Da heißt es zunächst einmal – und zwar zu Recht –, dass Strafgefangene nach dem Strafvollzugsgesetz im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden sollen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.
Das Vollzugsziel Nummer 2 ist dann der Schutz der Allgemeinheit. Man kann es auch so sagen: das Entziehen der Freiheit als generalpräventive Maßnahme.
Wenn man sich dann in den Internetseiten weiter voranarbeitet, kommt man zu einem Paradigmenwechsel. Dort wird dann ein Leitbild des Justizministeriums zum Thema Justizvollzug verkündet, und da werden die Justizvollzugsziele genau umgekehrt dargestellt: Es geht zunächst um den Schutz der Allgemeinheit, und erst dann geht es um die Frage der Vorbereitung der Gefangenen auf ein Leben ohne Straftaten.
Meine Damen und Herren, diesen Paradigmenwechsel wollen wir als bündnisgrüne Fraktion in diesem Landtag nicht mitmachen.
Er wurde des Weiteren auch von profunder Stelle aus dem Justizministerium heraus bestätigt, indem es nämlich heißt, Justizvollzug sei ein Geschäft der Sicherheit.
Wir, meine Damen und Herren, sind der Auffassung, dass wir das Vollzugsziel Nummer 1, nämlich die Frage, wie wir die Menschen, die wir nach vollzogener Freiheitsstrafe in die Freiheit entlassen, auf ein gesellschaftlich integriertes Leben vorbereiten,
Herr Kollege Noll, auch weiterhin als Vollzugsziel Nummer 1 in einer liberalen und rechtsstaatlichen Gesellschaft benennen sollten.
Lassen Sie mich anhand der Großen Anfrage in ein paar wenigen Punkten noch einmal dartun, warum ich der Auffassung bin, dass diese Landesregierung dieses Vollzugsziel nicht nur verbal, sondern auch durch tatsächliches Tun verlassen hat.
Ein erster Punkt ist die Situation der Bediensteten. Auch ich weiß natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, worüber wir heute Morgen hier debattiert haben, und ich weiß auch, was zu den Verlautbarungen von gestern zur Finanzsituation in Bund und Land in den Zeitungen steht. Ich stelle mich deswegen auch nicht hierher und fordere 500 oder 600 neue Stellen im allgemeinen Vollzugsdienst.
Aber eines, Herr Kollege Hofer, hätte ich von dieser Landesregierung schon erwartet: Ich hätte erwartet, dass man die Stellen, die man schon im Haushalt eingestellt hat – da geht es um 40 Stellen, die wir als Landtag für den Doppelhaushalt beschlossen haben –, in Anbetracht der Überbelegung in unseren Vollzugsanstalten auch besetzt.
Deswegen glaube ich, dass die Landesregierung auch bei dieser Frage offensichtlich das Vollzugsziel Verwahrung
mehr zum Primat erhebt, weil nicht einmal die Stellen besetzt werden, die schon im Etat enthalten sind.
Einen weiteren Punkt zum Thema Stellen möchte ich benennen, weil wir ja immer darüber reden und davon hören, wie toll doch Baden-Württemberg dasteht.
Beim Verhältnis zwischen Gefangenen und Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten stehen wir an letzter Stelle in der Bundesrepublik, meine Damen und Herren. Deswegen wäre es wirklich höchst angezeigt, wenigstens die 40 beschlossenen Stellen zu besetzen. Dieses Verhältnis zeigt auch, dass wir uns mehr um die Verwahrung als um die Sozialisierung oder Resozialisierung kümmern.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das Thema Überbelegung, das natürlich unmittelbar – der Kollege hat es auch gesagt – mit der Frage zusammenhängt: Wie viel Sozialisierungs- und Resozialisierungsarbeit können wir denn leisten? Aus meinen konkreten Erfahrungen als Strafvollzugsbeauftragter, der sich einige Justizvollzugsanstalten über ausreichende Zeit hinweg angeschaut hat, darf ich Ihnen berichten, dass meines Erachtens die wesentliche Arbeit in diesen Vollzugsanstalten – und natürlich gehört den Menschen Dank, die die Arbeit dort tun, Herr Kollege Zimmermann;
keine Fraktion in diesem Haus wird sich dieses Danks enthalten; Sie dürfen gerne an dieser Stelle klatschen –, die der allgemeine Vollzugsdienst und auch der Werkdienst in diesen Vollzugsanstalten leistet, doch daher rührt, dass es immer dann zu zwischenmenschlichen Kontakten mit Vollzugsbediensteten kommt, wenn es auch Menschen sind, die im allgemeinen Vollzugsdienst beschäftigt sind. Wir können nicht nur mehr Sozialarbeiter, mehr Psychologen und mehr Therapeuten einstellen. Es kommt auch auf die kurze Unterhaltung beim Wegschließen oder beim Aufschließen oder in anderen Situationen der Begegnung an. Aber wenn die Menschen, die dort arbeiten, für 70 Gefangene zugleich zuständig sind – meine Damen und Herren, das sollten Sie sich als Landtag einmal anschauen –, dann können sie Sozialarbeit, können sie das kleine zwischenmenschliche Gespräch, nach dem auch ein Gefangener einmal ein Bedürfnis und auf das er einen Anspruch hat, nicht mehr leisten.
Auch das zeigt, dass die Personalknappheit natürlich immer unmittelbar mit der Frage zusammenhängt: Wollen wir einen Verwahrvollzug, oder wollen wir die Menschen auf ein Leben in Freiheit vorbereiten? Wir, meine Damen und Herren, wollen das Letztere, und deswegen müssen wir in dem Bereich zumindest so weit handeln, wie es im Etat schon als beschlossen steht.
Ein letzter Punkt, weil wir ja gar nicht in der Lage sind, in dieser Zeit diese ganze Große Anfrage abzuarbeiten. Um dieses, meine ich, doch wichtige Thema der inneren Sicherheit, Herr Kollege Hofer – das ist keine Frage –, umfassend zu bearbeiten, möchte ich aber noch einen Punkt ansprechen. Da hat der Herr Justizminister – das will ich einräumen – in bestimmten Bereichen tatsächlich auch Neuland beschritten. Er hat dafür manchmal seinen Kopf hingehalten, manchmal hat er ihn auch eingezogen, aber das soll trotzdem ein Lob sein.
Es soll ein Lob sein, was die Frage von Haftvermeidungsstrategien anbelangt, meine Damen und Herren. Es kann ja nicht sein, dass wir bei überbelegten Justizvollzugsanstalten nur die Frage diskutieren, wann wir wie viel neue Vollzugsanstalten an welchen Standorten, die in diesem Bundesland auch nicht so einfach zu finden sind, bauen, sondern es geht um die Frage: Welche Möglichkeiten bietet denn dieser Rechtsstaat, um auch Haftvermeidungen zu ermöglichen? Da, denke ich, besteht natürlich noch ein Potenzial, auch für Ihre Nachfolgerin, Herr Minister. Aber das Thema „Schwitzen statt sitzen“ haben Sie sicherlich an verantwortlicher Stelle vorangetrieben. Das gilt auch für das „Projekt Chance“. Das sind Themen, bei denen auch unsere Fraktion Ihnen, Herr Minister, dankbar ist, dass Sie da eine Lanze gebrochen haben – vielleicht auch hinein in die CDUFraktion, die von solchen Projekten nicht allzu viel hält.
Ein weiterer und letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das Thema „Arbeit und Ausbildung“. Hierzu wird in den Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg viel getan. Auch darüber besteht zwischen uns, Herr Kollege Zimmermann, sicherlich Übereinstimmung. Es ist sicherlich auch ein ganz probates Mittel,
die Gefangenen auf die Freiheit vorzubereiten, indem man ihnen zum Beispiel eine Ausbildung oder einen Hauptschulabschluss ermöglicht.
Ein allerletzter Punkt, den ich ansprechen möchte – ich habe das auch schon schriftlich getan –, ist: Wir übernehmen ja die parlamentarische Kontrolle der Justizvollzugsanstalten und dessen, was das Justizministerium für diesen Bereich anordnet und verfügt. Ich habe die Strafvollzugsbeauftragten in diesem Land ja auch gebeten – ich hoffe, dass wir diese Aufgabe unter der neuen Justizministerin dann auch angehen können –, dass wir unsere Arbeit besser koordinieren und uns auch auf sachlicher Ebene gemeinsam über die Probleme unterhalten.
Insofern wäre mein Vorschlag, den ich hiermit gern wiederholen möchte: Wir brauchen keine neuen Kommissionen und keine neuen Ausschüsse, wohl aber eine bessere Koordination untereinander. Einen Erfahrungsaustausch biete ich Ihnen von meiner Seite und vonseiten meiner Fraktion aus gern an. Ich hoffe, dass Sie und die neue Justizministerin auf dieses Angebot zurückkommen werden. Ich glaube, der Strafvollzug in Baden-Württemberg braucht diese
parlamentarische Kontrolle. In diesem Sinne bedanke ich mich schon jetzt für Ihre Bereitschaft, an diesem Projekt mitzuwirken.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich begrüße ich es auch, wenn man sich mit dem Strafvollzug einmal in dieser Weise beschäftigt. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Auf der anderen Seite bin ich nicht sicher, ob es gut ist, wenn man sich in der Weise mit ihm befasst, dass man Zerrbilder herstellt, die mit der Realität nichts zu tun haben.
Wir haben vorhin über Sparmaßnahmen geredet. Dabei ist mir etwas durch den Kopf gegangen. Herr Sakellariou, ich habe den Eindruck, zumindest Sie könnten sich bestimmte Auslandsreisen sparen. Ich traue Ihnen so viel Fantasie zu, dass Sie sich alle möglichen Zustände in anderen Ländern – vielleicht in Entwicklungsländern – und auch hier in BadenWürttemberg vorstellen können. Bei dieser Fantasie – da ergreift mich die Bewunderung – sollten Sie vielleicht kunstpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion werden.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Carla Bregenzer SPD: Was soll denn das bedeuten?)
Das werden Sie gleich hören. Das hat etwas mit Fiktion zu tun, mit dem Unterschied zwischen Realität und Produkten.
Darauf werde ich der Reihe nach zu sprechen kommen. Ich möchte nicht allzu lange reden, aber einige Punkte bedürfen dringend der Richtigstellung.
Noch eine Vorbemerkung: Lieber Herr Oelmayer, am Anfang hat mir schon ein bisschen der Atem gestockt, als Sie den Schutz der Allgemeinheit im Klartext im Grunde als zweitrangig bezeichnet haben.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Oelmayer GRÜNE: Das habe ich doch gar nicht getan!)