Die vom Grundgesetz vorgeschriebene Werteneutralität verpflichtet uns hierzu. Dafür sind die Kirchen bzw. die anerkannten Religionsgemeinschaften zuständig.
Sie unterliegen allerdings der großen Herausforderung, dieses hochinteressante Fach auch für junge Menschen interessant und attraktiv zu gestalten.
An dieser Stelle fragen Sie zu Recht, was mit den jungen Menschen geschieht, die aus Glaubens- oder aus anderen persönlichen Gründen nicht am Religionsunterricht teilnehmen wollen. Auch hierfür haben wir einen klaren Verfassungsauftrag, den wir erfüllen. Niemand kann zum Religionsunterricht gezwungen werden. Wenn man nicht am Religionsunterricht teilnimmt, ist man verpflichtet, ab Klasse 8 Ethik als ordentliches Unterrichtsfach zu besuchen.
Die eben gemachten grundsätzlichen Ausführungen waren notwendig, meine Damen und Herren, um hervorzuheben, dass das Grundgesetz und die Landesverfassung dem Schulfach Religion einen ganz besonderen Stellenwert verleihen. Was die Verfassung hervorhebt, ist nicht beliebig wählbar, austauschbar oder gar abwählbar.
Auch das in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 1998, Frau Kollegin Rastätter, beanstandet die bisherige Vorgehensweise des Landes Baden-Württemberg mit dem ordentlichen Lehrfach Religion und dem Ersatzfach Ethik keineswegs. Sie stellen etwas Richtiges fest, wenn Sie sagen, dass es dem Land Baden-Württemberg unbenommen sei, Ethik mit Religion als Wahlfach gleichzustellen. Das ist im Bundesverwaltungsgerichtsurteil enthalten. Darauf nehmen Sie zu Recht ausdrücklich Bezug.
Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Gleichzeitig hat das Bundesverwaltungsgericht klar gesagt, dass § 100 a des Schulgesetzes, in dem der Religionsunterricht prioritär behandelt wird, nicht zu beanstanden ist. Das ist die vollständige Wahrheit. Insofern unterstreicht es das, was ich zu Beginn meiner Ausführungen über den Religionsunterricht gesagt habe.
Der Gesetzentwurf der Grünen ist weiter mit Skepsis zu betrachten. Er will die eben beschriebenen Prioritäten verschieben, indem der Ethikunterricht als bekenntnisfreier Werteunterricht ab Klasse 1 gleichrangig neben Religion eingeführt werden soll. Ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie den Religionsunterricht so, wie in Niedersachsen oder in Brandenburg vorgesehen gänzlich aus der Schule verbannen wollen.
Das wäre ungerecht. Aber wenn Sie Ethik mit Religion gleichstellen, schwächen Sie den Stellenwert und das Ansehen dieses Faches gerade bei unseren Kindern.
Noch eine Bemerkung am Rande, meine Damen und Herren: Überbewerten Sie nicht die Fähigkeit der sechs- bzw. siebenjährigen Erst- und Zweitklässler zur eigenständigen Entscheidung. Es werden doch nicht die Kinder sein, die sich entscheiden, ob sie den Religionsunterricht oder den Ethikunterricht besuchen sollen. Es sind natürlich die Eltern, die nach ihrem Gewissen entscheiden,
welcher Unterricht nun besucht werden soll. Eine solche Unterhöhlung des Religionsunterrichts wäre nach unserer Auffassung außerdem verfassungsrechtlich höchst bedenklich.
Ihr Gesetzentwurf weist eine weitere Schwachstelle auf: Sie wollen für Ihr Vorhaben Sie haben es gerade betont zu Beginn des nächsten Schuljahres möglichst schnell pro Jahr 100 zusätzliche Deputate schaffen,
um diesen Ethikunterricht ab Klasse 1 zu gewährleisten. Insgesamt sollen also bis zum Jahr 2006 400 Neustellen für diesen Bereich vorgesehen werden. Diese Deputate fehlen dann in der Unterrichtsgrundversorgung. Das muss man vollständig in die Rechnung einbeziehen.
Sie wissen, dass wir die beschlossenen 5 500 zusätzlichen Deputate ausschließlich dafür benötigen, die Unterrichtsversorgung bis zum Jahr 2006 zu sichern.
Weniger Stellen für diesen Bereich würde bedeuten, dass die Stundentafel für die Abdeckung des Pflichtunterrichts nicht gesichert wäre. In diesem Haus wird aber auch von
Ihnen betont, dass die Gewährleistung des Pflichtunterrichts höchste Priorität hat und dafür auch die zusätzlichen Lehrerstellen vorgesehen sind.
Ich möchte allerdings nicht nur über Dissenspunkte sprechen. Sie haben einiges Richtige angesprochen, Frau Kollegin Rastätter, zum Beispiel dass natürlich eine gemeinsame Verantwortung für den Religionsunterricht und den Ethikunterricht vorliegt.
Die Werteerziehung darf nicht nur auf den Religionsunterricht beschränkt bleiben. Auch der Ethikunterricht hat dafür einen besonderen Stellenwert, und eigentlich müssen alle Unterrichtsfächer hierfür einen Platz haben. Deshalb fokussieren wir bitte schön diese Debatte nicht auf den Bereich des Religions- und des Ethikunterrichts.
Dieser Bereich ist vielmehr ein Gesamtverantwortungsbereich der Pädagogik und Methodik an unseren Schulen. Deswegen ist Werteerziehung Bestandteil der Bildungspolitik im Allgemeinen.
So äußerte sich kürzlich eine Lehrerin anlässlich einer Diskussion um die Einführung des Ethikunterrichts an bayerischen Grundschulen. Damit wäre das Problem, um das es hier geht, zwar mit einem ziemlich sarkastischen Unterton, aber meines Erachtens treffend auf den Punkt gebracht.
und deshalb hatten wir auch kein schulpolitisches und kein bildungspolitisches Problem damit. Aber die Zeiten haben sich geändert. Seit Ende der Sechzigerjahre kann man einen Rückgang kirchlicher Bindungen und Gewohnheiten feststellen bis hin zu einer offensiven und massiven Kritik an den Kirchen. Das gilt nicht nur für die neuen Bundesländer, sondern auch für uns in Baden-Württemberg.
Ich persönlich bedauere diese Form von Säkularisierung, aber sie ist Fakt. Wir müssen diese Entwicklung einfach zur Kenntnis nehmen, und zwar ohne den betreffenden Menschen ethische Grundorientierungen und Wertgebundenheit abzusprechen.
In diesem Zusammenhang stellt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, zu Recht die Frage, ob es gemeinsame Überzeugungen gibt oder ob eine solche Gesellschaft durch die auseinander strebenden Kräfte auf einem Pulverfass sitzt.
Darum geht es: Was hält diese Gesellschaft zusammen? Wo erlebt und lernt man gemeinsame Werte, und zwar als Kompass für den Lebensweg? Wie werden diese Orientierungen der nachfolgenden Generation vermittelt, und zwar nicht nur als reine Worthülsen und nicht nur als einfach schmückendes Beiwerk von Festreden?
Es ist richtig: Die Kirchen helfen bei der Antwort. Der Religionsunterricht hat nicht nur Verfassungsrang,
sondern er hat auch, wie manche meinen, einen so genannten Mehrwert gegenüber neutralen ethischen Vermittlungsformen.
Aber in einer Zeit, in der viele, und zwar nicht nur junge Menschen, Orientierung nicht oder nicht mehr bei den Kirchen suchen, in einem allgemeinen Pluralismus von vielgestaltigen und auch sehr widersprüchlichen Werten braucht es und auch hier zitiere ich wieder Karl Lehmann eine gemeinsam verpflichtende Hinführung zu so etwas wie einer tragfähigen Mitte.
Nichts anderes möchte ein Ethikunterricht, der sich auf die sittlichen Grundsätze des Grundgesetzes und auf die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen bezieht. Ein solcher Ethikunterricht darf nicht einfach nur getarnter Religionsunterricht sein, er muss ein eigenständiges Konzept haben.