Protokoll der Sitzung vom 24.10.2001

Entlang der umfassend vorgelegten Antworten der Landesregierung zu allen parlamentarischen Initiativen – von der Fraktion der SPD, der Fraktion GRÜNE, der Fraktion der CDU – und entlang der uns in der Fraktion dargelegten umfassenden Information durch den Minister selbst, die er Ihnen nachher in seiner Rede vortragen wird, sowie entlang dessen, was in den letzten Wochen und Tagen von ihm geleistet und an Information gegeben und an Konsequenzen gezogen worden ist,

(Abg. Teßmer SPD: Was er sich geleistet hat!)

sage ich für meine Fraktion: Ulrich Müller mit seiner Sachkunde, seiner Unabhängigkeit, seiner tatkräftigen Handlungsfähigkeit und seiner Glaubwürdigkeit

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Ist das ein Nachruf? – Heiterkeit bei den Grünen und der SPD)

ist für uns in diesem Amt notwendiger denn je. Ein Rücktritt, eine Entlassung wäre völlig unangebracht und falsch. Dies lehnen wir ab. Wir haben Vertrauen in das Ministerium und die Aufsicht, die sich in diesen Wochen in besonderer Weise bewähren wird.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Abg. Drexler SPD: Was muss denn da noch alles passieren? Keinerlei Reaktion bisher! – Abg. Dr. Salomon GRÜNE begibt sich ans Rednerpult.)

Ich warte, Herr Kollege Salomon, immer ab, bis die Fraktionen ihren Beifall ausreichend spenden konnten. – Sie erhalten das Wort, Herr Abg. Dr. Salomon.

(Abg. Oettinger CDU: Er konnte es nicht erwar- ten!)

Herr Präsident, ich hatte nur Zweifel, weil ich mich vielleicht zu wenig in der Geschäftsordnung auskenne. Ich dachte, der Kollege Pfister käme vor mir dran.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Sie sind Antragsteller!)

Das geht in der Reihenfolge der Antragsteller.

Ach so, gut. Dann habe ich es verstanden.

(Abg. Alfred Haas CDU: Nicht aufblasen! Er kennt die Geschäftsordnung nicht, der Kollege Sa- lomon! – Abg. Oettinger CDU: Er kennt seine An- träge nicht!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Oettinger, Sie haben hier zu allem Möglichen gesprochen, aber nichts zur Sache gesagt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Drex- ler SPD: So ist es!)

Das war eine Verteidigung eines Ministers, die mich in Passagen an Solidaritätsbekundungen von Herrn MayerVorfelder erinnert hat, bevor er drei Tage später den Trainer abgeschossen hat.

(Heiterkeit bei den Grünen)

Ihre Ausführungen erinnern eher an einen Nachruf, als dass Sie sich wirklich in der Sache kundig gemacht hätten und einmal geklärt hätten, was die Atomaufsicht in diesem Lande tut und was sie nicht tut.

(Abg. Fleischer CDU: Sie bestimmen Ihr Niveau!)

Man könnte heute eine Presseschau machen – Kollege Drexler hat es gesagt – und müsste sich dann einmal damit beschäftigen, wie es eigentlich um das Verhältnis zwischen Betreibern, Gutachtern und der Atomaufsicht in BadenWürttemberg bestellt ist. Wenn man da einmal einen Blick hinter die Kulissen wirft, dann kommt einem das Grausen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wann waren Sie hinter den Kulissen, und wo? – Zuruf von der SPD)

Zweieinhalb Wochen ist dieser Reaktor im Blindflug betrieben worden, wie der Minister sagt. Das Problem ist nur, dass Sie, Herr Minister, heute noch im Blindflug fliegen und aus den Geschichten, die im August passiert sind, nichts gelernt haben.

Es kann doch nicht sein, dass man jetzt alle Schuld auf die EnBW schiebt. Die EnBW hat zwei Wochen lang nicht reagiert. Dann hat sie den Störfall aber an das Ministerium gemeldet, und was macht Ihre Atomaufsicht, Ihre von Dr. Keil geleitete Abteilung? Sie liest das Meldeformular, auf dem offensichtlich nicht genau stand, worum es ging, hat es aber nicht nötig, den Störungsbericht, der im Anhang beigefügt war und aus dem klar hervorging, was eigentlich passiert ist, zu lesen. Als die EnBW dann noch in einem Telefonat ein Gespräch anbietet, sagt man: Nicht nötig, wir haben ja das Meldeformular gelesen. Das nennt sich Atomaufsicht. Das ist ja nicht zu fassen, ehrlich gesagt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Dann passiert Folgendes: Herr Trittin zitiert Sie nach Berlin. Sie – das konnte man in der Presse nachlesen – sagen gegenüber dem Staatsministerium so ungefähr: Jetzt gehe ich halt einmal nach Berlin und sage dem Trittin, wo der Barthel den Most holt. Sie haben überhaupt nicht kapiert, was da vorgefallen ist. Wie sollten Sie denn auch? Sie wurden ja nicht richtig informiert. Was ist denn ein Minister wert, der von seinem Haus nicht informiert wird, was Sache ist? Das ist eigentlich ein armer Minister. Aber es wäre dann die Aufgabe des Ministers, in seinem Haus einmal vernünftig aufzuräumen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Wer hat Ihnen denn dann Bescheid gestoßen, was dort passiert ist? Das war genau der Minister mit der Reaktorsicherheitskommission, bei deren Neubesetzung vor zwei Jahren Sie gesagt haben, das sei eine rein ideologische Maßnahme; die besten Experten, die es gebe, würden abgesägt, und stattdessen würden irgendwelche fragwürdigen Kernkraftkritiker in die Reaktorsicherheitskommission gesetzt.

Deshalb haben Sie eine eigene süddeutsche Reaktorsicherheitskommission gebildet. Von dieser süddeutschen Reaktorsicherheitskommission habe ich aber in den letzten Wochen überhaupt nichts gehört. Sie ist weder telefonisch noch sonst irgendwie zu erreichen. Man fragt sich, womit sich dieses Gremium überhaupt beschäftigt. Man weiß nur, dass es 1 Million DM Haushaltsmittel verschlingt, wie ich gelesen habe.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Drex- ler SPD: Untergetaucht!)

Ohne die Trittin’sche Reaktorsicherheitskommission wüssten wir heute noch nicht, wie es in baden-württembergischen Kernkraftwerken zugeht.

Jetzt kommt das, was Kollege Drexler mit „Rambo“ bezeichnet hat. Ich würde eher sagen, Sie werfen sich in die Rolle von Roland Vogt und spielen hier den brutalstmöglichen Aufklärer

(Zurufe von der SPD: Koch! – Heiterkeit)

Roland Vogt gibt es auch, das ist ein Grüner; den kennt ihr nicht, aber ich –, von Roland Koch natürlich, und spielen hier den brutalstmöglichen Aufklärer.

(Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der CDU)

Da kann ich nur sagen: Das ist nicht besonders glaubwürdig, weil Sie nämlich überhaupt nichts aufklären. Sie schieben die Schuld von sich weg auf die EnBW. Sie schieben die Schuld von sich weg auf den TÜV. Jetzt kann man nur sagen: Herr Goll von der EnBW, der ja auch einmal Mitglied dieser Regierung war, heute aber Geschäftsmann ist, hat eines kapiert, was Sie offensichtlich nicht kapiert haben, dass man nämlich, wenn man Kernkraftwerke betreibt und die Bevölkerung den Eindruck hat, dass diese nicht sicher seien, nicht nur einen Imageschaden hat, sondern dass sich das natürlich auch schnell finanziell bemerkbar macht. Er hat sich an die Spitze der Aufklärer gesetzt und seinem Betriebsrat und allen, die es nicht wahrhaben wollten, gesagt: Leute, so geht es nicht, wir müssen eine neue Sicherheitsphilosophie einführen.

(Zurufe von der SPD)

Die Frage ist, warum der TÜV nichts mitbekommen hat. Darauf kann man ja einmal eingehen.

Es gibt zwei Fragen, die in diesem ganzen Komplex einfach wichtig sind. Erstens: Gibt es noch Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Betreibers? Zweitens: Gibt es in diesem Land noch eine Atomaufsicht? Ich denke, beides ist nicht gegeben. Beides ist überhaupt nicht gegeben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Denn wenn Herr Goll personell aufräumt und bis hin zu seinem Stellvertreter Köpfe rollen, wenn mittlerweile sogar beim TÜV Köpfe rollen, aber Sie über Jobrotation im Ministerium reden, frage ich mich doch, wer in diesem Ministerium eigentlich noch der Herr im Haus ist. In welchem Ministerium gibt es das, dass ein Abteilungsleiter, so wie heute geschehen, in der Zeitung Interviews gibt? Haben wir eigentlich noch einen Minister, der zuständig und verantwortlich ist, oder wird das Haus aus der Abteilung heraus geleitet?

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Zum Thema TÜV will ich nur eines sagen. Viele glauben ja, die Abkürzung würde „Technischer Überwachungsverein“ bedeuten. Ich glaube eher, dass die Abkürzung „Technischer Übernachtungsverein“ bedeutet.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen)

Wir reden hier von innerer Sicherheit, und Minister Dr. Schäuble sucht die Schläfer. Aber die Schläfer sitzen in der Atomabteilung des Ministeriums, bei der EnBW und beim TÜV.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Seimetz CDU)

Gestern kam heraus – aber nicht durch die Atomaufsicht, sondern durch die Aufklärung von Herrn Goll –, dass beim Wiederanfahren des Reaktors in Philippsburg nach einer Revision seit 16 Jahren regelmäßig etwas passiert ist: Die Flutbehälter des Notkühlsystems sind nur zu 80 % aufgefüllt worden. Das ist wie die fehlende Borsäure ein Störfall der Kategorie 2 der internationalen Bewertungsskala INES.

Dies wird seit 17 Jahren praktiziert. Da kann man sich nur fragen, ob man noch an die Zuverlässigkeit des Betreibers glauben kann. Das kann nicht sein. Unserem Änderungsantrag, bei dem es um die Sicherheit der Bevölkerung in Baden-Württemberg geht, m ü s s e n Sie zustimmen. Denn die EnBW befindet sich gegenwärtig nicht in einem Zustand, in dem sie die Sicherheit in baden-württembergischen Atomkraftwerken zuverlässig gewährleisten kann. Bis dieser Zustand hergestellt ist, müssen die Kernkraftwerke stillgelegt werden. Was denn sonst?

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Noch einmal zu dem Dreieck, zu dem die „Stuttgarter Nachrichten“ heute das schöne Beispiel mit den drei Affen bringen, die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen.

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Warum sieht das Dreieck zwischen Betreiber, Gutachtern und Atomaufsicht so aus, dass die „Stuttgarter Nachrichten“ sinngemäß schreiben können: „Die Betreiber haben nichts gesehen, die Gutachter haben nichts gesagt, und die Atomaufsicht hat nichts hören wollen"? Warum ist das eigentlich so? Ich kann es Ihnen sagen: Es ist nämlich seit Jahren bekannt – zumindest seit fünfeinhalb Jahren, seit dem Ende des Obrigheim-Untersuchungsausschusses –, dass die Abteilung „Reaktorsicherheit, Umweltradioaktivität“ im Umweltministerium ein Eigenleben führt, das vom Minister überhaupt nicht kontrolliert wird.