Protokoll der Sitzung vom 20.06.2001

Meine Damen und Herren, das Land Baden-Württemberg hat im öffentlichen Dienst einen Teilzeitbeschäftigungsanteil von 31 %. Sie werden weit und breit suchen können, bis Sie einen Arbeitgeber finden, der einen Teilzeitbeschäftigungsanteil von über 30 % hat. Wir werden mit der Wirtschaft über die Bereitschaft zu mehr Teilzeitarbeitsplätzen und flexibleren Arbeitszeiten reden, vor allem aber über den beruflichen Wiedereinstieg. In einer Zeit, in der sich die Arbeitswelt rasant verändert, fürchten viele Frauen, nach einer Unterbrechung ihrer Berufstätigkeit zugunsten ihrer Familie den Anschluss zu verlieren. Ich nehme diese Sorge sehr ernst.

Ein Patentrezept haben wir nicht, aber Lösungsmöglichkeiten müssen gefunden werden. Die Landesregierung wird deshalb die Beteiligten für eine Zukunftswerkstatt zugunsten der Familien zusammenrufen.

Die Länder sind natürlich auch gefordert. Sie können aber familienpolitische Leistungen des Bundes nur ergänzen. Baden-Württemberg geht dabei auch in Zukunft mit gutem Beispiel voran. Das Landeserziehungsgeld, das bundesweit vorbildliche Modellprojekt „Mutter und Kind“, das Reihenhausprogramm, das Programm „Innerstädtisches Wohnen“ und weitere Leistungen des Landes für Familien wie der Landesfamilienpass – alles Erfindungen zugunsten von Familien in Baden-Württemberg – werden wir fortführen.

Die Landesregierung wird die Eigenheimförderung zusätzlich auf junge Ehepaare und Familien mit einem Kind ausweiten.

(Abg. Fleischer CDU: Sehr gut!)

Mit unseren wohnungsbaupolitischen Programmen ermöglichen wir vor allem Familien mit geringem Einkommen die eigenen vier Wände.

Die Landesregierung wird weiter dafür eintreten, dem Wohnungseigentum in der privaten Altersvorsorge einen deutlich höheren Stellenwert einzuräumen.

(Beifall des Abg. Rüeck CDU)

Die im Bund im Zusammenhang mit der Rentenreform beschlossenen neuen Regelungen sind völlig unzureichend und den Bürgern Baden-Württembergs nicht vermittelbar.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Die Praxis wird zeigen, dass sie auch kaum in Anspruch genommen werden. Sie schaden der Bauwirtschaft sowie den im Land zahlreich vertretenen Bausparkassen. Das kann auf Dauer nicht so bleiben. Deshalb machen wir uns auch nach der Verabschiedung der Rentenreform für eine möglichst rasche Änderung stark. Ich hoffe in dieser Frage durchaus noch auf die Lernfähigkeit der derzeitigen Bundestagsmehrheit. Wir werden sie durch eine Bundesratsinitiative auf die Probe stellen.

Meine Damen und Herren, junge Menschen haben heute dank der Leistung ihrer Eltern und Großeltern vielfältige Chancen in Bildung und Beruf wie keine Generation vor ihnen. Angesichts kleiner werdender Jahrgänge und einer erfreulicherweise wachsenden Lebenserwartung kommen

auf sie aber auch höhere Belastungen für die Finanzierung der sozialen Sicherung und für ihre eigene Zukunftsvorsorge zu.

Wir wollen künftigen Generationen den notwendigen Freiraum für ein erfolgreiches Leben mit auf den Weg geben und nicht einen Rucksack voller Schulden. Sie brauchen Handlungs- und Gestaltungsspielräume. Sparsamkeit ist deshalb Trumpf in Baden-Württemberg. Unsere Haushaltsund Finanzpolitik ist weiterhin von dieser Leitlinie geprägt. Die Landesregierung ist entschlossen, bis Ende der Legislaturperiode im Jahr 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Sämtliche in der Koalitionsvereinbarung beschlossenen Vorhaben mit Ausnahme der 5 500 neuen Lehrerstellen stehen daher unter Haushaltsvorbehalt. Wir arbeiten und sparen dafür, in Baden-Württemberg die Ära der Nullverschuldung einzuläuten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich sage hier ganz offen: Theoretisch sieht diesen Zusammenhang jeder ein, und unsere Zielsetzung ist durchaus populär. Konkret werden wir ungeheure Schwierigkeiten bekommen, wenn wir nicht nur Wünsche, sondern auch berechtigte Anliegen von Bürgern, Verbänden, Kommunen, Bevölkerungsgruppen, öffentlichem Dienst, Presse, Parlamentsfraktionen, Regierungsmitgliedern unter Hinweis auf dieses Ziel der Nullverschuldung ablehnen müssen. Ich bitte dann alle, die uns sehr lautstark in dieser Zielsetzung unterstützt haben, um ihre Unterstützung im Alltag, wenn es ernst wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich räume ein: Nullverschuldung ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Dieses Ziel werden wir erreichen, wenn die Wirtschaft in Deutschland wächst, wenn der Bund den Ländern keine neuen zusätzlichen Belastungen auferlegt und wenn wir selbst konsequent sind. Nullverschuldung ist für uns nicht vorrangig ein finanzpolitisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Ziel. Sie ist ein Beitrag zum Generationenvertrag.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Im Übrigen, meine Damen und Herren, sollte niemand übersehen: Schon seit Jahren übersteigen unsere jährlichen Leistungen für den Finanzausgleich unsere jährliche Nettokreditaufnahme bei weitem. Unsere Leistungen insgesamt sind höher als unser Schuldenstand. Ohne Finanzausgleich könnten wir bereits jetzt unsere Haushalte mit einem beträchtlichen Überschuss abschließen.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Ohne Finanzaus- gleich gäbe es auch keinen Föderalismus!)

Ich bitte Sie. Wissen Sie: Sie hätten Gescheiteres zu tun in dieser Frage, nämlich einmal diejenigen von Ihrer Partei aus Baden-Württemberg, die in Bundesregierung und Bundestagsfraktion Verantwortung tragen, darauf aufmerksam zu machen, dass es ein Unsinn ist, wenn diejenigen, die Leistungen bekommen, mehr zur Verfügung haben als diejenigen, die zahlen. Das muss beendet werden.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU – Leb- hafter Beifall bei der FDP/DVP)

(Ministerpräsident Teufel)

Das ist im Übrigen nicht nur beim Länderfinanzausgleich der Fall, sondern – ich sage das in diesen Tagen ganz besonders – auch beim so genannten Risikostrukturausgleich im Gesundheitswesen. Wir werden in wenigen Wochen, wenn in Baden-Württemberg die Beiträge erhöht werden, die Situation haben, dass Empfängerländer des Risikostrukturausgleichs Beiträge für ihre Arbeitnehmer und für ihre Arbeitgeber haben, die um zwei und mehr als zwei Prozentpunkte niedriger liegen als die Beiträge, die die baden-württembergischen Handwerker und Arbeitnehmer Monat für Monat bezahlen – deshalb, weil wir über 2 Milliarden DM in den Risikostrukturausgleich zahlen. Das ist doch ein Ding der Unmöglichkeit! Hier erwarte ich, dass Sie gegen solche Regelungen einmal aufstehen und für Verbesserungen sorgen.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU – Leb- hafter Beifall bei der FDP/DVP)

Es mangelt doch nicht an unserer Solidarität. Wir sind nicht gegen einen Länderfinanzausgleich, aber er muss gerecht und leistungsorientiert sein. Sonst beschneidet er den Geberländern die Möglichkeiten der Entwicklung aus eigener Kraft und erzeugt bei den Nehmerländern eine Subventionsmentalität, die auf Dauer eigene Anstrengungen erlahmen lässt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Schon Abraham Lincoln wusste: „Ihr werdet die Schwachen nicht stark machen, indem ihr die Starken schwächt.“

Meine Damen und Herren, Ziel darf es nicht länger sein, alles möglichst gleich zu verteilen, sondern Ziel muss es sein, für alle Länder Anreize dafür zu schaffen, möglichst viel selbst zu erwirtschaften. Ludwig Erhard hat, wie so oft, auch heute noch Recht: „Die Probleme der Volkswirtschaft werden nicht durch Division, sondern durch Multiplikation des Bruttosozialprodukts gelöst.“ Das ist unsere Politik.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Bereits morgen geht es in eine weitere, dreitägige entscheidende Verhandlungsrunde. Sie kennen die Position der Landesregierung. Ich habe sie nach dem von uns mit erstrittenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts hier dargestellt. Ich will heute aus nahe liegenden Gründen unsere Verhandlungsstrategie nicht im Einzelnen ausbreiten. Dafür bitte ich um Verständnis.

Ich sage aber an die Adresse des Bundes und der anderen Länder: Es kann keine Neuordnung geben ohne einen stärkeren Eigenbehalt aus dem eigenen Steueraufkommen. Und: Die Einbeziehung der kommunalen Steuerkraft in den Finanzausgleich muss auch künftig der verfassungsrechtlich gesicherten Finanzautonomie der Städte und Gemeinden Rechnung tragen. Dies sind für uns ganz entscheidende Punkte.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir werden in den Verhandlungen entschieden die berechtigten Interessen des Landes Baden-Württemberg, aber genauso entschieden die Interessen seiner Kommunen vertreten. Denn sie sitzen nicht am Verhandlungstisch, und des

wegen haben wir die verdammte Pflicht, die Interessen unserer Kommunen genauso wie die Interessen des Landes zu vertreten.

Gegenüber dem Bund werden wir weiterhin die Linie einer kritisch-konstruktiven Zusammenarbeit verfolgen. Entscheidendes Kriterium sind dabei die berechtigten Interessen Baden-Württembergs. Wir sind nicht gewählt worden, um leisezutreten, sondern um vernehmlich zu sprechen, wenn es um wichtige Anliegen unseres Landes und seiner Bürger geht.

Über den Finanzausgleich hinaus brauchen wir eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Ja!)

Setzen Sie sich doch einmal dafür ein, wenn schon nicht für das, was wir mit Bayern zusammen schon vor eineinhalb Jahren vorgelegt haben, dann doch vielleicht für die Vorschläge, die Ihr eigener Parteifreund, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, gestern gemacht hat. Ich unterschreibe das alles.

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

Sie haben doch die Mehrheit, das durchzusetzen. Sie haben im Bundestag die Mehrheit, das durchzusetzen.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Ich habe gestern im Präsidium die Auffassung vertreten, dass wir hier darüber diskutieren sollten! Ich befürworte die De- batte!)

Ja, das finde ich großartig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Ich gebe Ihnen gerne ein halbes Jahr Zeit, und danach wird die CDU-Fraktion eine Aktuelle Debatte zu dem Thema beantragen, was Sie konkret umgesetzt und erreicht haben.

(Abg. Drexler SPD: So lange braucht ihr?)

Meine Unterstützung haben Sie – auch die Stimmen Baden-Württembergs im Bundesrat. Aber im Bundestag heißt es: Hic Rhodus, hic salta! Das möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie die Mehrheit haben, nur sagen.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Darauf kommen wir zurück! – Abg. Birzele SPD: Und die Stimmen der CDU-Länder? – Abg. Schmiedel SPD: Was ist mit Sachsen? Was ist mit dem Saarland? – Abg. Drex- ler SPD: Sachsen und Saarland! – Gegenruf des Abg. Alfred Haas CDU: Zweites Eigentor, Herr Fraktionsvorsitzender!)

Das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ist von zu viel Verflechtung und zu wenig Eigenverantwortlichkeit geprägt. Ich sage dies auch und vor allem im Interesse der Länderparlamente. Denn sie sind die eigentlichen Verlierer der Verfassungswirklichkeit nach Verabschiedung des Grundgesetzes und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Der Bund nimmt heute alle – aber wirklich alle, ohne eine einzige Ausnahme – Rechte der konkurrie

(Ministerpräsident Teufel)