Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Es ist so, dass ich – das sei den Kollegen der SPD und der Grünen gesagt, bevor sie nachher wieder meine ungeheure Fähigkeit des Kurvenfahrens bewundern –,

(Heiterkeit)

verehrte Frau Kollegin, gar nicht weiß, warum ausgerechnet Sie in einer solchen Situation so mächtig auf die eleganten Kurven hinweisen. Sie werden in den nächsten vier Jahren an einer Vielzahl von Stellen erleben, was in einer Koalition einfach gang und gäbe ist, nämlich dass man auf einen Koalitionspartner Rücksicht nimmt, zumal dann, sage ich Ihnen, wenn er noch ein bisschen größer ist. So ist es jetzt auch in diesem Fall.

Es ist doch gar keine Frage, dass wir vom Inhalt her eine sinnvolle und humanitäre Altfallregelung haben wollen und diese schon lange anmahnen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Das ist so. Die Debatten hier haben wir ja mehrfach geführt. Ich habe gerade auch aus den berechtigterweise angeführten Gründen in Bezug auf kleine und mittlere Unternehmen – die sagen: „Jetzt sind die bei mir, und jetzt wird mir der beste Mann genommen,

(Abg. Drexler SPD: Weggenommen!)

der sich hier anstrengt, der sich integriert, der sich darum bemüht, ein wertvolles Mitglied dieser Gesellschaft zu werden“ – gesagt, dass es ein unerträglicher Zustand ist, dass der hier eine Unsicherheit hat. Das ist gar keine Frage.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Es ist unerträglich und auch ein unwürdiger Zustand, Kettenduldungen zu haben und jedes Mal denken zu müssen: „Darf ich noch einmal bleiben? Hilft es noch einmal darüber hinaus?“ Wir alle wissen aus den Bürgersprechstunden und den Petitionen, was das vor allem für Familien bedeutet, wenn jedes Mal das Damoklesschwert der Ausweisung darüber hängt. Das ist doch gar keine Frage.

Versetzen Sie sich jetzt aber auch in die Lage des Innenministers, der in acht Tagen nicht nur Gastgeber der Innenministerkonferenz, sondern auch deren Vorsitzender ist.

(Abg. Zeller SPD: Jetzt soll er einmal christlich sein!)

Dass der – Pardon! – acht Tage davor nicht mit einem Beschluss seines Landtags gebunden werden will,

(Abg. Birzele SPD: Doch!)

ist geradezu verständlich und nachvollziehbar.

(Zurufe von der SPD und den Grünen: Nein!)

Doch, das ist es. Selbstverständlich. – Das würden Sie an seiner Stelle nicht anders machen, und das haben Ministerkollegen von Ihnen auch nicht anders gemacht, meine Damen und Herren, denn sie haben sich auch nicht binden lassen wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Deswegen ist doch klar – das wird der Innenminister mitnehmen –, dass er sagt, er kenne die Meinung, die in Ihren beiden Anträgen zum Ausdruck kommt. Er kennt auch die Meinung der FDP/DVP-Fraktion, die in diesem Land mit der CDU die Regierung bildet. Und er wird unsere Bitte und Erwartung mitnehmen, dass es zu einer Altfallregelung kommen sollte. Aber man muss das andere auch noch sehen. Das wissen Sie besser als ich.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abg. Dr. Döring, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. Jetzt bin ich gerade wieder einmal am Reden, jetzt kommen Sie wieder mit einer Unterbrechung daher. Sapperlot!

(Abg. Drexler SPD: Jetzt ist er gerade so schön in Fahrt, so schön in der Kurve!)

Ich bin gerade wieder schwer in der Kurve. Deswegen dürfen Sie mich da nicht rausbringen.

Genau in einer Zeit, in der Sie wissen, dass es aus verschiedenen Ländern bis zum 8./9. Dezember noch eine ganze Reihe von Entscheidungen und Vorschlägen als Diskussionsgrundlagen gibt, sollten wir hier hergehen und sagen: „Innenminister, Vorsitzender der Bundesinnenministerkonferenz, verfahre so und nicht anders“? Das ist auch politisch unsinnig und falsch.

Gerade auch aus dieser Einsicht heraus hat der vorhin zitierte Kollege Wolf aus Nordrhein-Westfalen seinen Vorschlag, den er eingebracht hatte, zurückgezogen und gesagt:

Wir werden auf der Innenministerkonferenz alle Anträge und Vorschläge, die vorliegen, sichten, werten und dann zu einer guten Lösung kommen. Genau das ist der richtige Weg, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Drexler SPD: Neben dem Thema Kurvenfahren gibt es auch das Thema Geisterfahrer!)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Rech.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen! Lassen Sie mich in aller Offenheit sagen: Ich bin zunächst dem Kollegen Döring dankbar für seine klare Aussage. Ein Anwalt in eigener Sache ist nicht der optimale Anwalt. Deswegen bin ich dankbar, dass es ein anderer gesagt hat.

Herr Kollege Döring, es ist in der Tat so, dass wir es hier mit einer schwierigen Frage zu tun haben, die Besonnenheit, Humanität und Fingerspitzengefühl erfordert und die es eigentlich nicht zulässt, dass in einem breit gefächerten Meinungsbild einer acht Tage vor der Sitzung als Sieger hervorgeht. Dies verträgt die Thematik nicht; das müssen wir sachlicher und behutsamer angehen.

Sie wissen, dass in der nächsten Woche die Innenministerkonferenz stattfindet, und dort steht das Thema Altfallbzw. Bleiberechtsregelung auf der Tagesordnung. Es gibt in der Tat Vorschläge der Länderkollegen von NordrheinWestfalen, Hessen und – zum wiederholten Male – auch von Berlin, und es wäre voreilig, wenn ich mich heute hinsichtlich einer Altfallregelung definitiv festlegen würde oder festlegen lassen müsste.

(Abg. Junginger SPD: Aber in welche Richtung geht das denn?)

Jetzt rede ich gerade einmal eine Minute lang; so viel Geduld werden Sie noch haben. – Voreilig wäre das deshalb, weil wir das Thema und natürlich vor allem die Argumente pro und kontra sehr ausführlich erörtern wollen.

Ich will Ihnen aber selbstverständlich zunächst einmal meine Sicht der Dinge, wie sie sich mir heute darstellen, erläutern, die auch mit dem IMK-Beschluss, wie er seither Bestand hat, übereinstimmt.

Es kommt mir sehr darauf an, dass wir einen umfassenden Überblick über das aktuelle Meinungsbild der Länderkollegen erhalten. Danach können wir die vorgetragenen Begründungen und Bewertungen mit einbeziehen und Folgerungen ziehen, wenn diese notwendig werden.

Ich muss auch fairerweise die Position des Bundesinnenministers mit einbeziehen. Die kennen wir bislang nicht, und wir können sie ja auch noch gar nicht kennen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP zu Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Für den seid ihr doch zuständig! – Ge- genruf des Abg. Zimmermann CDU: Jetzt nicht mehr!)

Meine Damen und Herren, eine Altfallregelung bedarf des Einvernehmens des Bundesinnenministers. Schon wegen

der notwendigen Wahrung der Bundeseinheitlichkeit brauchen wir sein Einvernehmen. Übrigens ist dazu auch im Koalitionsvertrag der großen Koalition etwas gesagt.

Wir werden das Thema auf der Innenministerkonferenz also sehr verantwortungsbewusst beraten, und es ist allen Länderkollegen und auch mir sehr wohl klar, dass es hier ganz konkret um das Schicksal von Menschen geht, die sich schon längere Zeit in Deutschland aufhalten und deren Kinder teilweise hier aufgewachsen oder gar hier geboren sind. Die menschlich teilweise ungeheuer schwierige Situation der Betroffenen ist mir bekannt; sie begegnet mir in meiner Arbeit nahezu täglich. Gerade die Situation der Betroffenen ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, der bei der Entscheidung über ein Ob einer Altfallregelung in die Abwägung einzubeziehen ist.

Aber es gibt noch weitere relevante Gesichtspunkte, die natürlich ebenfalls abgewogen werden müssen. Deswegen ist die Entscheidung auch so schwierig. Es ist einfach eine zu einseitige Sicht, wenn in der Begründung des SPD-Antrags die Rede davon ist, bei der letzten Innenministerkonferenz in Stuttgart sei eine Altfallregelung „aus nicht nachvollziehbaren Gründen“ von der Mehrheit der Innenminister der Länder abgelehnt worden. Meine Damen und Herren, kann man etwa minderjährigen Kindern ein Bleiberecht geben und zur Frage des Aufenthalts ihrer Eltern gar nichts sagen? Das geht doch nicht. Genau das stand zur Debatte.

Ich will Ihnen aber darüber hinaus einige Gründe nennen, die bei allem Verständnis für die menschliche Situation bei der Frage, ob es eine Altfallregelung geben soll, nicht einfach vom Tisch gewischt werden und unberücksichtigt bleiben können. Wir wollen zunächst einmal festhalten:

Erstens: Altfall- und Bleiberechtsregelungen betreffen ausreisepflichtige Ausländer, zumeist abgelehnte Asylbewerber. Es geht also um Personen, die sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Altfallregelungen sind im Endeffekt das Gegenteil einer Zuwanderungssteuerung oder einer Zuwanderungsbegrenzung. Quasi belohnt werden nämlich diejenigen, die es verstanden haben, durch ihr Verhalten – teilweise durch ein gesetzwidriges Verhalten – ihre Ausreisepflicht zum Teil über Jahre hinweg zu unterlaufen.

Zweitens: Altfallregelungen nähren bei ausreisepflichtigen Ausländern die Hoffnung, ein jahrelanger, sogar nicht rechtmäßiger Aufenthalt bei uns führe letztlich doch noch zu einem Aufenthaltsrecht. Dadurch werden ganz zwangsläufig andere animiert, ihrer Ausreisepflicht ebenfalls nicht nachzukommen – ganz zu schweigen von der Anreizwirkung auf Asylbewerber, illegal einzureisen und auf die nächste Legalisierungsaktion zu hoffen.

Drittens: Mit Altfallregelungen wird bei Personen, die sich nicht rechtmäßig im Land aufhalten, auf die Einhaltung des ansonsten, für alle anderen geltenden Rechts für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern verzichtet. Man könnte also, wenn man an dieser Stelle polemisieren wollte, sagen: Die Dummen bei einer solchen Aktion sind am Ende die Rechtstreuen, nämlich diejenigen, die ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht schon nachgekommen sind.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

(Minister Rech)

Von den Befürwortern einer Altfallregelung wird inzwischen sehr stark auf das Schicksal der minderjährigen Kinder abgehoben, die hier aufgewachsen und zum Teil hier geboren sind. Sie dürfen nicht – das ist richtig – für das Verhalten ihrer Eltern bestraft werden.

Meine Damen und Herren, es ist überhaupt nicht zu bezweifeln, dass gerade das Schicksal der Kinder eine zentrale Frage hinsichtlich des Ob einer Altfallregelung ist. Vielen von ihnen, die schon lange bei uns sind, wird es nicht leicht fallen, sich in der Heimat ihrer Eltern überhaupt noch zurechtzufinden. Wer aber den Kindern ein Bleiberecht einräumen will, muss sich der Konsequenz bewusst sein, dass dann auch die Eltern hier bleiben.