Vielleicht sofort, wenn ich den ersten Punkt, den Bereich der 18- bis 21-Jährigen, dargestellt habe. Dann können Sie gern Ihre Frage dazu stellen.
Lassen Sie mich daran erinnern: Wir hatten früher eine Volljährigkeitsaltersgrenze von 21 Jahren. § 105 des Jugendgerichtsgesetzes hatte damals genau den umgekehrten Sinn: Mit 21 war man volljährig, und drei Jahre vorher konnte man ausnahmsweise schon das Erwachsenenstrafrecht anwenden. Das war genau die umgekehrte Logik.
Dann wurde die Volljährigkeitsaltersgrenze auf 18 Jahre abgesenkt, und jetzt sagen wir, man könne drei weitere Jahre lang das Jugendstrafrecht anwenden. Das war für mich eigentlich noch nie konsequent. Denn entweder man ist erwachsen, oder man ist es nicht. Wenn jemand nach dem Zivilrecht und dem Wahlrecht – bei dem Sie die Altersgrenze sogar noch heruntersetzen wollen – erwachsen ist, dann ist es nicht konsequent, zu sagen, er sei nach dem Strafrecht noch nicht erwachsen. Das ist ein falsches Signal, und das bestätigen heute auch Psychologen zunehmend.
Herr Minister, gestatten Sie gerade eine Zwischenfrage zu diesem Komplex, dass Richter eben das Jugendstrafrecht nach Ihrer Auffassung wohl entgegen der Ratio Legis anwenden. Gehen Sie davon aus, dass die Rechtsanwendung durch die Richter gerade in diesem Bereich nicht auf sachgerechten, vernünftigen Erwägungen beruht und jeweils auf den Einzelfall abstellt?
Verzeihung, es gibt bei uns eine Gewaltenteilung, und die Legislative hat auch für die Gerichte den Gestaltungsspielraum zu setzen. Die Aussage, ob wir als Legislative der Meinung sind, dass Heranwachsende in erster Linie nach dem Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen sind, müssen wir treffen – genauer gesagt, wir müssen sie nur verdeutlichen. Sie steht nämlich im Gesetz drin, aber anscheinend nicht deutlich genug.
(Abg. Stickelberger SPD: Verstoßen die Richter dann gegen das Gesetz? – Abg. Birzele SPD: Also dann sind die Richter unsachlich?)
Nein, das tun sie nicht. Aber Sie zwingen mich jetzt zu Wiederholungen, und hinterher wird vielleicht noch meine Redezeit moniert.
Ich habe gesagt: Heute steht in § 105 JGG, dass grundsätzlich das Erwachsenenstrafrecht angewendet werden soll. Aber die Brücke ins Jugendstrafrecht ist so weit gebaut, dass in der Praxis 90 % der Körperverletzungsdelikte durch Jugendliche nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden können. Jetzt frage ich Sie: Ist das die Praxis, die wir wollen, ist das in Ordnung? Oder muss der gesetzgeberische Wille an dieser Stelle verdeutlicht werden?
Aber letzen Endes geht es immer nur um die Frage, ob es psychologisch richtig ist, den 18- bis 21-Jährigen zu signalisieren: Ihr seid noch nicht ganz fertig; für euch gelten besondere Spielregeln. Das würde ich nicht machen. Wenn
die Leute tatsächlich immer früher reif werden, was übrigens so ist, dann ist das in allen Bereichen so – auch im Strafrecht. Deshalb ist es inkonsequent, § 105 JGG so stehen zu lassen.
Zweiter Punkt: Heraufsetzung des Höchststrafmaßes auf 15 Jahre. Da ist die Argumentation bisher leider völlig verzerrt herübergekommen. Da hieß es, derzeit seien es zehn Jahre. Zehn Jahre werden aber fast nie verhängt!
wie es wirklich funktioniert: Diese zehn Jahre werden tatsächlich nur im denkbar schwersten Fall verhängt. Gerade gestern habe ich wieder einen Fall mitgekriegt, der sich blendend als Beispielfall dafür eignet, zu verdeutlichen, worum es eigentlich geht: Ein Jugendlicher hatte einen Mord und eine versuchte Vergewaltigung begangen. Aber dafür hat er natürlich nicht die zehn Jahre bekommen, weil sich die Gerichte die zehn Jahre wirklich sozusagen für das schwerste aller denkbaren Delikte und nicht für einen „normalen Mord“ vorstellen. Also gab es für einen Mord und eine versuchte Vergewaltigung acht Jahre. Jugendliche kommen in der Regel nicht nach Abbüßen von zwei Dritteln der verhängten Strafe, sondern nach sieben Zwölfteln frei; das sind in diesem Fall gut viereinhalb Jahre. Wenn der Jugendliche vorher Lockerungen bekommt und im Freigang ist, dann ist er nach dreieinhalb Jahren wieder auf der Straße. Das kapieren die Leute nicht! Das kann ich verstehen.
Es geht uns ja nicht darum, dass die alle zu 15 Jahren verurteilt werden, sondern es geht darum, dass die Gerichte die Möglichkeit haben, den Strafrahmen in bestimmten Fällen tatsächlich nach oben zu erweitern, damit der „normale Mord“ nicht bei acht Jahren hängen bleibt, was übrigens gerade dann Schwierigkeiten macht, wenn Delikte, was nicht selten ist, in Gruppen begangen werden.
Ich hatte einmal einen Fall, in dem sich ein Jugendlicher auch an den damaligen Ministerpräsidenten gewandt hat. Das waren ein paar Jugendliche, die gerade um die 21, 22 Jahre alt waren und einen Wohnsitzlosen auf ziemlich schändliche Weise an einem Bahnhof umgebracht haben. Dieser Fall war unter dem Aspekt der Plausibilität wirklich besonders anspruchsvoll, weil einige im Alter von 20 Jahren und zehn Monaten gerade noch
nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurden. Diese waren dann nach vier Jahren wieder auf der Straße. Einer, der gerade 21 Jahre und zwei Monate alt war, hat lebenslänglich bekommen. Bei ihm hat man nach 15 Jahren das erste Mal geprüft, was los ist. Das geht dann irgendwie nicht zusammen.
Deswegen sollte man die Möglichkeit schaffen, die Höchstgrenze von 10 auf 15 Jahre hinaufzusetzen. Darum geht es.
Der dritte Punkt war der Warnschussarrest. Beim Warnschussarrest muss ich sagen: Ich würde diese Maßnahme nicht vorschlagen, wenn ich nicht glaubte, dass sie gerade für die Jugendlichen gut wäre. Denn da haben wir Möglichkeiten zu reagieren. Wenn mehr vorkommt, kommt es zum Arrest. Es lohnt sich, die Arrestanstalten anzuschauen. Dort wird noch sehr viel mit den Jugendlichen getan.
Das ist für manchen Jugendlichen unter Umständen besser, als nur auf der Straße völlig ziel- und orientierungslos herumzulaufen. In einer Arrestanstalt bekommt er überhaupt einmal eine Struktur und einen Ansprechpartner.
Aber jetzt nehmen wir einmal an, dass noch mehr passiert ist. Dann bekommt er beim ersten Mal in der Regel eine Bewährungsstrafe. Diese Fälle hatten wir, und zwar gerade wieder, wenn es Gruppen waren. Wir hatten Fälle, bei denen die Gruppenmitglieder ein paar Wochen Arrest bekommen haben und der Rädelsführer eine Bewährungsstrafe erhalten hat. Der ist frei aus dem Gerichtssaal hinausgegangen. Der war am besten dran. Dazu sage ich: Das ist doch ein Unsinn. Deswegen muss man auch bei einer Bewährungsstrafe die Möglichkeit haben, dem Jugendlichen eine Woche Arrest zu geben, damit er merkt: Es wird Ernst. Sie tun dem Jugendlichen damit unter Umständen einen viel größeren Gefallen, als wenn Sie ihn aus dem Gerichtssaal mit dem Bewusstsein hinauslaufen lassen: Da ist ja gar nichts Schlimmes passiert.
Herr Minister, ich habe noch eine Frage zur Heraufsetzung des Strafrahmens von 10 auf 15 Jahre. Sie haben deutlich gemacht, dass das die Delikte Mord, Totschlag betrifft, also ganz schwere Delikte. Auf der andere Seite haben Sie und hat auch der Kollege Theurer ausgeführt, dass die meisten Delikte, die von Jugendlichen begangen werden, Episodencharakter hätten. Wie verträgt sich diese Einschätzung mit der Heraufsetzung des Strafrahmens?
Denn die Delikte, die wirklich die Ausschöpfung des Strafrahmens gebieten, sind in der Relation zu den Massendelikten von Jugendlichen ja sehr selten. Wie passt das zusammen: einerseits Episodencharakter, aber andererseits dann doch eine Heraufsetzung des Strafrahmens insgesamt?
Herr Stickelberger, das ist ja fast das Stichwort. Wir brauchen natürlich eine differenzierte Reaktion. Wir müssen auf die Kriminalität, bei der es um geringe Werte oder leichte Körperverletzung geht, Delikte, die Episodencharakter haben, völlig anders reagieren als auf schwere und schwerste Delikte. Aber es gibt eben den einen Fall, bei dem die Kriminalität einen Episodencharakter hat, und es gibt den anderen Fall eines jugendlichen oder heranwachsenden Täters, der nach der Entlassung an sich sogar ein Kandidat für die Sicherungsverwahrung ist.
Das sind die Fälle, bei denen die Täter mit einem Schmetterlingsmesser auf zwei, drei andere losgehen und sie niederstechen und Sie gar nicht sicher sind, dass das nicht sofort wieder passiert. Sie müssen eben über das ganze Spektrum hinweg Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung haben. Deshalb sage ich, dass wir am anderen Ende des Spektrums diese Heraufsetzung des Strafrahmens brauchen,
Jetzt haben wir aber zu diesem Teil vielleicht vorläufig genug gehört. Dazu könnte man noch viel sagen.
Ich möchte, dass auch der zweite Teil nicht zu kurz kommt, nämlich die Prävention, die Sie angemahnt haben.
Nun ist mir bei Ihren Worten – nehmen Sie es mir nicht übel; es war Frau Weckenmann oder Frau Lösch, die dazu gesprochen hat – doch wieder die Assoziation durch den Kopf gegangen: Für Sie bedeutet Resozialisierung, dass man jedem einen Sozialarbeiter an die Seite stellt.