Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das war jetzt sehr charmant! Die wird auch noch älter! So jung ist die auch nicht! Zurufe der Abg. Capezzuto SPD und Dr. Noll FDP/DVP)

Das hat 1986 Ihr Arbeitsminister Blüm festgelegt. Blüm hat festgelegt, dass man arbeitslose Ältere zukünftig anders

berechnet. Also, dann haben wir die Kirche vielleicht einmal wieder ein bisschen im Dorf.

Ältere Arbeitnehmer und Pflege: absolut d’accord, wenn es uns gelingt. Das Rottweiler Modell habe ich mit begleitet. Nur: Es gibt da kein Arbeitsmarkthindernis, dass die da reinkommen. Es war die Bundesregierung, die die Zuschussregelungen so geändert hat, dass für einen Arbeitgeber ein Zuschuss zwischen 50 und 100 % gezahlt wird, wenn er einen Arbeitslosen ab 50 Jahren einstellt. Das war die Bundesregierung. Hier im Land ist nichts passiert.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Im Übrigen kann ich Sie nur fragen, wenn wir im IT-Bereich zu viel ausbilden: Wer sitzt denn in den Verwaltungsausschüssen der Arbeitsämter, wo über das gesamte Geld und über die Weiterqualifizierungsmaßnahmen bestimmt wird? Auf Landesebene ist Frau Lichy auch dabei. Überall sind die öffentliche Hand, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften vertreten. Da sind also noch viele, mit denen wir reden können.

(Zurufe von der CDU, u. a. Abg. Alfred Haas: Ar- beitnehmer sind auch noch dabei!)

Gewerkschaften, ja.

(Abg. Dr. Birk CDU: Sie fehlen auch noch, Frau Weckenmann! Unruhe)

Ich bin lange genug im Verwaltungsausschuss gesessen. Ich weiß, wie es da zugeht.

(Abg. Alfred Haas CDU: Sie wissen nicht, wie es zugeht!)

Herr Birk, für manche, die im Verwaltungsausschuss sprechen und hier vielleicht etwas anderes verkünden, wäre es auch einmal besser, bei der Wahrheit zu bleiben.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE Abg. Alfred Haas CDU: Sie haben doch gerade die Unwahrheit gesagt!)

Die Wahrheit in Baden-Württemberg ist leider, dass wir jetzt hehre Worte zum Schicksal älterer Arbeitsloser oder zum Schicksal älterer Arbeitnehmer verkünden. Wir sind uns sicherlich einig, dass man etwas tun wird. Die Wahrheit ist aber auch, dass dieses Land trotz guter Arbeitslosenquote den wichtigsten Teil absolut vernachlässigt und sich nicht darum kümmert. Da sollten Sie vielleicht einmal zuhören. Wir haben in Baden-Württemberg in der Beschäftigung den höchsten Anteil An- und Ungelernter 5 % mehr als im Bundesdurchschnitt. Für die Menschen

(Abg. Alfred Haas CDU: Das glauben Sie ja selber nicht!)

Herr Haas, von Ihnen habe ich noch nie geglaubt, dass Sie eine Statistik lesen können. Jetzt haben Sie mir das bewiesen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben 23 % an- und ungelernte Beschäftigte.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wieso sind Sie eigentlich so rotzfrech?)

2010 haben wir aber nur noch 11 % Arbeitsplätze für diese Beschäftigten.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wieso sind Sie eigentlich so rotzfrech? Lebhafte Zurufe von der SPD Abg. Fischer SPD: Es gibt ein Sprichwort: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus!)

Herr Haas, ich habe immer gedacht, ich sei viel zu brav für hier. Ich danke für die Anerkennung.

Wir haben den höchsten Anteil an an- und ungelernten Beschäftigten, 23 %. Wir haben in acht Jahren wahrscheinlich nur 11 % Arbeitsplätze für diese Menschen. Wir wissen genau, dass all diejenigen, die jetzt aus dem Arbeitsprozess herausfallen, mit 40 bis 45 Jahren auf dem Arbeitsmarkt als alt gelten.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Wenn Sie als Landesregierung irgendwo etwas machen wollen, dann sollten Sie dafür sorgen, dass die Betroffenen dieser Gruppe qualifiziert werden.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Machen wir doch!)

Und was haben Sie gemacht? Nichts, überhaupt nichts. Sie haben ESF-Mittel, damit könnten Sie eine Riesenkampagne starten.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das kommt heute Mit- tag!)

Nein, das kommt jetzt für ältere Arbeitslose. Das sind nämlich die Arbeitslosen, die uns morgen auf der Matte stehen. Sie hätten für die etwas tun können. Sie wissen, dass die EU will, dass ältere Beschäftigte bleiben. Aber dann hätten Sie Komplementärmittel bereitstellen müssen,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es!)

und das haben Sie nicht getan. Lieber verkleckern Sie alles im Land.

(Beifall bei der SPD)

Sie kennen den Arbeitsmarkt, nehmen ihn aber nicht zur Kenntnis. Sie wissen, dass die Menschen in die Arbeitslosigkeit laufen und gegenwärtig keine Chance haben, wieder in eine Arbeit hineinzukommen.

Es gibt noch einen Bereich, in dem Sie auch etwas tun könnten: Ältere bleiben auch dann gerne länger im Arbeitsprozess, wenn sie das Gefühl haben, sie müssten etwas weniger arbeiten, sie könnten reduzieren, sie könnten allmählich andere Gewichtungen entwickeln.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Habe ich doch gerade gesagt! Gegenruf des Abg. Bebber SPD: Sie sol- len nicht sagen, sondern handeln! Zuruf des Abg. Rudolf Hausmann SPD)

Das haben Sie gesagt. Herr Dr. Noll, ich gebe Ihnen da ja Recht. Aber ich frage mich, warum das Land zum Beispiel

den Beamten immer noch die Altersteilzeit verwehrt und sagt: entweder oder!

(Lebhafter Beifall bei der SPD Abg. Zeller SPD: So ist es!)

Und der Rechnungshof für die, die Zeitung lesen sagt: „Entweder oder“ heißt für die Beamten: ganz raus! Wenn Sie also etwas dafür tun wollen, dass ältere Menschen länger in Beschäftigung bleiben, hätten Sie wirklich Möglichkeiten.

Ich höre ja Ihren Kanzlerkandidaten und seine Aussagen zum Kündigungsschutz, und ich höre, was Ihr Fraktionsvorsitzender Merz dazu sagt.

Ich sage Ihnen nur: Wenn Sie mit älteren Menschen sprechen,

(Abg. Hofer FDP/DVP: Wir sprechen mit den Menschen!)

die in Betrieben sind und von Umstrukturierungen und Rationalisierungen bedroht sind, die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust haben, müssen Sie feststellen: Sie helfen denen nicht, wenn Sie ihnen klar sagen, sie würden ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld auch noch zur Hälfte verlieren. Arbeiten Sie also nicht mit Drohungen! Abbau von Schutzrechten führt zu keiner Einstellung älterer Arbeitsloser.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Sie haben das probiert, und die Arbeitslosenzahlen sind in Ihrer Ära gewachsen.

(Lebhafte Zurufe von der CDU, u. a. der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch Abg. Hofer FDP/DVP: Macht da ja kein Tabu draus! Geben Sie Ge- dankenfreiheit!)

Es ist nicht Ihr Bereich, Frau Gurr-Hirsch. Daher nehme ich das bei Ihnen gar nicht persönlich.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wenn Sie so reden, wer- den Sie nicht mehr gewählt!)

Wir sind im September 1998 mit 4,8 Millionen Arbeitslosen eingestiegen, bei einem Jahresdurchschnitt von 4,3 Millionen. Jetzt haben wir 3,9 Millionen. Das sind 500 000 weniger.

(Zuruf des Abg. Hofer FDP/DVP)

Es könnte mehr sein, aber Sie haben es nicht geschafft.