Ulrich Noll
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Gern, Herr Dr. Salomon. – Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache, dass ich hier im Kreise von künftigen Politrentnern reden darf, zu denen ich hoffentlich nicht gehören werde,
veranlasst mich, einmal ein bisschen unkonventionell zu beginnen. Wir reden über Altersvorsorge und Altersversicherung. Ich möchte einmal sagen: Wir reden über vieles, was die Menschen hier auf der Tribüne betreffen wird, aber relativ wenig über das, was uns selbst alle betrifft – und wo wir auch handlungsfähig wären –, nämlich das Thema Politrentner. Da erhoffe ich mir Beifall über alle Fraktionsgrenzen hinweg.
In der Überschrift unserer heutigen Aktuellen Debatte ist von „sozial ausgewogen“ die Rede. Bei allen Diskussionen über Eckrenten und die Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus wird nicht wahrgenommen, dass gesagt wird – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich höre es immer wieder –: „Ihr redet über unsere Renten – was macht ihr bei euch?“ Sie wissen ganz genau, dass das natürlich gerade bei den Rentnern großen Unmut hervorruft und dass diese Überversorgung der Politiker massiv kritisiert wird.
Also nicht nur kritisieren: Jetzt bitte ich um Beifall! Ich glaube, das wird eine zentrale Aufgabe sein. Es gibt Vorschläge von der FDP/DVP,
die da sagen, das muss weg. Wir müssen wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Zuschuss zu unseren Diäten bekommen, mit dem wir selbst – kapitalgedeckt oder wie auch immer – unsere eigene, und zwar adäquate Altersversorgung aufbauen werden.
Jetzt dürfen Sie bitte alle klatschen.
Nein. Die Zeit läuft wahnsinnig schnell davon.
Zweite Bemerkung: Wir reden über die Altersversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir reden zum Beispiel nicht darüber, was auch für uns hier im Landtag ein zentrales Problem wäre, wie es mit der Beamtenpension weitergeht. Kann die Beamtenpension so bleiben? Kann es bei Beamten im Gegensatz zu allen anderen Rentnerinnen und Rentnern, die über den Durchschnitt ihres Lebenseinkommens eine Rente beziehen, auf Dauer anders bleiben? Das wird ein Thema sein, das uns massiv beschäftigen wird.
Ich habe gesagt, diese rot-grüne Rentenreform ist ein typisches Beispiel für rot-grüne Reformen: einen richtigen Schritt in die richtige Richtung zu tun, dann aber – wie in der Echternacher Springprozession – einen Schritt vor- und zwei Schritte zurückzugehen.
Ich habe Ihnen, Herr Maurer, gesagt, es wird auch ein Stück weit getäuscht, geschönt und mit falschen Zahlen gearbeitet. Sie sagen: Wir wollen auf 67 % zurück. Das stimmt halt nicht. Natürlich können Sie das rechnerisch darstellen. Aber wenn Sie dann den Leuten draußen sagen würden, dass Sie die Berechnungsgrundlage für diese Nettoanpassung dahin gehend ändern, dass Sie Steuererleichterungen, gerade familienbezogene Steuererleichterungen, herausrechnen und nicht das tatsächliche Nettoeinkommen zugrunde legen, und damit ehrlich wären, kämen Sie genau zu diesen 64 %.
Es wird auch an anderer Stelle geschönt. Sie reden von maximal 22 % Beiträgen. Auch das ist aus unserer Sicht natürlich zu viel. Alles, was über 20 % geht, ist zu viel.
Ihr Herr Riester hat sich immer gebrüstet, dass in diese Reform natürlich, wenn die Entwicklung anders sein sollte, auch noch neue Zahlen eingearbeitet werden müssten. Das hat er auf dem Altar des Kompromisses mit den Gewerkschaften geopfert. Vorher hat er immer gesagt: Wir sind bereit, einnahmenorientiert auch noch Änderungen vorzunehmen.
Jetzt zur Beitragssatzhöhe. Wenn man einmal ehrlich rechnet, dass der Durchschnittsrentner nicht nur die Rentenbeiträge, sondern über Steuern, unter anderem die Ökosteuer, natürlich die Rente mitbezahlt, gibt es ganz eindeutige, klare, nachvollziehbare Berechnungen, dass im Jahr 2030 der Rentenbeitrag, und zwar sowohl der, der auf dem Rentenbescheid steht, als auch der, der über Steuern zu zahlen ist, für die junge Generation bei 28 % liegen wird. Meine Damen und Herren, das zeigt uns doch schon: Wir werden uns mit dieser Reform in Kürze wieder beschäftigen müssen, um wirklich einmal eine echte Reform zu bewerkstelligen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst einmal weise ich den Vorwurf des Populismus, was die Altersversorgung von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern betrifft, zurück. Das ist keine Regierungssache, wie Sie wissen, Frau Bender, sondern das ist eine Sache des Parlaments, die wir selbst entscheiden können.
Wir sind uns, glaube ich, durch die Bank einig, dass es da Reformbedarf gab, gerade weil wir den Rentnern, die zwangsweise in der gesetzlichen Rentenversicherung sind, starke Einschnitte zumuten. Sie versuchen nur, das zu bemänteln. Herr Maurer, Sie liegen falsch, wenn Sie sagen: Wir lehnen das ab.
Die Demographie verlangt das. Das ist keine Frage. Da darf man den Menschen nur nichts anderes vormachen, als man tatsächlich tut. Das tun Sie nämlich mit Ihren Zahlen.
Jetzt zum Thema „private Eigenvorsorge“. Das war ja ein richtiger Schritt. Diesen richtigen Schritt hat die FDP immer gefordert. Jetzt haben Sie sich dazu durchgerungen. Aber was machen Sie? Sie geben das ein Stück weit in die Eigenverantwortung, aber trauen den Menschen die Eigenverantwortung wieder nicht zu, sondern meinen, das müsse man jetzt alles wieder ganz genau verregeln, „verriestern“ und für jeden eindeutig festlegen.
Genau am Beispiel der Einbeziehung von Immobilien in die Altersversorgung möchte ich das einmal ganz deutlich machen. Historie war: Sie wollten ursprünglich Immobilien überhaupt nicht für den Bereich der privaten Eigenvorsorge zulassen. Das ist einfach wahr.
Dann kam der Druck, ich hoffe, ein Stück weit auch aus Baden-Württemberg, weil wir uns in Baden-Württemberg einig sind, dass es keine bessere Altersvorsorge gibt, als schuldenfrei in seinem eigenen Häusle zu wohnen. Das ist einmal der Fakt.
Dann haben Sie versucht, die Immobilien symbolisch mit hineinzubringen. Weil Ihnen das aber suspekt ist, haben Sie Regelungen entwickelt, die das faktisch und praktisch unmöglich machen.
Kein Mensch wird nämlich bereit sein, zusammen mit den Kindern ein Haus zu bauen oder zu kaufen, wo es schwer genug ist, das Geld lockerzumachen,
wenn er weiß: Mit 65 Jahren muss ich das Haus an die Bank übertragen. Da steht halt: Gefördert werden nur diejenigen, die ihr eigenes Haus an die Bank übertragen und dafür eine lebenslange Rente erhalten.
Sie haben sich auch ein Stück weit geoutet. Ihr Bild von den Menschen ist folgendermaßen:
Sie misstrauen den Menschen, die ihr Geld so anlegen, wie sie glauben, dass es richtig ist,
zum Beispiel in das eigene Haus, und gehen davon aus, dass die Hälfte dieser Menschen das Häuschen verjubeln, wenn sie in die Rente eintreten.
Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt vielleicht extreme Ausnahmen, aber wegen der extremen Ausnahmen in Einzelfällen wollen Sie Regeln einführen, die dieses bewährte Instrument der Altersversorgung wirklich kaputtmachen.
Genauso ist es bei der Einbeziehung der Altverträge. Ich finde das skandalös. Gerade in unserem Land haben Menschen für ihr Alter schon früher vorgesorgt, weil sie nämlich den Sprüchen der Politiker, die Rente sei sicher, nicht geglaubt haben.
Genau diesen Leuten wollen Sie nicht zubilligen, dass das steuerlich anerkannt wird, wenn es sich um Versicherungen handelt, die Einmalzahlungen beinhalten.
Auch da frage ich: Wie sieht denn Ihr Menschenbild aus? Warum schließt jemand eine solche Versicherung ab?
Er denkt: „Mit 65 Jahren bekomme ich das ausbezahlt; dann nutze ich es vielleicht dazu, mein Haus zu entschulden.“ All dies wird nicht mehr möglich sein, weil Sie den Menschen schlicht und einfach nicht zutrauen, private Vorsorge wirklich verantwortlich zu treffen.
Wenn Sie sagen: „Wir müssen auch die Vererbbarkeit ausschließen“, haben Sie sich entlarvt, Frau Bender. Sie haben gesagt: Es darf nicht vererbt werden.
Damit habe ich ein großes Problem. Für mich ist das Vererben eines Hauses Eigenvorsorge über Generationen hinweg, und das möchte ich meinen Kindern zukommen lassen.
Letzte Bemerkung: Wir müssen ehrlicher miteinander umgehen.
Wir dürfen nicht darauf setzen, dass die Menschen brutto, netto und die Inflationsrate nicht einschätzen können. Ich darf der Historie halber einmal daran erinnern, dass Ihr Bundeskanzler vor der Bundestagswahl den Menschen die Rückkehr zur bruttolohnbezogenen Rente versprochen hat. Danach hat er tränenreich gesagt: Ich habe mich getäuscht.
Er hat dann noch nicht einmal an der nettolohnbezogenen Rente festgehalten, sondern ist sogar auf den Inflationsausgleich zurückgegangen. Es ist ein doppelter Betrug, den Sie an den Wählerinnen und Wählern begangen haben,
weil Sie sich nicht trauen, den Menschen klar zu sagen: Wir müssen dieses Alterssicherungssystem grundlegend auf neue Füße stellen.
Jetzt noch zu den Frauen.
Was Sie, Frau Bender, für die Frauen unter 40 gesagt haben, stimmt ja. Aber genau dieser Bereich ist Ihnen anscheinend völlig schnuppe. Es gibt sehr viele – Frau Kollegin Berroth ist eine davon –, die sich kritisch geäußert haben. Lesen Sie einmal die Stellungnahme des Landesfrauenrats über die Erhöhung des Eintrittsalters in die Rente und über die Kürzungen, die kommen werden.
Ja, okay. Aber Sie haben es nicht zurückgenommen.
Es ist überhaupt keine Heuchelei, sondern nur der Versuch, Ihnen klar zu machen, dass dieser Teil der Frauen in der Bevölkerung von den Belastungen sehr wohl betroffen ist, dass diese Frauen, die wirklich die „Gekniffenen“ sind, aber hinsichtlich der Entlastungen durch bessere Anerkennung von Kindererziehungszeiten wegen willkürlicher Stichtagsregelungen massiv vernachlässigt werden.
Wenn Sie es mir nicht glauben, lesen Sie die Stellungnahme des Landesfrauenrats nach. Ihm stehen Sie vielleicht näher und glauben ihm eher.
Fazit: Es ist viel zu viel gelogen, betrogen und geschönt worden. Es wird höchste Zeit,
dass man Fakten auf den Tisch legt und an den Fakten entlang versucht, zukunftsfähige Lösungen zu finden. Was Sie
derzeit machen, ist auf keinen Fall zukunftsfähig. Ich vermute, nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil wird Ihre Reform sowieso Makulatur sein.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, auch in Wahlkampfzeiten lohnt es sich durchaus, über den Tellerrand der tagesaktuellen Politik hinauszublicken. Was gibt es denn Aktuelleres als das vor einer Woche gemeldete Ergebnis, dass das menschliche Erbgut weitestgehend entschlüsselt sei.
Zur Frage, warum wir auch die rechtlichen Konsequenzen ansprechen, möchte ich den ansonsten so forschen privaten Forscher aus den USA Craig Venter zitieren, der sagt: Ein schnelles Gesetzgebungsverfahren hilft uns, die Furcht vor Missbrauch abzubauen und den Erfolg einer modernen Medizin zu beschleunigen.
Nebenbei hat die Genomforschung ein paar interessante Details erbracht, unter anderem, dass gerade einmal 0,01 % unseres Genoms uns jeweils von anderen Menschen, anderen Rassen, anderen Ethnien unterscheiden. Auch hierzu darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus der „Stuttgarter Zeitung“ zitieren: Die genetischen Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern in der Welt sind überwältigend. Die Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen, Reichen und Armen, ja sogar zwischen Mann und Frau fielen dagegen kaum ins Gewicht. Tatsächlich verblassen die Unterschiede zwischen den Völkern der Erde angesichts der genetischen Gemeinsamkeiten.
Wenn Sie so wollen, ist das eine naturwissenschaftliche Untermauerung unserer politisch-ethischen Überzeugung.
Ein weiteres Ergebnis: Die These, dass rote und grüne Gentechnik nicht voneinander getrennt zu betrachten sind, wird auch durch diese Forschung unterstützt, da es gerade im Bereich der Bakterien so genannte Chimären, das heißt Übergänge zwischen Pflanzen und Tieren gibt. Der Zufall will es, dass sich die erste Aktuelle Debatte, die ich als Abgeordneter in diesem Hause für meine Fraktion zu bestreiten hatte, genau mit dem Thema Biotechnologie/Gentechnik beschäftigt hat. Seit damals zieht sich wie ein grüner Faden – nicht wie ein roter, sondern wie ein grüner Faden, Herr Kretschmann; ich schaue
Sie an – durch die Debatte – damals war das Ihre Aussage –: Der menschliche Zellkern hat unantastbar zu sein.
Offensichtlich hat sich bei Ihnen das eine oder andere inzwischen geändert, vielleicht nicht bei Ihnen persönlich; denn inzwischen scheint auch bei den Grünen die rote, also die medizinische Gentechnik akzeptiert zu sein. Ich sage Ihnen voraus, lieber Herr Kretschmann, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen: Sie werden auch Ihre Haltung zur grünen Gentechnik überdenken müssen.
Ich darf noch einmal zitieren, und zwar aus der heutigen „Nürtinger Zeitung“:
Golden ist die Zukunft – Ein Freiburger Forscher will mit Genmais den Hunger in der Dritten Welt bekämpfen.
Man höre und staune: Ein deutscher Forscher, Peter Beyer, hat zusammen mit dem Züricher Ingo Potrykus eine Sensation im Gepäck: einen Reis, der etwa 2 Milliarden Menschen vor Mangelernährung schützen könnte, indem Provitamin A und Eisen in diesen Reis integriert werden.
Ich behaupte, dass Sie auch da einen Lernprozess werden durchmachen müssen. Ich zitiere den Naturwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker, der in diesem speziellen Fall zumindest schon einmal diese grüne Gentechnologie durchaus akzeptiert und für sinnvoll hält.
Die Frage ist nur, ob wir uns für den Standort Baden-Württemberg und Deutschland solche langen Lernprozesse, wie sie teilweise die grünen Kolleginnen und Kollegen brauchen, leisten können.
Ich denke, wir müssen an dieses Thema sehr sensibel herangehen, aber immer unter dem Motto „Chancen erkennen, Risiken minimieren“.
Übrigens eine interessante Tatsache, die ich letzthin gehört habe: In China sind die Schriftzeichen für Chance und für Risiko identisch.
Ich glaube, wir haben in der Vergangenheit viel zu sehr die Risiken diskutiert. Es ist ja bezeichnend, dass wir mit millionenschweren Rückholprogrammen auch der neuen Ministerin Bulmahn Wissenschaftler nach Deutschland zurückholen müssen, die Sie mit Ihrer Überbetonung der Risiken aus dem Land getrieben haben.
Wir verkennen natürlich nicht die Risiken. Das Hauptrisiko bei diesem Thema ist, die Würde des einzelnen Menschen wahren zu müssen. Diese Würde ist in der Tat bedroht. Freiheit bedeutet nicht grenzenlose Freiheit, sondern die Notwendigkeit, Grenzen zu setzen. Das bedeutet zum Beispiel auch, Grenzen da zu setzen, wo die Würde des Menschen durch die Beschneidung des Rechts auf seine Einmaligkeit eingeschränkt wird. Deswegen ganz klar: ein weltweites Verbot von Klonen zu dem Zweck, sich selbst sozusagen zu reproduzieren. Schwieriger wird das Thema beim therapeutischen Klonen. Aber ich denke, Würde ist unteilbar, und die Vorstellung, ein Individuum als Ersatzteillager heranzuzüchten, macht uns allen Angst.
Die Würde des Menschen beinhaltet auch dessen Recht auf Nichtwissen. Damit komme ich zum Thema: Soll es in Zukunft Zwang geben, zum Beispiel vor Abschluss einer Versicherung oder gar vor Einstellung in einem Betrieb, sich einem Gentest zu unterziehen? Hier klare rechtliche Vorgabe: Das darf nicht sein.
Letzte Bemerkung zur Würde des Menschen: Zur Würde des Menschen gehört für mich auch, dass er nicht zwingend schön, perfekt, gesund und vollkommen sein muss.
Das heißt, ich verstehe sehr wohl die Bedenken der Behindertenverbände – und ich teile sie –, die sagen, wir müssten alle Tendenzen bekämpfen, die möglicherweise zu einer Selektion führen, gerade auch im Bereich der Implantation von Föten in den weiblichen Uterus. Gerade wir als Deutsche müssen diese Tendenzen bekämpfen; denn gerade wir wissen, wohin der Gedanke einer Selektion führen kann.
Leider ist meine Redezeit abgelaufen. Ich möchte meinem Kollegen Kiesswetter die Gelegenheit geben, aus diesen Eckpunkten, in denen ich gesagt habe, die Würde des Menschen habe über allem zu stehen – –
Bitte?
Das ist gut. – Ich hoffe, die Würde des Menschen als oberste Richtschnur wird anerkannt. Daraus wird dann die rechtliche Konsequenz abgeleitet werden.
Herr Kollege Kretschmann, ist Ihnen, wenn Sie die Unantastbarkeit des menschlichen Zellkerns hier reklamieren, klar, dass Genomforschung, deren Erkenntnisse Sie gerade gelobt haben, ohne die Untersuchungen am Zellkern schlicht und einfach nicht möglich gewesen wäre?
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedauere ein bisschen, dass sich die beiden großen Fraktionen und auch die Grünen jetzt gerade in die Falle locken lassen, anhand eines von den Republikanern aufgebrachten Themas sich hier gegenseitig Zahlen um die Ohren zu schlagen.
Herr Müller hat in Teilen das Richtige gesagt. Lassen Sie mich zu dem Thema noch einmal zurückkommen. Das ist natürlich eine Querschnittsaufgabe, Frau Blank, da sind wir uns völlig einig.
Aber da könnte jetzt die Retourkutsche von vorhin kommen. Deswegen kann man nicht sagen, es sei unmöglich, in fünf Minuten den einen oder anderen vernünftigen Gedanken zu einzelnen Themen zu bringen.
Herr Krisch, gleich zu Ihrem ersten Satz. Ich habe mich persönlich attackiert gefühlt, denn mein erster Satz ist immer: Familie ist da, wo Kinder sind. Sie haben gesagt, das gelte für Sie nicht. Sie haben gesagt: Familie ist da, wo Vater, Mutter, Kind sind. Habe ich das richtig verstanden?
Eltern und Kinder. Das ist wieder eine unglaubliche Diskriminierung all der Alleinerziehenden hier in diesem Land.
Wir stehen dazu, dass wir vom Kind her denken und nicht zunächst einmal fragen, in welchen Familienformen das Kind aufwächst.
Zweite Bemerkung: Landeserziehungsgeld. Man muss schon einmal wahrnehmen, dass Baden-Württemberg neben Sachsen das einzige Bundesland ist, das im dritten Jahr ein Landeserziehungsgeld zahlt. Sie hätten ohne weiteres die Möglichkeit, ein dreijähriges Bundeserziehungsgeld einzuführen.
Bitte schön, Frau Erdrich-Sommer, ich habe Sie nicht verstanden. Das zeigt wieder, dass man, wenn man in der Opposition ist, viel fordern kann, wenn man dann aber an der Regierung ist, manches eben auch an den finanziellen Möglichkeiten ausrichten muss.
Lassen Sie mich noch eine kleine Bemerkung zu dem Streit machen, wer denn das Landeserziehungsgeld erhalten soll. Ich komme wieder auf den Punkt: Für mich muss das von den Kindern her definiert werden. Deswegen habe ich kein so arg großes Verständnis für Herrn Oettinger gehabt, der gesagt hat: „Wenn es so ist, dass wir jetzt das Landeserziehungsgeld auch an Nicht-EU-Bürger, also an Türken, zahlen müssen, dann denken wir darüber nach, es ganz abzuschaffen.“ So habe ich es gelesen.
Dann muss man mich möglicherweise korrigieren. – Jedenfalls gilt für mich wie beim Bundeserziehungsgeld auch beim Landeserziehungsgeld: Kinder, die bei uns leben, haben Anspruch auf dieses Geld, nicht zuletzt deshalb, weil deren Eltern in aller Regel bei uns auch Steuern und Abgaben zahlen.
Danke schön, es freut mich, dass ich auch einmal von Ihnen Beifall erhalte.
Noch einmal zum Thema. Ich glaube, es ist falsch, irgendwelche Prämien für das Kinderkriegen auszusetzen. Das wollen wir im Übrigen nicht. Wir wollen, dass das Kindererziehen kein Armutsrisiko wird. Das wird es nämlich zunehmend. Deswegen müssen wir uns, ohne uns die Zahlen um die Ohren zu schlagen, neue Lösungen überlegen, wie wir künftig die Familienförderung ein Stück weit in sich konsistenter bei Zusammenfassung aller familienpolitischen Leistungen, die ich als Familiengeld bezeichnen möchte, gestalten können.
Völlig unabhängig davon zeigt gerade das berühmte Beispiel der Akademikerinnen, dass es wohl nicht um ein Problem der Finanzen geht, sondern eher um die Frage, wie man die eigene Karriere, den Beruf mit der Tatsache vereinbaren kann, Kinder haben zu wollen. Ich gebe gerne zu, dass es entscheidend ist, die Möglichkeiten zu verbessern. Baden-Württemberg hat dabei einiges zu bieten. Ich denke an die Programme aus dem Wirtschaftsministerium; ich denke daran, dass wir im Betreuungswesen, im Kindergartenbereich, im Schulbereich die Bedingungen massivst verbessert haben, auch wenn Sie das überall schlechtreden.
Trotzdem sage ich: In der Tat haben wir an einer Stelle ein Problem, nämlich bei den unter Dreijährigen. Das wissen wir, Frau Blank. Auch ich verspreche, dass ich im nächsten
Landtag wieder dabei sein werde, nachdem mehrere Kolleginnen und Kollegen ausscheiden werden. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, die in diesem Bereich möglicherweise noch vorhandenen Defizite ein Stück weit abzubauen, und zwar durch plurale Angebote, die nicht nur auf Krippen und Horte, sondern zum Beispiel auch auf flexible Formen von Tagesmütterbetreuung setzen. Wir werden die Bedingungen weiter verbessern.
Fazit: Ich glaube, was Herr Müller gesagt hat, ist richtig. Seit eine Schwangerschaft praktisch zu 100 % planbar und steuerbar ist, werden wir bei aller Verbesserung der Bedingungen wohl nie mehr zu den früheren Geburten- und Reproduktionsraten zurückkehren. Die Prognosen zeigen alle auf, dass wir angefangen bei der Region
über das Land bis hin zum Bund
eine verringerte Bevölkerungszahl haben werden. Dass Einwanderung schon stattfindet und dass sie in Teilen auch in der Lage ist, dies aufzufangen, leugnet überhaupt niemand mehr, was nicht heißt, dass dies der alleinige Königsweg ist. Dieses aber abzulehnen, wie Sie es tun, und zu sagen: „Deutsche Frauen heim an den Herd,
wieder Kinder kriegen, dann brauchen wir die Ausländer nicht“, halte ich für eine typische perfide Republikanerstrategie.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist sehr verdienstvoll, und die Antwort der Regierung bietet eine Fülle von Fakten. Um auf all diese einzugehen, reicht die Redezeit von fünf Minuten natürlich nicht. Deswegen will ich drei Punkte herausgreifen.
Erstens: Frau Bender, Sie haben es auch schon angedeutet: Es ist eigentlich überraschend, dass gerade in Baden-Württemberg entgegen dem bundesweiten Trend bei Allergien und Erkrankungen des asthmatischen Formenkreises bei Kindern tendenziell eher eine Abnahme als eine Zunahme zu konstatieren ist. Ähnlich verhält es sich übrigens bei der internen Belastung durch Schwermetalle, Quecksilber, Blei, chlororganische Schadstoffe.
Einzig bei dem Punkt „Auswirkungen von Arzneimittelbelastungen von Gewässern“ sehe ich die Aussage der Landesregierung, dass Angaben über Auswirkungen bisher nicht vorlägen, als nicht sonderlich hilfreich an. Denn ich denke, es gibt Anhaltspunkte. Es steht ja auch in der Antwort der Landesregierung, dass aquatische Organismen durchaus auf diese Substanzen reagieren. Es ist klar, dass gerade ein wachsender Organismus durch hormonelle Einwirkungen aus dem Grundwasser Folgen ausgesetzt ist. Hier sehe ich, Herr Minister, deutlichen Forschungsbedarf.
Insgesamt wird aus der Großen Anfrage als Fazit für mich deutlich, dass die öffentliche Wahrnehmung und vor allem die Risikoeinschätzung manchmal eben nicht den Fakten entspricht. Denn wenn Sie die Antwort genau lesen, dann erkennen Sie doch, dass nicht die für den Einzelnen zunächst einmal unabwendbaren, weil von der Umwelt auf ihn einwirkenden Risikofaktoren das große Problem in Baden-Württemberg sind, sondern, wie die Landesregierung zu Recht sagt, eben die Faktoren, die lebensstilbedingt sind, zum Beispiel Ernährungsmängel, Bewegungsmangel und, und, und.
Dafür sind in der Regel nicht Umweltfaktoren, sondern die Erwachsenen mit ihrem Vorbild und mit ihrem eigenen Verhalten verantwortlich.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen, dem klassisch-medizinischen Bereich. Ich denke, es hieße Eulen nach Athen tragen, den Vorrang von präventiven Maßnahmen und Vorsorgeuntersuchungen gerade im Kindesalter zu betonen, ohne übrigens – Sie haben es zu Recht gesagt, Herr Müller – die durchaus positiven Fortschritte in der kurativen Medizin – Krebsbehandlung usw. – hier gering zu schätzen. Vorrang müssen Prävention und Vorsorge übrigens nicht in erster Linie unter Kostenaspekten haben, sondern weil Kindern damit Chancen auf eine gesunde Entwicklung und bei Früherkennung von Entwicklungsstörungen bessere Heilungschancen geboten werden und damit späteres Leid vermieden wird.
Deshalb muss eines klar sein. Herr Müller, ich habe das jetzt bei Ihren Ausführungen fast vermisst. Ich bin es ja schon gewohnt, dass Sie dann wieder auf unser Konzept „Vertrags- und Wahlleistungen“ hinweisen.
Deswegen sage ich Ihnen: Gerade Prävention und Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche gehören definitiv zum Kernbereich unserer gesetzlichen Krankenversicherung und sollen dort auch bleiben.
Wenn Sie sich die Mühe machen, das Konzept der Zahnärzte, das übrigens nicht mehr Grund- und Wahlleistungen, sondern Vertrags- und Wahlleistungen heißt, einmal gründlich zu lesen,
so werden Sie feststellen, dass dort bis zum 18. Lebensjahr Prophylaxe vorgesehen ist, und zwar voll auf Kosten der GKV. Ich denke, gerade die Zahnheilkunde liefert ein tolles Beispiel – Sie haben es auch erwähnt –, wie Prophylaxe wirksam werden kann.
Da brauchen wir inzwischen nicht mehr in die Schweiz oder nach Skandinavien zu schauen, sondern wir haben in Baden-Württemberg die WHO-Werte, die Werte der Weltgesundheitsorganisation, längst erreicht bzw. übertroffen,
was naturgesunde Kindergebisse betrifft. Was die übrigen ärztlichen Vorsorgemaßnahmen angeht, nämlich U 1 bis U 9 – das geht ja auch aus der Antwort auf die Große Anfrage hervor –, werden sie im Wesentlichen sehr gut in Anspruch genommen. Die relativ neue J 1, also die Jugenduntersuchung, hat noch ein bisschen Nachholbedarf.
Das größte Problem ist in der Tat der Zugang zu bestimmten Gruppen. Aus meiner persönlichen Erfahrung als ehrenamtlicher Jugendzahnarzt kann ich sagen: Kinder von ausländischen Eltern sind, weil sie auch sprachlich nicht
integriert sind, sehr schwer zu erfassen. Wir werden unsere Präventionsprogramme – das tun wir übrigens in der Zahnmedizin schon – ganz gezielt auf diese Gruppen orientieren müssen.
Was mich an der Großen Anfrage ein bisschen ärgert, Frau Bender, ist, dass Sie wieder einmal relativ undifferenziert den Umgang mit Medikamenten durch die Ärzteschaft hier anhand des Beispiels Ritalin kritisieren. Ich finde es einfach unverantwortlich, wenn man gerade Eltern von ADSKindern hier gar noch ein schlechtes Gewissen einreden will und dass Sie Ärzte, die nach sorgfältiger Diagnostik – Sie werden ja wohl zugeben, dass es Fälle gibt, wo man Ritalin einsetzen sollte – und unter therapeutischen Begleitmaßnahmen Ritalin einsetzen, in eine Ecke stellen, in die sie wirklich nicht hingehören.
Sollte es Fehlentwicklungen geben, so, denke ich, hat die Selbstverwaltung – völlig zu Recht wurde von der Regierung darauf hingewiesen – die entsprechenden Instrumente in der Hand. Auch die Krankenkassen sind da natürlich gefragt.
Dritter und wichtigster Punkt – leider schon ganz zum Ende –: Wir wissen, dass Ernährungsmängel und Bewegungsmangel die Hauptgründe sind. Es ist richtig, dass man in der Schule und schon im Kindergarten – die Antwort auf die Große Anfrage liefert ja viele Beispiele, was derzeit getan wird – die Voraussetzungen schafft für gesunde Ernährung und für mehr Bewegung. Aber wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass noch vor Kindergarten und Schule, nämlich von der Geburt an, die Familie letztlich die Lebensform ist, in der diese Verhaltensweisen, und zwar in der Regel lebenslang, geprägt werden.
Ich denke, jedes Kind, egal in welcher Familienform es aufwächst, hat ein Anrecht auf gleiche Chancen, auf eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung. Es geht ja auch aus der Antwort hervor, dass gerade materielle Armut – Sie, Herr Müller, haben es gesagt – von Familien die gesundheitliche Situation der Kinder gefährdet. Übrigens gefährdet auch die geistig-emotionale Armut die Entwicklung von Kindern, sodass sie nicht zu starken Persönlichkeiten werden können und daher suchtgefährdet sind und, und, und. Insofern hat die Familienpolitik die Aufgabe, die materielle Situation von Familien zu verbessern.
Da hoffe ich sehr, dass mit der zweiten Stufe des Familienleistungsausgleichs aus Berlin – mit der ersten waren wir ja nicht so ganz glücklich – das Thema ein bisschen stärker vorangebracht wird. Aber Familienpolitik ist eben nicht nur – –
Danke schön.
Bei allem Reden über Steuer- und Transferpolitik ist Familienpolitik mehr. Sie bedeutet nämlich, die Erziehungsfähigkeit der Familien von Anfang an zu stärken. Deswegen wird uns dieses Thema „Stärkung der Erziehungsfähigkeit von Vätern und Müttern, Stärkung der Familienbildung“ in der nächsten Legislaturperiode noch ganz speziell beschäftigen.
Dann haben wir, glaube ich, den richtigen Ansatz, die Probleme, die aufgezeigt worden sind, zu lösen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Maurer hat mir das Stichwort für den Nährwert dieser Debatte geliefert. Ich glaube, es ist schon richtig, prinzipielle Diskussionen über diese Begrifflichkeiten zu führen. Da bin ich ein Stück weit stolz – das darf ich einmal sagen – auf das, was unser Fraktionsvorsitzender Ernst Pfister hier zu den Definitionen gesagt hat.
Ich darf auch einmal von einer Kultur reden, und zwar von der Kultur der Bescheidenheit. Kulturen sollten meiner Meinung nach nicht gewertet werden. Wir sollten eben nicht unbescheidene Ansprüche stellen und sagen: „Das ist die Kultur, die das Leitbild zu sein hat.“ Das wird ja ein Stück weit vermittelt. Kulturen haben sich immer gegenseitig befruchtet. Kultur ist nie etwas Statisches. In diesem Sinne zum Prinzipiellen.
Jetzt aber zum Nährwert dieser Debatte. Wir alle, die wir hier sitzen – wenn ich einmal von ganz rechts absehe –, könnten etwas tun, und zwar für Menschen in unserem Land, die in aller Regel integriert sind. Das sind Menschen, deren Kinder hier in die Schule gehen, deutsch sprechen, die in ihren Betrieben integriert sind, die dringend gebraucht werden. Wir könnten etwas tun für die Inländer, die nämlich diese kleinen Betriebe führen, die dringend auf diese ausländischen Mitbürger angewiesen sind, um ihre Produktion zu sichern, da sie diese Arbeitsplätze anderweitig nicht besetzen können.
Sie werden unschwer vermuten, worauf ich hinaus will. Wir alle könnten etwas bei dem leidigen Thema tun, das wahrscheinlich viele von uns Abgeordneten vor Ort ständig umtreibt, dass Menschen abgeschoben werden, die von ihren Arbeitgebern dringend benötigt werden. Ich finde, wir können es den mittelständischen und kleinen Betrieben nicht weiter vermitteln, sie mit solchen Prinzipiendebatten zu vertrösten und ihnen zu sagen: „Wir werden das irgendwann lösen.“ Wir brauchen vielmehr aktuell, jetzt Lösungen.
Wir alle, die hier sitzen, können etwas tun. Nun sage ich zunächst einmal zu Ihnen, Herr Maurer und Herr Salomon:
Wer könnte denn aktuell und schnell das Ausländergesetz ändern? Das sind Sie. Sie könnten § 10 erweitern.
Sie könnten das tun, indem Sie einen Ausnahmetatbestand zulassen: Wenn jemand dringend benötigt wird, dann soll er auch bleiben dürfen.
Damit könnten Sie nämlich einer Bundesratsinitiative, der Sie möglicherweise nicht zustimmen wollen, weil sie von uns kommt, zuvorkommen. Ich rufe Sie also dazu auf: Werden Sie da ein bisschen schneller; ziehen Sie Nährwert aus dieser Debatte!
Den Leuten geht es nicht um Debatten darüber, was vor 16 Jahren war, sondern darum, was wir jetzt tun können.
Sollte das nicht funktionieren, dann rufe ich nochmals den geschätzten Koalitionspartner auf, sich unserer Auffassung anzuschließen und mit uns eine Bundesratsinitiative zu starten,
um sowohl den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern als auch über die daran hängenden Arbeitsplätze den inländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu helfen.
Ich rufe Sie also dazu auf, nicht mit der Vertröstungsstrategie „Wir müssen das mit einem großen Gesetz zur Einwanderung und gesteuerten Zuwanderung lösen“ zu reagieren. Wir wollen aktuell helfen.
Ich verstehe schon den Zielkonflikt, in dem wir uns befinden, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU. Ich weiß auch, dass man das Ganze unter dem Aspekt betrachten kann, dass dadurch möglicherweise positive Signale gesendet werden, die weitere ungesteuerte Zuwanderung nach sich ziehen. Ich sage Ihnen aber: In diesem Zielkonflikt, den wir lösen müssen – heute ist vieles darüber gesagt worden, wie wir die Zuwanderung regeln wollen –, sind mir persönlich und meiner Fraktion die Menschen, um die es derzeit geht, wesentlich wichtiger als Prinzipienreiterei.
Noch einmal: Es geht um Menschen, die hier leben, deren Kinder in der Regel völlig integriert sind, die einen wichtigen, wertvollen Arbeitsplatz bekleiden. Ich denke, wir dürfen nicht nur immer die Hightecharbeitsplätze ansprechen, für die wir die Greencard schaffen, und sagen: „Das andere interessiert uns nicht, das ist alles unqualifiziert.“ Das sind auch qualifizierte Arbeitsplätze.
Ich könnte Ihnen zig Beispiele nennen. Wir könnten damit den unwürdigen Zustand beenden, dass man in unserem Lande erst einen couragierten Oberbürgermeister oder einen Abgeordneten finden muss, der sich in die Bresche wirft und dafür sorgt, dass zumindest ein bisschen Zeit gewonnen werden kann, damit der Betreffende im Interesse aller, wie ich, glaube ich, deutlich klargemacht habe, hierbleiben kann. Diesen unwürdigen Zustand müssen wir beenden und zu einer kurzfristig machbaren, also schnellen Regelung kommen. Wenn das für die Anwesenden von ganz links bis fast ganz rechts der Nährwert dieser Debatte ist, dann wäre ich dafür herzlich dankbar.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Bebber hat mich zu einem Wortspiel – – Entschuldigung, Herr Bebber, ich bin noch bei der letzten Debatte. Herr Hausmann hat mich mit den Gockeln zu einem Wortspiel herausgefordert. Ich möchte einen Hasen nicht zum Gockel machen und einen lieben Hausmann auch nicht zum Macho-Gockel, aber ein bisschen hat das, was hier abläuft, schon etwas von einem Hahnenkampf.
Ich denke, was gut ist, darf man ruhig gut nennen, unabhängig davon, ob es von der Bundesregierung oder von der Landesregierung und den sie tragenden Fraktionen kommt, und was schlecht ist und wo noch Nachbesserungsbedarf besteht, darf man auch deutlich sagen. Dass Baden-Württemberg glücklicherweise im Arbeitsmarkt-Ranking innerhalb der Bundesländer mit 4,9 % Arbeitslosen inzwischen auf Platz 1 steht, das wäre, glaube ich, einen Beifall aller Wert.
Nachdem ich auf der Zuhörertribüne Zuhörerinnen und Zuhörer von den Fildern sehe, sage ich: Es gibt auf den Fil
dern 2,9 % Arbeitslose, also da, wo sozusagen die Post abgeht.
Jetzt will ich aber zu dem kommen, was schlecht ist. Da will ich noch einmal den Kollegen Maurer ansprechen. Wir waren gestern gemeinsam beim Landesverband der freien Berufe. Herr Maurer, ich glaube, es ist Ihnen schon klar geworden, dass nicht alles, was mit der Steuerreform gemacht worden ist – Scheinselbstständigkeit, 630-DM-Gesetz –, die Rahmenbedingungen für die tragende Säule unserer Wirtschaft in Baden-Württemberg und damit auch für die Bereitstellung von Arbeitsplätzen, damit also für den Mittelstand, verbessert hat und alles so gut war. Da gibt es, denke ich, noch Nachholbedarf.
Nächste Bemerkung: Es droht ja nicht nur besser zu werden, sondern manches droht auch schlechter zu werden. Da ist zu Recht von Gruselgesetzen die Rede, die man übrigens in einem Deal, der da wohl gemacht werden soll, beschließen will: Ihr Gewerkschaften gebt mir bei der Rente nach, dafür machen wir euch eine Betriebsverfassung für, man höre und staune, Betriebe ab drei Angestellten. Ich bin Zahnarzt. Ich habe mehr als drei Angestellte. Ich weiß gar nicht, wie ich diese zusätzliche auch bürokratische Last in der Zukunft bewältigen können soll. Das ist einer der Punkte.
Ich bin übrigens froh, dass ich den Kollegen Drautz hier sehe,
der uns in der Fraktionssitzung die vorläufigen Vorstellungen der Mittelstandsenquete vorgetragen hat, mit denen wir genau diese Verschlechterungen zu verhindern versuchen, indem wir das ablehnen, was wir nach Auffassung des Mittelstands nicht brauchen können.
Ich will hier nichts zitieren. Wir sollen hier ja in freier Rede diskutieren. Aber es gibt genug Institute – auch die OECD beweist es uns –, die feststellen, dass wir im Beschäftigungs-Ranking zurückfallen und in Europa, wenn ich es recht weiß, inzwischen an letzter Stelle stehen. Das sollte uns doch nachdenklich machen.
Wenn ich nach der linken Seite schaue, habe ich den Eindruck, dass bei den Grünen ein Stück weit Nachdenklichkeit aufgekommen ist. Wie anders sollte ich denn Ihren Vorstoß in Sachen Tarifrecht in den unteren Lohnbereichen verstehen?
Oder sollte das nur ein Versuch sein, Herr Salomon, nachdem Sie zweifellos die Umweltkompetenz verloren haben – das ist nicht mehr Ihr Thema –,
mit einem Schnellschuss möglicherweise eine Wirtschaftskompetenz zu suggerieren? Das wird Ihnen bei den Rahmenbedingungen, die Sie übrigens natürlich auch durch die Ökosteuer der Wirtschaft aufdrücken, nicht gelingen. Da nützen solche kleinen Schnellschüsse nichts. Weil wir Sozialpolitiker sind, die hier reden, sage ich Ihnen auch einmal: Sie haben übrigens auch Sozialkompetenz verloren, weil Ihnen nämlich schnurzpiepegal ist, wen Ihre ökologische Steuerreform und Ihre Deals mit der Rente treffen.
Um nicht nur zu kritisieren und das Schlechte zu sagen, will ich wirklich auf das Thema kommen und sagen: Es gibt in unserem Land eine Gruppe, der das sehr schmerzhaft – –
Herr Wieser, da hören wir nichts mehr.
Ich spreche von einer Gruppe, der das schöne Wort von der Vollbeschäftigung sehr bitter in den Ohren klingt. Es sind tatsächlich bei uns im Land Gott sei Dank quantitativ weniger.
Aber ich glaube, es wäre zynisch zu sagen: Das ist eine Quantité négligeable, um die kümmern wir uns nicht.
Es war der Sinn der Debatte, das zu zeigen, und daraus wollen wir in der zweiten Runde auch noch Nährwert ziehen. Ich denke, da wird deutlich werden, wo unsere konstruktiven Ansätze liegen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf an die Ausführungen aus der ersten Runde anknüpfen und mit dem Satz, mit dem ich geendet habe, weitermachen: dass das Thema Vollbeschäftigung sicherlich einigen sehr schmerzhaft in den Ohren klingt, die davon nur träumen können.
Das sind quantitativ bei uns Gott sei Dank nur wenige, habe ich gesagt; aber wir müssen einfach wahrnehmen, dass es diesen Personenkreis gibt.
Jetzt will ich aber den Vorwurf nicht auf uns sitzen lassen, wir hätten in dem Bereich nichts getan. Im Gegenteil, und übrigens nicht nur das Land, sondern auch die Kommunen. Ich denke, es ist ein Paradigmenwechsel eingetreten, auch bei den Landkreisen: weg von der reinen Verwaltung dieses Sockels von Arbeitslosen, hin zu einer neuen Strategie des Aufspürens von Chancen, mit Netzen vor Ort, mit denen man die Möglichkeiten aufspürt, die für diese Leute geschaffen werden können.
Dazu braucht es nicht immer die dirigistischen Maßnahmen von uns, sondern den Anreiz.
Zweites Thema: Anreize. Wir haben als Land Baden-Württemberg einen bundesweit beachteten Ansatz mit dem Einstiegsgeld geschaffen. Ich möchte Ihnen allen, die Sie hier sitzen, diese Broschüre des Sozialministeriums – sie ist gar nicht so furchtbar lang – mit der Erläuterung des Einstiegsgelds und mit den bisherigen Erfolgen, die hier dargestellt werden, zur Lektüre empfehlen. Da werden Sie sehen, dass das innovative Ansätze sind, die nicht mit Bestrafung drohen, sondern mit Anreizen arbeiten.
Was Kommunen und Kreise tun, will ich an einem Punkt klarmachen, um zu zeigen, dass unkonventionelle Ideen gefragt sind, die im Übrigen, lieber Kollege Hildebrandt, von den Grünen und Roten immer bekämpft worden sind. Zum Beispiel im Landkreis Esslingen gibt es private Arbeitsvermittler, die Sie im Vorfeld – wenn Sie „privat“ hören, hören Sie sowieso immer weg –
immer als die potenziellen Rosinenpicker bezeichnet haben, die sich genau auf diesen schwierigen Bereich spezialisiert haben, dem sich die allgemeine Arbeitsverwaltung zugegebenermaßen vielleicht aufgrund ihrer Aufgabenstellung nicht immer in dem Maße widmen kann. Sie haben diese, wenn Sie es so nennen wollen, „Rosine“ herausgepickt. Das ist sehr, sehr erfolgreich.
Nächster Punkt: Der Kollege Wieser hat auf die – jetzt weiß ich nicht, soll ich „Erwin 3“, ZOFF oder sonst was sagen – Zukunftsoffensive hingewiesen.
Walter und Erwin; das ist mir egal.
Er hat den Bereich Ausbildung, Qualifikation usw. erwähnt. Das soll ja auch der Schwerpunkt dieser Zukunftsoffensive sein. Ich wünsche mir sehr – und das soll jetzt in dieser Debatte auch Nährwert haben –, dass man sich überlegt, ob man nicht auch in diesem Bereich, nicht nur im oberen Drittel, Hightech usw., sondern auch bei denen, die Qualifizierung wirklich nötig haben, um überhaupt wieder Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt zu finden, etwas mehr mit diesen Mitteln tun kann.
Auf jeden Fall plädiere ich dafür – und das soll auch Nährwert haben –, wenn wir denn die Stiftungslösung haben und eben nichts verscherbeln, Herr Kollege Hildebrandt, dauerhaft Mittel aus dieser Stiftung, die ja für gemeinnützige Zwecke gedacht ist,
für die Qualifizierung von Arbeitslosen zu verwenden. Was ist denn diese Arbeit anderes als gemeinnützige Arbeit im Heranführen und in der Qualifizierung von Menschen aus diesem Sektor?
Da wünsche ich mir sehr – das sage ich jetzt einfach hier –, dass bei den künftigen Beratungen über die Verteilung, an denen übrigens der ganze Landtag beteiligt sein wird, wie Sie ja wissen – wir haben gesagt: es kann nicht sein, dass die Regierung das unter sich ausmacht –,
wir Sozialpolitiker darauf drängen, dass dieser Aspekt nicht zu kurz kommt. Es muss ein Signal davon ausgehen, dass wir nicht nur an die Starken denken, die wir noch stärker machen wollen,
sondern auch an die Schwachen, denen zu helfen wir ein Stück weit verpflichtet sind.
Letzte Bemerkung: In der Broschüre zum Einstiegsgeld findet sich eine Erläuterung, dass das Programm „Einstiegsgeld“ bei den so genannten arbeitsmarktnahen Menschen aus der Sockelarbeitslosigkeit sehr erfolgreich einzusetzen ist, dass es aber eine Gruppe von so genannten arbeitsmarktfernen Menschen gibt. Das sind Menschen mit persönlichen Problemen, Drogenproblemen usw. Es ist ja kein Zufall, dass zum Beispiel die Aufbaugilde Heilbronn, ein klassischer Träger der Arbeitsmarktmaßnahmen, aus der Obdachlosenhilfe kommt. Da sage ich: Wir müssen ein Stück weit mit der Lebenslüge – so möchte ich fast sagen – aufhören, dass grundsätzlich jeder in den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar ist.
Das soll nicht heißen, dass unser Ziel nicht sein darf, möglichst viele in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.
Aber wir werden für einen bestimmten Personenkreis dauerhaft Arbeit anbieten müssen, die mit Betreuung gekoppelt ist, mit einer gewissen Unterstützung,
die der erste Arbeitsmarkt niemals liefern kann. Ich denke, damit werden wir in Zukunft leben müssen.
Wer sich völlig unideologisch solche Dinge wie Aufbaugilde oder „Neue Arbeit in Stuttgart“ anschaut – und das sollten wir alle tun;
Sie tun es, Frau Thon, das weiß ich –, der weiß ganz genau, dass die Probleme, die in Konkurrenz zum ersten Arbeitsmarkt manchmal hochstilisiert werden, in vielen Fällen gar nicht existieren.
Weil man sich da, siehe Heilbronn, in einem Boot zum Beispiel mit der IHK befindet, deswegen plädiere ich dafür: Lassen Sie uns klar dazu stehen, dass es diesen Bereich gibt, den wir bei allem Jubel über weit gehende Beschäftigungserfolge nicht vergessen dürfen, der uns wohl dauerhaft erhalten bleibt. Wenn das der Nährwert dieser Debatte wäre, dann wäre ich dankbar.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ehe und Familie sind die tragenden Säulen unserer Gesellschaft und stehen deshalb zu Recht unter dem besonderen Schutz unseres Grundgesetzes. Ich glaube, ich muss nicht daran erinnern, dass die Institutionen Ehe und Familie immer wieder einmal totgesagt wurden. Denken Sie an die Achtundsechzigerzeiten zurück! Aber sie sind so erfolgreich, dass auch andersgeschlechtlich orientierte Paare offensichtlich genau diese Lebensform künftig wählen möchten.
Um im Übrigen auf die Frage einzugehen, ob die Neuregelung möglicherweise die Bereitschaft, Ehen zu schließen, mindert: Alle Umfragen unter jungen Menschen zeigen, dass sie sich in Priorität gegenüber allen anderen Dingen ein harmonisches Zusammenleben in der Familie wünschen. Ich denke, das sollten wir als Erstes zur Kenntnis nehmen.
Zum Zweiten haben sich in der Realität durchaus neue Formen des Zusammenlebens und neue Verantwortungsgemeinschaften gebildet. Das müssen und wollen wir wahrnehmen. Es kann eigentlich um nichts anderes gehen als darum, die Diskriminierung und die Stigmatisierung solcher anderer Verantwortungsgemeinschaften zu beseitigen. Dazu stehen wir Liberalen.
Lassen Sie mich abseits der Tagespolitik einmal sagen: Denken Sie daran, welche menschlichen Tragödien sich zu den Zeiten abgespielt haben, als genau diese Themen tabuisiert und stigmatisiert waren; da brauchen Sie nicht allzu weit zurückzublicken. Das ging hin bis zur Verfolgung durch die Nazis. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die FDP dieser neuen Realität Rechnung tragen möchte, dann brauchen Sie nur in die Bundestagsdrucksachen zu schauen. Da sehen Sie nämlich, dass die FDP-Bundestagsfraktion einen Entwurf genau zur Beseitigung von Diskriminierung solcher gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften eingebracht hat.
Bei aller Harmonie, bei aller Zustimmung im Grundsätzlichen meine ich, dass Sie zur Kenntnis nehmen sollten, dass man denjenigen, denen man helfen will, nicht hilft, wenn man versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen und Dinge durchzupeitschen, die – wie es auch Ihr Verfassungsminister Schily sieht – offenkundig möglicherweise nicht verfassungskonform sind,
weil wegen des besonderen Schutzes von Ehe und Familie eben ein deutlicher Abstand zur Ehe und Familie bestehen muss, dem übrigens unser Gesetzentwurf genau Rechnung trägt. Wenn Sie nicht versuchen würden, mit dem Kopf
durch die Wand zu gehen, dann würden Sie auch nicht solche Schlagzeilen provozieren wie die genannte, die der Justizminister im Übrigen nicht selbst formuliert hat. Wenn Sie das Interview lesen, stellen Sie nämlich fest, dass er seine Kritik eben nicht gegen die Beseitigung von Diskriminierung richtet. Wir stehen dazu, dass wir im Mietrecht, im Zeugnisverweigerungsrecht, bei der Fürsorgepflicht, beim Besuchsrecht im Krankheitsfall und, und, und, überall da, wo der Bundesgesetzgeber zwingend gefordert ist, in der Tat bundesgesetzliche Regelungen fordern, die aber deutlich unterhalb der Ehe angesetzt sind.
Im Übrigen hat eine Befragung unter den Betroffenen ergeben, dass sie eben nicht die totale Reglementierung, wie Sie sie planen, wünschen, sondern dass sie sich in ihren persönlichen, auch finanziellen Angelegenheiten durchaus Vertragsfreiheit wünschen.
Jetzt noch eine letzte Bemerkung an die Republikaner, weil ja nun immer wieder auf die Religionen Bezug genommen wurde.
Da knüpfe ich einmal an an unsere Diskussion über die „Leitkultur“. Nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, dass nicht nur die christliche Kultur Grundlage unseres heutigen kulturellen Verständnisses ist, sondern auch die antike Kultur. Da darf ich einfach einmal diejenigen, die sich immer auf die christlich abendländische Kultur berufen, daran erinnern, dass es in den antiken Philosophenschulen durchaus unter dem zentralen Begriff des Eros eine völlig andere Wertung der Themen, die wir heute diskutieren, gegeben hat.
Das kann man einfach nicht wegdiskutieren.
Wer also den Betroffenen, die die Verantwortung für ihr Leben auch nach außen dokumentieren wollen, wirklich helfen will
zur Sozialpolitik kommen wir im zweiten Teil –, der darf unseres Erachtens nicht versuchen, durch Tricksereien, die natürlich Rechtsstreitigkeiten vorprogrammieren, die Bedürfnisse der Betroffenen außer Acht zu lassen.
Abschließend, bevor wir nachher in der zweiten Runde zum Sozialversicherungsteil kommen, möchte ich Ihnen sagen: Überlegen Sie sich einmal das Szenario, wenn jetzt Lebenspartnerschaften geschlossen werden, aber das Bundesverfassungsgericht – und es wird angerufen werden, das wissen Sie genauso gut wie wir – dieses Gesetz letztendlich kassiert. Ich möchte einmal wissen, wie Sie darauf reagieren wollen.
Es wäre besser, im Vorfeld einen Konsens zu suchen. Wenn Sie zugehört haben, haben Sie gehört, dass Herr Mühlbeyer für die CDU ziemlich deutlich signalisiert hat, dass er mit dem Entwurf, den die FDP vorgelegt hat, durchaus leben könnte.
Dazu rufe ich auf: Nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen und nicht mit Tricksereien arbeiten, sondern in dieser wichtigen Frage wirklich den Konsens suchen, und zwar auf der Ebene, auf der eine verfassungskonforme Lösung möglich ist.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wort „Kraftmeierei“ stand ja in der Schlagzeile. Wie Sie alle wissen, werden Schlagzeilen nicht vom jeweiligen Politiker gemacht, sondern von denjenigen, die den jeweiligen Artikel schreiben.
Wenn man den Artikel liest und – –
Frau Bender, wenn Sie diese rechtlichen Bedenken, die ja nicht nur unser Justizminister, sondern auch Ihr Innenminister Schily aktenkundig gemacht hat, dass nämlich wegen der mangelnden Distanz zur Institution Ehe und Familie verfassungsrechtliche Probleme auftreten können, als Bemäntelung darstellen, verkennen Sie die Situation völlig. Ich habe vorhin gesagt, Sie sollten sich einmal das Szenario vorstellen. Wenn das Bundesverfassungsgericht tatsächlich dieses Gesetz kassiert, wird eine vernünftige Lösung, wie wir sie anstreben, auf Jahre hinaus blockiert sein.
Wollen Sie denn das?
Jetzt aber zum eigentlichen Thema. Im Schulunterricht heißt es immer „Thema verfehlt“, wenn man sich nicht am Thema orientiert.
Das Thema war ja eigentlich „Familien- und Sozialpolitik“. Von daher bin ich sehr dankbar, dass wir jetzt in der zweiten Runde Gelegenheit haben, dazu etwas zu sagen.
Herr Deuschle, da liegen wirklich Welten zwischen uns. Ich hatte aber bisher immer gedacht, mit den Grünen hätten wir eine Definition von Familie gemeinsam: Familie ist da, wo Kinder sind.
Denn Kinder können sich nie aussuchen, in welche Partnerschaft sie hineingeboren werden.
Übrigens können sie auch bei Adoptionen nicht wählen; da wählen auch die Erwachsenen aus. Interessanterweise haben Sie ja das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare nicht vorgesehen.
Da frage ich mich natürlich, was da im Hintergrund steht.
Wir sind im Gegensatz zu den Republikanern der Meinung, dass wir keine aktive Bevölkerungspolitik – ich weiß schon ungefähr, was dahinter steht – betreiben sollen, sondern dass die Rahmenbedingungen so beschaffen sein müssen,
dass der Wunsch, Kinder zu haben, egal, in welcher Lebensform, nicht durch steuerliche Regelungen bestraft wird und der Wunsch, Kinder zu haben, nicht zum Armutsrisiko wird. Ich glaube, da waren wir uns bisher einig.
Von dieser Definition her gibt es natürlich Privilegien im Sozialversicherungsrecht und im Steuerrecht für diejenigen, die die Kinder erziehen.
Dazu gehört zum Beispiel die beitragsfreie Mitversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung.
Nein, im Moment nicht. Am Schluss aber eine Nachfrage.
Bisher war ich der Meinung – Frau Fischer, Ihre grüne Gesundheitsministerin, hat das ja angestoßen –, dass man durchaus heftig darüber nachdenkt, die beitragsfreie Mitversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung nur noch für diejenigen, die Kinder erziehen, beizubehalten. Sind Sie auch dieser Meinung?
Warum machen Sie jetzt genau den umgekehrten Schluss, bei diesen eingetragenen Lebenspartnerschaften auch dann, wenn kein Kind adoptiert ist, die beitragsfreie Familienmitversicherung einzuführen?
Sie müssen um alles in der Welt erklären, wo da die Logik in Ihrer Familienpolitik ist.
Übrigens waren wir uns doch auch, glaube ich, weitgehend darüber einig, mittel- bis langfristig im Steuerrecht eigentlich zu einem Familiensplitting kommen zu sollen, also auch da kinderbezogen Vergünstigungen zu gewähren. Warum übertragen Sie das dann jetzt auf Partnerschaften, die im Wesentlichen eben keine Kinder erziehen?
Da wird es irgendwie völlig unlogisch. Sie sollten mir vielleicht, weil Sie keine Redezeit mehr haben, nachher privat einmal erklären, wie dieser Widerspruch zu lösen ist.
Fazit: Nehmen Sie die rechtlichen Bedenken, die ja auch von Ihrem eigenen Minister kommen, ernst. Sehen Sie die Gefahr, wenn Sie wirklich jetzt mit dem Kopf durch die Wand wollen, dass Sie das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren. Sehen Sie, dass diese Trickserei
das ist Trickserei – in der Aufsplittung, die wir wirklich nicht für richtig halten – –