Protokoll der Sitzung vom 20.02.2003

Zuerst möchte ich noch einmal ein Wort des Herrn Ministerpräsidenten zitieren, das er am 12. Februar den „Stuttgarter Nachrichten“ gesagt hat. Da wird ja immer die Bundesregierung genannt: „Die Bundesregierung sagt ‚Gerechtigkeit’ und versündigt sich an den Schwächsten.“

(Abg. Pfister FDP/DVP: Wer sagt das?)

Der Herr Ministerpräsident. – Das ist ein schöner Satz. Sie streichen in diesem Landeshaushalt bei den Schwächsten:

(Abg. Teßmer SPD: Nur!)

bei den Langzeitarbeitslosen, bei den jugendlichen Arbeitslosen, bei den psychisch Kranken, bei denjenigen, die in der Sozialarbeit stehen, und bei der Schulsozialarbeit. Sie machen gerade das, was Sie der Bundesregierung vorwerfen. Genau das machen Sie.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Bei der Arbeitsmarktpolitik gibt es einen Kahlschlag, liebe Kolleginnen und Kollegen – und das in einer Zeit, in der wir eine steigende Arbeitslosigkeit haben. Im Etat des Wirtschaftsministeriums sollen die Mittel zur Kofinanzierung von Fördermaßnahmen des Europäischen Sozialfonds um fast 3 Millionen € gekürzt werden.

(Abg. Schmiedel SPD: Absolut tödlich!)

Das ist fast eine Halbierung der zuletzt bereitgestellten Mittel von 5 Millionen €. In diesem Haushaltstitel standen 2001 noch 15,6 Millionen € dafür zur Verfügung. Wir haben eine steigende Langzeitarbeitslosigkeit. Wir wissen um die Probleme der Arbeitslosen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Besonders in Ba- den-Württemberg!)

Und Sie fahren das um 84 % herunter. Was steht denn für eine Strategie hinter dieser Geschichte? Wollen Sie sich jetzt gerade um diesen Bereich von Langzeitarbeitslosen nicht kümmern?

Die Diakonie hat in den letzten 20 Jahren, wie sie uns berichtet hat, über 45 000 Langzeitarbeitslose in ihren Maßnahmen gehabt – allein die Diakonie. Herr Palmer, vorhin saß noch der Diakoniepräsident da. Jetzt ist er gegangen. Er weiß, was seine eigene Diakonie zum Sozialbereich sagt.

Was sagen denn die Arbeitsgemeinschaften, die zusammengeschlossen sind? Ich zitiere:

Eine Streichung des Landesprogramms „Arbeit und Zukunft“ für Langzeitarbeitslose ist ein fatales Signal

in der Krisenzeit. Es wäre gleichbedeutend damit, dass das Land sich aus der Weiterentwicklung des Arbeitsmarkts in einer politischen Situation zurückzieht, die für sozial schwache Menschen zu weiteren Härten und verstärkter Ausgrenzung führt.

So ist es auch. An Ihren betroffenen Gesichtern merke ich, dass Sie es zwar verstehen, aber nachher wieder politisch falsch abstimmen werden. So ist es.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grü- nen)

Damit Ihre Gesichter noch steifer werden: Im Koalitionsvertrag steht:

Die Landesregierung... wird darüber hinaus die flankierenden Maßnahmen zur Integration jugendlicher Arbeitsloser mit Ausbildungsdefiziten oder sozialen Problemen sowie Langzeitarbeitsloser und Schwerbehinderter in den ersten Arbeitsmarkt fortsetzen.

(Zuruf von der SPD: Alles Luft!)

Sie brechen den Koalitionsvertrag.

Die Kürzungen widersprechen nicht nur dem Koalitionsvertrag, sondern sie entsprechen auch nicht dem Landtagswahlprogramm der großen Volkspartei CDU.

(Abg. Capezzuto SPD: Untersuchungsausschuss! Wahllüge!)

Darin steht:

Dennoch verkennt die CDU Baden-Württemberg nicht, dass es auch bei uns benachteiligte Gruppen gibt, die auf dem Arbeitsmarkt Probleme haben und der Hilfe bedürfen. Deshalb werden wir das Programm „Jugend – Arbeit – Zukunft“ und das Langzeitarbeitslosenprogramm des Landes fortführen.

Das haben Sie im Wahlkampf versprochen.

(Zurufe von der SPD: Oh! – Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Wahlbetrug!)

Und jetzt rasieren Sie es um 86 %.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Ich will jetzt keinen Untersuchungsausschuss zur Wahllüge für den Landtag von Baden-Württemberg beantragen.

(Abg. Capezzuto SPD: Da sähen sie schlecht aus!)

Aber ich bitte Sie herzlich, bei den Beratungen darüber nachzudenken, dass man das bei einer Gruppe, deren Zahl in diesem Land zunimmt, nicht machen kann.

Zweiter Bereich: Schulsozialarbeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich brauche zur Schulsozialarbeit nicht vieles zu sagen. Aber eines ist doch wohl klar: Wir hatten hierüber schon einmal eine Debatte im Landtag. Da muss ich mir jetzt einfach einmal die FDP/DVP und den Herrn Noll vornehmen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Helfen Sie mit!)

Als es die erste Streichliste gab, stand in Zeitungsartikeln zur Schulsozialarbeit, es sei gar nicht so, sondern die Halbierung der Mittel für die Schulsozialarbeit auf 2 Millionen € würde auf Druck der FDP/DVP wieder rückgängig gemacht.

(Oh-Rufe von der SPD – Zuruf des Abg. Ca- pezzuto SPD – Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

So stand es wörtlich in den Zeitungen. Jetzt kommt es: Die FDP/DVP sagte, dies stünde nur deshalb noch in der Streichliste, weil die neuesten Vereinbarungen vor der Regierungspressekonferenz nicht mehr in die schriftliche Liste hätten eingearbeitet werden können.

(Heiterkeit bei der SPD – Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

Wir haben bis heute noch keine neue Liste. Es steht noch immer drin. Was ist jetzt Sache?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber bitte kommen Sie nicht vor und reden schwammig. Sagen Sie uns, was Sie wollen!

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Als Nächstes komme ich zu den Jugendwohnheimen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, ob Sie in der letzten Zeit vielleicht in einem solchen Jugendwohnheim waren oder mit den Trägern von Jugendwohnheimen gesprochen haben.

(Abg. Carla Bregenzer SPD: Sicher nicht!)

Diese Jugendwohnheime stehen vor dem Aus, wenn Sie in diesem Bereich 2,14 Millionen € einsparen. In 75 Jugendwohnheimen der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg wohnen jährlich ca. 30 000 Menschen, vor allem während des Blockunterrichts.

Irgendjemand hat gesagt, die Bundesregierung handle anders, als sie rede. Dazu könnte man ja vieles sagen. Ich sage Ihnen jetzt einmal, was Ihre Leute immer erzählt haben. In einer Presseerklärung des Ministeriums von Sozialminister Friedhelm Repnik vom Oktober 2002 stand:

(Abg. Schmiedel SPD: Wo ist er denn?)

Jugendwohnheime sind für viele junge Menschen die einzige Möglichkeit, eine qualifizierte Ausbildung überhaupt anzutreten.

Angesichts dieser Aussagen sind diese Kürzungen für die Jugendlichen mehr als schäbig, denn das duale Ausbildungssystem – das sagen uns alle Träger – steht damit natürlich auch auf dem Spiel. Angesichts der Wohnungsnot in den Ballungsräumen – zum Wohnungsbau komme ich nachher noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen – und des Rückgangs an Ausbildungsplätzen ist die Entscheidung des Landes aus Sicht der Kirchen, der Caritas und der Diakonie unverantwortlich. Das müssen Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)