Protokoll der Sitzung vom 22.11.2000

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal eines deutlich machen: Unklar bleibt heute am Ende der Debatte, wie sich Rot-Grün verhält. Die SPD im Land sagt, sie lehne es ab.

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Wir werden sehen, ob sich das auf Bundesebene fortsetzt. Nur, eines verspreche ich Ihnen heute schon: Wenn es nachher nach dem Motto läuft „Hier im Land und kurz vor dem Wahlkampf wollen wir vermeiden, klare, letzten Endes bundesweit für die SPD zutreffende Aussagen zu machen“, dann werden wir deutlich aufzeigen, wie Sie die Wähler belügen. Spätestens dann, wenn sich Ihre Partei im Rahmen ihrer Verantwortung auf Bundesebene deutlich erklären muss und wird, werden Sie Farbe bekennen müssen.

Bei den Grünen gehe ich nach wie vor davon aus, dass sie diese Richtlinie der EU befürworten, dass sie dies als Teil ihrer Zuwanderungs- und Ausländerpolitik sehen. Da muss man klar und deutlich sagen: Wer so etwas befürwortet, will unser Land destabilisieren, unseren Staat kaputtmachen und hier Verhältnisse schaffen, die nicht im Interesse unserer Verfassungsordnung und auch nicht im Sinne des oft beschworenen Konsenses aller Demokraten sind.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

Das Wort erhält Herr Innenminister Dr. Schäuble.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nur kurz an die Adresse der im Augenblick leider nicht anwesenden Frau Kollegin Thon: Wir brauchen heute keine allgemeine Diskussion über die Probleme der Ausländerpolitik zu führen. Deshalb kann ich mich insoweit auf zwei Punkte beschränken.

(Minister Dr. Schäuble)

Erstens: Integrationspolitisch ist es nicht hinnehmbar, dass nach den Vorstellungen der Europäischen Union Kinder bis zur Volljährigkeit im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kommen sollen dürfen, weil wir dann nicht mehr in der Lage sein werden, sie zu integrieren. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt.

Das Zweite: Ein Familiennachzug darf nicht so weit ausgedehnt werden, dass er über die eigentliche Kernfamilie hinaus die Großfamilie erfasst, indem auch aufsteigende Generationen kommen dürfen. Nach den Feststellungen der Bundesregierung hätten wir dann mit einem Nachzug von etwa 500 000 Personen pro Jahr zu rechnen. Dann wäre eine Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland nicht mehr möglich.

Wichtiger ist mir aber etwas anderes. Herr Kollege Heiler, das Problem besteht darin – deshalb ist die Sache schon heute hochaktuell –: Wenn Sie und, wie ich es vorhin der Debatte entnommen habe, auch Herr Kollege Bebber die Bundesregierung bei der Ministerratssitzung am 30. November vertreten würden, wäre alles klar.

(Zuruf des Abg. Heiler SPD)

Sie hätten nach dem, was Sie heute gesagt haben, unser volles Vertrauen, dass Sie das schon richtig machen.

(Abg. Brechtken SPD: Es ist nur eine Frage der Zeit, Herr Kollege!)

Man wird ja sehen, wie er innerhalb Ihrer Partei aufsteigt. Die Bürgermeister haben ja schon immer den Marschallstab im Tornister.

(Abg. Bebber SPD: Unser Einfluss ist jetzt schon da! – Abg. Brechtken SPD: Aber nicht jeder hat sich bewährt!)

Dann ist es ja gut, Herr Kollege Bebber, dass wir darüber noch einmal sprechen. Denn wir haben eine diffuse Situation. Ich darf einmal auf Folgendes hinweisen und gleich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten auch kurz zitieren:

In der Bundesratssitzung am 9. Juni kam mit großer Mehrheit ein Sachbeschluss des Bundesrats zustande, ein Beschluss, in dem sich der Bundesrat eindeutig gegen diese EU-Richtlinie aussprach.

(Abg. Maurer SPD: Ja, also!)

Moment, Herr Kollege Maurer. Sie waren vorhin nicht da. Deshalb müssen Sie vielleicht erst noch etwas in die Diskussion hineinkommen.

(Abg. Maurer SPD: Sie reden so laut, dass man das bis in den zweiten Stock hört! – Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Sehen Sie! Das hat dann doch auch sein Gutes.

Baden-Württemberg hat nach der betreffenden Sitzung des Europäischen Parlaments diese Problematik noch einmal zum Gegenstand einer Bundesratsentschließung gemacht. Sie ist am 10. November, also vor wenigen Tagen, behandelt worden.

Jetzt darf ich mit Erlaubnis des Herrn Landtagspräsidenten den amtierenden Präsidenten des Bundesrats aus dem Protokoll der Bundesratssitzung zitieren. Er sagt:

Ausschussberatungen haben noch nicht stattgefunden, sodass wir zunächst darüber zu befinden haben, ob bereits heute in der Sache entschieden werden soll. Wer für sofortige Sachentscheidung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist eine Minderheit.

Das heißt, wir müssen das so interpretieren: Der Bundesrat hat vor wenigen Tagen im Unterschied zu der Sitzung im Juni eine Sachentscheidung abgelehnt und die Angelegenheit an die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Das hat die bizarre Folge, dass das Thema vermutlich in der kommenden Bundesratssitzung am 1. Dezember erneut behandelt wird. Dann ist das Wiesle aber schon gemäht, weil der Ministerrat bekanntlich bereits am 30. November entscheiden muss, ob er Ja oder Nein sagt.

Das heißt an die Adresse der SPD – da ist es vielleicht gut, dass der Herr Fraktionsvorsitzende der SPD jetzt unter uns ist –:

(Abg. Bebber SPD: Sie malen ja ein Männeken an die Wand!)

Ich bitte schon um Verständnis dafür, dass wir Ihnen eines nicht durchgehen lassen können. Nachdem klar ist, wie die Haltung der Grünen auch in der Bundesregierung sein wird,

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

ist es für uns nicht akzeptabel, dass die SPD im Land Baden-Württemberg zwar sagt: „Wir sind auch gegen diese Richtlinie“, aber auf Bundesebene – innerhalb der Bundesregierung – nicht entsprechend handelt.

(Abg. Dr. Schlierer REP: So ist es!)

Das heißt, wir müssen Sie heute in die Pflicht dafür nehmen, dass die Bundesregierung am 30. November

(Zuruf des Abg. Bebber SPD)

in der Ministerratssitzung dieser Richtlinie ein eindeutiges Nein entgegenstellt.

(Abg. Bebber SPD: Haben Sie Erscheinungen, Herr Minister?)

Wir behalten uns auch vor, darüber nach dem 30. November hier in diesem Parlament noch einmal mit allem Nachdruck und mit aller Härte zu sprechen, wenn dies nicht der Fall sein wird,

(Abg. Bebber SPD: Herr Minister, Sie haben Er- scheinungen!)

weil wir dieses doppelte Spiel der SPD – einerseits so im Land und andererseits anders auf der Bundesebene – nicht akzeptieren können. Das sage ich ganz klar an Ihre Adresse.

(Abg. Bebber SPD: Das haben Sie doch konstru- iert!)

Ich habe Sie nicht verstanden.

(Minister Dr. Schäuble)

(Abg. Bebber SPD: Sie haben etwas konstruiert! Es gibt kein doppeltes Spiel! Das ist in Ihrem Kopf!)

Wir haben bisher keine Anzeichen dafür, dass sich zum Beispiel der Bundeskanzler in der Frage des Abstimmungsverhaltens festgelegt hat. Wir haben nur die Äußerung von Bundesinnenminister Schily.

(Zuruf von der SPD)

Im Übrigen ist es auch ganz interessant, warum es am 10. November nicht zu einer Sachentscheidung im Bundesrat kam.

Darüber hinaus ist auch noch interessant, dass die Kommission selbst sagt, sie möchte diese Richtlinie noch in der Zeit der französischen Präsidentschaft durchboxen; sie endet bekanntlich Ende dieses Jahres. Das heißt: Alles spricht ganz klar erstens für einen Zeitdruck und zweitens dafür, dass die SPD innerhalb der Bundesregierung zumindest schwimmt und nicht weiß, wie sie sich gegenüber dem grünen Koalitionspartner verhalten soll. Deshalb müssen wir das heute mit allem Nachdruck feststellen. Wir lassen Ihnen nicht durchgehen, dass Sie im Land so reden, aber auf der Ebene der Bundesregierung anders handeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Damit ist Tagesordnungspunkt 2 abgeschlossen.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: