Protokoll der Sitzung vom 23.11.2000

(Abg. Wieser CDU: Wo Sie Abgeordneter sind!)

Jetzt will ich aber zu dem kommen, was schlecht ist. Da will ich noch einmal den Kollegen Maurer ansprechen. Wir waren gestern gemeinsam beim Landesverband der freien Berufe. Herr Maurer, ich glaube, es ist Ihnen schon klar geworden, dass nicht alles, was mit der Steuerreform gemacht worden ist – Scheinselbstständigkeit, 630-DM-Gesetz –, die Rahmenbedingungen für die tragende Säule unserer Wirtschaft in Baden-Württemberg und damit auch für die Bereitstellung von Arbeitsplätzen, damit also für den Mittelstand, verbessert hat und alles so gut war. Da gibt es, denke ich, noch Nachholbedarf.

(Abg. Wieser CDU: Falsch und zu spät!)

Nächste Bemerkung: Es droht ja nicht nur besser zu werden, sondern manches droht auch schlechter zu werden. Da ist zu Recht von Gruselgesetzen die Rede, die man übrigens in einem Deal, der da wohl gemacht werden soll, beschließen will: Ihr Gewerkschaften gebt mir bei der Rente nach, dafür machen wir euch eine Betriebsverfassung für, man höre und staune, Betriebe ab drei Angestellten. Ich bin Zahnarzt. Ich habe mehr als drei Angestellte. Ich weiß gar nicht, wie ich diese zusätzliche auch bürokratische Last in der Zukunft bewältigen können soll. Das ist einer der Punkte.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Wir kümmern uns offensichtlich zu wenig um die dar- benden Zahnärzte!)

Ich bin übrigens froh, dass ich den Kollegen Drautz hier sehe,

(Zurufe, u. a. Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Sie sind froh, wenn Sie überhaupt jeman- den sehen!)

der uns in der Fraktionssitzung die vorläufigen Vorstellungen der Mittelstandsenquete vorgetragen hat, mit denen wir genau diese Verschlechterungen zu verhindern versuchen, indem wir das ablehnen, was wir nach Auffassung des Mittelstands nicht brauchen können.

Ich will hier nichts zitieren. Wir sollen hier ja in freier Rede diskutieren. Aber es gibt genug Institute – auch die OECD beweist es uns –, die feststellen, dass wir im Beschäftigungs-Ranking zurückfallen und in Europa, wenn ich es recht weiß, inzwischen an letzter Stelle stehen. Das sollte uns doch nachdenklich machen.

(Abg. Wieser CDU: Das ist Rot-Grün!)

Wenn ich nach der linken Seite schaue, habe ich den Eindruck, dass bei den Grünen ein Stück weit Nachdenklichkeit aufgekommen ist. Wie anders sollte ich denn Ihren Vorstoß in Sachen Tarifrecht in den unteren Lohnbereichen verstehen?

(Unruhe – Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Oder sollte das nur ein Versuch sein, Herr Salomon, nachdem Sie zweifellos die Umweltkompetenz verloren haben – das ist nicht mehr Ihr Thema –,

(Abg. Sabine Schlager Bündnis 90/Die Grünen: Wieso nicht?)

mit einem Schnellschuss möglicherweise eine Wirtschaftskompetenz zu suggerieren? Das wird Ihnen bei den Rahmenbedingungen, die Sie übrigens natürlich auch durch die Ökosteuer der Wirtschaft aufdrücken, nicht gelingen. Da nützen solche kleinen Schnellschüsse nichts. Weil wir Sozialpolitiker sind, die hier reden, sage ich Ihnen auch einmal: Sie haben übrigens auch Sozialkompetenz verloren, weil Ihnen nämlich schnurzpiepegal ist, wen Ihre ökologische Steuerreform und Ihre Deals mit der Rente treffen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Um nicht nur zu kritisieren und das Schlechte zu sagen, will ich wirklich auf das Thema kommen und sagen: Es gibt in unserem Land eine Gruppe, der das sehr schmerzhaft – –

(Abg. Wieser CDU: Sprechen Sie doch uns an! Da drüben können Sie keine Stimmen holen!)

Herr Wieser, da hören wir nichts mehr.

Ich spreche von einer Gruppe, der das schöne Wort von der Vollbeschäftigung sehr bitter in den Ohren klingt. Es sind tatsächlich bei uns im Land Gott sei Dank quantitativ weniger.

(Abg. Wieser CDU: Eben!)

Aber ich glaube, es wäre zynisch zu sagen: Das ist eine Quantité négligeable, um die kümmern wir uns nicht.

Es war der Sinn der Debatte, das zu zeigen, und daraus wollen wir in der zweiten Runde auch noch Nährwert ziehen. Ich denke, da wird deutlich werden, wo unsere konstruktiven Ansätze liegen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Rapp.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist aus unserer Sicht schon eigenartig, dass die CDU dann, wenn der Wirtschaftsminister in Asien ist, eine Aktuelle Debatte genau zum Ressort des Wirtschaftsministers führt. Will man da künftige Kompetenz beweisen? Oder was ist eigentlich Sinn und Zweck dieser Sache?

(Abg. Wieser CDU: Das ist Sachthema!)

Die nächste Frage ist: Welches Zahlenwerk loben wir eigentlich? Die Beschäftigungs- und die Arbeitslosenzahlen in Baden-Württemberg sind zwar im Moment optisch etwas besser als im Bundesdurchschnitt, aber es gibt überhaupt keinen Grund, auf dem Sockel, auf dem wir uns befinden, zu jubeln.

Früher war es doch immer so,

(Abg. Wieser CDU: Wo Sie noch nicht im Parla- ment waren!)

dass die Wirtschaftsexperten der CDU, wenn es schlecht gelaufen ist, gesagt haben: Die Landesregierung hat relativ wenig Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Jetzt entspannt sich die Situation um gerade ein paar Tausend Arbeitsplätze, und man sagt: Es ist das Verdienst der Landesregierung, dass es jetzt wieder besser geht.

(Beifall bei den Republikanern)

Anscheinend haben die Bürger und hat die Wirtschaft dieses Landes überhaupt nichts damit zu tun. In diesem Zusammenhang müssen Sie sich schon Fragen gefallen lassen.

Sie jubeln allerdings noch auf einem relativ hohen Arbeitslosensockel, denn wir müssen sehen, was alles aus diesem Stand der Arbeitslosen herausgenommen worden ist. Da hat man künstlich Leute mit 58 Jahren in den Ruhestand entsorgt, weil man sie nicht mehr brauchen kann.

(Abg. Wieser CDU: Sagen Sie nicht „entsorgt“! Das ist eine Sprache, die wir nicht wählen sollten!)

Das, was Sie hier gemacht haben, war schon eine Entsorgung. Da nimmt man sie in die Fortbildung hinein, damit sie aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden, und, und, und. Das heißt, mit der Statistik machen wir uns jetzt vor, die Arbeitslosigkeit liege bei uns bei 4,9 %, während sie in Wirklichkeit viel höher ist. Wir haben mehr Arbeitslose, als wir bereit sind, hier zuzugeben. Das ist die ganz wichtige Sache.

(Beifall bei den Republikanern)

Dann kommen Vorschläge von denjenigen, die es vielleicht noch ein bisschen günstiger haben wollen. Da kommt Herr Schlauch mit solch einer charakterlosen Meldung, er möchte die Tarife für untere Lohngruppen noch weiter zusammendrücken. Da frage ich Sie schon: Ist das die neue sozialpolitische Komponente der Grünen?

(Beifall bei den Republikanern)

Ist sie das, oder ist sie das nicht? Sie können doch nicht ewig nach der Devise leben: Diäten rauf, Löhne runter!

(Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Das stimmt doch gar nicht!)

Das geht nicht. Sie verlieren doch selbst jeden sozialpolitischen Anspruch,

(Zuruf der Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grü- nen )

wenn Sie eine solche Politik betreiben.

(Beifall bei den Republikanern)

Die aktuelle offizielle Arbeitslosenzahl in Baden-Württemberg beträgt derzeit noch 260 400. Das sind 260 400 menschliche Schicksale, Menschen, die Arbeit brauchen, die aber keine Arbeit bekommen. Die Kollegin Schlager hat gerade etwas Interessantes gesagt: dass ungefähr jeder dritte Langzeitarbeitslose in Baden-Württemberg Ausländer ist.

(Abg. Sabine Schlager Bündnis 90/Die Grünen: Nein! – Abg. Wieser CDU: Jetzt hast du die Zahl geliefert! – Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Da haben Sie wieder nicht zugehört! – Zuruf vom Bündnis 90/Die Grünen: Der sagt im- mer Ausländer, wenn er etwas hört!)

Frau Schlager, kontrollieren Sie, was Sie gesagt haben. – Im letzten Jahr waren das zum Beispiel 23,2 % bei etwa 8 % Ausländern in diesem Land. Da müssen wir uns schon fragen: Haben wir die Richtigen angeworben, oder haben wir Leute angeworben, die einfach auf unserem Markt nicht mehr vermittelbar sind?

(Abg. Wieser CDU: Im Parlament haben wir auch nicht immer die Richtigen!)

Die sind letzten Endes angeworben worden. Die bringen wir nun nicht mehr unter, mit denen haben wir ein Problem. Diese Frage muss man sich stellen. Und die Alternative zu Schlauchs Lohnmodell ist letztendlich Rückführung,

(Abg. Deuschle REP: Eben!)