Warum denn? Weil man natürlich das Thema Arbeitslosigkeit damit elegant zahlenmäßig ein Stück weit minimieren konnte, indem man die Leute frühzeitig in Rente geschickt hat. Da sollten wir also alle nicht so tun. Und dazu kommt noch und das sage ich selbstkritisch dazu, das ist heute noch nicht angesprochen worden , dass die Politik augenzwinkernd sagt: Ach, das ist doch ein Glück, dass wir so viele rüstige Frührentner haben, die können in unseren Vereinen, im bürgerschaftlichen Engagement und, und, und eingesetzt werden. Das ist in der Tat so. Ich stehe nicht an zu sagen, dass wir wissen, dass gerade beim bürgerschaftlichen Engagement die älteren Menschen überproportional repräsentiert sind. Ich wünschte mir, dass sich die Jungen daran ein bisschen ein Beispiel nähmen. Aber umgekehrt zu sagen: Wir drängen die Älteren aus dem aktiven Arbeitsmarkt, um sie auf das Ehrenamt zu vertrösten, so kann es natürlich nicht laufen.
Noch eine kleine kritische Anmerkung. Es gibt konkrete Hinweise dafür, dass das Denken, der Arbeitsmarkt sei eine statische Größe, wobei man nur die Umverteilung von Alt
zu Jung machen müsse, die Betriebe geradezu aufgefordert hat, Mitarbeiter zu entlassen. Das haben sie ja nicht nur im allgemeinen industriellen und handwerklichen Bereich gemacht, sondern zum Beispiel auch im Gesundheitswesen. Darüber ist auch noch nicht geredet worden. Wir reden heute schon über einen drohenden Ärztemangel, zum Beispiel im Osten.
Arbeitsverbot für freiberufliche Ärzte! Nun weiß ich, dass man Chirurgen mit 70 Jahren nicht mehr ans offene Herz lässt; aber einen 68-jährigen Hausarzt muss man deswegen noch lange nicht in die Zwangsrente schicken. Das also nur als kleine kritische Anmerkung.
Meine nächste Bemerkung betrifft die sozialen Sicherungssysteme. In diesem Antrag und da muss ich wirklich Respekt zollen wird sehr ausführlich darauf eingegangen, wie demographieanfällig diese sozialen Sicherungssysteme im Umlageverfahren sind. Damit wird ganz klar: Je weniger und je kürzer die Menschen in diese Systeme einzahlen, auf umso wackeligeren finanziellen Füßen stehen sie.
Noch ein Wort zu dem Reizthema. Müssen wir daraus den Schluss ziehen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, wie es Herr Merz vor kurzem getan hat?
Für Zahnärzte gerne. Wir dürfen es ja gar nicht, Herr Capezzuto, weil Sie es den Freiberuflern verbieten. Bevor wir über eine Anhebung der Altersgrenze nachdenken, müssen wir erst einmal den vom Kollegen Hofer schon angesprochenen Fakt, dass das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei unter 60 Jahren liegt, verändern. Die Probleme liegen nämlich darin, dass wir die Arbeitsplätze für diese Menschen überhaupt vorhalten müssen.
Noch ein weiteres Wort dazu. Wir müssen das ist schon vom Kollegen Witzel gesagt worden sehr viel flexiblere Lösungen möglich machen. Ich kenne nämlich auch Fälle, in denen für Menschen mit 65 das Fallbeil heruntergeht; Menschen, die eigentlich noch gerne arbeiten möchten, es aber gar nicht dürfen. Das ist übrigens, wie wir wissen, genau im staatlichen Bereich, für den wir zuständig sind.
Der Fakt, dass bei den Landesbediensteten, den Landesbeamten insbesondere bei den Lehrern ein hoher Frühverrentungsprozentsatz zu beobachten ist, muss uns natürlich veranlassen, über die Arbeitsbedingungen der Lehrer nachzudenken.
Aber noch etwas, worüber wir uns Gedanken machen sollten: Vielleicht ist dieses Alles-oder-nichts dadurch aufzulösen, dass man sagt: Wenn jemand an seinem Arbeitsplatz möglicherweise nachvollziehbar nicht mehr die bisherige Arbeitsleistung bringen kann, bedeutet das nicht, dass er dann völlig wertlos ist und nicht mehr eingesetzt werden kann, sondern dass wir über eine flexiblere Gestaltung von Arbeitsplätzen auch in dem uns zugänglichen Hoheitsbereich des Landes nachdenken.
Letzter Punkt: Soziale Sicherungssysteme. Wir wissen alle, dass wir im pflegerischen Bereich, im Gesundheitswesen insgesamt in einen absoluten Notstand hineinlaufen. Ich will keine Panik erzeugen, aber doch darauf hinweisen, dass es ganz klare Signale dafür gibt, dass wir gerade dort einen Notstand zu erwarten haben. In der Stellungnahme des Sozialministeriums und den darin enthaltenen Tabellen fehlt der Punkt der sozialen Dienstleistungen. Schauen Sie sich einmal die Tabellen an. Es geht um IT-Berufe, um die Elektrobranche, das Gaststättengewerbe und, und, und.
Es macht viel Sinn, für alle, die daran beteiligt sind, dieses Thema immer wieder in die Köpfe zu bringen und gute Beispiele herauszustellen, zum Beispiel bei den Betrieben. Im Fernsehen ist breit dargestellt worden, dass das Büro Fahrion, hier in der Region, genau mit dieser Strategie sehr gute Erfahrungen in einem Bereich gemacht hat, in dem es um Technik, Technologien geht. Diese Firma hat wunderbare Erfahrungen mit älteren Arbeitnehmern gemacht. Die setzt geradezu auf sie. Im Land sind vom Wirtschaftsministerium zusammen mit dem Sozialministerium, übrigens auch zusammen mit den Gewerkschaften das muss ich hier ausdrücklich anerkennend sagen , runde Tische gebildet worden, auch wenn wir sie nicht so nennen. Dabei hat man wirklich Maßnahmen ergriffen, die auch heute hier schon angedacht worden sind. Herr Kollege Hofer hat ausdrücklich den hier anwesenden Präsidenten des Landesarbeitsamts dafür gelobt, dass er sich massiv in diese Überlegungen einschaltet. Ich lobe ihn und die Arbeitsverwaltung jetzt noch einmal.
Für den drohenden Mangel bei den Pflegeberufen können wir nämlich möglicherweise Potenziale älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft verstärkt mobilisieren.
arbeitet genau an diesem Punkt. Aber dabei gibt es ein Problem: Die sozialen Einrichtungen würden liebend gerne auf solche Menschen zurückgreifen, aber da gibt es teilweise bürokratische Hemmnisse, zum Beispiel wegen der Teilzeitarbeit oder auch wegen der Pflegequalitätssicherung.
Bestimmte Funktionen dürfen nicht in Teilzeit vergeben werden. Aber es gibt vor allem die Restriktion,
dass diese Dienste, auch die ambulanten Dienste, Arbeitsplätze schlicht gar nicht anbieten können, weil ihnen die Finanzierung fehlt. Da sind wir dann bei einer ganz anderen Baustelle. Es geht um die Frage, ob wir und da sind wir wieder bei den sozialen Sicherungssystemen als Gesellschaft bereit sind, das notwendige Geld für die Arbeitsplätze in diesen sozialen Dienstleistungsberufen aufzubringen.
Noch einmal zur Arbeitsverwaltung: Wir wissen ganz genau, dass gerade ältere Menschen, die nach der Familienphase einsteigen, sehr viel länger als jüngere Menschen in den Pflegeberufen verbleiben, wenn man sie denn lässt. Jüngere haben manchmal sehr schnell mit dem Burn-out zu kämpfen. Also müssen wir doch ein Stück weit nicht nur auf die IT-Berufe, auf die Maschinenbauberufe abheben, sondern eben auch auf diese Berufe. Ich rufe alle auf, noch einmal darüber nachzudenken, ob es sein muss, dass jemand, der einen bestimmten Beruf, den er einmal gelernt hat, nicht mehr ausüben kann, bis zum Berufsende durchs Arbeitsamt immer noch einen Computerkurs und noch eine Qualifikationsmaßnahme bekommt. Wäre es nicht besser, auch einmal zu sagen: Mensch, wie wäre es denn, wenn man einmal etwas ganz anderes machte?
Da sind wir wieder bei dem berühmten Thema Flexibilität. Ich darf Ihnen ein konkretes Beispiel vor Augen führen, das ich kenne: Ein Schulfreund von mir, ein erfolgreicher Mathematiker, ist mit 40 Jahren plötzlich gescheit geworden. Er ist nicht entlassen worden, sondern er hat von sich aus plötzlich gesagt, dass er eigentlich noch etwas machen wolle. Er wollte mit Menschen umgehen.
Das ist doch ein wunderschönes Motto. Das sollten wir ein Stück weit in die Köpfe hineinbringen. Die heutige Debatte dient ja dazu, alle Beteiligten dafür zu sensibilisieren, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein ungeheures auch soziales Kompetenzpotenzial darstellen, auf das unsere Gesellschaft auch künftig nicht verzichten darf und nicht verzichten kann.
Ich wollte meine Rede eigentlich mit der Erkenntnis beginnen, die wir wahrscheinlich gemeinsam teilen, dass ältere Menschen genauso fortbildungsfähig, genauso lernfähig und anpassungsfähig sind wie jüngere Menschen. Nachdem ich aber die Zwischenrufe von Herrn Wieser gehört habe, muss ich, was lernfähig betrifft, noch einmal in mich gehen.
Es ist viel Richtiges und viel Falsches gesagt worden. Natürlich stellen ältere Leute ein Erwerbspersonenpotenzial dar, das wir auf dem Arbeitsmarkt brauchen. Genauso klar ist aber auch, dass Sie, die Sie hier sitzen und 50 Jahre oder älter sind, draußen auf dem Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance hätten, wenn Sie jetzt arbeitslos wären.
Übrigens vielleicht wissen Sie das gar nicht : In 60 % aller Betriebe in Deutschland und in Baden-Württemberg gibt es keine Beschäftigten mehr, die 50 Jahre oder älter sind. Das, was wir hier verkörpern, ist also alles, nur nicht die bundesrepublikanische Wirklichkeit.
Frau Lichy hat gesagt, was die Landesregierung für ältere Arbeitslose unternommen habe. Da sehe ich überhaupt nichts. Es handelt sich um zwei, drei kleinere Projekte im Wirtschaftsministerium. Mir würde es aber schon reichen, wenn Sie einmal zu der Erkenntnis kämen: Es war das Bündnis für Arbeit auf Bundesebene, das festgelegt hat, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen, dass die älteren Arbeitnehmer im Arbeitsleben bleiben müssen und, wenn sie arbeitslos sind, wieder in das Arbeitsleben übernommen werden müssen. Aufgrund dieser Erklärung des Bündnisses für Arbeit auf Bundesebene erfolgte erst der Wechsel bei der Bundesanstalt für Arbeit: 50 plus die können es. Das haben wir in Baden-Württemberg im Landesarbeitsamt ich war dabei natürlich mit umgesetzt. Aber wenn die Aktion 50 plus auf Bundesebene nicht verabredet worden wäre, wäre hier überhaupt nichts passiert damit uns das klar ist.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das stimmt doch gar nicht!)
Es wäre gut, Frau Lichy, wenn Sie jetzt auch zuhören würden. Die Arbeitslosigkeit Älterer im Land ist um 25 % zurückgegangen. Das ist toll, das ist super. Aber bundesweit ist sie sogar um 36 % zurückgegangen. Das sollten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen, nachdem wir sonst immer Spitze sind.
Wir können uns gemeinsam streiten, wer in die Statistik aufgenommen werden muss und wer nicht. Aber Tatsache ist, dass diejenigen, die 58 Jahre oder älter sind, zum Teil zwar arbeitslos sind, aber dann nicht mehr in die Vermittlung genommen werden. Sie haben vielleicht vergessen, dass diese Regelung festgelegt wurde. Ich weiß nicht, ob es eine Altersfrage oder eine Wahlkampffrage ist, dass man etwas vergisst.
(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das war jetzt sehr charmant! Die wird auch noch älter! So jung ist die auch nicht! Zurufe der Abg. Capezzuto SPD und Dr. Noll FDP/DVP)