Ich lese Ihnen zur Aktualität einfach einmal vor, wie die Abstimmung war. Die Berichterstatterin aus dem zuständigen Ausschuss hat den Antrag gestellt, unverheirateten Paaren und deren Kindern keinen Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung einzuräumen. Der Rechtsanspruch solle der Kernfamilie vorbehalten bleiben. Abstim
mung: Ablehnung dieses Antrags durch alle anwesenden deutschen PSE-Mitglieder, also SPD, und alle anwesenden deutschen Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen.
Zweite Abstimmung: Die Berichterstatterin wollte, dass Verwandten aufsteigender Linie kein Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung eingeräumt wird. Das hat Herr Heiler hier vorgeschlagen: kein Rechtsanspruch. Abstimmung: Zustimmung aller anwesenden deutschen PSE-Mitglieder und aller anwesenden deutschen Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen zum Ursprungsentwurf.
Ist es da aktuell oder nicht aktuell, wenn am 30. November die Regierung entscheiden soll, ob sie dem zustimmt oder nicht,
wenn Ihre Abgeordneten – alle Ihre Abgeordneten – im Europäischen Parlament für diese Richtlinie gestimmt haben?
Die Grünen gingen ja dann noch einen Schritt weiter. Die Fraktion der extremen Linken wollte nach drei Jahren einen eigenen Aufenthaltstitel derer, die zuziehen, und die Grünen sind noch weiter gegangen. Die Fraktion der Grünen ist sogar der Ansicht, dass dieser Rechtsanspruch für diejenigen, die zuziehen, bereits nach einem Jahr bestehen soll.
(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Frü- her hat man von der Großfamilie geschwärmt! Von der Oma!)
Liebe Frau Thon, lieber Herr Heiler, wir sind für Familienzusammenführung. Doch unter Familienzusammenführung – ich wiederhole mich – verstehen wir, wenn Eltern und minderjährige Kinder zusammenziehen. Das ist Familienzusammenführung; so war es gedacht, und das haben auch Sie seither so gesehen. Liebe Frau Thon, es ist doch ein Unterschied, ob Sie unseren Familienbegriff hier in Deutschland nehmen oder den Familienbegriff derer, die aus Asien oder Afrika kommen und bei denen dann, wenn ein einziger Teil dieser Großfamilie in Deutschland lebt, der gesamte Anhang – auch in aufsteigender Linie – hierher kommen können soll, auch der des Partners.
(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Unter bestimmten Bedingungen! Nicht „einfach kommen können“! Das ist unglaublich! Das stimmt nicht! Das ist einfach falsch!)
Das ist doch ein Riesenunterschied, und das hat mit dem Familienbegriff, wie wir ihn haben, überhaupt nichts zu tun.