Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

Meine Damen und Herren, die Frage der Verfassung ist bereits angesprochen worden. Dass diese Verfassung nicht in Kraft getreten ist, ist bedauerlich, weil wir dringend eine Kompetenzabgrenzung brauchen. Heute haben wir ja die Situation, dass das Europäische Parlament jede Gelegenheit nutzt, um Kompetenzen an sich zu ziehen. Wir haben die Situation, dass die Europäische Kommission in vielen Politikbereichen, wo wir Entscheidungskompetenzen haben, wo der Bund Entscheidungskompetenzen hat, versucht, diese an sich zu ziehen. Das muss aufhören. Deshalb war es richtig, dass in dem vom Konvent vorgelegten Verfassungsentwurf, den die Regierungschefs zur Ratifikation freigegeben haben, eine klare Kompetenzabgrenzung drinsteht.

Es ist bedauerlich, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht festgeschrieben wurde. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, meine Damen und Herren, dass dieser Verfassungsvertrag mit diesen wichtigen Regelungen, die auch unsere Länderrechte sichern, so schnell wie möglich in Kraft tritt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Walter GRÜNE: Richtig!)

Baden-Württemberg braucht den Vergleich mit anderen europäischen Regionen nicht zu scheuen. Die Metropolregion Stuttgart hat im Ranking von 30 ausgewählten Metropolregionen in Europa den neunten Platz eingenommen.

Besorgniserregend ist, dass andere Regionen in Europa eine höhere Wachstumsdynamik aufweisen. Besorgniserregend ist auch, meine Damen und Herren, dass andere Regionen

einen höheren Dienstleistungsanteil haben. Daran wird jedoch gearbeitet. Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium arbeitet an Strategien, um einen höheren Dienstleistungsanteil in der Region Stuttgart zu erreichen. Wir sollten wachsam bleiben, dass wir nicht zurückfallen.

Positiv ist anzumerken, dass wir mit einem Wertschöpfungsanteil von rund 40 % am stärksten vom produzierenden Gewerbe geprägt sind. Die Metropolregion Stuttgart ist die Region in Europa, die im produzierenden Gewerbe am stärksten ist. Wir haben europaweit – im Vergleich zu anderen Regionen – auch den höchsten Anteil an Patentanmeldungen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So sind wir halt!)

Ein ganz wichtiger Punkt in der Europäischen Union ist auch die Agrarpolitik. Durch maßgebliche Beteiligung des Landes konnte bei der Ausgestaltung der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik Europas ein großer Erfolg verbucht werden. Der Paradigmenwechsel – weg von der Produktionsförderung hin zur Flächenprämie – barg enorme Risiken und Schwierigkeiten und setzte eine hervorragende Kenntnis der Materie voraus.

Dem Landwirtschaftsministerium in Baden-Württemberg gelang es durch seine fachliche Kompetenz, sich die Meinungsführerschaft anzueignen. Es war eine alte Forderung auch der FDP/DVP – sie wurde schon Anfang der Achtzigerjahre erhoben –, weg von der Produktionsförderung und hin zu mehr Ökologie und Landschaftspflege zu kommen. Wir sind froh, meine Damen und Herren, dass diese Forderung umgesetzt werden konnte. Die Butterberge sind weg, all die hoch subventionierten, überschüssigen Lagerbestände in Europa sind weg.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Das ist ein Erfolg. Wichtig ist auch, dass die erfolgreichen regionalen Agrarumweltprogramme wie zum Beispiel MEKA auch angesichts der sich bereits abzeichnenden Haushaltskrise der EU fortgeführt werden können.

Die FDP/DVP tritt deshalb für eine stärkere Eigenständigkeit der Regionen ein. Nicht alles muss geregelt werden. Was exemplarisch für die Landwirtschaft gilt, gilt natürlich auch für alle anderen Bereiche in Europa.

Lassen Sie uns weiter daran arbeiten, dass Europa klare Kompetenzen bekommt, dass Bürokratieabbau, Deregulierung und Liberalisierung vorangetrieben werden. Denn das ist der einzige Weg, um in Europa Wohlstand in Freiheit zu sichern.

Wir danken der Landesregierung für die Vorlage dieses sehr ausführlichen Berichts und ermutigen sie, in diesem Sinne weiter für Europa zu arbeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Walter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kollege Mack hat darauf hingewiesen, dass

auch die deutsche Bevölkerung Europa sehr schätzt. So muss man für Reisen in die europäischen Länder, die den Euro eingeführt haben, kein Geld mehr umtauschen, man muss keine Grenzstellen mehr passieren, weil die Grenzen aufgehoben sind. Das stimmt schon, aber das ist nur eine Sicht der Dinge. Denn wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Wenn wir im Rahmen eines Volksentscheids eine Debatte über die Verfassung bekommen hätten, wäre diese Debatte wahrscheinlich ähnlich verlaufen wie in den Niederlanden und in Frankreich.

(Abg. Fleischer CDU: Da muss man die Gründe hinterfragen! – Zuruf des Abg. Mack CDU)

Deswegen, Kollege Mack, diskutieren wir über diesen Europabericht der Landesregierung vor dem Hintergrund einer umfassenden Krise der EU. Er erscheint mir übrigens nicht zu kurz geraten, wie ich gleich hinzufügen möchte. Wir sind froh, dass der Europabericht nicht mehr 200 Seiten umfasst, auf denen nicht viel mehr stand als auf den 50 Seiten, die der Bericht jetzt hat.

Meine Damen und Herren, wir stehen vor der größten Krise der EU. Es gilt, dieser Krise jetzt entgegenzusteuern.

Wir brauchen – darüber sind wir uns alle in diesem Haus einig – eine EU-Verfassung. Im Gegensatz zu den Gegnern der EU-Verfassung sehe ich in der Verfassung eine Stärkung der demokratischen Rechte, beispielsweise der des Europäischen Parlaments. Die Rechte der EU-Kommission werden durch die Verfassung beschnitten – genau das, was man im Prozess der Demokratisierung der EU immer gefordert hat. Genauso – der Kollege Theurer hat darauf hingewiesen – werden die Rechte der Regionen – eine solche ist auch ein Land wie Baden-Württemberg – festgeschrieben.

Das heißt, wir haben selbst ein existenzielles Interesse daran, dass diese EU-Verfassung demnächst kommt. Auch die Länder sind gefordert, Herr Minister Stächele, diese Diskussionen und diesen Prozess wieder in Gang zu bringen. Verfassungen sind der Grundpfeiler einer Demokratie. Ein demokratisches vereintes Europa kann es ohne Verfassung nicht geben. Deswegen muss hier dringend etwas geschehen.

Für uns wäre ein gangbarer Weg, wenn wir uns zunächst einmal auf die ersten beiden Teile beschränken würden. In einer Verfassung sollte eigentlich nur das Wichtigste und das Wesentlichste stehen. Deswegen, denke ich, ist diese Verfassung – das ist meine Kritik daran – einfach zu lang geraten.

Wir sollten aber nicht die wesentlichen Punkte – die auch schon Kompromisse darstellen – wieder neu aufschnüren. Damit würden wir beispielsweise den Verfassungsskeptikern und den Europaskeptikern in Großbritannien nur neue Hoffnung machen. Das wäre falsch.

(Abg. Fleischer CDU: Um den Gottesbezug müs- sen wir schon noch kämpfen!)

Darüber können wir auch noch diskutieren.

(Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Ich begrüße es, dass die Landesregierung für die Verfassung kämpfen möchte. Wichtig aber ist – darauf haben schon mehrere meiner Vorredner hingewiesen –, dass diese Debatten nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden. Das ist doch eines der Probleme, die zu dem Ergebnis in den Niederlanden und in Frankreich geführt haben. Das Hauptproblem ist, dass die Menschen sich auf diesem Prozess eines größeren und erweiterten Europas und einer Verfassung, die wahrscheinlich kaum einer, der darüber abgestimmt hat, im Detail kannte, nicht mitgenommen gefühlt haben. Es wurde das Gefühl vermittelt, Europa sei ein blutleerer Moloch, von dem man überrannt wird. Es wurde das Gefühl vermittelt, Europa nehme die sozialen Errungenschaften weg, die die eigenen Staaten in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgebaut haben. Die Menschen hatten das Gefühl, eine unkontrollierbare Bürokratie greife noch ins letzte Detail ihres Lebens ein und schreibe ihnen unnötige Dinge vor.

Bei dem Beispiel der Norm für Traktorensitze, Herr Kollege Mack, das Sie genannt haben, muss sich Ihre Partei an die eigene Nase fassen. Denn meines Wissens kam diese Initiative vom Kollegen Stoiber,

(Abg. Mack CDU: Diese Richtlinie ist doch schon 30 Jahre in Kraft!)

der ja derzeit aus München weggelobt wird und Wirtschaftsminister oder sonst was werden soll. Da muss man vorsichtig sein.

(Beifall der Abg. Ursula Haußmann SPD – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Außenminister, heißt es heute!)

Außenminister, noch schlimmer!

(Heiterkeit)

Dann kann er sich ja wieder für Traktorensitze einsetzen.

(Abg. Mack CDU: Das ist doch Unsinn!)

Meine Damen und Herren, man muss sich verdeutlichen: In Brüssel arbeiten 22 000 Beamte und Angestellte in der Verwaltung. Das hört sich viel an. Wenn Sie aber bedenken, dass allein eine Stadt wie Stuttgart 14 000 Beschäftigte in der Verwaltung hat,

(Abg. Rückert CDU: Das sind auch die in den Kin- dergärten!)

dann erkennen Sie, dass im Verhältnis dazu die Bürokratie in Brüssel gar nicht so groß ist. – Ja, dem ehemaligen Bürgermeister gefällt es nicht, wenn man so etwas sagt.

Wichtig ist – da bin ich mit Ihnen und auch mit dem Kollegen Herrmann einig –: Man muss die Ängste dieser Menschen wahrnehmen, man muss sie ernst nehmen. Man muss beispielsweise dafür sorgen, dass Dinge wie die Dienstleistungsrichtlinie wieder geändert werden. Ich hätte es begrüßt, wenn der Kompromiss, der nun vorliegt, auch von der konservativen Seite im EU-Parlament mitgetragen worden wäre.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Es ist doch klar: Das umstrittene Herkunftslandprinzip muss ersatzlos gestrichen werden, sonst gibt es keine Akzeptanz in den Ländern.

(Beifall der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Wir brauchen aber für diese Richtlinie wie für alle anderen wichtigen Vorschriften, die die EU erlässt, einen breiten Konsens. Deshalb hoffe ich, dass die konservative Seite noch einen Schritt nach vorne macht. Die Botschaft muss lauten – sonst gibt es keine Akzeptanz für Europa, weder in Deutschland noch anderswo –: Europa ist kein Vorreiter für Sozialdumping; mit Europa gibt es kein Sozialdumping.

Ein zweiter wichtiger Punkt, der mehrfach angesprochen wurde, ist die Bürokratie. Ich begrüße es, dass EU-Kommissar Verheugen nun eine Entbürokratisierungskampagne gestartet hat. Es geht nicht nur um die 68 Entwürfe, die vorgestellt wurden, sondern alle Richtlinien sollen geprüft werden. Das ist genau der richtige Ansatz. Ich glaube, dass Europa da auf dem richtigen Weg ist.

Richtig und wichtig ist auch, dass der Ausschuss der Regionen daran arbeitet, wie künftig das Prinzip der Subsidiarität eingehalten werden soll.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es! – Abg. Flei- scher CDU: Das ist entscheidend!)

Das ist wirklich auch gerade für die Länder – Sie sagen es – etwas Entscheidendes.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Genau!)