Protokoll der Sitzung vom 24.10.2001

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Was er sich vorstel- len kann!)

Die Bevölkerung verlässt sich darauf, dass die Atomaufsicht alles überprüft, unabhängig davon, was Sie sich persönlich vorstellen können; denn in einem Kernkraftwerk ist alles möglich, weil dort Menschen arbeiten.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den Grünen)

Sie und die CDU haben uns jahrelang erzählt, bei uns sei alles sicher. Die Menschen in Baden-Württemberg sind wohl andere Menschen? Nichts ist hier anders. Genau so, wie Sie sich verhalten haben, haben sich die Atomgegner die Atomaufsicht vorgestellt.

Wann Sie nun informiert wurden, Herr Minister, ist inzwischen durch ein Interview in den heutigen „Stuttgarter Nachrichten“ mit Herrn Keil infrage gestellt worden. Herr Keil, der Abteilungsleiter, wird in der heutigen Ausgabe wie folgt zitiert – auch das ist interessant: am gleichen Tag, an dem das Parlament zu diesem Thema tagt –:

Ich selbst habe nach der Rückkehr von einer Dienstreise in der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober die sicher

heitstechnische Bedeutung des Vorkommnisses erkannt und den Minister am 2. Oktober unterrichtet.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Fünf Wochen da- nach, das ist Klasse!)

Ja, aber es kommt noch dicker. Er sagt, er habe am 2. Oktober unterrichtet. Der Minister selbst hat im Ausschuss erklärt – Herr Keil war dabei –, er sei am 28. September informiert worden. Wer sagt da jetzt die Wahrheit, und wer lügt?

(Oh-Rufe von der CDU)

Ja, natürlich! Und es kommt noch schlimmer.

(Abg. Fleischer CDU: Oje! Scharfrichter! Jetzt hör doch auf mit der Dramatisierung! Bleib bei der Sa- che!)

Das hat doch nichts mit „Scharfrichter“ zu tun, sondern es geht um die Sicherheit von Atomkraftwerken. Es geht nicht um eine WC-Anlage.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den Grünen)

Jetzt kommt es: Herr Keil hat diese Dinge im Ausschuss völlig anders dargestellt als heute in den „Stuttgarter Nachrichten“. Im Ausschuss hat er nämlich gesagt, die InternetNachricht stamme vom 28. September, aber soweit er wisse, habe sie keiner seiner Kollegen gelesen; es sei Freitag gewesen. Sie haben das vorhin gesagt. Am Montag, dem 1. Oktober, habe der Südwestrundfunk das aufgegriffen, soviel er wisse. Weiter sagte er, er sei daraufhin in Frankfurt angerufen worden, was ihn sehr sensibilisiert habe. Man muss sich das vorstellen, wie die Atomaufsicht stattfindet. Heute hören wir es ganz anders: Herr Keil sei selbst darauf gekommen, aber nicht über die Öffentlichkeit informiert worden.

Wir würden gerne wissen, was los ist. Sie sind selbst im Nachhinein nicht in der Lage, eine einheitliche Darstellung der Vorkommnisse hinzubekommen, Herr Minister. Im Übrigen haben Sie im Anschluss an die Geschehnisse den Sachverhalt noch verniedlicht. Ich will jetzt nicht auf das Schreiben von Herrn Trittin eingehen, aber Sie haben auch dahin gehend verniedlicht, dass Sie noch bis vor kurzem erzählt haben, der Reaktor sei zwei Tage lang im Blindflug betrieben worden.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Zwei Tage?)

Das waren nicht bloß zwei Tage; es waren 14 Tage. 14 Tage lang wurde in Baden-Württemberg ein Reaktor betrieben, der nicht sicher war.

Nun ist noch etwas herausgekommen: Bei der Befüllung wurde nicht die richtige Wasserhöhe eingehalten, und das schon seit 16 Jahren. Schon seit 16 Jahren hätte der Reaktor nicht angefahren werden dürfen!

Man kann jetzt nicht sagen, dass man das jeweils – –

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Entschuldigung, er ist nicht mehr Minister. Was soll denn das?

(Abg. Herrmann CDU: Zum Glück! Das ist ein Glück für das Land!)

Jetzt kommen Sie! Sehen Sie, das ist genau das, was die Bevölkerung braucht: selbstgerechte Abgeordnete, die keine Ahnung haben und von der Atomaufsicht nichts verstehen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Demonstra- tiver Beifall bei der CDU)

Da klatscht sogar der Herr Ministerpräsident.

(Abg. Seimetz CDU: In den Spiegel schauen! – Abg. Fleischer CDU: Scharfmacher brauchen wir auch nicht!)

Diesen eklatanten Vorfall, meine sehr verehrten Damen und Herren, hätte sich niemand vorstellen können. Nachdem heute Morgen der Herr Fraktionsvorsitzende der CDU laufend

(Abg. Seimetz CDU: Einmal, nicht laufend!)

aus einem Zeitungsartikel vorgelesen hat

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Wie heißt der?)

Herr Oettinger hat vorgelesen,

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Wer ist das?)

was die Zeitung dazu geschrieben hat –, kann ich Ihnen sagen, was Sie heute in der Zeitung lesen können: „Rücktritt“, „kein Vertrauen mehr“, „katastrophale Aufsicht“, „niemand hat die Sache in der Hand“. Das sind heute die Überschriften. Es wäre schön gewesen, der Umweltminister wäre aufgrund dieser Pannenserie selbst zurückgetreten. Es wäre schön gewesen, der Ministerpräsident hätte seine Aufgabe wahrgenommen und hätte ihn entlassen. Nachdem das nicht geschehen ist, beantragen wir heute,

(Abg. Fleischer CDU: Der dramatisiert!)

den Minister für Umwelt und Verkehr wegen einer katastrophalen Ausübung der Aufsicht über die Atomkraftwerke im Land zu entlassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Oettinger.

Herr Präsident, meine verehrten Damen, meine Herren! Die ernsthaften und weit reichenden Vorgänge in den beiden Blöcken des Kernkraftwerks Philippsburg zwingen zum Handeln und stimmen uns nachdenklich.

(Abg. Teßmer SPD: Immerhin!)

Sie werden die CDU-Fraktion bei der Aufarbeitung dieser Angelegenheit in größtmöglicher Objektivität und Unvoreingenommenheit erleben. Ich bemühe mich, heute schon einen ersten Beitrag dazu zu leisten. Denn, Kollege Drex

ler, etwas viel Panikmache kam in Ihrer Rede gerade eben schon vor.

(Beifall bei der CDU – Abg. Fleischer CDU: So ist es! – Abg. Drexler SPD: Was?)

17 Jahre – die Zahl stimmt. Dass in den 17 Jahren der Gutachter, der Prüfer, der TÜV, die Aufsicht nicht früher die mangelnde Einhaltung von Vorschriften bemerkt haben, ist ein Vorgang, den wir aufarbeiten werden und wo es Vorwürfe zu machen gibt.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Die gibt es schon lange!)

Aber in den 17 Jahren hatte der jetzige Umweltminister eine deutlich geringere Amtszeit als der von mir persönlich geschätzte Harald B. Schäfer, der in der großen Koalition für Sie in der Aufsicht und in der Regierungsverantwortung gewesen ist.

(Beifall bei der CDU – Abg. Fleischer CDU: So ist es! – Abg. Drexler SPD: Na und? – Abg. Schmie- del SPD: Schäfer ist doch zurückgetreten! – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Wer sich so billig wie Sie hier zu profilieren versucht, der muss sich fragen, ob er einen gerechten Maßstab anlegt. Ich glaube, Ihr Maßstab ist Ideologie und von vornherein ungerecht.

(Beifall bei der CDU – Lachen und Widerspruch bei der SPD)

Deswegen hat Ihre Rede für mich hier keinerlei faire Begründung Ihres Antrags gebracht.