Ich komme noch darauf. Ich komme auf die von Ihnen geforderten längeren gemeinsamen Lernzeiten zurück.
Unsere Grundschulen gehören auch international gesehen zur Spitzenklasse. Deswegen haben wir uns auch darauf verständigt, Herrn Professor Dr. Bos, der die Federführung für die IGLU-Studie hatte, als Experten einzuladen. Er hat gesagt, dass die Grundschule die modernste und innovativste Schule ist.
Wieder einmal naht in diesem Zusammenhang natürlich eine Strukturdebatte. Wir haben es bei Ihren beiden Wortbeiträgen auch schon gehört.
Wenn ich mir noch einmal die Aussagen der wissenschaftlichen Experten aus den Anhörungen anschaue, stelle ich fest, dass sich niemand von der wissenschaftlichen Seite für eine Verlängerung der Grundschulzeit auf sechs Jahre ausgesprochen hat.
Ich darf Ihnen aus den Aussagen von renommierten Wissenschaftlern zitieren. Diese Zitate, meine Damen und Herren, sind wegweisend.
Es gibt keine Hinweise aus entwicklungspsychologischer Literatur, dass Kinder in einer fünf- oder sechsjährigen Grundschule besser miteinander zurechtkommen oder lernen, als es in einer vierjährigen Grundschule der Fall ist.
Eine sechsjährige Primarbeschulung hat für die meisten Kinder mehr Entwicklungsnachteile als -vorteile.
Dr. Bos, der Leiter der IGLU-Studie, sagt, ihm ist es – frei interpretiert – wurschtegal oder – näher im Wortlaut –: Ihm sei es egal, ob es eine sechsjährige Grundschule geben solle oder nicht; man müsse mehr andere Dinge beachten, beispielsweise schulorganisatorische Fragen und pädagogische Inhalte. Auch er hat nicht gesagt, dass eine sechsjährige Grundschule mehr Vorteile als Nachteile im Vergleich zu einer vierjährigen Grundschule hätte.
Jetzt darf ich weiter zitieren. Professor Dr. Goetz, Grundschulpädagoge der Universität Würzburg, äußerte:
Schullaufbahnprognosen werden auch nach sechs Jahren nicht treffsicherer als die Schullaufbahnprognosen, die mit der vierten Grundschulklasse erzielt werden.
Jetzt darf ich auch Herrn Dr. Maier erwähnen, einen von Ihnen benannten Experten, der in einem einzigen Satz sehr, sehr vage die Möglichkeit einer sechsjährigen Grundschule zum Ausdruck gebracht hat.
Hochinteressant ist das Zitat von Frau Dr. Faust, als Expertin vorgeschlagen von der SPD und den Grünen, von der Universität Bamberg. Sie hat Folgendes gesagt:
Ich habe ja zu begründen versucht, warum das für mich nicht die Frage ist. Ich halte es auch für riskant, große Systemveränderungen zu installieren. So lange bin ich inzwischen in diesem Geschäft, dass ich denke, ich würde eher auf konkret ansetzende Reformen an einzelnen Punkten setzen.
Recht hat sie, meine Damen und Herren. Wir müssen die Inhalte und die Qualität der Schule voranbringen und nicht auf Strukturdebatten setzen.
Wenn wir gerade beim Zitieren sind, ist es natürlich schon verlockend, auch Vertreter der hohen Politik, auch gerade der SPD, zu zitieren. Deswegen darf ich Sigmar Gabriel, ehemaliger Ministerpräsident in Niedersachsen, zitieren, weil es zu verlockend und treffsicher ist, was er sagt. Ich zitiere aus der „Zeit“ vom 25. Mai 2005:
Die Wiederbelebung des alten Streits um die Schulstrukturen ist unsinnig. … Es kommt nicht darauf an, Schulformen zu fördern, sondern die Schülerinnen und Schüler. … Im inhaltlichen Mittelpunkt stehen Fragen der Lehrerausbildung, der personellen und materiellen
Ressourcen, das Verhältnis von pädagogischer Freiheit und staatlicher Schulaufsicht und vor allem und immer wieder nach der möglichst frühzeitigen und kontinuierlichen Förderung von Kindern und Jugendlichen.
Meine Damen und Herren, wenn wir es schaffen, einen Konsens darüber zu erzielen, dass wir die Strukturdebatte beiseite schieben und uns in der Debatte – die durchaus kontrovers und strittig geführt werden kann – auf Lerninhalte und auf die Weiterentwicklung der Reformen konzentrieren, dann hätte die Bildungspolitik auch in unserem Land höheres Ansehen. Strukturdebatten sind Debatten von gestern und sind in der heutigen Zeit nicht mehr angemessen, meine Damen und Herren.
Wir haben auf Reformen gesetzt, gerade im Grundschulbereich, zum Beispiel mit dem Konzept „Schulanfang auf neuen Wegen“. Wir waren in Thüringen, und wir haben uns nicht nur die dort funktionierende Regelschule angesehen. Sie funktioniert, keine Frage. Ich komme auch noch darauf zu sprechen.
Aber wir haben uns natürlich auch angesehen, wie Grundschulpädagogik funktioniert. Es war für uns wohltuend, festzustellen, dass die wichtigen bildungspolitischen Reformen in Thüringen in den Neunzigerjahren aufgrund des engsten Schulterschlusses mit Baden-Württemberg und Bayern durchgesetzt wurden. Maßnahmen der Qualitätsentwicklung, die Einführung verbindlicher Bildungsstandards und nicht zuletzt die Einführung der verlässlichen Grundschule sind baden-württembergische Projekte, die von Sachsen und Thüringen übernommen wurden. Deswegen, meine Damen und Herren, sind diese Bundesländer bei PISA so erfolgreich und nicht wegen der Schulstrukturen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
Wir haben das Einschulungsalter deutlich gesenkt. Auch das ist wichtig. Das Projekt „Schulreifes Kind“ ist eine wichtige Aufgabe, die wir konkretisieren müssen, weil es gerade hierbei um individuelle Förderung geht. Der Herr Ministerpräsident hat es ausgeführt. Hier geht es gerade darum, die Schwachen zu erfassen und diese systematisch auf den Schulbesuch vorzubereiten. Ich höre bei den Landtagsdebatten von den Rednern der Opposition immer wieder, wir müssten mehr für die Schwachen tun, wir müssten Systeme finden, bei denen wir die Schwachen individuell fördern. Das ist das Konzept des schulreifen Kindes.
Hier geht es nicht um Selektion. Hier geht es nicht um Aussortieren. Hier geht es darum, diesen Kindern – und damit den Eltern – zu helfen, damit sie auf der Schule eine Chance haben und nicht durch den Rost fallen, meine Damen und Herren. Deswegen erkennen Sie bitte an, dass es eine wichtige Maßnahme ist.
Nun zu PISA: PISA I und PISA II haben Gemeinsamkeiten. Wenn wir uns die Ergebnisse im Ländervergleich anschauen, stellen wir auch bei dieser PISA-Studie fest, dass die Bundesländer, die eine sechsjährige Grundschule haben, schlechter abgeschnitten haben als die Bundesländer, die eine vierjährige Grundschule haben. Wir stellen auch fest, dass die Bundesländer, die nach wie vor auf Gesamtschulen setzen oder noch einen großen Anteil von Gesamtschulen unterhalten, beispielsweise Nordrhein-Westfalen, schlechter abgeschnitten haben als die Länder mit einem dreigliedrigen Schulsystem.
Ich erlaube mir nur ein Beispiel. Sie sagen, Baden-Württemberg sei abgefallen. Das stimmt nicht. Andere haben sich verbessert, wir auch, und wir freuen uns darüber, dass sich gerade die neuen Bundesländer deutlich verbessert haben. Aber wenn denn nun einmal Bayern in einigen Kompetenzbereichen nicht nur zur deutschen Spitzengruppe, sondern zur internationalen Spitzengruppe gehört, dann erkennen Sie die folgende Überlegung bitte an oder stellen Sie zumindest einmal offen und ohne Vorurteil die Frage, ob Bayern vielleicht auch deswegen so erfolgreich ist, weil es an der Dreigliedrigkeit festgehalten und im Rahmen der Dreigliedrigkeit bildungspolitische Reformen umgesetzt hat. Das lässt sich faktisch nicht von der Hand weisen.
Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass Bayern großen Wert auf die Förderung seiner Hauptschulen legt und diese möglicherweise noch höher gewichtet als wir in Baden-Württemberg. Das muss man genau untersuchen. Wir sehen hier eigentlich ein gesundes Konkurrenzverhältnis.
Aber wir wissen, dass die Hauptschulen gerade in Bayern hohes gesellschaftliches Ansehen haben und möglicherweise auch deswegen so erfolgreich sind.
Zu Sachsen und Thüringen und zur Regelschule: Die internationalen Vergleiche belegen: Es gibt Gemeinschaftsschulsysteme im internationalen Bereich, die sehr erfolgreich sind – Finnland ist das klassische Beispiel dafür –, es gibt aber auch Länder, die gerade wegen solcher Systeme nicht erfolgreich sind. Es gibt nun einmal auch Länder, die deswegen erfolgreich sind, weil sie gegliederte Schulsysteme haben.
Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass in Thüringen – man braucht sich nur einmal die Regierungserklärung des früheren Kultusministers Althaus anzuschauen – die Einführung der Regelschule nicht auf ein ideologisches Argument zurückzuführen war. Vielmehr war es ein gesellschaftspolitischer Kompromiss mit der Vergangenheit, der für die Einführung der Regelschule ausschlaggebend war, und gerade in den neuen Bundesländern eine demografische Notwendigkeit, die wir in Baden-Württemberg Gott sei Dank nicht haben, meine Damen und Herren.
Das sind die Gründe, die in Thüringen zur Einführung und zur Beibehaltung der Regelschule geführt haben.
Gestatten Sie mir noch einige wenige Schlussbemerkungen. PISA testet das Leistungsvermögen der 15-Jährigen, nicht den Abschluss von Bildungsbiografien. Deswegen ist die Kritik auch unseres Kultusministers an der OECD berechtigt, dass die OECD das Leistungsvermögen der beruflichen Bildung zu wenig einbezieht.
Gerade bei dieser PISA-Studie ist das berufliche Bildungssystem offensichtlich nicht berücksichtigt worden.
In einer der OECD-Studien wurde eindrucksvoll belegt, dass 83 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland ein Abitur oder eine Berufsausbildung nachweisen können. Damit gehört Deutschland, was den schulischen und den beruflichen Abschluss betrifft, zur internationalen Spitzengruppe. Das belegt, meine Damen und Herren, dass wir ein durchaus funktionierendes berufliches Bildungssystem haben, das auch entscheidend dazu beiträgt, die soziale Schere zwischen Arm und Reich und zwischen Schwachen und Starken zusammenzuführen. Auch dies muss man zur Kenntnis nehmen. Auch dass sich ein hoher Anteil von Realschülern für die berufliche Bildung, für den Besuch eines beruflichen Gymnasiums entscheidet, belegt, dass die beruflichen Gymnasien einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, dass die soziale Schere zusammengeführt wird.