Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

wobei der größte Teil der Ganztagsschulen in teilgebundener oder in offener Form existiert. Das heißt, das sind 6 % – 6 %! – der Schülerinnen und Schüler, die in einer öffentlichen Ganztagsschule sind.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Lediglich 13 000 Schülerinnen und Schüler besuchen eine gebundene Ganztagsschule.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Über 30 000 sind es bei den Privatschulen. Wohlwollend gerechnet gehen nur 1,2 % der Grundschüler in die Ganztagsschule. Bei den Realschulen sind es 3,3 %, bei den Gymnasien 6,7 % und bei den Hauptschulen wenigstens 20,7 %. Ohne die Einbeziehung der Privatschulen in diese Prozentrechnung sähe das Ergebnis noch viel, viel düsterer aus.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Anhand dieser Zahlen wird die ganze Misere in BadenWürttemberg deutlich. Ich sage nochmals: Dafür tragen Sie die Verantwortung.

(Abg. Wintruff SPD zur CDU: Jawohl! Das haben Sie angerichtet!)

Ihre jahrelange Blockadehaltung und Miesmacherei haben Sie hier zu verantworten.

(Abg. Röhm CDU: Sie machen doch die Schulen schlecht!)

Ich sage Ihnen nochmals: Ich kann mich erinnern, Herr Röhm, wie auch Sie argumentiert haben,

(Abg. Röhm CDU: Sie reden die Schulen schlecht!)

wie Sie alle hier blockiert und uns alles Mögliche geheißen haben, weil wir die Ganztagsschule gefordert haben.

(Abg. Capezzuto SPD: Der Röhm vor allem! – Abg. Röhm CDU: Sie reden die Schule schlecht!)

Meine Damen und Herren, wer aber eine solch veränderte Schule, wie ich sie beschrieben habe, möchte, der muss natürlich auch die Lehrerbildung reformieren. Auch dies ha

ben wir in den Anhörungen ausführlich diskutiert. Dazu gehört eine inhaltliche Neuausrichtung, die Diagnosefähigkeit und der Umgang mit heterogenen Lerngruppen. Wir müssen in der Tat von Beginn des Studiums an Theorie und Praxis eng miteinander verzahnen. All das sind Forderungen, die wir in den Anhörungen gehört und die wir hier auch schon mehrfach vorgetragen haben. Aber bisher sind Sie auch hier nicht bereit, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

Entscheidend ist, meine Damen und Herren: Wir brauchen eigenständige Lehrämter für die Grundschule, für die Sekundarstufe I und für die Sekundarstufe II. Dann hätten wir nämlich nicht das Problem, dass wir heute schon gar nicht mehr genügend Hauptschullehrer haben. Das ist das eigentliche Problem.

(Zuruf des Abg. Röhm CDU)

Deswegen ist es sinnvoll und richtig, Lehrämter für die Grundschule und für die Sekundarstufen I und II zu schaffen.

(Abg. Wacker CDU: Nur kostet das sehr viel Geld!)

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch einen Satz zur Unterrichtsversorgung sagen. Es hat ja ziemlich lange gedauert, bis nun endlich die Zusage kam, eine erneute Umfrage über den Unterrichtsausfall durchzuführen. Tatsache ist, dass die Zahl der Lehrerwochenstunden pro Schüler seit dem Schuljahr 1985/86 deutlich gesunken ist. Tatsache ist vor allem, dass im Bereich der Förderung schwächerer Schüler Stunden reduziert wurden. In den 2 722 Grundund Hauptschulen gab es im Schuljahr 2003/04 für die Schülerinnen und Schüler nur 7 120 Wochenstunden. Wenn man dies umrechnet auf den einzelnen Schüler, sind es gerade einmal 30 Sekunden in der Woche. Das ist unzureichend.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt ansprechen, der uns ebenfalls sehr, sehr wichtig ist. Ich meine die Integration oder, besser gesagt, die Inklusion von Kindern mit Behinderung in das Regelschulwesen. Was derzeit betroffene Eltern erleben müssen, ist schlichtweg unzumutbar. So kommt es einem Hindernislauf mit sehr hohen Hürden gleich, wenn Eltern ihre Kinder in einen integrativen Schulentwicklungsprozess geben wollen. Das ist nicht länger hinnehmbar.

Sie sehen also, meine Damen und Herren: Baden-Württemberg hat im Bildungsbereich einen riesigen Reformbedarf. Die bisherige Regierung ist leider nicht in der Lage, diesen Reformbedarf abzubauen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Das Wort erhält Herr Abg. Wacker.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie Kollege Zeller schon angesprochen hat, haben wir aufgrund einer gemeinsamen Initiative fünf Anhörungen zu zentralen bildungspolitischen Themenfeldern durchgeführt. Auch ich bin allen Fraktionen sehr

dankbar – der SPD, der FDP/DVP und den Grünen –, dass wir unkompliziert und auch kollegial die Themenfelder definiert haben, gemeinsam Fragen gestellt haben und uns auch sehr schnell auf eine Vielzahl von Experten verständigen konnten.

Ich sehe in dieser Debatte heute das Ziel, dass wir aus diesen Anhörungen Bewertungen und auch Schlussfolgerungen ziehen. Wir sollten auch resümieren, was in dieser Legislaturperiode und seit dem Jahr 2001 hier in Baden-Württemberg entwickelt und umgesetzt wurde.

Erster Schwerpunkt: Vorschulische Bildung. Alle Experten, besonders die Wissenschaftler, haben uns aus der Seele gesprochen. Gehirnforscher Dr. Spitzer belegte eindrucksvoll, dass die Sprachgrundlagen, auch für das Beherrschen der Grammatik, vor dem fünften Lebensjahr gelegt werden. Beim Schuleintritt ist diese Entwicklung bereits abgeschlossen. Professor Fthenakis – ich denke, bis dahin sind wir uns auch alle einig – sagte es noch deutlicher. Er sagte, dass Sprachförderung kurz nach der Geburt ansetzt und dass hier auf die Familie eine besondere Verantwortung zukommt. Wenn man das Thema Leseförderung anspricht – das hat die PISA-Studie auch eindrucksvoll belegt –, ist ganz klar, dass gerade die Leseförderung, das Vorlesen, der Umgang mit dem Buch und mit Bildern bereits im Elternhaus beginnen muss. Wenn im Elternhaus dieser Bereich in den ersten Lebensjahren eines Kindes vernachlässigt wird, kann das schwerlich im Kindergarten, auch nicht durch einen Orientierungsplan, oder gar durch die Grundschule wettgemacht werden.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje, Herr Kollege!)

Meine Damen und Herren, wir kommen nicht darum herum, die besondere Verantwortung des Elternhauses in der Bildungspolitik zu thematisieren, vor allem, wenn wir über die frühkindliche Bildung sprechen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Zeller SPD: Die Frage ist, was Sie mit denen machen, die es nicht leisten können!)

Deswegen ist es auch wichtig, dass wir bei jeder öffentlichen Maßnahme die Familien systematisch einbinden. Ich bin der Landesregierung für wegweisende Entscheidungen und Maßnahmen dankbar, die in dieser Legislaturperiode eingeleitet und umgesetzt wurden.

Die Sprachförderung der Landesstiftung greift. 20 000 Kinder konnten seit dem Jahr 2003 gezielt in Sprachfördergruppen erreicht werden. Deswegen hat sich das Kuratorium der Landesstiftung darauf verständigt, diese Maßnahme auszubauen und fortzusetzen. Für das neue Kindergartenjahr liegen 535 Anträge vor. Wir haben im Haushalt 2005/ 06 den Bereich der ehrenamtlichen Sprachförderung ausgebaut, die so genannten HSL-Maßnahmen, und wir haben, meine Damen und Herren, in dieser Legislaturperiode in einem wichtigen Schritt die Kooperation zwischen dem Kindergarten und der Grundschule systematisch entwickelt, indem eine verbindliche Verwaltungsvorschrift erlassen wurde. Seit dem Jahr 2002 ist es für die Kindergärten und Grundschulen Pflicht, gemeinsame Jahrespläne zu entwickeln und den gemeinsamen Austausch auf der Basis der Erfahrungen sowohl der Erzieherinnen als auch der Grund

schullehrkräfte zu entwickeln und auszubauen. Darüber hinaus haben Kooperationsbeauftragte auf der früheren Ebene der Oberschulämter, jetzt auf der Ebene der Regierungspräsidien, die Aufgabe, diesen Bereich systematisch zu begleiten und zu unterstützen.

Einen weiteren wichtigen Punkt haben wir vorangebracht: die Novellierung der Erzieherinnenausbildung. Das erste Ziel der Erzieherinnenausbildung ist es, den Beruf der Erzieherin attraktiver zu machen.

Meine Damen und Herren, der Orientierungsplan für Kindergärten ist zukunftweisend. Deswegen ist es auch vollkommen richtig, wie dies übrigens auch alle anderen Bundesländer getan haben, neue Maßnahmen zunächst einmal zu erproben. Kein Bundesland – damit nehme ich Bezug auf die Debatte von heute Morgen – hat in einem Ad-hocVerfahren einen solchen Orientierungsplan umgesetzt.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Das ist falsch!)

Neue pädagogische Maßnahmen müssen zunächst erprobt werden. Frau Wonnay, man muss die Qualität eines Orientierungsplans hinterfragen, wenn man meint, einen solchen im Hauruck-Verfahren durchführen zu müssen.

Unser Orientierungsplan ist zukunftweisend und innovativ. Das Kind wird in seiner Ganzheitlichkeit gesehen. Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und aus vielen anderen relevanten Bereichen haben die Aspekte der Frühpädagogik, der Sozialpädagogik, der Schulpädagogik, der Entwicklungspsychologie, der Gehirnforschung und der Theologie – was auch beim Thema Werteerziehung wichtig ist und was gerade die kirchlichen Träger der Kindergärten betrifft – einbezogen. Deswegen hat unser Orientierungsplan hohe Anerkennung in Fachkreisen, und er genießt auch über die Ländergrenzen hinweg hohe Anerkennung.

Meine Damen und Herren, Orientierungspläne gibt es in ganz Deutschland. Das ist richtig. Orientierungspläne wurden vor einigen Jahren in anderen Bundesländern zuerst eingeführt. Auch das ist richtig. Wenn Sie unseren Orientierungsplan mit den Orientierungsplänen anderer Bundesländer vergleichen, stellen Sie fest, dass wir in Baden-Württemberg jetzt das umsetzen, was die Expertinnen und Experten bei der Anhörung zu dem Thema „Frühkindliche Bildung“ unisono eingefordert haben, nämlich dass Bildungsziele verbindlich definiert werden. Es reicht also nicht, den Erzieherinnen lediglich eine Handreichung an die Hand zu geben, sondern es müssen Verbindlichkeiten geregelt werden, in deren Rahmen die Kindergärten und die Erzieherinnen die Aufgabe haben, Dokumentationen zu erstellen in Verbindung mit zwei verpflichtenden Elterngesprächen pro Jahr. Und was ganz entscheidend ist: Durch diesen frühkindlichen Orientierungsplan wird ein nahtloser Übergang vom Kindergarten zur Grundschule gewährleistet. Lernziele des Kindergartens knüpfen unmittelbar an die Bildungspläne der Grundschule an.

Hier beziehe ich mich noch einmal auf die Expertenaussagen in unseren gemeinsamen Anhörungen. Dort wurde von allen Experten gefordert: Grundschule und Kindergarten sollen als pädagogische Einheit begriffen werden, und ein Bruch muss vermieden werden. Genau dies, meine Da

men und Herren, vollziehen wir mit unserem Orientierungsplan. Deswegen ist er nicht nur notwendig, sondern auch innovativ, fortschrittlich, ausgesprochen erfolgreich und hoch qualitativ, meine Damen und Herren. Deswegen ist dieser Orientierungsplan auch Modell für ganz Deutschland.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Insofern ist es wichtig, dass unser Ministerpräsident auf dem Verhandlungswege mit den kommunalen Landesverbänden eine gemeinsame Finanzierung von 20 Millionen € für den Fortbildungsbereich erzielt hat.

Fazit: Seit dem 4. Juli 2003, an dem wir diese Anhörung durchgeführt haben, hat sich auf diesem Gebiet eine ganze Menge in unserem Land getan.

Stichwort Grundschule: Eines dürfen wir nicht vergessen – ich bin Kollegin Rastätter dankbar, dass zumindest sie das deutlich angesprochen hat; beim Kollegen Zeller habe ich das etwas vermisst –: Die IGLU-Studie hat unseren Grundschulen ein außerordentlich hohes Niveau bescheinigt.

(Abg. Zeller SPD: Das habe ich doch gesagt! – Ge- genruf der Abg. Carla Bregenzer SPD: Da hat er nicht zugehört!)

Entschuldigung, dann habe ich einmal nicht aufgepasst, Herr Kollege Zeller.

(Abg. Zeller SPD: Das habe ich sogar deutlich ge- sagt! Das ist auch eine Begründung, weshalb Kin- der länger zusammen lernen sollten! – Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Ich komme noch darauf. Ich komme auf die von Ihnen geforderten längeren gemeinsamen Lernzeiten zurück.