Wir haben am Dienstag dieser Woche von der EU-Kommission den Bericht zur Erweiterung vorgelegt bekommen. Zehn der insgesamt dreizehn Länder, denen die Mitgliedschaft grundsätzlich zugesagt wurde, wollen ihre Beitrittsverhandlungen bereits bis Ende 2002 erfolgreich abschließen. So die Meinung der Kommission in dieser Woche. Bei den Verhandlungen ging es natürlich auch um die Fortführung des EU-Reformprozesses, der in Nizza besprochen wurde. Dort haben ja Baden-Württemberg und RheinlandPfalz die Länderinteressen vertreten und mitgewirkt.
Aus europapolitischer Sicht und aus der Sicht des Berichts begann das Jahr 2000 mit einer Krise und endete mit einer solchen; denn die Sanktionen gegen die FPÖ führten in Europa fast zu einer Zerreißprobe. Was da geliefert wurde, war, denke ich, auch kein Meisterstück.
Bis 2004 geht es nun um den Reformprozess, und da werden wichtige Schritte fortgeführt, mit denen in Nizza begonnen wurde. Beachtliche Fortschritte bestätigt der Bericht der so genannten GASP, der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik. Gerade in den heutigen Tagen, in denen wir viel über die dramatischen Ereignisse der letzten Monate und über die Terroranschläge in den USA sprechen, haben, denke ich, die Koordinaten auch aus europapolitischer Sicht die Politik verändert. Denn bisher haben – auch in diesen Tagen – nur die Nationalstaaten gesprochen; aber es hat nicht d a s Europa gesprochen.
Vor diesem Hintergrund, denke ich, wird es nötig sein, sich an die Gründer zu erinnern. Europa war immer eine Friedensgemeinschaft – deshalb wurde Europa gegründet –, und Europa ist mehr als eine Wirtschafts- und mehr als eine Interessengemeinschaft. Es ist eine Friedens- und damit auch eine Schicksalsgemeinschaft, und dem wird in den nächsten Jahren sicher Rechnung zu tragen sein.
Es ist daher zu begrüßen, dass sich der Europäische Rat in Nizza auf eine eingehende Debatte über die Zukunft der Europäischen Union geeinigt hat. Vor allem begrüßen wir den Auftrag des Gipfels, in der nächsten Regierungskonferenz eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten vorzunehmen.
Europa muss sich mit der Frage befassen, wohin die weitere Reise gehen soll. Was sind angesichts der gewandelten Verhältnisse unsere Interessen? Erweiterung der EU und Vertiefung der Integration – ist das vereinbar?
Wer macht vor allem was in Europa? Das sind die Zukunftsfragen Europas, mit denen sich die nächste Konferenz beschäftigen muss, und der Bericht weist auch auf das Jahr 2004 hin.
Diese wichtigen Herausforderungen werden sein: Osterweiterung, Globalisierung, aber auch innere und äußere Si
cherheit, der Verfassungskonvent. Für uns im Land werden die Interessen des Föderalismus und auch die Frage der Rückübertragung von Kompetenzen auf die Länder hierbei beachtet und berücksichtigt werden müssen.
Wir stehen sicherlich in einer Zeit der großen Herausforderungen in Europa, gerade was die Erweiterungsdiskussion angeht. Eine erweiterte EU wird nur funktionieren, wenn sie sich auf die Aufgaben konzentriert, die zwingend gemeinschaftlich erledigt werden müssen.
Das ist auch die Antwort auf die Frage, wie Vertiefung der Integration und Erweiterung zusammenpassen: Konzentration auf die europäischen Kernaufgaben, im Übrigen auch Rückübertragung von Kompetenzen auf die Mitgliedsstaaten und Länder. Der Aufgabenbestand in einer EU der 30 kann nicht derselbe sein wie in einer Europäischen Union von 6 oder 15 Mitgliedsstaaten.
Das leitet über zu den Kernfragen, bei denen man gezwungen ist, gemeinsam zu handeln. Dazu gehören auch die innere und äußere Sicherheit. Daher muss in der EU die Zusammenarbeit der Polizeibehörden weiter verstärkt werden, um die innere Sicherheit auch in diesen Bereichen gewährleisten zu können. Ich nenne hier das Stichwort Europol, wo die Zusammenarbeit ja auch nach dem Wunsch der Landesregierung erweitert und verbessert werden soll.
Notwendig ist ferner, die Kompetenzverteilung auf der Grundlage vor allem des Subsidiaritätsprinzips zu betrachten. Die kommende Konferenz darf sich nicht nur auf eine bloße Kompetenzabgrenzung im Sinne einer Festschreibung und Verewigung der bestehenden Zuständigkeiten beschränken, sondern muss vielmehr den europäischen Aufgabenbestand kritisch sichten und durchforsten. Dabei kann es im Einzelfall sowohl zur Übertragung neuer Kompetenzen auf die europäische Ebene als auch zu Rückübertragungen auf die nationale oder Länderebene kommen, wenn sich herausstellt, dass ein europäisches Handeln in einem bestimmten Punkt nicht wirklich angezeigt ist.
Bei diesem Thema denke ich auch: Die Länder sind die zuständige Ebene, bei der gerade in einer Zeit der Globalisierung Nähe, Heimat und Übersichtlichkeit noch gegeben sind. Wir als Landesparlamentarier sollten gerade auch im Bereich des Europas der Regionen darauf achten, dass Zuständigkeiten eben nicht nur nach oben, sondern im Rahmen der Föderalismusdiskussion dort, wo es möglich ist und wo wir nach dem Gedanken des Subsidiaritätsprinzips, weil wir näher dran sind, besser geeignet sind, auch wieder nach unten zurückverlagert werden.
Ein weiteres Stichwort: „Europa der Bürger“ und nicht nur der „politischen Elite“. Es wird eine weitere Herausforderung sein, Europa den Bürgern wieder nahe zu bringen. Vor diesem Hintergrund sind gerade Bildung und Forschung wichtige Bereiche. Hierzu wird die Frau Kollegin Dr. Stolz nachher ausführlich Stellung nehmen.
Wichtig ist, dass wir im Rahmen der Diskussion die zukünftigen Kompetenzen diskutieren und bei der Verfassung unsere Interessen auch berücksichtigt sehen.
Abschließend möchte ich den Minister und die Landesregierung, die in einem guten Zehnpunkteprogramm Stellung zu Europa genommen hat, auffordern, die Beteiligung der Landesparlamente am Konvent zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 2004 sicherzustellen, damit wir auch dort Gehör finden. Denn in einer gerade jetzt spannenden Zeit in der Politik passt eigentlich das, was Franz Josef Strauß einmal gesagt hat:
der Erzengel des Friedens „Nie wieder Krieg!“ und der Erzengel der Freiheit „Nie wieder Knechtschaft!“
Darum geht es, wenn wir uns über Europa unterhalten, dass wir uns immer wieder auch auf diese Kernaufgaben besinnen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich teile die Auffassung des Kollegen Reinhart, dass der Bericht der Landesregierung über die Europapolitik außerordentlich umfangreich ist.
wissen – wie ich – jetzt, dass sich die Franzosen mit 5 Millionen DM am Bau einer Fischtreppe in Iffezheim beteiligt haben, und kennen den imposanten Betrag von immerhin 900 Millionen DM pro Jahr, der als Subventionen über die EU-Zahlstelle im Landwirtschaftsministerium verteilt wird – eine denkwürdige Zahl.
Wer sich aber die Mühe gemacht hat, die politische Linie der Landesregierung in den Kernfragen der europäischen Zukunft aus diesem Bericht erkennen zu wollen, hat dann doch etwas Schwierigkeiten bekommen, Herr Minister Palmer. Ich zitiere wörtlich aus Ihrem Bericht:
So ist es zwar richtig, dass die Union mehr Mehrheitsentscheidungen braucht, um handlungsfähig zu bleiben; allerdings nur dort, wo solche mit Demokratisierung einhergehen und von den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten auch als legitim angesehen werden. Für wichtigere Bereiche wie beispielsweise das Steuerrecht war die Zeit dafür offensichtlich noch nicht reif. Es drängt sich der Eindruck auf, dass viele Regierungen nicht bereit waren, sich auf unberechenbare zukünftige
Sie beschreiben irgendeine Wirklichkeit, aber ich kann daraus nicht erkennen, was Sie eigentlich wollen. Ich konnte es aus Ihren Ausführungen andeutungsweise erahnen, würde ich einmal sagen, und will Ihnen in diesem Zusammenhang jetzt einfach ein Angebot machen.
(Abg. Theurer FDP/DVP: Dass Sie es erklären! – Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ein keusches oder ein unkeusches?)
Nein, ein politisches Angebot. – Schauen Sie, es ist eindeutig so – das lehren die Ereignisse nach dem 11. September 2001 –, dass die Risiken und die Defizite der Europäischen Union jetzt genauso grell offen gelegt sind wie die großen Chancen, die darin liegen. In der Tat wird sich in kurzer Zeit entscheiden, ob Europa von den Menschen als etwas begriffen werden kann, was ihnen in dieser Welt Sicherheit gibt, oder ob es weiterhin als eine subventionierende Wirrnis begriffen wird. Das wird sich jetzt sehr kurzfristig entscheiden, und daran wird – auch für die Zukunft unseres Landes – unglaublich viel hängen.
Deswegen: Falls Sie dies angedeutet haben sollten – ich versuche einmal, es positiv zu verstehen –, dann geht es jetzt darum, dass die Europäische Union große Fortschritte hin zu einer Entwicklung zu einem echten Bundesstaat macht. Nur wenn uns das gelingt, wird der Prozess der Osterweiterung überhaupt funktionieren. Wenn wir eine Erweiterung machen, ohne dass es entscheidende Fortschritte hin zu einem Bundesstaat gibt, wird die Sache unbeherrschbar werden.
Ich nenne Ihnen die zweite Konsequenz: Wir werden bei dieser Entwicklung hin zu einem europäischen Bundesstaat nicht darauf warten können, bis auch noch die letzten Mitglieder der Europäischen Union das begriffen haben. Wenn wir also beispielsweise warten, bis auch Ihre konservativen Parteifreunde in Großbritannien das begriffen haben, wird es mit Sicherheit zu spät sein.
Deswegen haben die französische Regierung und auch die deutsche Regierung zu einem sehr frühen Zeitpunkt davon gesprochen, dass man möglicherweise in einem unterschiedlichen Tempo der Vereinigung vorgehen muss, und das ist in Nizza auch so festgelegt worden. Der Vertrag von Nizza eröffnet ausdrücklich die Möglichkeit, dass einzelne Staaten der Europäischen Union in eine vertiefte Beziehung eintreten, das heißt, diese Schritte hin zu einem Bundesstaat sehr viel schneller gehen als andere. Für die Länder der Eurozone, die demnächst eine gemeinsame Währung haben werden und die mit den Ländern des Schengener Abkommens auch nahezu identisch sind, bietet sich das an.
Nur muss man dann in Deutschland auch wirklich einmal sehr offen über die Konsequenzen reden, die das hat. Wir
sind entschieden für eine wirklich gemeinsame, einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.
Das bedeutet in der Konsequenz auch einen sehr raschen Aufbau europäischer Streitkräfte. Ich spreche das sehr offen aus. Wir werden auf dem bevorstehenden Bundesparteitag der SPD über einen Antrag befinden, mit dem wir fordern, dass es in ganz Europa eine gemeinsame Grenzpolizei der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geben soll und nicht mehr Grenzpolizeien der Nationalstaaten.
Die Fragen der Migration, mit denen wir es zu tun haben, werden nicht mehr auf der Ebene der Nationalstaaten gelöst werden können; sie können nur auf der europäischen Ebene gelöst werden.
Wir brauchen einheitliche Mindeststandards im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts – das sage ich als Sozialdemokrat –,